NUMMER 200
SAMSTAG, 83. DEZEMBER 1951
48100 Doller für UN-Kommission
Letzte Sitzung der Vollversammlung in diesem Jahr / Haushalt 1952 angenommen
PARIS. Mit einer kurzen Weihnachtsanspräche Ihres Präsidenten Padilla Nervo wurde am Freitagmittag die letzte Sitzung der UN- Vollversammlung in diesem Jahr abgeschlossen. Vorher nahm die Vollversammlung mit 52:5 Stimmen die gesamten Haushaltsvoranschläge für 1952 in Höhe von 48 096 780 Dollar an.
Nervo erklärte auf einer Pressekonferenz, daß im ersten Teil der Tagung der UN-Voll- versammlung der allgemeine Wunsch nach einer Beendigung oder zumindest nach einer Milderung des kalten Krieges stark zum Ausdruck gekommen sei Man habe genug von den erregten Auseinandersetzungen und suche nach einer wirklichen Versöhnung. Die Friedenschancen hätten sich gebessert. Als besonders bedeutungsvoll bezeichnete Nervo die Bildung der Abrüstungskommission. Auf Grund der schon weit vorgeschrittenen Arbeit der Hauntaussdiüsse sei damit zu rechnen, daß die UN in etwa 30 weiteren Arbeitstagen das für diese Sitzungsperiode vorgesehene Pensum bewältigt haben werde.
Am Donnerstag fand ein Vorschlag des Generalsekretärs Trygve Lie Zustimmung, 48100 Dollar (202 020 DM) für die geplante
Volle Beleuchtung
TÜBINGEN. Das Wirtschaftsministerium von Württemberg-Hohenzollern bat die Aufhebung aller Einschränkungen der Schaufenster-, Reklame- und AuBenbeleuchtung ab sofort angeordnet.
Untersuchungskommission bereitzustellen, die in Deutschland die Voraussetzung zur Abhaltung freier Wahlen prüfen soll. Den fünf Mitgliedern der Kommission sollen zur Unterstützung ihrer Arbeit ein Hauptsekretär, drei Sekretäre, zwei politische Berater, zwei Dolmetscher und ein Verwaltungsfachmann zugeteilt werden. Von dem Gesamtbetrag sind 21 500 Dollar (90 030 DM) für Reisen und Unterhaltskosten der Kommissionsmitglieder, 21 600 Dollar (19 720 DM) für das UN-Begleit- personal und 5000 (21 000 DM) für sonstige Kosten vorgesehen.
Wenn der Kommission sogleich die Einreise in allen Besatzungszonen Deutschlands gestattet werden sollte, würde sie sofort für einen
Erzbischof Bornewasser f
TRIER. Der Erzbischof Franz Rudolf Bornewasser von Trier ist am Donnerstagabend um 22 Uhr im 86. Lebensjahr acn Altersschwäche gestorben.
Seit 1922 hatte Erzbischof Bornewasser das Amt des Bischofs von Trier inne. In der Zeit der Separatistenkämpfe und Besatzung nach dem ersten Weltkrieg erwies er sich als ein wahrer Helfer aller Verfolgten ohne Unterschied des Bekenntnisses. Während des Dritten Reiches hat er wiederholt seine Stimme in Freimut gegen christenfeindliche Tendenzen erhoben. Aus Anlaß seines goldenen Prie- sterjubiläums erhielt er im März 1944 vom Papst den Titel eines Erzbischofs.
Erzbischof Bomewasser ist am 12. März 1861 in Radevormwald (Kreis Lennep) geboren und wandte sich nach dem Besuch des Gymnasiums zuerst dem Berufe eines Volksschullehrers zu. Erst später studierte er Theologie. 1894 empfing er die Priesterweihe und wirkte anschließend in mehreren westdeutschen Städten. 1916 kam er nach Köln als Subregens an das erzbischöfliche Priesterseminar, wo er zugleich Professor der Pastoraltheologie war. Nach seiner Tätigkeit als Stiftsprobst an dem Liebfrauenmünster zu Aachen, während der er die Würde eines zweiten Weihbischofs von Köln erhielt, wurde Bomewasser zum Bischof von Trier gewählt.
Bundespräsident H e u ß hat dem Domkapitel von Trier zum Tode des Erzbischofs in einem Telegramm sein Beileid ausgesprochen.
