SAMSTAG, 2 6. APRIL 1952

Dr. Reinhold Maier hat es geschafft

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deten bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt aus­schließlich die Bestimmungen des zweiten Neu­gliederungsgesetzes da die Beratungen über das Überleitungsgesetz noch nicht zu Ende geführt seien.

Dr. Maier erklärte schließlich:Gemäß § 14 Abs. 2 Satz 1 wird hiermit der Zeitpunkt der vorläufigen Regierung auf den gegenwärtigen Augenblick, nämlich auf Freitag, den 25. April 1952, 12.30 Uhr, festgestellt. Mit dieser Erklä­rung sind gemäß § 11 des zweiten Neugliede­rungsgesetzes die Länder Baden, Württem­berg-Baden und Württemberg-Hohenzollern zu einem Bundesland vereinigt. Gott schütze das neue Bundesland, Gott schütze die deut­sche Bundesrepublik und erbringe uns wieder unser geliebtes verlorengegangenes, in Einig­keit und Gerechtigkeit wieder zn vereinigen­des großes deutsches Vaterland. (Starke Un­ruhe bei der CDU.)

Für die CDU erklärte Dr. Gurk, seine Partei habe im Sinne des ihr vom Volk am 9. März erteilten Auftrags von Anfang an das Ziel ver­folgt,alle aufbaubildenden demokratischen Kräfte zusammenzufassen, maßgebend an der Regierungsbildung beteiligt zu sein und da­durch auch die Bundesregierung zu stärken. Die CDU sei zu sehr großen Konzessionen be­reit gewesen und ihre Fraktion habe die Ver­handlungen in unendlicher Geduld geführt. Offensichtlich sei aber der Abbruch der Ver­handlungen von den andern von Anfang an beabsichtigt gewesen. Durch die Vereinbarung von SPD, DVP und BHE blieben rund eine Million CDU-Wähler vom Aufbau des neuen Bundeslandes ausgeschlossen. Das erste Bei­spiel der Neubildung eines Bundeslandes nach dem Grundgesetz sei schon jetzt zu einem Mißerfolg geworden. Die heutige Entscheidung Schade am Ansehen des Parteiwesens der De­mokratie schwer. Die Koalition SPD, DVP und BHE stützten sich auf den Norden des Lan­des, dagegen seien die südlichen Teile mit eindeutiger CDU - Mehrheit ausgeschlossen. Eine solche Regierung habe kein Anrecht auf das Vertrauen des Volkes. Die Regierung werde insbesondere bei der Verteidigung der Anliegen des christlichen Volkes bei der CDU auf größte Wachsamkeit stoßen.Wir haben die Stellung einer Oppositionspartei nicht ge- eucht. Man hat sie uns böswillig und rück­sichtslos aufgezwungen. An die Stelle einer großzügigen Staatsgründung sei ein kleiner, wenig ehrlicher Machtkampf getreten. Die Zu­kunft werde erweisen, daß der billige Sieg ehrgeiziger Politiker ein Pyrrhus-Sieg war. Wenn das Volk unmittelbar zu wählen gehabt hätte, wäre die Wahl des Ministerpräsidenten anders ausgefallen. (Beifall bei der CDU und auf der Tribühne.)

Der Antrag der Regierungserklärung, vor­getragen von Abg. Möller (SPD), den Mini­sterpräsidenten zu bestätigen und die Mini­sterliste zu billigen, leitete die zum Teil sehr scharfe Diskussion um die Regierungsbildung und Abstimmung über den Antrag ein. Abg. Dr. Gebhard Müller wandte sich sofort ge-

Dr. Reinhold Maier

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bildet. Ein bekannter Autor hat ihn einmal denNotar des Südweststaates" genannt ein Wort, das wie kein anderes das Profil dieses Po­litiker-Juristen zu zeichnen vermag. Die große, massive Gestalt ist vom Alter nur leicht gebeugt. Sie strahlt, neben anderen typisch schwäbischen Merkmalen, in Ausdruck und Handeln Ehrgeiz und Eigenwilligkeit aus.

