Berichte unserer Auslands-Korrespondenten
Einige Wochen gut leben
Der Dezember als 13. Monat
Von unserem Mailänder Korrespondenten Carlo G. Mundt
ROM. „Und wenn noch eine Krise folgen sollte, in Italien bleibt Gott sei Dank der Dezember der 13 Monat“, sagte kassensicher der Geschäftsmann. Dieses Land, das 1951 so schwer getroffen wurde, atmete in diesem Monat auf. Denn die letzten Wochen eines jeden Jahres brachten hier eine ungewöhnliche Geldesfülle. Jede Firma, jeder Arbeitgeber ist verpflichtet, seinen Unterstellten zum Heiligabend das „13. Monatsgehalt“ zu zahlen, das ln den Rechnungen der Hausfrauen von Südtirol herab bis nach Sizilien eine so wesentliche Rolle spielt und vor dem nur denen graut, die es zahlen müssen.
Mit einem zusätzlichen Gehalt in der Hand konnte der Italiener auch der verschleierten Drohung auf amtliche Abschaffung des Weihnachtsbaumes entgegensehen. Um den Waldbestand zu schützen, wollte man das Abholzen der Tannenbäume untersagen. Der erste Erfolg war die Bildung einer Art von Schwarzmarkt, um die Kinderherzen doch noch zu erfreuen. Denn der grüne Baum hat gerade in den letzten Jahren seinen Vormarsch durch die ganze Halbinsel angetreten und ist sogar in Neapel, ln dem bisher nur die Krippe aufgestellt wird, schon zu finden. Viele verzichten jedoch freiwillig auf ihn; sie denken an die Po-Fluten, die sicherlich nicht so starken Schaden angerichtet hätten, wenn man im letzten Jahrzehnt den Wald Italiens nicht so rücksichtslos zusammengeschlagen hätte.
Der Dezember ist jenseits der Alpen der echte Sorgenbrecher. Frieden — dieses Wort Ist den Menschen direkt ins Gesicht geschrieben Am 15. Dezember wurde das berühmte und ersehnte „13.“ gezahlt, am 16. begann der Sturm, den man sonst eigentlich nur an den Kassen der Fußballstadions erlebt. Die armen
Schutzleute wurden von der Menge weggedrängt und die Massen wälzten sich an die Verkaufsstände. Die Mütter und Väter hatten ihre Programme, die Jungen und Mädel genau vorschreiben: für die Jungen ein Kastenfußballspiel, auf dem kleine Figuren sachgemäß den Ball schlagen, und für die Mädel hochmoderne Puppenstuben, die in größerem Format einer Hollywood-Diva gehören könnten und fast nach Nylon „riechen“. Daß die Säbel, die Gewehre und die Helme etwas abgerutscht sind, kann nur mit Freude vernommen werden. Dafür aber sind Cowboyausrüstungen und der Federschmuck des „Sitzenden Stiers" beliebt wie in den Vereinigten Staaten von Nordamerika. Das Gebrüll der Jungen, das traditionell auf den italienischen Straßen am Morgen des 25. Dezember ertönt, ist haargenau das gleiche wie in den vergangenen Jahren das der „Soldaten“.
In den großen Städten, auf den Dörfern, von Region zu Region wird das Fest mit anderen Geschenken ausgerüstet und mit anders gearteten Festessen gefeiert. In Neapel steht der Aal auf dem Tisch, in Rom der Hammel, in Mailand die recht „nördliche“ Gans und die Ente.
Dieser Monat Dezember ist der reiche eines armen Volkes. Er steht nur im Zeichen des Friedensfestes. In diesen 31 Tagen kann man sich vielleicht die Jacke wieder kaufen, die man den Flüchtlingen des Polesine schenkte. Man glaubt blindlings an den allgemeinen Frieden. Der „13.“ ist der Monat mit dem Gehalt, wie man zu sagen pflegt Er ist eine weise Einrichtung in einem Land, dessen Bevölkerung innerhalb von 15 Jahren von 42 auf 47 Millionen wuchs, das so arm, aber so voller Leben ist. Einige Wochen der Illusion des GuHebens, der Zufriedenheit.