Monat nach Deutschland abreisen und anschließend dem Generalsekretär einen Vorbericht über ihre Arbeiten geben, bevor die Vollversammlung ihre Sitzungsperiode beendet Auf der Grundlage dieses Vorberichts soll dann die Kommission weitere dreimonatige Untersuchungen anstellen, deren Ergebnisse in einem zusammenfassenden Schlußbericht Trygve Lie in New York zu unterbreiten wären, der dann den Bericht an die vier Besatzungsmächte zur Kenntnisnahme welterzulei- ten hat.
Die für die Deutschland-Kommission vorgesehenen Nationen erwarten in aller Kürze die amtliche Aufforderung, ihre Delegierten zu benennen. Der polnische Vertreter wies bereits erneut darauf hin, daß Polen nicht beab-
We ; tere Vo” machten
WASHINGTON. Der Leiter des amerikanischen Sicherheitsprogramms auf Gegenseitigkeit, Averell H a r r i m a n, führte auf einer Pressekonferenz aus, der atlantische Oberkommandierende, General Eisenhower, werde nach den gegenwärtigen Plänen für dje europäische Wiederaufrüstung im Januar 1952 erhöhte Machtbefugnisse erhalten. Eisenhower sei „gegenwärtig ein lebenswichtiger Faktor“ für die europäischen Wiederaufrüstungspläne, aber er werde nicht immer für diese Aufgabe zur Verfügung stehen. Der atlantische Koordinierungsausschuß in Paris habe beschlossen, daß sich die erhöhten Machtbefugnisse Eisen- howers vor allem auf die Entwicklung eines Systems von „Vorrängen“ für die Verteilung der Ausrüstung und der Bauvorhaben der atlantischen Armee beziehen sollten. Dazu verlautet in Washington, Eisenhower werde darüber zu befinden haben, welchen Bedarf die atlantischen Streitkräfte in Europa an Waren, Ausrüstung und Neubauten haben.
Prof. Dr. Heuß wünscht keine Weihnachtsgeschenke. Bonn. — Der Bundespräsident und Frau Heuß haben die deutsche Öffentlichkeit darum gebeten, von Glückwünschen und Geschenken zu Weihnachten und Neujahr abzusehen. Es sei besser, während der Feiertage der vielen Notleidenden zu gedenken und ihnen zu helfen.
Besichtigungsfahrt nach Helgoland. Cuxhaven. — Über 200 Architekten, Städtebauer und Ingenieure, die sich am Wettbewerb für den Wiederaufbau Helgolands beteiligen, haben am Freitag eine zweitägige Besichtigungsfahrt nach der Insel angetreten
Kriegsgräberkommission in Afrika. Kassel. — Die Anfang November nach Nordafrika gereiste Kommission der deutschen Kriegsgräberfür; orge hat nunmehr ihre Arbeit aufgenommen. Sie ist damit beschäftigt, die über 6000 verstreut liegenden deutschen Soldatengräber autzusuchen, die Leichen zu exhumieren und Unbekannte zu identifizieren. Alle Gefallenen sollen auf einem Friedhof oder auf zwei großen Anlagen in Küsten- nähe zusammengebettet werden.
Japanische Verwaltungshoheit über Rln-Kiu- Inseln. Tokio. — Das alliierte Hauptquartier in Japan hat der japanischen Regierung die Verwaltungshoheit über die sieben nördlich des 29. Breitengrades gelegenen Riu-Ktu-Inseln vor einiger Zeit zurückgegeben.
Scharfe USA-Note an Ungarn. Budapest. — Die USA haben der ungarischen Regierung eine „scharfgehaltene“ Note zugeleitet, in der die Behauptungen zurückgewiesen werden, daß das in Ungarn vor einigen Wochen niedergegangene amerikanische Transportflugzeug Spionageaufträge gehabt hätte Die vierköpflge Besatzung ist immer noch in Ungarn in Haft.
Lotte Adenauer bestand ihr Doktorexamen. Bonn. — Die jüngste Tochter des Bundeskanzlers, Lotte Adenauer, bestand am Donnerstag das Doktorexamen der Philosophischen Fakultät der Bonner Universität mit der Auszeichnung gut.