Die vollendete Beherrschung der juristischen und politischen Spielregeln, Zähigkeit und kühle Klugheit sind es denn auch, die außer der zentralen Position der DVP zwischen den beiden anderen großen Parteien, die keinen gemeinsa­men Nenner für ihre Anliegen fanden mit da­zu beigetragen haben, daß Dr. Reinhold Maier auf den verantwortungsschweren Platz eines er­sten Ministerpräsidenten des Südweststaates ge- gestellt wurde.

gen den Antrag, wobei er davon ausging, daß die Ernennung der Minister nicht auf der Ta­gesordnung gestanden habe. Abg. Gog (CDU) führte aus, der neuen Regierung fehle es an den verfassungsmäßigen Grundlagen. Sie müsse daher als nicht existent angesehen wer­den. Die Regierungen der Länder Württem- berg-Hohenzollem und Baden sollten sich da­her als rechtlich fortbestehend erklären und ihre Landtage sofort wieder einberufen. Die CDU protestiere gegen die staatsrechtlich nicht vertretbare Forderung der Ernennung der Mi­nister und rufe die Bundesregierung zum Schutz der Demokratie auf.

Abg. Möller (SPD) forderte die CDU zu sachlicher Mitarbeit im Verfassungsausschuß und in der Verfassunggebenden Landesver­sammlung auf. Gleichzeitig stellte er der CDU die Frage, ob die Regierung nur Anrecht auf Vertrauen habe, wenn die CDU an ihr betei­ligt sei. Abg. Gönnenwein (DVP) stellte fest, die Regierung sei verfassungsrechtlich völlig einwandfrei gebildet worden.

Abg. Dr. Gebhard Müller wies darauf hin, daß durch die überstürzt abgegebenen Mi­nisterernennungen nun ein staatsrechtliches Vakuum entstanden sei, das hätte vermieden werden müssen. Die Ausfertigung der Ernen­nungsurkunden vom neuen Ministerpräsiden­ten zu einem Zeitpunkt, als er noch Abgeord­neter war, bezeichnete er alsstaatsrechtliche Kuriosität. Undenkbar sei es, daß in einem Land noch andere Länder und andere Regie­rungen bestünden. Vor der Regierungsbildung hätte das Überleitungsgesetz verabschiedet werden müssen. So habe man jetzt eine Re­gierung ohne verfassungsrechtliche Grundlage und ohne Geschäftsordnung, und bei einer

Verfassunggebenden Versammlung ohne Kon­trollrecht. Daraus könnten zahlreiche Verfas­sungsklagen resultieren.

Abg. Dr. Werber (CDU) bezeichnete die neue Regierung als eine Fortsetzung der Stutt­garter Regierung. Im Abstimmungskampf habe man Gerechtigkeit versprochen. Das Volk werde Rechenschaft fordern.

Abg. Renner (SPD) wandte sich gegen die These Dr. Gerhard Müllers vom staatsrecht­lichen Vakuum, das zweite Neugliederungsge­setz genüge vollauf. Das Kabinett übernehme die Befugnisse des bisherigen Ministerrats und werde mehr Gebrauch von diesem ma­chen. Bis zur Verabschiedung des Überlei­tungsgesetzes bleibe ihm also genug zu tun.

Abg. Dr. Erbe (DVP) vertrat die Ansicht, daß im demokratischen Staat kein Vakuum auftreten könne. Abg. Lausen (BHE) meinte, die sofortige Regierungsbildung müsse als be­sonderes Verdienst hervorgehoben werden.

In der sich sehr lange hinziehenden Ge- schäftsordnungsdehatte über die Zulässigkeit des Antrags der Regierungsparteien, an der sich zahlreiche Redner aller Parteien beteilig­ten die KPD ausgenommen wäre noch im besonderen der wiederholte AoDell des Abg. Dr. Gurk (CDU) hervorzuheben, die Abstimmung über den Antrag nicht zu er­zwingen. Schließlich kam es zum Auszug der CDU, die an der Schlußabstimmung nicht teil­nahm.

Die CDU-Fraktion protestierte am Freitag­nachmittag ln einem Telegramm an Bundes­kanzler Adenauer, in dem es heißt, die CDU- Fraktion wende sich gegen diestaatsrechtlich unzulässige Regierungsbildung in Stuttgart und bittet gemäß § 28 des Grundgesetzes um Einschreiten der Bundesregierung zur Herbei­führung der verfassungsmäßigen demokrati­schen Ordnung im neuen Bundesland.

Kleine Weltdironik

Sttdwestfunk-Vertrag am 1. Mai in Kraft. Tü­bingen. Das Gesetz über den Abschluß eines Staatsvertrages zwischen den Ländern Baden, Hheinland-Pfalz und Württemberg-Hohenzollern tritt nach einer Bekanntmachung von Staatsprä­sident Dr. Gebhard Müller am 1. Mai dieses Jah­res in Kraft.

