HEIMATBLATT FÜR STADT UND LAND
CALWER ZEITUNG
DONNERSTAG, 10. JULI 1952
ÜBERPARTEILICHE TAGESZEITUNG
8. JAHRGANG / NR. 11»
Sachliche Parlamentsdebatte über die Verträge
Adenauer: Ein geschichtlicher Wendepunkt / Schmid: Weder Souveränität noch Gleichberechtigung
Orabtberlcht unserer Bonner Redaktion
BONN. Temperatur und Atmosphäre des großen Sitzungssaales im Bundeshaus waren gestern morgen, als die große Debatte über die Vertragswerke begann, durchaus „temperiert“. Ein erfrischendes Gewitter, das am Vorabend über Bonn niedergegangen war, hatte die unerträgliche Hitze gemildert. Die Techniker hatten darüber hinaus mit Hilfe der Klimaanlage die Temperatur im Sitzungssaal unter 20 Grad gedrückt. So kam es, daß zu Beginn der großen Debatte kein Abgeordneter von der Erlaubnis des Ältestenrates Gebrauch machte, in Hemdsärmeln zu erscheinen. Doch trugen viele helle Jacketts. Audi auf der Regierungsbank herrschten helle Anzüge vor. Der Bundeskanzler trug zum dunkelbraunen Anzug ein weißes Hemd und eine silbergraue Krawatte. Lebhaft unterhielt er sich vor der Sitzung, ab und zu freundlich lächelnd, mit Staatssekretär Hallstein. Die entspannte Atmosphäre wurde sichtbar, als der wie immer dunkelgekleidete Bundestagspräsident Dr. Ehlers unter dem Beifall aller Fraktionen den Abgeordneten Köhler (CDU), Ludwig (SPD) und Rath (FDP) zu ihrem 60. und dem Abg. Schill (CDU) zu seinem 64. Geburtstag gratulierte. Zuschauer- und Pressetribüne waren überfüllt. Die Rundfunkleute mit ihren Aufnahmegeräten brachten in das Bild die Note eines „großen parlamentarischen Tages“.
Die Debatte wurde mit der Regierungserklärung des Bundeskanzlers eingeleitet. Dr. Adenauer führte aus, daß mit den Verträgen das Besatzungsstatut fortfalle, alle wirtschaftlichen Beschränkungen aufgehoben werden und neben der amerikanischen Unterstützung auch mittelbar ein Bündnis mit Großbritannien erreicht würde. Ferner würden durch die Verträge europäische Kriege ausgeschlossen und die Bundesrepublik erhalte denkbar größte Sicherheit. Sie werde Subjekt. „Damit“, fuhr Adenauer wörtlich fort, „können wir als Mithandelnde nun alle unsere Kräfte für die Entspannung der Situation im Frieden einset- *en.“ Bei Ablehnung der Verträge seien keine neuen Verhandlungen auf der bisherigen Ebene möglich.
„Die Behauptung, daß die Verträge die Wiedervereinigung ausschließen, ist falsch“, sagte Adenauer. „Ich meine, daß es klug ist, sich
der Hilfe von drei Mächten zu versichern, dann werden wir auch eines Tages an den Verhandlungstisch mit Rußland kommen.“
Der Bundeskanzler gab zu, daß auch er nicht mit allen Bestimmungen der Verträge einverstanden sei, betonte jedoch, daß man das Vertragswerk als Ganzes sehen und als Ganzes darüber entscheiden müsse. Zum Zusammenhang der Vertragswerke erklärte Adenauer, die Bonner Verträge seien Grundlage und Voraussetzung für den EVG-Ver- trag. Die deutsche Geschichte stehe an einer Wende und der Bundestag müsse bei. seiner Entscheidung darüber befinden, ob die bisherige Entwicklung und der bisher beschrit- tene Weg der einzig mögliche sei, oder ob es einen anderen Weg gebe.
Einen großen Teil der Rede bildete die Erläuterung der einzelnen Vertragsbestimmungen durch den Bundeskanzler, bevor die De-
Sperrmaßnahmen werden eingeieitet
Scharfer amerikanischer Protest wegen Entführung Dr. Linses
BERLIN. Im Westberliner Polizeipräsidium traten die Polizeiinspektoren der verschiedenen Westberliner Bezirke gestern morgen mit den Leitern der Tiefbauämter zu einer Besprechung zusammen, um die vom Senat ungeordnete Errichtung von Barrieren an den Übergängen zur Sowjetzone zu beraten. Der Bau der Sperren soll sobald wie möglich in Angriff genommen werden.
