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FREITAG, 30. MAI 1952 ÜBERPARTEILICHE TAGESZEITUNG 8. JAHRGANG / NR. 83

Vorläufige Regierung in Stuttgart mit 64:49 Stimmen bestätigt

Landesversammlung billigt Regierungsprogramm / Zweitägige Debatte

Drahtbericht unserer Stuttgarter Redaktion

STUTTGART. Die Verfassunggebende Lan­des Versammlung bat gestern die vorläufige Regierung von Baden-Württemberg mit 64 Stimmen der Regierungsparteien (SPD, DVP/ FDP und BHE) gegen 49 Stimmen der Oppo­sition (CDU und KPD) im Amte bestätigt und das Regierungsprogramm gebilligt. Im An­schluß daran wurden die Mitglieder der vor­läufigen Regierung durch den Präsidenten der Landesversammlung vereidigt. Der Regie­rungserklärung, die von Ministerpräsident Dr. Maier abgegeben wurde, schloß sich eine zweitägige Debatte an.

Über das Verhältnis der Opposition zur Re­gierung hieß es in der Regierungserklärung, es sei nicht daran gedacht, die in der Regie­rung nicht vertretenen Parteien in eine Rolle minderen Rechts zu verweisen. Die CDU wer­de ihren Einfluß auf die Verfassung geltend machen können. Als wichtigste Voraussetzung für das Zusammenwachsen des neuen Landes bezeichnete der Ministerpräsident die gleich­mäßige Berücksichtigung der vier Landesteile bei der Auswahl des Personals der Ministe­rien, der Beamtenschaft wurde eine vorur­teilsfreie und objektive Personalpolitik der Regierung zugesichert.

Zur Schulfrage sagte Dr- Maier, die Regie­rung setze sich für die christliche Gemein­schaftsschule ein. Als er fortfuhr,es liegt nahe, daß die Verfassung ein einheitliches Schulsystem festlegt und daß das eine Fünftel (der Bevölkerung) das Schulsystem der ande­ren vier Fünftel übernimmt, machte Dr. Geb­hard M ü 1 1 e r den Zwischenruf:Das ist keine arithmetische Angelegenheit. Dr. Maier fuhr fort, es sei kein Anlaß zu einer Ausein­andersetzung mit der vorläufigen Regierung über dieses Thema vorhanden.

Im Zusammenhang mit der Sozialpolitik sagte der Ministerpräsident, es sei der Wunsch der Regierung,daß die seitherigen Rechte der Betriebsangehörigen nicht geschmälert und bei dem Betriebsverfassungsgesetz des Bundes nicht unterschritten würden. In der Land­wirtschaft sei eine Reform fällig. Die Regie­rung werde sobald wie möglich einen Gesetz­entwurf über die Schaffung eines Selbstver­waltungsorgans der Landwirtschaft vorlegen. Den Kapital- und Kreditschwierigkeiten der Landwirtschaft werde die Regierungim Rahmen des Möglichen" Rechnung tragen.

Dr. Maier kündigte eine aktive Landes­politik in Bonn an und erklärte,durch stän-

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mm.

Die Unterzeichnung des Vertrags über dieEuropäische Verteidigungsgemeinschaft (EVG). Unser Bild zeigt die Außenminister während der Begrüßungsansprache Schumans, v. I. n. r.; Bundes­kanzler Dr. Adenauer, Paul von Zeeland (Belgien), stehend Robert S chuman (Frank­reich), dann Alcide de Gaspcri (Italien), Joseph Bech (Luxemburg) und Dirk Stikk er (Holland). An der Schmalseite des Tisches im Vordergrund Anthony Eden und auf der gegen­überliegenden Seite Dean A c h e s o n, die der Unterzeichnung beiwohnten

dessen Gremien vertreten zu sein. Der Haupt- I ? r oio "Moinunn . IU>rhn1on / vertrag soll auf 50 Jahre.geschlossen werden. * ' irdcnil*isy i/o# utsltr.l 11

Außenminister-Konferenzen in Paris

Schuman will freie Hand in Tunesien / EVG-Vertrag unterzeichnet

PARIS. In Paris fand gestern zwischen dem amerikanischen Außenminister A o h e s o n und seinem französischen Kollegen S c b u - man eine Konferenz statt, bei der die fran­zösischen Behauptungen, daß sich die Verei­nigten Staaten, in die inneren Angelegenheiten Frankreichs in Nordafrika einmischen, bespro­chen worden sein sollen. Weiter stand eine Ausdehnung der amerikanischen Hilfe für den Kampf in Indochina und endlich ameri­kanische Rüstungsaufträge für französische Firmen zur Debatte. Die französisch-amerika­nischen Besprechungen hatten bereits am Mitt­woch begonnen. Die Franzosen brachten dabei zum Ausdruck, daß Frankreich die Kosten für den Krieg in Indochina l 1 /« Milliarden Dol­lar jährlich nicht mehr allein tragen könne.