Erster Bundes-Angestelltentag des DGB. Stutt­gart. In Stuttgart-Degerloch wurde gestern der erste Bundes-Angestelltentag des Deutschen Gewerkschaftsbundes in Anwesenheit des Bun­desvorsitzenden des DGB, Christian Fette, er­öffnet.

Zustimmungserklärungen zur Generalamnestie. Göppingen. Der Verband der Heimkehrer, Kriegsgefangenen und Vermißten - Angehörigen Deutschlands hat gestern in Göppingen in einer Auflage von 250 000 Stück ein Extrablatt mit dem TitelIn letzter Stunde drucken lassen, ln dem um .Zustimmungserklärungen zu einer Bitte um Generalamnestie für alle Abgeurteilten und sich in Untersuchungshaft befindlichen deutschen Kriegsgefangenen ersucht wird. Eine solche Am­nestie solle zugleich mit der Unterzeichnung des Generalvertrages erlassen werden, fordert die vorgedruckte Erklärung.

Sozialisten-Konferenz in Bonn. Bonn. Füh­rende Sozialisten Englands, Frankreichs und der Bundesrepublik werden über das Wochenende ln Bonn Zusammenkommen, um die Frage der deut­schen Wiederaufrüstung und die damit zusam­menhängenden Probleme zu erörtern, teilte die SPD gestern mit.

Fahrpreisermäßigung für Evakuierte. Bonn. Bundesinnenminister Dr. Robert Lehr gab im Bundestag bekannt, daß Evakuierte vom 1. Juni dieses Jahres an dieselben Fahrpreisermäßigun­gen in Anspruch nehmen können, wie sie bisher Vertriebenen gewährt wurden.

Japanische Botschaft in Bonn. Bonn Am Montag um 14.30 Uhr wird die japanische Regie­rungsvertretung in der Bundesrepublik durch das Inkrafttreten des japanischen Friedensvertrages in eine Botschaft verwandelt. Gleichzeitig wird auch die gegenwärtige deutsche Regierungsver­tretung In Tokio zu einer Botschaft erhoben.

Neue Verbote im Saarland. Saarbrücken. Die für dieses Wochenende in Saarbrücken vorgese­

henen Gründungsversammlungen der CDU (Saar) und der Deutschen sozialdemokratischen Part« (DSP) sind vom Polizeipräsidium in Saarbrücken nicht genehmigt worden. Die Ablehnung wird damit begründet, daß die Anträge den Formali­täten nicht in allen Punkten genügten.

Schlagwetterexplosion. Saarbrücken. Auf der GrubeKönig" südlich von Neunkirchen im Saar­gebiet ereignete sich gestern nachmittag eine Schlagwetterexplosion, bei der sieben Bergleute ums Leben kamen. Zwei weitere Arbeiter wer­den noch vermißt.

Freiheit auch für Berlin gefordert. Berlin. Alle Freiheiten, die der Generalvertrag und di« Zusatzverträge dem Bundesgebiet einräumen wer­den, forderte der Präsident des Berliner Abge­ordnetenhauses. Dr. Otto Subr, ln einem dpa- Interview auch für Berlin. Ausnahmen sollten lediglich soweit gegeben sein, wie die Sonder­lage Berlins es erforderte.

Krönung Elizabeths am 2. Juni 1953? London. Londoner Zeitungen nannten jetzt den 2. Juni 1953 als den voraussichtlichen Krönungstag für Königin Elizabeth II.

Prälat Kaas gestorben. Vatikanstadt. Prälat Dr. Ludwig Kaas, Domherr von St. Peter und früherer Vorsitzender der Deutschen Zentrums­partei, ist gestern kurz vor Vollendung des 71. Lebensjahres in einer römischen Klinik an einem Magenleiden gestorben. Papst Zius XII. war dem Prälaten aus der Zeit seines Wirkens als Päpst­licher Nuntius in Deutschland in enger Freund­schaft verbunden.

US-Militärhilfe für Persien. Teheran. Der Iran und die Vereinigten Staaten haben sich jetzt über die Wiederaufnahme der amerikanischen Militärhilfe für Persien geeinigt, verlautet aus der persischen Hauptstadt. Mossadeq ging die Verpflichtung ein, daß das Land die Charta der Vereinigten Nationen mit allen Mitteln unter­stützen, seine Verteidigung so stark wie möglich ausbauen und jede Aggression bekämpfen werde.