Koibenheyer: Heil Sudetenland! München. — Der Vorstand der sudetendeutschen Landsmannschaft überreichte dem Schriftsteller Erwin Guido Koibenheyer bei einem Presseempfang in Mün-
sichtige, einen Delegierten in den Ausschuß za entsenden, da die Ostzonenregierung ihre ablehnende Haltung gegenüber dem Projekt noch nicht geändert habe.
Nach Meldungen aus Stockholm verteidigte der schwedische Außenminister U n d e n den umstrittenen und inzwischen abgelehnten Vorschlag Schwedens in der UN, gesamtdeutsche Wahlen zunächst durch neue Verhandlungen der vier Besatzungsmächte vorzubereiten, ln einer Rundfunkansprache führte er aus: „Ich bin überzeugt, daß unser Vorschlag als richtig erkannt weiden wird, sobald die Propagandagesichtspunkte zurücktreten. Er war nämlich, am ehesten geeignet, freie Wahlen und die Wiedervereinigung Deutschlands zu fördern.“
Der politische Ausschuß wies am Freitag die sowjetische Beschwerde über das amerikanische Gesetz für gemeinsame Sicherheit (Auslandshilfe) mit 39:5 Stimmen bei 11 Enthaltungen ab.
Voib^reitung der Wah'breise
STUTTGART. Der ständige Ausschuß des württemberg-badischen Landtags diskutierte am Freitag im Beisein von Innenminister U 1 - rieh die Wahlkreiseinteilung für die Wahl zur verfassunggebenden Landesversammlung für den Südweststaat. Württemberg-Baden wird nach einem Entwurf des Innenministeriums wahrscheinlich 44 oder 45 Wahlkreise bilden. Anfang Januar wird sich der Ausschuß erneut mit der Materie befassen.
Die Wablkreiseinteilung wird von den drei südwestdeutschen Ländern gesondert vorgenommen. Gewählt wird nach dem Bundeswahlgesetz. Danach werden also 60 Prozent der Abgeordneten in je einem Wahlkreis und 40 Prozent über eine Landesergänzungsliste gewählt. Nach dem zweiten Neugliederungsgesetz fallen von den mindestens 120 Abgeordneten der verfassunggebenden Versammlung mindestens 73 auf Württemberg-Baden, mindestens 25 auf Sü^baden und mindestens 22 auf Württemberg-Hohenzollern.
chen einen der „vier Ehrenbriefe“, die alljährlich von der Landsmannschaft verliehen werden. Koibenheyer antwortete: „Ich werde Euch die Treue halten, wie Ihr mir die Treue gehalten habt zu einer Zeit, da jeder Beliebige mich In den Kot treten durfte. Ich gelobe Treue zur Heimat, — Heil Sudetenland!''
Fünf Jahre Zuchthaus für Kameradenschinder. Hannover. — Der 32jährige Vertreter Paul Lindberg aus Hessisch-Oldendorf wurde wegen Beihilfe zum Totschlag, gefährlicher Körperverletzung und Unterschlagung zu fünf Jahren Zuchthaus verurteilt. 1945 hatte Lindberg als Stubenkommandant in einem polnischen Internierungslager zwei Mithäftlinge der polnischen Lynchjustiz ausgeliefert und außerdem Mithäftlinge mit Stöcken und Gummiknüppeln mißhandelt sowie Liebesgabenpakete unterschlag^
Elf Tote bei Schiffskatastropne. San Franzisko,
— Elf Todesopfer forderte ein Brand, der auf einem dänischen 8000-t-Dampfer vor der amerikanischen Westküste ausbrach. Das Schiff ist völlig ausgebrannt.
Lastzug reißt Straßenbahnwagen auf. Bochum.
— Zwei Tote, fünf Schwerverletzte und mehrere Leichtverletzte forderte ein Verkehrsunfall in Bochum-Linden. Ein ins Schleudern geratener Anhänger eines Lastzuges riß einen Straßenbahnwagen der ganzen Länge nach auf.
Strafanträge im Ghetto-Mordprozeß. Hamburg,
— Im Rigaer Ghetto-Mordprozeß vor dem Hamburger Schwurgericht forderte der Staatsanwalt für die beiden Hauptangeklagten früheren SS- Angehörigen Rudolf Seck und Kurt Mlgge wegen Mordes in 53 Fällen zusammen 53mal lebenslänglich Zuchthaus; für weitere Angeklagte wegen Mißhandlungen Gefängnisstrafen bis zu 7V« Jahren.
