HEIMATBLATT FÜR

STADT UND LAND

SAMSTAG, 26. APRIL 1952

Überparteiliche Tageszeitung

8. JAHRGANG / NR. 65

Dr. Reinhold Maier hat es geschafft

MH 64 Stfmmen zum Ministerpräsidenten des neuen Bundeslandes gewählt / Regierung gebildet / Schärfste Opposition der COU

STUTTGART. (Eig. Bericht.) Der Ministerpräsident von Württemberg-Baden, Dr. Rein- hold Maler, wurde gestern mittag von d er Verfassunggebenden Landesversammlung tum ersten Ministerpräsidenten des neuen südwestdeutschen Landes gewählt. Von den anwesenden 120 Abgeordneten entschieden sich 64 für Dr. Maier, 50 für Staatspräsident Dr. Gebhard Müller, während 6 Stimmzettel unbeschrieben abgegeben wurden. Der neue Ministerpräsident gab überraschend bereits in seiner ersten Erklärung die Zusammen­setzung der Regierung des neuen Bundeslandes bekannt: Stellvertretender Ministerpräsi­dent und Wirtschaftsminister Dr. Hermann Veit, Innenminister Fritz Ulrich (SPD), Justizminister Viktor Renner (SPD), Kultminister Dr. Gotthilf Schenkel (SPD), Fi­nanzminister Dr. Karl Frank (DVP), Landwirtschaftsminister Friedrich Herrmann (DVP), Arbeitsminister Erwin Hohlwegler (SPD), Minister für Helmatvertriebene und Kriegsbeschädigte Eduard Fiedler (BHE) und als parlamentarischer Staatssekre­tär (Mitglied der Regierung) Dr. Edmund Kaufmann (DVP). Die Wahl des ersten Mi­nisterpräsidenten, die unerwartete Regierungsbildung und ein Antrag der neuen Regie­rungsparteien, die Wahlen zu bestätigen und die Ministerliste zu billigen, erfuhr in der über dreistündigen Sitzung scharfe Kritik durch die CDU. Nach längerer Geschäftsord­nungsdebatte verließ die CDU vor der Abstimmung geschlossen den Sitzungssaal. Die Abstimmung selbst ergab 66 Ja- und 5 Nein-Stimmen (Landtagspräsident und KPD).

Die neue Regierung: Von rechts nach links: Ministerpräsident Dr. Reinhold Maier (DVP), Stell­vertreter und Wirtschaftsminister Dr. Hermann Veit (SPD), Innenminister Fritz Ulrich (SPD), Justizminister Viktor Renner (SPD), Kultminister Dr. Gotthilf Schenkel (SPD), Finanzmini­ster Dr. Karl Frank (DVP), Landwirtschaftsminister Friedrich H er r mann (DVP), Arbeitsmini­ster Erwin Hohlwegler (SPD), Minister für Heimatvertriebene und Kriegsgeschädigte Eduard Fiedler (BHE), Staatssekretär Dr. Edmund K auf mann (DVP)

Obwohl bereits einige Tage vorher die Wahl .Neugliederungsgesetzes die Ministerliste be-

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(jk.) In Schorndorf am 14. Oktober 1889 geboren, besuchte Reinhold Maier dort Volks- und Lateinschule, später das Realgymnasium ln Stuttgart. Er stu­dierte in Tübingen und Grenoble, pro­movierte an der Universität Heidelberg zum Doktor der Rechtswissenschaften, legte beide Staatsprüfungen für den hö­heren Justizdienst ab und ließ sich im Juli 1920 in Stuttgart als Rechtsanwalt nieder.

Jurisprudenz und Politik, die an vie­len historischen und zeitgenössischen Beispielen ihre innere Vereinbarkeit, ja eine gewisse Verwandtschaft nachee- wiesen haben, bestimmten hinfort den Werdegang des heute 62jährigen Dr. Reinhold Maier. In dieser Persönlich­keit sind beide Formen beruflicher Wirksamkeit eine so innige Verbindung eingegangen, daß schwer zu sagen ist, welche von beiden die Gesetze des Han­delns bestimmt.

Rein äußerlich betrachtet von 1929 bis 1933 war Dr. Maier württembergi- scher Wirtschaftsminister, Reichsrats­bevollmächtigter, Landtagsabgeordneter und Reichstagsabgeordneter domi­niert der Politiker. Seiner Berufung zum Ministerpräsidenten des Landes Württemberg-Baden im September 1945 folgte die Wiederwahl und zugleich die Ernennung zum Justizminister im Ja­nuar 1951.