38 Tote bei Explosion. Tokio. 30 amerikani­sche Seeleute sind bei einer Explosion in einem Geschützturm des KreuzersSt. Paul vor der koreanischen Küste getötet worden, gab die ame­rikanische Marineleitung in Tokio bekannt. Das Unglück wurde als die schwerste Katastrophe des koreanischen Krieges bezeichnet.

Landpachlgeset; abgefehnt

Arbeitssitzung des Bundesrats

BONN. Der Bundesrat hat auf- seiner gestri­gen Sitzung dem vom Bundestag verabschie­deten Gesetz über das landwirtschaftliche Pachtwesen nicht zugestimmt, sondern den Vermittlungsausschuß angerufen. Ferner will der Rat die Verfassungsklage des Landes Nie­dersachsen gegen die Verordnung der Bundes­regierung über Ausnahmen vom Mieterschut* unterstützen, indem er vor dem Bundesverfas­sungsgericht die nach seiner Ansicht beste­hende Rechtswidrigkeit der Verordnung dar­legen wird.

Mit dem vom Bundestag verabschiedeten Gesetz über die Mitwirkung des Bundes bei der Verwaltung der Einkommen- und Körper­schaftsteuer erklärte sich der Bundesrat ein­verstanden. Auch dem Gesetzentwurf über den Kapitalverkehr und einer Verwaltungsan- ° nun S über die Anerkennung steuerbegün­stigter Zuwendungen an eine Reihe von ge­meinnützigen Organisationen wurde zugp stimmt. Der Bundesrat billigte ferner eine Regierungsvorlage, nach der der Bund ln die­sem Jahr wieder, 80 Prozent der Aufwendun­gen aus dem Rentenzulagegesetz übernimmt Ebenfalls zugestimmt wurde dem am Donners­tag vom Bundestag verabschiedeten Gesetz das die bisherigen Bestimmungen über Zu­lagen und Mindestleistungen ln der gesetz­lichen Unfallversicherung ändert.

Politisierende Geistlidie

Absage durch die Flensburger Synode

FLENSBURG. Der leitende Bischof der Ver­einigten Evangelisch - Lutherischen Deutschlands, Landesbischof Dr. Hans Mei­se r, München, wandte sich gestern in seinem Tätigkeitsbericht auf der Synode der VELKD in Flensburg gegen kirchliche Amtsträger und Gruppen, die geistliche und politische Dinge vermengten und damit gegen die lutherische Lehre der zwei Reiche verstießen.

Der Öffentlichkeitsauftrag der Kirche dürfe nicht zu Übergriffen auf Dinge, die nicht Auf­gabe der Kirche seien, und zur Entfachun* politischer Agitation ausgeweitet werden. Dr. Meiser erinnerte daran, daß sich Martin N i e- m ö 11 e r 1933 gegen die Übergriffe staatlicher Stellen ln Angelegenheiten der Kirche ge­wandt und eine Entpolitisierung der Pfarrer gefordert habe. Wenn heute der Niemöller nahestehende Pfarrer Mochalski die Ju­gend in Flugblättern ersuche, einen eventuel­len Gestellungsbefehl zu zerreißen, so sei da­mit der geistliche Amtsträger zum Politiker geworden.

Pinay-Experiment in Geiahr

PARIS. Für den französischen Ministerprä­sidenten P i n a y begann gestern die entschei­dende Phase im Kampf um sein Regierungs­programm der Preissenkung. Er hat der Land­wirtschaft und den Fleischern ein Ultimatum gestellt, innerhalb der nächsten 48 Stunden die Fleischpreise zu senken, andernfalls starke Einfuhren und eine Kürzung der Zwischen­handelsspannen von der Regierung verfügt würden. Der Ausgang dieser Auseinanderset­zung wird als entscheidend dafür angesehen, ob sich andere Gewerbezweige ebenfalls zur Kürzung der Preise und ihrer Gewinne be­reit erklären und damit eine fühlbare Preis­senkung herbeiführen werden.

Erdrutschunglück in Mentone

MENTONE (Südfrankreich). Von dreitägigen Wolkenbrüchen angeschwollen, haben drei rei­ßende Gebirgsflüsse und das aus zahlreichen geborstenen unterirdischen Kanälen an dio Erdoberfläche sprudelnde Wasser in dem fran­zösischen Rivierastädtchen Mentone gestern schwere Verwüstungen angerichtet. Das Was­ser verursachte einen Erdrutsch, der zahlreiche Gebäude wie Kartenhäuser einstürzen ließ. Nach bisherigen Berichten sollen zehn Tote zu beklagen sein, die Zahl der Verletzten ist erheblich höher.