Der Vertrag über die Europäische Verteidi­gungsgemeinschaft Ist am Dienstagnachmittag im goldenen Uhrensaal des Quai dOrsay von den Außenministern der sechs Partnerstaaten unterzeichnet worden. Bundeskanzler Aden­auer, der für die Bundesrepublik unterschrieb, kündigte an, daß das Verteidigungsabkommen und der Generalvertrag unmittelbar nach Pfingsten dem Bundestag und Bundesrat zur Ratifizierung zugeleitet werden. Im Anschluß

Aktionen der Sow|etbehörden

Ab 1. Juni Reiseverkehr beschränkt

BERLIN. Der Sowjetzonen-Ministerrat hat ln einer außerordentlichen Sitzung Maßnah­men zurSicherung der Deutschen Demokra­tischen Republik beschlossen und den Leiter des Staatssicherheitsamtes, Zaisser, mit der Durchführung dieser Maßnahmen betraut. Völlig überraschend trennten die Sowjet­zonenbehörden das Ortstelefonnetz zwischen Ost- und Westberlin und unterbrachen gleich­zeitig 17 durch die Sowjetzone führende Fern­sprechleitungen nach dem Bundesgebiet sowie alle acht Telegraphenleitungen nach dem We­sten. Damit ist der Fernsprechverkehr zwi­schen den beiden Teilen Berlins vollständig zum Erliegen gekommen.

An der ganzen Zonengrenze von Lübeck bis Hof wird ein 5 Kilometer breiter Gürtel Niemansland angelegt. Auf der Ostzonen­seite hebt man Gräben aus und schlägt Sicht­schneisen durch die Wälder. Von verschiede­ner Seite wurden sowjetische Truppenver­stärkungen an der Grenze und das Einrücken roter Panzer gemeldet.

Ab 1 Juni ist der Reiseverkehr nach der Sowjetzone beschränkt Die Einreise die Sowjetzone wird nur noch Personen gestat­tet, die im Besitz eines in der Sowjetzone ausgestellten Personalausweises oder im Be­sitz eines besonderen Ausweises sind, über dessen Ausgabe noch keine Bestimmungen vorliegen Dies bedeutet, daß Interzonenpässe von diesem Zeitpunkt an keine Gültigkeit mehr haben.

Den Streifen und der alliierten Militärpoli­zei wurde erneut das Befahren der Autobahn BerlinHelmstedt untersagt. In Berlin sperrte die Volkspolizei u. a die Oranienburger Chaussee, die Hauptverbindungsstraße der Westberliner Stadtteile Fronau und Herms­dorf.

21 westdeutsche Interzonenreisende mit noch gültigen Pässen wurden ohne Begrün­dung aus der Sowjetzone abgeschoben.

an die Unterzeichnung des Hauptvertrages und der fünf Zusatzprotokolle begann Außen­minister Eden mit der Unterzeichnung der zweiseitigen Beistandsverträge, die England mit jedem Mitglied der Verteidigungsgemein­schaft abschließt. Außenminister Acheson lei­tete sodann die Unterzeichnung der Hilfe­garantien zwischen der Verteidigungsgemein­schaft und den Atlantikpaktstaaten ein. Mit ihnen erhält die Bundesrepublik ein begrenz­tes Mitspracherecht in den sie betreffenden Angelegenheiten des Atlantikpakts, ohne in

Die Außenminister der sechs an der euro­päischen Verteidigungsgemeinschaft und der Montanunion beteiligten Staaten werden Ende Juli in Paris die nächste Konferenz abhalten. Auf ihr soll u. a. die Frage entschieden wer­den, wo die politischen Gremien, das Ober­kommando der Europa-Armee und die hohe Behörde der Montanunion, ihren Sitz haben sollen. Beide Organisationen sollen ihren Sitz in einer Stadt nehmen.

Noch am Dienstag gaben die USA und Großbritannien Frankreich die Zusicherung, daß sie den Versuch eines Ausscheidens eines Mitgliedes aus der europäischen Verteidi­gungsgemeinschaft alsBedrohung ihrer eige­nen Sicherheit ansehen werden.