Noch mehr einschränken
Hoffnungen auf die Konservativen haben sich nicht erfüllt
Ißc Von unserem Londoner Korrespondenten Dr. Schulz-Sevin
LONDON. Die Engländer hätten sich auch Gehältern wieder zurückzahlen, so daß sie Weihnachten anders vorgestellt. Unter den gewissermaßen von dem übernächsten Gehalt Konservativen würde, so meinte man ganz leben. Da aber in England immer noch in den allgemein, dieses Fest eine Jubelzeit sein. Es meisten Fällen Werte vorhanden sind, bedeutete würde wieder alles zu haben sein, die Aus- dies nur, daß eben die Kapitalien, Wertpapiere lichten auf den eigenen Wohlstand würden usw. nicht angegriffen wurden. Jetzt mußten *o gut, daß gekauft würde wie noch nie. Statt diese verkauft werden, was die Wirkung hatte, dessen aber sind die Einschränkungen noch daß sich die Menschen jede Ausgabe zweimal ärger geworden. Es gab keine der sonst üb- überlegten. Außerdem sind die Bankzinsen erlichen Weihnachtssonderzuteilungen für Fett, höht worden, damit genug Geld zur Finanzie- Zucker, Rosinen usw. für die Weihnachts- rung des Rüstungsprogramms flüssig bleibt, bäckerei-,, Anscheinend, wollte auch hier ■ die ‘ So ist äl.so das Weihnachten von 1951 eine Regierung sogletaVtSeir Banwt-äwr ■•I^ a War;“*k»‘|d~ i 2eiC - gewö*den. ‘ Die Spielwarenläden"' machen, vielleicht aiSeh die Mentalität des waren voller Menschen, aber sonst gab es nicht Empfangens, Zugeteilt-Erhaltens, des Fordems die Lawine von Käufern, die sich von Laden an den Staat austreiben. zu Laden wälzte. Deshalb haben dieses Jahr
Gerade jetzt, da jedermann gerne etwas auch die Preise nicht angezogen. Im Gegenteil über die Verhältnisse lebt, sind die Banken kann man hie und da sogar an den Läden das angehalten worden, nur ja kein Geld, auch rote Schild mit der Aufschrift „Ausverkauf" nicht im kleinen, vorzuschießen. Das ist im sehen, das sonst immer erst im Januar er- Mittelstand in der letzten Zeit ganz üblich scheint, um die von den Weihnachtskäufen geworden, daß die Leute mittlere Beträge sich übrig gebliebenen Ladenhüter endlich los zu geben lassen und nach und nach mit ihren werden.
w Schwarzmarkt der Weihnadhtslotterie
Aber ohne Los — ausgeschlossen Von unserem iberischen Korrespondenten Werner Schulz
MADRID. Mein Freund Rafael saß im Cafä an der Puerta del Sol in Madrid und schimpfte. An den Neben tischen wurde nicht weniger geschimpft. Sogar die Kellner beteiligten sich daran. Es bedurfte für mich keiner Erläuterung, um mir über den Grund im klaren zu »ein. denn seit Wochen schimpft die ganze »panische Hauptstadt, oder besser gesagt ganz Spanien. Der Grund: Die Lose der Weihnachtslotterie sind ausverkauft! Überall an den Fenstern der Lotterieläden prangen die Anschläge: „No hay billetes para Navidad“. Das heißt „Lose für Weihnachten ausverkauft“. Und das ist tatsächlich für den Spanier ein Grund zur Erregung.
Die Weihnachtslotterie ist auf der iberischen Halbinsel die Krönung aller Lotterien. Sie ist Schicksalswende für Hunderte von Familien, denn ihre Gewinne gehen in die Hunderte von Millionen, und in jedem Jahr produziert sie eine neue Serie von Millionären. Zwar nur Peseten-Millionäre, aber eine Million Peseten sind immerhin 100 000 DM. Und von deren Zinsen kann man in Spanien leben, da keine Steuerbehörde die Hälfte für sich kassiert. Das Recht auf das Los der Weihnachtslotterie ist also ein unantastbares Recht. Und dieses Recht steht heute auf dem Spiel. Der Schwarzmarkt hat einen Großangriff auf die Lotterie unternommen.