Polen lehnt kleinen Grenzverkehr ab. Berlin.
— Die Bitte der Sowjetzonenregierung, ln den durch die Oder-Neiße-Linie geteilten Städten Frankfurt/Oder und Guben einen kleinen Grenzverkehr zuzulassen, ist von der polnischen Regierung abgelehnt worden. Auch der Hinweis auf die „deutsch-polnische Freundschaft“ fruchtete nichts.
Bemerkungen zum Tage
Gute Botschaft
jk. Wir haben die Befreiung von dieser drückenden Fessel lange herbeigesehnt. Nun soll sie also fallen, die problematische Ruhrbehörde, dieser kantige Stein des Anstoßes in der Entwicklung der Beziehungen zwischen der westlichen Welt und der Bundesrepublik. Wenn der Schumanplan unterzeichnet ist, nicht früher. Auch die Vollmachten des alliierten Sicherheitsamtes, das uns letzthin durch die Remontageverbote soviel Kummer bereitete, sollen dann eingeschränkt werden, die Produktion von Stahl keinen Beschränkungen nach Menge und Sorten mehr unterworfen
Erscheinungsweise über Weihnachten und Neujahr
Unsere nächsten Ausgaben erscheinen am Montag. 24. Dezember; Freitag, 28. Dezember; Samstag, 29. Dezember; Montag, 31. Dezem- zember; Donnerstag, 3. Januar und Samstag, 6. Januar. VERLAG UND REDAKTION
sein. Eine gute Botschaft für so manchen Industriezweig, der bisher in »den Stahl- und Blechengpaß (denken wir nur an die deutsche Automobilindustrie!) eingezwängt war. Keine äußeren Hindernisse mehr auch für Investitionen in die Grundstoffindustrien.
Ein großer Schritt weiter zur politischen und wirtschaftlichen Souveränität also Beschlossen schon im Oktober in Paris, aber just eben in diesen Vorfesttagen uns offiziell zur Kenntnis gebracht. Wir haben die Wahl, die erfreuliche Eröffnung entweder als freundliche Geste zum Fest zu nehmen, oder als bewußte Stützung der Schumanplan-Debattea im Parlament am 9. und 10. Januar — je nach Standpunkt, Temperament und Neigung Wer dem Gedanken des Schumanplans aus übergeordneten Erwägungen zustimmt, wird sich kaum von der naheliegenden Verbindung beider Anlässe stören lassen. Ein handgreiflicheres Argument für den Schumanplan läßt sich jedenfalls schwer finden, und ein günstigerer Zeitpunkt für seine Publikation konnte kaum gewählt werden.
Slalin 72 Jahie
„Heiße Grüße“
MOSKAU. Der Staatschef der Sowjetunion, Generalissimus Stalin, ist gestern 72 Jahre alt geworden. Soweit bekannt, ist sein Gesundheitszustand für sein Alter befriedigend und hat sich seit dem vergangenen Jahr nicht verändert.
Das Zentralkomitee der Ostzonen-SED übermittelte am Donnerstag in einem Glückwunschtelegramm „heiße Grüße“ dem „teuren Genossen Josef Wissarionowitsch Stalin“. Das Zentralkomitee gelobte, „die Föhne des nationalen Kampfes gegen amerikanischen und deutschen Imperialismus breit zu entfalten“ und sich dazu eines „eindringlichen Studiums des Marxismus-Leninismus“ zu befleißigen. Der Vorsitzende der westdeutschen KP. Max Reimann, entbot Stalin „brüderliche Grüße“ und behauptete, Stalins konsequentes Eintreten für den Frieden und das Selbstbestimmungsrecht hätte in der westdeutschen Bevölkerung „die Liebe zu Ihnen, zu den Völkern der Sowjetunion und zur glorreichen Kommunistischen Partei der Sowjetunion (Bolschewiki)“ gesteigert.
Anläßlich des Geburtstags Stalins wurden in Moskau am Freitag sechs neue Träger des Stalinpreises (Urkunde und 100 000 Rubel) für „die Förderung des Friedens unter den Völkern bekanntgegeben“. Unter ihnen befinde sich die in der Sowjetzonenrepublik wirkende deutsche Schriftstellerin Anna Seghers, bekannt geworden durch ihr Buch „Das siebte Kreuz“.