Niederlage de Gasperis

Gemeindewahlen Erfolg der Radikalen

ROM. Bei den Kommunalwahlen in 2 400 Gemeinden Süd- und Mittelitaliens am ver­gangenen Wochenende hat sich ein Erdrutsch zugunsten der Neofaschisten und Monarchisten ergeben. Die empfindlichsten Verluste mußte der demokratische Block der Mitte des Mini­sterpräsidenten de G a s p e r i hinnehmen, da auch der kommunistisch-sozialistische Wahl­block seine Position verbessern konnte.

Bei einer Wahlbeteiligung von 80 bis 90 Prozent erhielt der Rechtsblock nach den vor­liegenden Ergebnissen 29 Prozent aller Stim­men und sicherte sich neben 0 von 23 Pro­vinzhauptstädten die Mehrheit in den Stadt­parlamenten von Neapel, Bari und Salerno. Auf Sizilien betrug sein Stimmenzuwachs 330

Prozent. Die kommunistische Partei und die Linkssozialisten konnten ihren Stimmenanteil gegenüber den Parlamentswahlen von 1948 um 6 Prozent von 25 auf 31 steigern, während der der Mittelparteien von 59 auf 39 Prozent zu­sammenschrumpfte. In Rom kannten diese mit 384 000 Stimmen nur knapp ihre Mehrheit be­haupten gegenüber 314 000 der Kommunisten und 200 000 der Rechtsextremen.

In Südtirol werden künftig in 97 von 103 Gemeinden deutschsprachige Bürgermeister amtieröi.

Diplomatische Kreise Roms wie auch Ge­währsleute der Regierung sind über das An­wachsen der radikalen Flügel ernstlich be­sorgt und sehen darin eine ernste Warnung an die Regierung de Gasperi, endlich mit al­lem Nachdruck die Bodenreform voranzutrei­ben und weitere soziale Reformen anzugreifen.

Ratifizierung im Juli?

Adenauer: EVG-Vertrag wichtiger als Bonner Verträge Drahtbericht unserer Bonner Redaktion

BONN. Unmittelbar nach seiner Rückkehr aus Paris bestätigt Bundeskanzler Adenauer gegenüber seinen Mitarbeitern, daß er die Ge­setzentwürfe über die Ratifikation der Bon­ner Verträge und des Vertrags über die Eu­ropäische Verteidigungsgemeinschaft ln den nächsten Tagen den Körperschaften des Par­laments zuleiten wolle. Wie wir erfahren, ist die Bundesregierung der Auffassung, daß le­diglich die Bonner Verträge, aber nicht der Vertrag über die EVG der Zustimmung des Bundesrats bedarf.

Der Fraktionsvorsitzende der CDU, v. Bren­tano, hat am Donnerstag vor seiner Fraktion erklärt, man wolle versuchen, die Ratifizie­rung aller Verträge bis zum Juli, also noch vor Beginn der Sommerferien des Parlaments, durchzusetzen. In Kreisen der Regierungspar­teien wird diese Terminsetzung jedoch zurück­haltend beurteilt und hinzugefügt, man sei nicht gewillt, sich mit einer flüchtigen Prü­fung der Verträge durch die gesetzgebenden Körperschaften zu begnügen.

Im Zusammenhang mit der Veröffentlichung mehrerer Briefwechsel, die den Bonner Ver­trag und den EVG-Vertrag ergänzen, ist in­zwischen bekannt geworden, daß die Bundes­regierung die Abkommen, die von den Hohen Kommissaren in den vergangenen Jahren ab­geschlossen wurden, grundsätzlich anerkannt hat. Der Bundeskanzler hat dabei betont, daß die Einbeziehung bestimmter die Saar betref­fenden Abkommen keine Anerkennung des gegenwärtigen Status der Saar durch die Bun­

desregierung bedeute. Die Alliierte Hohe Kom­mission bestätigt in einem anderen Brief, daß das Sicherheitsamt aufhören wird, zu beste­hen. Aus einem Zusatz zu dem EVG-Vertrag geht hervor, daß die Bundesrepublik als stra­tegisch exponiertes Gebiet angesehen wird und daher schwere Waffen, Kriegsschiffe über 1500 t, Flugzeuge, Atom- und chemische Waf­fen nicht herstellen darf. Ein Sprecher der Dienststelle Blank bestätigte, daß zu dem Ver­trag über die EVG auch eine Vereinbarung über Aufschlüsselung und Bewaffnung der Kontingente der europäischen Armee gehöre und daß dieses Abkommen weder veröffent­licht, noch den Parlamenten zur Ratifizierung zugeleitet würde.