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15. Fortsetzung Nachdruck verboten.

Sie nickt ihm lächelnd zu und erhebt sich. Eine schmale gewundene Treppe mit über­hohen Stufen führt hinauf zur Empore. Der Lehrer schaltet die Bälge ein, zieht an den Registern.. leise klingt der erste Ton auf, schwillt an, andere drängen nach, immer neue, sie verschlingen sich zu vollen Akkorden, wäh­rend der erste verklingt, langsam erstirbt, wie überwuchert von aufschießendem Leben. Diese starken brausenden Töne, die die Luft erschüttern, machen Donates Herz fast kör­perlich beben ... alle ihre Sinne schwingen mit wie angeschlagene Saiten ... und als nach einem kurzen Präludieren dasHeilig, heilig von Händel aufklingt, da kann ihre Stimme gar nicht anders, als sich in einem feier­lichen, weit strömenden Jubelton aus ihrer Brust aufzuschwingen und sich von den ge­waltigen Orgelklängen tragen und mitreißen zu lassen wie ein Nachen von einem rauschen­den Fluß...

Sie hört nicht, daß unten eine Seitentür sich öffnet aber sie sieht, wie der dunkle Vorhang beiseite geschoben wird, sie sieht, daß eine hohe Männergestalt eintritt und mit vorsichtigen Schritten nach einem Platz sucht, dicht neben einer Säule steilen bleibt und den Kopf nach der Orgel hebt. Sie glaubt in dem emporgewandten, braunen Gesicht die hellen, kalten Augen zu sehen.

Wunderbar leicht und mühelos singt es sich in dem weiten hallenden Raum Ihre eigene Stimme erfüllt sie mit einer berauschenden Seligkeit. Ganz im Untergrund ihres Bewußt­seins stellt sie ohne Verwunderung fest, daß der Mann an der Orgel meisterhaft spielt... aber kein Gedanke streift mehr daran, daß er nun wohl erstaunt sein würde über seine Entdeckung daß sie sich zurückhalten müsse, wenn sie die Komödie weiterführen wolle. Sie singt mit unendlicher Freude am Gesang, ganz hingerissen, ganz aufgeschlos­sen. Sie singt mit aller Kraft und Wärme,

mit aller Kunst und aller Andacht, und sie hat das Gefühl, daß sie noch nie in ihrem Leben so gesungen hat... nicht vor der strengsten Kritik und nicht vor tausend be­geisterten Zuhörern noch nie so wie jetzt, da sie nur für sich singt und für ein altes Bauernweiblein... und für den Mann mit dem steinernen Gesicht und den hellen kal­ten Augen.

Aber dieser Mann scheint nichts davon zu spüren. Als ihr Blick ihn sucht, sieht sie, wie er sich umdreht und nach dem Ausgang zu­wendet. Seine Schritte sind nicht mehr vor­sichtig, sie dröhnen hart über die Steine, pol­ternd schlägt die Tür hinter ihm zu.

Sie bricht mitten im Ton ab, sie singt wei­ter, mechanisch, freudlos.. aber ein paar Minuten später legt sie dem Orgelspieler die Hand auf die Schulter.

Nun ist es wohl genug, sagt sie mit erzwungenem Lächeln, hart, tonlos, wie er­schöpft. Jöggel fährt herum, wie aus dem Schlaf aufgeschreckt. Der letzte Orgelton steht noch lange zitternd und leise pfeifend in der Stille...

Langsam steht der Lehrer auf, mit unbe­holfener Bewegung, seine feinen, dünnen Finger tasten über die Stirn, durch das weiche, wirre Haar... reißen ungeschickt die Brille von den Augen, suchen in allen Ta­schen nach dem weißen Tuch, mit dem sie sehr lange die Brillengläser putzen und ganz flüchtig und verstohlen einmal über die Au­gen fahren. Dann erst richten sich diese Augen mit ihrem sanften blauen Glanz voll auf Donate, und auf dem hageren Gesicht blüht allmählich das gewinnende strahlende Lächeln auf.

Verzeihen Sie! sagt er mit seiner war­men, angenehmen Stimme.Aber das könnt' ich doch nicht wissen...

Was nicht wissen? fragt Donate mit einem müden Lächeln.