Während die sowjetisch lizenzierte Presse die Entführung des Wirtschaftsreferenten des Untersuchungsausschusses der freiheitlichen Juristen, Dr. Walter Linse, mit keinem Wort erwähnte, stehen die Westberliner Morgenzeitungen ganz im Zeichen dieses ungeheuerlichen Vorfalls. In Leitartikeln werden zum Teil schwere Vorwürfe gegen die Polizei und den Senat erhoben. Verschiedene Zeitungen stellen sich auf den Standpunkt, daß Dr. Linse indirekt das Opfer unzureichender polizeilicher Schutzmaßnahmen geworden sei.
Noch keine Entscheidung in Chikago
Weitere Stimmen für beide Kandidaten / Hoover: Wir verloren den Frieden
CHIKAGO. Auch am Ende des zweiten Tages des republikanischen Parteikonvents in Chikago war es noch völlig offen, ob der republikanische Präsidentschaftskandidat Taft oder Eisenhower heißen wird.
Nach einem ersten Prestigeerfolg Eisenho- wers am Montag sprach der Beglaubigungsausschuß des Plenums am Dienstag Senator Taft verschiedene weitere „strittige“ Delegierte zu. Dagegen konnte auch Eisenhower gestern wieder weitere Stimmen für sich gewinnen. Der Beglaubigungsausschuß hat 13 Anhänger Eisenhowers aus Louisiana zum Parteikonvent zugelassen und damit einen Beschluß des republikanischen Parteiausschusses rückgängig gemacht, der diese Sitze den Anhängern Tafts zugesprochen hatte.
Die Hauptrede vor dem Plenum am Dienstag hielt der Expräsident Herbert Hoover, der sich, ohne Namen zu nennen, eindeutig mit den außenpolitischen und militärischen Ansichten Tafts identifizierte und die Europa- Armee als ein Phantom bezeichnete. Hoover
batte unterbrochen wurde, um dann um 13.30 Uhr mit der Rede des CDU-Abg. Gerstenmaier wieder eröffnet zu werden.
Dr Eugen Gerstenmaier (CDU/CSU) betonte das Ja seiner Fraktion zu den Verträgen. Bei der Zielsetzung der europäischen Einigung, so sagte er, dürfe man nicht die nationalstaatliche Souveränität zum Maßstab aller Dinge werden lassen. Die Beteiligung an der EVG sei ein Akt der Selbstachtung, wenn wir von den Westmächten Garantien für unsere Sicherheit verlangten. Die Meinung, daß es zwischen Ost und West noch eine eigene deutsche Politik geben könne, bezeichnete Gerstenmaier als einen Traum. Es sei auch eine offene Frage, ob der Preis des Verzichts auf Beteiligung an der EVG von der Bundesrepublik überhaupt aufgebracht werden könne, und ob ihn die Russen als hoch genug für ihren Abzug aus Ostdeutschland ansehen würden.
Während bis dahin lediglich die Kommunisten die Dehatte durch Zwischenrufe unterbrochen hatten, wurde es bei den Ausführun- Fortsetzuug auf Seite 2
Walter S. D o nn e lly , der wahrscheinlich« Nachfolger M c C l o y s , des amerikanische« Hohen Kommissars in der Bundesrepublik. Der heute 56jährige blickt auf eine langjährige, erfolgreiche Tätigkeit im diplomatischen Dienst zurück. Zuletzt war er als Hoher amerikanischer Kommissar in Österreich Foto: AP
Bemerkungen zum Tage
Der amerikanische Stadtkommandant, Generalmajor Mathewson, hat bei den Sowjets schärfsten Protest gegen die Entführung Dr. Linses eingelegt und seine sofortige Freilassung sowie die Auslieferung der Verantwortlichen an die zuständigen Berliner Behörden zur Aburteilung gefordert. In einem Schreiben an den Vertreter der sowjetischen Kontrollkommission in Berlin erklärte Mathewson, er sei „schockiert von der Abscheulichkeit dieses Verbrechens“, das nach dem vorliegenden Beweismaterial von „Personen unter sowjetischer Kontrolle“ begangen worden sei. Das Gefühl der Menschlichkeit dürfe nicht verloren gehen.
An besonders gefährdeten Stellen in Westberlin wurde auf Beschluß des Westberliner Senats gestern damit begonnen, Polizeistützpunkte einzurichten, die die Westberliner Grenzen gegen Menschenräuber schützen sollen.
sprach, in schroffem Gegensatz zu der Ansicht Eisenhowers, den europäischen Völkern jeden Verteidigungswillen ab. Er warf den letzten demokratischen Regierungen vor, durch ihre Beschwichtigungspolitik gegenüber dem Kommunismus die Früchte des Sieges verschenkt zu haben. Mit der gleichen Politik sei den Kommunisten in Korea die militärische Initiative überlassen worden. „Den Frieden haben wir verloren."