Im ganzen Verhalten des Politikers Dr. Maier, in Wesen und Art drängt ; edoch immer wieder der Jurist an die Oberfläche. Die Geste zeigt Beherr- 'chung und gelegentlich eine leicht iro­nische Distanz, die Rede jene scharfe und kalte Klarheit, wie sie die Beschäf­tigung mit der Jurisprudenz häufig aus- Fortsetzung auf Seite 2

von Dr. Reinhold Maier so gut wie feststand, lag über dem Sitzungssaal bei überfüllten Tri­bünen höchste Spannung. Die Nominierung der Kandidaten durch Dr. Haußmann (DVP) und Dr. Gurk (CDU) endete mit lebhaften Beifallskundgebungen für Staatspräsident Dr. Müller im Sitzungssaal wie auf der Tribüne. Nach der Wahl gab Ministerpräsident Dr. Maier auf Grund des § 14 Abs. 2 des zweiten

kannt. Anschließend stellte er fest:Die Er­nennungsurkunden für die Mitglieder der Re­gierung sind ausgefertigt und werden Jetzt ausgehändigt. Das neue Kabinett werde un­verzüglich zusammentreten und er selbst werde einen Termin für die Abgabe einer Re­gierungserklärung vereinbaren.

Die Rechtsgrundlagen des neuen Staates bil

Fortsetzung auf Seite 2

Wohieb hat Recht behalten

Von Joseph Klingelhöter

Lebenslänglich Zuchthaus für Halacz

Verminderte Zurechnungsfähigkeit wurde nicht anerkannt Drahtbericht unseres Sonderkorrespondenten G. M. Galw eit

VERDEN. Der sensationelle Prozeß gegen den Bombenattentäter Erich v. Halacz wurde gestern abend mit der Urteilsbegrün­dung im Schwurgerichtssaal von Verden been­det. Der Angeklagte wurde des vorsätzlichen Mordes in Tateinheit mit besonders schwerem Sprengstoff verbrechen und des versuchten Mordes im Falle Bremen sowie im Falle Ey­strup and Verden des versuchten Mordes in Tateinheit mit schwerem Sprengstoffverbre­chen sowie im Falle Eystrup noch zusätzlich der fahrlässigen Tötung und der fahrlässigen Körperverletzung für schuldig befunden. Ha­lacz wurde zweimal zu lebensländlich Zucht­haus verurteilt. Die bürgerlichen Ehren­rechte wurden ihm auf Lebenszeit aberkannt. Er hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

In der einstündigen Urteilsbegründung, die der Angeklagte hinter dem Rücken seines Verteidigers versteckt und mit einem Akten­deckel vor dem Gesicht anhörte, erklärte der Vorsitzende, daß Halacz durch die Hauptver­handlung als einwandfrei überführt gelten könne. Zur Frage der Verantwortlichkeit sagte Dr. K a t z, daß das Schwurgericht den Aus­führungen des psychiatrischen Sachverständi­gen nicht in vollem Umfange habe folgen können. Trotz zweifellos vorhandener Ab­artigkeit habe das Gericht berücksichtigen müssen, daß der Sachverständige die Frage

Wieder einmal Abbruch

Keine Geheimbesprechungen mehr in Korea

MUNSAN. Die kommunistischen Unterhänd­ler bei den Waffenstillstandsverhandlungen in Pan Mun Jon haoen gestern die Geheimbe­sprechungen über den Kriegsgefangenenaus­tausch abgebrochen. Alliierte Offiziere erklä­ren dazu, die Kommunisten hätten nach wie vor die Tatsache bestritten, daß 40 Prozent der in alliierter Hand befindlichen Kriegs­gefangenen nicht den Wunsch haben, auf kom­munistisches Gebiet zurückzukehren, und dar­auf bestanden, daß alle Kriegsgefangenen ob sie wollten oder nicht den Kommunisten übergeben werden müßten.