Daß die Herrschaften von Bucheck eine große Sängerin in der Familie haben ... ich habe auch Ihren Namen gar nicht verstan­den ... und seihst dann ... ich weiß so wenig

von den Künstlern... ich bitte Sie vielmals um Entschuldigung.

Aber keine Ursache! Höchstens muß ich Sie um Entschuldigung bitten, daß ich Sie in dem Glauben gelassen habe, Sie könnten mich entdecken... aber Sie nehmen es mir nicht übel, nicht wahr? Es hat mir solche Freude gemacht, mit Ihnen zu musizieren.

Oh, und mir erst! Ich bin Ihnen so dank­bar, gnädiges Fräulein ... gnädige Frau ...

Förster heiße ich. Aber mein Künstler­name ist Mihaly. Wenn Sie ihn auch nicht durch mich kennen, so kennen Sie den Na­men vielleicht durch meinen Vater... er war ein sehr berühmter Geiger... und er hat eine Schwester des verstorbenen Herrn von Rainer geheiratet.

Ja so... ja natürlich... so hängt das zu­sammen ... Ihren Herrn Vater habe ich als kleiner Bub einmal spielen hören... es ist die unvergeßlichste Erinnerung meines Le­bens ... von dem Tage an datiert meine un­glückliche Liebe für die Musik.

Aber diese Liebe ist durchaus nicht un­glücklich ... Sie haben mich ebenso über­rascht wie ich Sie!

Ach nein, Frau Mihaly... ich darf Sie doch so nennen? Der Name ist mir so lieb und vertraut! Das darf mar, nicht verglei­chen ... ich schäme mich geradezu, daß ich mich vor Ihnen meiner Musikalität gerühmt habe.

Sie haben sich nicht gerühmt... Sie haben nur gesagt, daß Sie musikalisch sind, und das sind Sie... im Gegensatz zu Ihrem Freund, der nichts von Musik versteht und sich nicht dafür interessiert... auch darin haben Sie recht gehabt. Donate lächelt etwas bitter.

Ach richtig, unsern Mäzen... den hatte ich ganz vergessen! Ich bin doch neugierig, ob er so wenig versteht, daß er nun beschlos­sen hat, Ihre Stimme ausbilden zu lassen! Hoffentlich nimmt er uns den Scherz nicht übel... Herr Heysingk!

Er ist längst fort, sagt Donate.

Ach nein... das ist doch nicht möglich...* Während sie zusammen durch das Kirchen­schiff gehen, späht Jöggel immer nach allen Seiten und hinter alle Säulen, schüttelt den Kopf und zuckt die Achseln... der, den er sucht, ist nicht mehr da.

Nur das alte Bauern weiblein sitzt noch auf seinem Platz und starrt mit großen ver­zückten Augen zu ihnen hinüber. Der Lehrer bleibt bei ihr stehen und gibt ihr die Hand.

Gelt, das war schön, Mutter GetzreiterT Hat die Dame nicht schön gesungen?

Wie ein Engel, sagt die Alte mit einem verklärten Gesicht.Akkurat wie ein Engel.

Sehen Sie! Jöggel nickt Donate zu, als müsse er sie trösten.Nun haben wir doch ein Publikum gehabt! Und nicht das schlech­teste!

*

Wie ist es ausgegangen? fragt Lux neu­gierig und aufgeregt, als Donate nach Hause kommt.

Mißlungen! Donate nimmt den Hut von der heißen Stirn und läßt ihn an der hän­genden Hand schaukeln.Gänzlich daneben gelungen!

Wieso? Lux macht große Augen.Hast du etwa nicht gut gesungen?

Ich glaube eher zu gut. . Jöggel hat mich nach den ersten Tönen durchschaut. Er ver­steht so viel davon, als daß er meine Stimme für ungeschult halten sollte, wenn ich richtig loslege... und ich hatte keine Lust, die Ko­mödie durchzuführen. Er spielte so ausge­zeichnet.

Ja, nicht wahr? Bine hent den Blick von ihrer Arbeit.Er spielt wundervoll' Und was hat er gesagt? War er nicht erschlagen von deiner Stimme?

Er hat Vater noch gehört... Sagt Donate mit einem schmerzlichen Lächeln und einem sinnenden Glanz in den AugenEr sprach so lieb über ihn... er ist überhaupt sehr nett... Nein, ich konnte ihm nichts vor­machen.

Fortsetzung folgt