E n Abrüs'ungsvorschlag

Westmächte antworten Sowjets

NEW YORK. Die drei westlichen Groß­mächte haben der UN-Abrüstungskommission am Mittwoch vorgeschlagen, die USA, die So­wjetunion und China sollten ihre Streitkräfte freiwillig auf je 1,5 Millionen Mann verrin­gern, Großbritannien und Frankreich sich auf 800 000 Mann beschränken. Alle anderen Län­der, die größere Streitkräfte unterhielten, soll­ten sich freiwillig bereiterklären, diese auf einen im Verhältnis zur Stärke der Groß­mächte entsprechenden Stand zu bringen. Der Vorschlag wurde von dem britischen Delegier­ten Sir Gladwyn J e b b vorgelegt.

Der Verein Deutscher Zeitungsverlegei nimmt zu dem soeben durchgeführten Streik Im Zei­tungsgewerbe Stellung und weist darauf hin, dafl die Streikmaßnahme des Deutschen Ge­werkschaftsbundes völlig widerrechtlich sei. Urabstimmungen und Betriebsversammlungen in zahlreichen Zeitungsbetrieben haben erge­ben, daß die überwiegende Mehrheit mit der Streikmaßnahme des DGB nicht einverstanden Ist und daß auch die Bevölkerung diesem Streik verständnislos gegenübersteht, der nichts anderes darstellt als die Majorisierung der Ar­beitnehmer durch eine kleine Minderheit. Da­zu führt Peter Widmann vom VDZV u. a. fol­gendes aus:

Weil Herrn Christian Fettes starker Arm es wollte, standen alle Räder in den Zeitungs­druckereien still. Das war ein weiterer Schritt des gewerkschaftlichen Verfahrens, diejenigen Staatsbürger zu verstimmen, die auf die For­mulierung des Betriebsverfassungsgesetzes am allerwenigsten einen unmittelbaren Einfluß nehmen können. Der Erfolg dieses Verfahrens mag dahingestellt bleiben. Politische Streiks werden immer unpopulärer und die Gewerk­schaften können sicher sein, weder Dank noch Anerkennung bei denen zu ernten, die ver­gebens auf ihre Straßenbahn oder ihre Zei­tung warten. Sie können ferner überzeugt sein, daß die Allgemeinheit die Schuld für diese oder noch weitere Konsequenzen nicht bei der Regierung und den Unternehmern sucht, sondern bei den Gewerkschaftsfunktio­nären.

Mit diesen Hinweisen ist aber zum Streik in den Zeitungsdruckereien noch keineswegs alles gesagt. Es handelt sich präzis ausge­drückt, um eine Verletzung der Vorschriften des Artikels 5 des Grundgesetzes, der jedem das Recht zubilligt, seine Meinung m Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu ver­breiten, sowie sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Diese Möglichkeit der Nachrichtenverbreitung und Unterrichtung aber wird von demjenigen un­terbunden, der diese Nachrichtenquelle, also xn erster. Linie die Tageszeitungen lahmlegt

Es ist imvermeidlich, daß sich die Öffent­lichkeit über den Zeitpunkt dieses Streiks Ge­danken macht. Die ganze Aktion setzte ein, als die Aufmerksamkeit und die Arbeitskraft der Regierung durch schwierigste außenpoliti­sche Verhandlungen in Anspruch genommen waren. Sie fiel zusammen mit dem von der SPD geführten Kampf gegen den außenpoliti­schen Kurs der Regierung Adenauer und mußte wie eine Unterstützung dieses Kampfes wirken.

Welchen zwingenden Grund mag es gegeben haben, gerade in diesem Augenblick das Er­scheinen der Zeitungen zu verhindern? Sind es nicht Gewerkschaften und SPD gewesen, die immer wieder nach einer Volksabstim­mung über den Generalvertrag gerufen ha­ben, also nach einer Maßnahme, die eine voll­ständige Information der Öffentlichkeit zur Voraussetzung hat? Der Vertrag ist jetzt un­terzeichnet, ebenso der Vertrag über die euro­päische Verteidigungsgemeinschaft Und da sollte es ein reiner Zufall sein, daß die Ge­werkschaften gerade unter diesen Umständen das Erscheinen der Zeitungen verhindern?

Die deutsche Öffentlichkeit hat den Kampf der Gewerkschaften um den sozialen Fort­schritt der Arbeiterschaft mit Sympathie ver­folgt. Sie billigt es aber unter keinen Umstän­den, daß auf ihrem Rücken die Kämpfe aus­getragen werden, mit denen sich die Gewerk­schaftsfunktionäre zu einem Staat im Staate machen wollen.