Nach den Angaben eines alliierten Spre­chers wollen von 100 000 Nordkoreanern nur 53 900, von 20 699 Chinesen nur 5 100, von 16 000 Südkoreanern nur 3800 in das kommu­nistische Gebiet zurückkehren.

des Vorsitzenden, ob Halacz die Tat auch be­gangen hätte, wenn er mit der Todesstrafe hätte redmen müssen, klar mitNein be­antwortet habe. Daraus habe das Gericht schließen müssen, daß Halacz durchaus in der Lage war, seinen Willen zu kontrollieren. Er sei deshalb als gemeiner Mörder abzuurteilen gewesen. Sowohl Halacz als auch die Zuhörer nahmen das Urteil laut- und bewegungslos auf. Nach beendigter Verhandlung setzte im Gerichtssaal ein wilder Kampf von Presse­fotografen um Aufnahmen ein.

Was sich gestern um die Mittagstunden in der Verfassunggebenden Landesversammlung abspielte, war der Schlußakt einer politischen Tragikomödie. Über ihre einzelnen Szenen ha­ben wir hier nach Chronistenpflicht diesen ganzen Monat über berichtet. Wenig erfreu­liches schon von Anfang an: Zeitdruck durch die Osterfeiertage, dann mehr und mehr sich verschärfende Gegensätze. Zunächst waren wir noch gesonnen, diese Schwierigkeiten emstzunehmen. Als aber das Koalitionsan­gebot der CDU negativ beantwortet und im­mer neue Gegengründe herbeigezogen wur­den, als selbst die persönliche Begegnung der beiden führenden Männer ohne praktische Auswirkungen blieb, da dämmerte uns lang­sam, daß hier bewußt Schwierigkeiten gesucht und Verzögerungen geschaffen worden waren; daß von den starken württemberg-badi­schen Fraktionsteilen der SPD und der DVP von Anfang an die kleine Koalition nach Stuttgarter Muster ins Auge gefaßt, die Ent­scheidung im Grunde schon lange gefallen war und die Verhandlungen nur noch zum Schein fortgeführt wurden. Das bedeutet Sieg

Schnellstens ViermächteVerhandlung

Schumachers Brief an den Kanzler /Keine Anstrengung scheuen

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BONN. Der SPD-Vorsitzende, Dr. Kurt Schumacher, hat in seinem Schreiben an Bundeskanzler Dr. Adenauer, das gestern in Bonn veröffentlicht wurde, zur Frage der deutschen Einheit erneut betont, die drin­gendste deutsche Forderung gegenwärtig sei, sobald wie möglich Viermächteverhandlungen stattfinden zu lassen. Die Bandesregierung müsse den Westmächten konkrete deutsche Forderungen in dieser Richtung übermitteln.

Für die internationale Kontrolle der Wah­len sollten von deutscher Seite drei Möglich­keiten vorgeschlagen werden: 1. Die vier Mächte nehmen die guten Dienste der Verein­ten Nationen für eine internationale Kontrolle der Wahlen in Anspruch; 2. die vier Mächte eini­gen sich auf eine, aus Vertretern neutraler Staaten zusammengesetzte Kommission; 3. falls die vier Mächte selbst die Kontrolle aus­üben wollen, müsse gewährleistet werden, daß keine der vier Mächte eine deutsche Partei benachteilige oder bevorzuge.

Die Übermittlung des deutschen Standpunk­tes an die Westalliierten sei um so dringlicher, alsman nicht weiß, ob sich in absehbarer Zeit noch eine Chance zur friedlichen und demokratischen Wiedervereinigung bieten wird, erklärte Schumacher.

Wenn sich bei Viermächteverhandlungen heraussteilen Sollte, daßauch nach den letz­ten Noten der Sowjetregierung nicht die Mög­lichkeit gegeben ist, durch eine Viermächte- übereinkur.ft die Voraussetzung für freie Wah­len zu gewährleisten, dann wäre doch auf jeden Fall klargestellt, daß die Bundesrepublik

keine Anstrengung gescheut hat, um eine sich bietende Chance zur Wiedervereinigung Deutschlands und Befreiung Europas auszu­nützen.