Das vorläufig noch unentschiedene Rennen zwischen den beiden Kandidaten hat den Spekulationen um General MacArthur wieder Auftrieb gegeben. Auch ernst zu nehmende politische Beobachter erörtern die Möglichkeit, daß der ehemalige UN-Oberbefehls- haber im Femen Osten doch die Nominierung zum republikanischen Präsidentschaftskandidaten erhalten könnte.
Vorgefecht
hf. Der erste Tag der Bundestagsdebatte über die deutsch-alliierten Verträge verlief ohne spannungsgeladene Auseinandersetzung zwischen Regierung und Opposition. Der Bundeskanzler und die Sprecher der Regierungsparteien dokumentierten ihren Willen zu den Verträgen. Sie unterstrichen : hre Überzeugung, daß die nach ihren /. assungen mit den Verträgen zu erreichenden Ziele der europäischen Einigung, der Sicherung der Bundesrepublik und der Schaffung ausreichender Voraussetzungen für eine Wiedervereinigung in Freiheit ihnen den Preis der Vertragsbestimmungen Wert sind. Es ist eine sehr kleine Gruppe von Abgeordneten in der Regierungskoalition gewesen, die durch Nichtbeteiligung am Beifall für die Regierungserklärung Dr. Adenauers ihre Skepsis zu erkennen gab. Die SPD kam am ersten Tag in der Behandlung der politischen Fragen nur mit einem Sprecher zu Wort, der im wesentlichen die bekannten Gründe des sozialdemokratischen Neins wiederholte. So wenig zuvor Gerstenmaier oder der Bundeskanzler auf den bekannten Standpunkt der SPD eingegangen waren, so wenig polemisierte Karl Schmid gegen einzelne Auffassungen der Regierungsseite. Spürbar war in den Ausführungen Schmids das Drängen der SPD nach der Formulierung einer Alternative. Wenn Schmid sagte, es gebe nicht nur die Alternative Satellit des Ostens oder Beteiligung an der EVG, sondern auch eine Stellung Deutschlands, die wohl Bindung an den Westen, aber nicht militärische Bedrohung für den Osten bedeute, so zeichnete sich in diesen Worten die Richtung der sozialdemokratischen Vorstellungen deutlicher als bisher ab. Sie dürften im wesentlichen in einer militärischen Neutralisierung bei politischen Bindungen an den Westen liegen.
Ob im Verlauf der ersten Lesung die Opposition diese Auffassung noch präzisiert oder erst nach den Parlamentsferien dazu kommt, scheint uns eine noch offene Frage zu sein. Am Mittwoch war es neben der Dokumentie- rung der im wesentlichen ja bekannten Standpunkte mehr ein Vorfühlen und ein Abtasten auf beiden Seiten. Daß der Bundeskanzler diesmal eine in sich sehr geschlossene Regierungserklärung abgab und es nicht zu gegenseitigen Diffamierungen zwischen Regierung und Opposition kam, muß als ein Positivum gewertet werden, das der sachlichen Prüfung der Verträge in den Ausschüssen des Bundestags sehr dienlich sein wird.
Refoimvorsch'äge überreicht
Tunesische Regierung soll Im Amt bleiben
TUNIS. Der französische Generalresident in Tunesien, de Hauteclouque überreichte dem B e y von Tunis am Dienstag den endgültigen Text der französischen Reformvorschläge für Tunesien.
Aus Kreisen, die dem Generalresidenten nahestehen, verlautet, de Hauteclouque habe darauf gedrungen, daß die von Ministerpräsident Bakkusch geführte tunesische Regierung im Amt bleibt, bis die Reformen durchgeführt sind. Der Bey soll dieser Forderung zugestimmt haben. Der Generalresident soll dem Bey das Zugeständnis gemacht haben, daß am 14. Juli, dem französischen Nationalfeiertag, 933 tuhesische politische Häftlinge wieder freigelassen werden.
Verfassungsarbeit hat begonnen
Gutachten über Name, Wappen und Flagge bei den alten Ländern angefordert Drahtbericht unserer Stuttgarter Redaktion
STUTTGART. Der Verfassungsausschuß der Stuttgarter Landesversammlung hat am Mittwoch die Arbeit mit der Beratung von zwei Artikeln aus dem Abschnitt über den Staat aufgenommen Es wurde beschlossen, von den Direktoren der Staatsarchive der bisherigen drei Länder Gutachten über Name, Wappen und Flagge des neuen Landes einzuholen.
Die CDU wollte den Satz im Entwurf der Regierungsparteien: „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus“ ganz gestrichen haben. Der entsprechende Antrag wurde abgelehnt. Die CDU vertrat die christliche Auffassung, daß die Staatsgewalt von Gott ausgehe, der Mensch sie aber ausübe. Man einigte sich, das Wort „alle“ durch „die“ zu ersetzen. Dieser
Formulierung stimmte dann auch die Mehrheit der Opposition zu.