Wie kann es einen Schwarzmarkt der Lose geben? Sehr einfach! Wie es in Madrid am Samstagabend oder am Sonntag auch einen Schwarzmarkt der Kinobillete geben kann Die Lotterieeinnehmer haben ihre Lose zurückgehalten und Schwärzhändlern in Kommission gegeben. Die Schwarzhändler wiederum haben *ie aufgeteilt und verkaufen jetzt die Anteilscheine Dabei kann eigentlich niemand behaupten, daß dies ein Verbrechen sei. Ganz im
Aus Hebbels Tagebüchern Heiliger Abend 1838. Ich komme eben aus der Stadt zurück und habe mir Novalis, Schriften geholt, Kaffee steht auf meinem Tisch, die aufgeschlagene Bibel und meine Judith liegen vor mir und seit drei Jahren zum erstenmal wieder werd’ ich diesen Abend auf eine schöne Weise feiern. Ich habe ein Gefühl, als hatt' ich ein Recht zur Freude, und dann bleibt die Freude selbst nicht aus; in meiner Kammer stehen die Puppen, Nüsse usw. für die beiden kleinen Mädchen im Hause.
Gegenteil! Man handelt im Interesse der Allgemeinheit, denn man gibt dem kleinen Mann, der nicht genug Geld hat, sich ein ganzes Los zu kaufen, die Möglichkeit einer Teilnahme an der Lotterie. Also werden die Lose in Drogerien und Kolonialwarengeschäften, in Tabakläden und Schneidersalons ausgestellt und man kann sich seine „Beteiligung“ an einem Los erhandeln.
So weit wäre das ganz in Ordnung. Aber diese Aufteilung der Lose kostet — so sagen die Schwarzhändler — eine Menge „Verwaltungsarbeit“. Man muß Anteilscheine drucken lassen und das Originallos nachts im Geldschrank aufbewahren Aus diesen Gründen erheben die Losverteiler einen Aufschlag, der je nach Lust und Laune variiert Natürlich kann man auch das ganze Los bei ihnen kaufen, wenn man will, selbstverständlich mit Aufschlag! Und so blüht ohne Risiko irgendwelcher Art und ohne Geschäftsunkosten von Bedeutung ein phantastischer Handel.
Worauf es dem Spanier ankommt, ist, daß ! er sein Los in der Tasche hat. Mag es kosten was es w’ll! Und da er von Natur aus kein Pfennigfuchser ist, zahlt er. Und das nützen die Losschwarzhändler rücksichtslos aus. Das Resultat: die Lospreise steigen und die Lose verschwinden. Wahrscheinlich hält man sie „auch bis kurz vor der Ziehung zurück, in der Hoffnung, dann noch höhere Preise herauszuschlagen.
Aber der Bogen war überspannt worden. Der Schwarzmarkt der Lotterie wurde zum öffentlichen Skandal und die Behörden griffen ein. Sonderpolizeiverordnungen wurden erlassen, strenge Strafen angedroht und die Bevölkerung zur Solidarität im Kampf gegen die Loswucherer aufgerufen.
Eine Viertelstunde später wanderten wir über die Gran Via, die im vorweihnachtlichen Lichterglanz strahlte. An einer Straßenecke lächelte uns ein freundliches junges Mädchen an: „Ein Los für die Weihnachtslotterie? Cabelle ros!“ Und dabei zwinkerte sie mit den Augen. Mein Freund Rafael zwinkerte wieder und bog um die Straßenecke. Als er eine Minute später wiederkam, hatte er zwei Lose in der Hand und strahlte. „Und wie ist das mit der Solidarität gegen den Schwarzhandel?“ fragte ich. Rafael lächelte ein wenig verlegen: „Mein Gott! Frauen gegenüber muß man ja Cabellero sein!