SAMSTAG, 22. MÄRZ 1952

Kam

NUMMER 46

Theologie und evang. Gemeinde

Das Gutachten der Tübinger Theologen zu

E. M. Nicht ganz so heftig wie vor hundert und mehr Jahren in Württemberg der Streit um die SchriftDas Leben Jesu von D. F. Strauß zwischen den Frommen und Stillen im Lande und der forsch die Aufklärung und die Hegelsche Philosophie in die Theologie einfüh­renden Gruppe von Repetenten, Dozenten und Pfarrern allenthalben in Dorf und Stadt un­seres guten Königreiches tobte und gewitterte und die Kirchenleitung zu schweren Entschei­dungen trieb, nicht ganz so heftig, sagen wir, aber doch im sachlichen Befund ähnlich steht heute wiederum eine Gruppe von Hochschul­lehrern und Studenten mit der gleichen Gruppe von pietistiseh gesinnten Pfarrern in einer heftigen Auseinandersetzung um die Theologie des Marburger Professors Bult­mann. Damals wie heute ging es um Grund­fragen der Theologie und des Glaubens im evangelischen, im lutherischen Sinne. Nicht daß wie damals Strauß den Glauben durch die Philosophie zu überwinden trachtet, vielmehr versucht B. umgekehrt den Glauben mit Lu­ther klar von der Philosophie zu trennen, seine absolute Eigenmächtigkeit darzutun, aber doch wiederum mit Hilfe der Philosophie, die frei­lich keine Hegelsche mehr ist, sondern unter dem NamenExistenzphilosophie", bekannt geworden ist als der dem modernen Menschen angemessenen Art des Sprechens von Wagnis, von Entscheidung, von Anfechtung, vom Är­gernis, von der konsequenten Rückführung des

Für und wider die Theologie Buitmanns

Glaubensaktes in den Glaubensgehorsam der Aneignung und eines immerwährenden Ge­schehens der göttlichen Gnade an dem glau­benden Menschen selbst. In diesem Streit, der nun schon jahrelang geht, hat nun die Tübin­ger Fakultät ein Gutachten dem Kirchentag zu Stuttgart vorgelegt, in dem das Für und Wider um B. in einer geradezu klassischen, sauberen, leidenschaftslosen Weise auf 45 Sei­ten dargelegt wird. Die Fakultät, das ist si­cher, hat damit vielen Pfarrern im Amte, vie­len Studierenden der Theologie, aber auch vie­len interessierten Gemeindegliedem einen kaum abschätzbaren Dienst erwiesen, indem sie Mißverständnisse beseitigte, Radikalismen zurechtrückte, zu gegenseitigem Vertrauen aufrief, und vor allem in konzisester Weise die Hauptpunkte der Bultmannschen Theolo­gie hervorragend klar in auch dem Laien ver­ständliche Worte und Sätze gekleidet. Die Ver­fasser des Gutachtens es sind vor allem die Historiker Hanns Rückert und Gerhard Ebe- ling zu nennen haben die Bultmannsche Lehre in den einzig möglichen geistesgeschicht­lichen Zusammenhang gestellt und bewiesen, daß Bultmann kein ketzerischer Sonderling und Individualist ist, sondern einfach fol­gerichtig die vom Liberalismus des 19. Jahr­hunderts nicht gelösten und durch dieAus- hilfe"-Theologie in der Nazizeit verdeckten Probleme, die bei Jeglicher ernsthaften Arbeit an der Erläuterung des Wortes Gottes, wie es

uns in der Hl. Schrift überliefert ist, entste­hen, weitergeführt hat. Sie haben aber auch klar gesagt, daß es bei dieser Art von Theolo­gie notwendig zu Verkürzungen und Veren­gungen der ganzen reichen Fülle der christ­lichen Botschaft und vor allem zu dialek­tischen (das Wort dialektisch kommt in dem Gutachten nicht vor) Zweideutigkeiten und irreführenden Unklarheiten kommen muß, die aber mehr durch die darzustellende Sache selbst als durch eine bewußte Ketzerei Bult­manns entstanden sind. An der Christlichkeit Bultmanns ist jeder Zweifel ausgeschlossen. Nicht aber sind Zweifel ausgeschlossen, die durch die Erläuterung und Zuspitzung selbst auftauchen können. Ansatz und Zielpunkt, so wird zusammengefaßt, dieser Theologie stehen nicht außerhalb der durch Schrift und Be­kenntnis gezogenen Grenzen.

Das Gutachten klärt vor allem den viel- umstrittenen BegriffEntmythologisierung. Wenn B. darunter eine rationalistische Reini­gung und Übersetzung des NT in die Sprache und das Verständnis des modernen Menschen gemeint hat, dann müßte er als Irrlehrer ab­gelehnt werden. Hat er aber damit keine Aus­merzung etwa der Wunder oder der geschicht­lichen Heilstatsachen gemeint, sondern eine Auslegung der neutestamentlichen Ausdrucks­formen, dann ist alles in Ordnung, denn diese bleiben dann selbst in Predigt und Kultus be­stehen. Es handelt sich dann lediglich um eine fruchtbare Spannung zwischen der Verkündi­gung der Bibel undder Sprache eines moder­nen Weltbildes. Im vollen Gegensatz zu Strauß ist Mythos für B. keine erdichtete Legende, die

man ausmerzen muß, um zum wahren Glauben zu kommen, vielmehr eine zeitgebundene Aus- drucksform, die man auslegen und begreifen muß; gleichgültig, wie man persönlich zu einer solchen Ausdrucksform steht. Im Wort der Verkündigung selbst bewährt sich letzthin der Glaubeals ein Wagnis, das je und je im Augenblick zu vollziehen ist, ohne Beziehung auf das, was in Jesus Christus ein für alle Male geschehen ist und ohne Ausrichtung auf das in der Zukunft liegende Ziel der endlichen Vollendung (S. 31). Das Gutachten verschweigt nicht, daß damit B. in die gefährliche Nähe eines idealistischen Spiritualismus geraten ist, der alles Geschichtliche, die Fleischwerdung im Wort, in den Hintergrund drängt und der ge­rade unseren württ. Pietisten Anlaß gibt, sich gegen B. auf die Heilstatsachen, die Endzeit, die Fülle in Jesu Christo in der Mitte der Zei­ten zu berufen. Demgegenüber bittet das Gut­achten um Vertrauen der Pietisten zu den Bultmann-Theologen und bekennt, daß die Fakultätmit äußerster Entschiedenheit dar­über wachen werde, daß das Bekenntnis zu Jesus Christus als dem gekreuzigten und auf­erstandenen Herrn unverfälscht in Geltung bleibt. Aber zugleich gibt die Fakultät auch wieder B. recht, wenn sie die von den Pie­tisten geglaubte Auffassung, die Hl. Schrift sei darum unantastbar, weil sie vom HL Geist und nicht von Menschenhand geschrieben sei, als unhaltbar erklärt. Der Größe des Wortes Gottes gegenüber ist jede Theologie Stück­werk, Menschenwerk und das sei als Wich­tigstes zu bedenken.

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