Über den Antrag der SPD, die Öffentlichkeit zu den Beratungen des Ausschusses zuzulassen, wurde kein Beschluß gefaßt: Darüber muß noch das Plenum mit Zweidrittel-Mehrheit entscheiden. Die DVP sprach sich gegen den Antrag aus.
Zu Beginn der Sitzung legte Dr. Gebhard Müller den Vorsitz des Ausschusses nieder. Offenbar möchte ihn die CDU als Debattenredner nicht missen. Zum neuen Vorsitzenden wurde wieder ein Abgeordneter der CDU, Dr. Franz G o g, einstimmig gewählt.
Der Verfassungsausschuß setzt seine Arbeit am 16. Juli fort.
Gleichberechtigung?
ar. Auch wenn das vom Bundesjustizministerium ausgearbeitete Gesetz über die Familienrechtsreform bis jetzt nur einen Entwurf darstellt, so lassen doch die bekannt gewordenen Auszüge erkennen, welche Absicht dem Gesetz zugrunde liegt. Sie ist klar: Im Grundgesetz heißt es in Artikel 3, Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Demgegenüber aber steht das bisher geltende Recht des BGB, das der Frau nicht das volle Maß an Gleichberechtigung gewährte, aber auch nicht die ganze Bürde an Verantwortung auflud. Das soll jetzt geändert werden.
Vor allem ist vorgesehen, die Bestimmung im BGB zu ändern, die vorsieht, daß der Mann das alleinige Entscheidungsrecht in gemeinschaftlichen ehelichen Angelegenheiten hat. So weit, so gut. Bedenklich aber wird es, wenn man weiterliest: Falls sich die Ehepartner in einer Sache nicht einigen, bleibt die strittige Angelegenheit unerledigt Daß der Gesetzgeber eine solch verhängnisvolle Kautschukbestimmung in seine Anordnungen aufnimmt, ist nicht ganz verständlich, denn die Konsequenzen, die sich daraus für den Fortbestand vieler Ehen ergeben können, sind im Negativen unausdenkbar.
Dazu kommt aber, und dies ist der Haupteinwand gegen eine solch unverbindliche Bestimmung: Der innere Bestand der Ehe, vor allem, wenn man ihr noch eine sakramental-theologische Bedeutung zumißt, wird in seinem We- senskem aufgeweicht. Wenn die Ehe ein Konglomerat von zwei beliebigen Wesen und allein als Produkt der Gesetzgebung zu werten wäre, dann wäre jeder Ein wand unberechtigt. Da sie aber die aus Vemunftgründen nicht erklärbare, sondern auf Liebe und Ehrfurcht begründete höchste Lebensform menschlichen Zusammenseins ist. kann man ihre inneren Daseinsformen nur bedingt gesetzlichen Regelungen unterwerfen. Und daß der Mann nach abendländisch-christlichem Bewußtsein das Oberhaupt der Familie ist und hisher im Letzten zu entscheiden hatte, ist keine Bestimmung eines Gesetzbuches, sondern Ausdruck einer höheren Ordnung, in der die Frau nicht „unter dem Manne“ steht, sondern in der sie „mit ihm“ ist, mit ihm aber in Abgrenzung ihrer Eigenart. Wenn man jetzt durch ein Gesetz Mann und Frau „gleichschalten“ will, so verletzt man dadurch Grundprinzipien, die sich bisher wohl bewährt haben. Kein vernünftiger Mensch zweifelt daran, daß der Frau nicht mehr das Korsett der Konvention übergestülpt werden kann; daß man aber der ehelichen Gemeinschaft gesetzlich zumutet, eine metaphysisch begründete Ordnung der Verschiedenheit aufzugeben, ist nicht gut.
Das Programm der Abtrünnigen
PARIS. Der ehemalige RPF-Abgeordnete Barrachin entwickelte gestern nachmittag auf einem Essen der angelsächsischen Presse das Aktionsprogramm der Abgeordneten, die sich von der Sammelbewegung de Gaulles losgelöst haben.
Innenpolitisch strebt die neue Gruppe, wie Barrachin erklärte, vor allem eine Erhöhung des Lebensstandards der französischen Arbeiterschaft an. insbesondere durch die Lohngestaltung und die Besserung der Lohnverhältnisse. AuRennoiitisch tv"-'" ^en bei der neuen Gruope erhebliche Bedenken gegen den Plan einer europäischen Verteidigungsgemeinschaft, da man fürchten müsse, daß sie das Ende der \ — r— o.«-,; Revor man an eine
Europaarmee denken könne, müsse eine europäische Konföderation geschaffen werden.