Der zweite SPD-Vorsitzende, Erich Ollen- h a u e r, nahm gestern über den Nordwest­deutschen Rundfunk zu dem Interview über die deutsche Einheit Stellung, das Bundeskanz­ler Adenauer am Vortag dem Publizisten Emst Friedländer gewährt hatte. Ollenhauer beschuldigte den Kanzler, es nicht ernst mit seiner Versicherung zu meinen, daß die deut­sche Einheit oberstes Ziel seiner Politik sei. Adenauers wichtigstes Ziel sei in Wirklichkeit dieschnellste Eingliederung Westdeutschlands in die jetzt bestehende westliche Machtkonstel­lation. Ein klassisches Beispiel hierfür sei die Saarfrage. Der Kanzler ziehe keine Konse­quenz aus der Tatsache, daß seine bisherige Saarpolitik gescheitert sei.Wie will man die deutsche Forderung im Bezug auf die Ost­grenze durchsetzen, wenn man sich im Westen mit kalten Annektionen abflndet?

Ohne deutsche Reiler

ROM. Beim Preis der Nationen in Rom führt nach dem ersten Umlauf Frankreich mit vier Fehlern vor Italien (8), Mexiko (814), Argen­tinien (9), Spanien (12), Irland (1214), Chile (15), Schweiz (16), Belgien (29) und Deutschland (3)/«). Die deutsche Reifermannschaft wurde nach dem ersten Umlauf zurückgezogen, da zwei Pferde verletzt waren.

der Stuttgarter Hausmachtpolitik. Wohieb hat Recht behalten.

Selbst dieses beschämende Schauspiel aber, daß hier den alten und neuen Gegnern des Südweststaates geboten wird, verliert an Be­deutung angesichts der tragischen Konsequen­zen, die die Sache selbst als politische Ent­scheidung nach sich zieht. So haben sich die Wähler des 9. März in den südlichen Landes­teilen dessen mögen die Herren in Stutt­gart gewiß sein das Ergebnis ihrer Volks­abstimmung nicht vorgestellt In Württem- berg-Hohenzollem erzielte die CDU mit mehr als 51 Prozent der abgegebenen Stimmen die absolute Mehrheit, und selbst in Baden ha­ben über 43 Prozent für die CDU gestimmt Die bewußte Ausschaltung der CDU aus der Regierung des neuen Bundeslandes bedeutet die glatte Mißachtung des Volkswillens; sie muß böse Folgen haben. Daß man aber trotz allen Versprechungen den beiden südlichen Ländern sozusagen die bisherige Regierung von Württemberg-Baden, erweitert um ein paar neue Ministerien, präsentiert und auch noch gegen die gerade zu beschwörenden Einsprü­che der CDU, deren Bestätigung erzwingt, das heißt, selbst dem geduldigsten Staatsbürger doch etwas gar zuviel zumuten.

Ist die SPD-Entscheidung, im Sinne der bundespolitischen Linie dieser Partei liegend, sachlich in etwa noch verständlich, wenn auch im Hinblick auf die besonderen Aufgaben die­ser ersten Südweststaatregierung zu mißbilli­gen, so überrascht und befremdet die Ent­scheidung der DVP in höchstem Maße. Die DVP muß als bürgerliche Partei das Gewicht ihrer Verantwortung kennen. Bei ihr dürfen konkrete Vorstellungen darüber erwartet wer­den, wie sich die Stimmenthaltung ihrer Bun­desratsmitglieder, die bisher schon in der Stuttgarter Koalition geübt und auch weiter­hin von der SPD gefordert wurde, unter den neuen Verhältnissen auf die Bonner Regie­rungspolitik auswirkt. Die verantwortlichen Männer werden sie vor der Geschichte zu rechtfertigen haben.

So vermochte eine kurzsichtige Hausmacht­politik bei den Verantwortlichen den Blick für die politischen Realitäten zu trüben. Den Männern dieser alten und neuen Koalition fiel es wohl schwer, auf die gewohnte politische Macht zu verzichten; nach bewährter Zusam­menarbeit wollte man sich nicht trennen und zu Gegnern werden. Wenig kümmern sich die Herren dabei um die Ungerechtigkeiten, die sie heraufbeschwören, indem sie festhalten, was sie haben. Ist Dr. Reinhold Maier der Notar des Südweststaates, so ist nicht min­der wahr, daß Dr. Müller dessenKonstruk­teur ist. Ohne seine enorme Arbeitspotenz, seine klug-verbindliche Vermittlung, seine Sachkunde und geschickte Verhandlungstak:ik wäre der Südweststaat überhaupt nie ent­standen. Er war es, der die Dinge in Fluß hielt, wenn andere sich erbittert abwandten, politisches Porzellan zerschlugen oder resig­nierten Er hat dabei schwere persönliche Opfer gebracht.