Nebel legt Berliner Flugverkehr still. Berlin. — Eine dichte Nebeldecke hat am Freitag den Flugverkehr von und nach Berlin stillgelegt.
Kleine Weltchronik
in New Orleans
ROMAN VON PETER HILTEN
17] Copyright 19$) by Wllholcn Goldman Verlag
Nachdem Reverend Johnson gegangen war, hatte Kapitän Hendrek Dekker mit Madame Grandjean eine Unterredung. Sie betraf sozusagen den zweiten Teil des vorhin abgeschlossenen Geschäftes. Und einen höchst moralischen dazu. Es wurde Einigung erzielt.
Kapitän Dekker fand es nicht angängig, daß seine Braut nun noch länger bei Madame Grandjean verweile. Das beste wäre, er nähme sie gleich heute abend, selbstverständlich mit allen Rücksichten, an Bord. Das könne er aber nicht tun, denn wahrscheinlich sei das Mädchen noch etwas scheu — eine Eigenschaft, die sich an Bord bald verlöre —, sie würde ihm schwerlich folgen, er bitte daher, dear Mrs. — wollte sagen, Madame, Madame Grandjean möge nach all den Schwierigkeiten sich doch noch einmal opfern und Donoga in etwa einer guten Stunde nach dem Hafen bringen. Dort, bei der steinernen Treppe, mit der stromwärts rot brennenden Laterne, wo die Boote anzulegen pflegen, am French Market, würde dann ein Boot der „Dei Gracias“ mit einem Mann, einem Mulatten, warten, Madame Grandjean könne das Mädchen seelenruhig an Bord bringen und werde dann sofort wieder sicher und rasch an Land gebracht werden. Es solle auch n’cht umsonst sein, bloody Christ, nein, da seien nochmals zehn Dollar.
Madame Grandjean hatte vorzüglich verstanden. Sie hatte eingesehen, daß mit Donoga kein Geschäft zu betreiben war, im Gegeilte’'', es konnte sein, daß Reverend Johnson von nun an ausblieb, und dann wußte man nie. wann, wo und wie man seinen Einfluß
oder seine Rache zu fühlen bekäme. (Hatte er nicht, es war noch kein Jahr her, alle Damen von „Chez Lucie“ in einem Sittlichkeitsfeldzug nach Moresby House gebracht, nur weil Lucie einer Sünderin die Freiheit gegeben hatte? Ah!)
Moresby House wäre eine fragwürdige Lösung, es Starben neuerlich so viele Mädchen dort — die frische Seeluft aber würde Donoga gut tun.
Oh, naturellement war sie bereit, Monsieur le Captaine Dekker den kleinen Gefallen zu tun. Es war ja wirklich zum Besten des Kindes, sie nahm die zehn Dollar an sich, merci.
Kapitän Dekker ging, er würde in einer guten Stunde einen Wagen schicken.
*
Während Kapitän Dekker unter den dunklen altspanischen Arkaden der Canal Street nach dem River bummelte und dabei leise La Paloma pfiff, fühlte er Verlangen nach einem anständigen Drink und nach Roxys Belle, bloody Christ, nach Roxys Belle...
Bei diesem Gedanken brach sein Pfeifen ab.
Er erschien in Roxys männer- und raucherfüllten Mexico Bar, benahm sich merkwürdig ruhig, suchte mit einem Seitenblick den dreckigen Italiener, entdeckte ihn, spuckte auf vier Yards in einen der riesigen Spucknäpfe, das war das, und begann, während er sich an der Bar einen Platz erdrängte, mit einem mausäugigen Frachtmakler ein Gespräch über die Möglichkeit, in Galveston Fracht zu 15 •/• Commision nach England zu erhalten.
Yes, 15*/o!
Er stand lang und schlaksig, mit lässig gekreuzten Beinen, mit dem Ellbogen an die armdicke Barstange gelehnt, hielt in einer Hand das Glas, das seine großen Hände nicht zu fühlen schienen, und betrachtete mit verkniffenen Augen zwischen häufigen kleinen, lange und langsam auf der Zunge gerollten Schlücken Roxys Belle.
Roxy mit einer dicken Zigarre zwischen den Lippen unterhielt sich mit einem Gast über die Aussichten eines Renngauls mit dem Na
men Gazeba, der neuen Wunderstute des Me- tarie Race Tracks und streifte Dekker mit einem ausdruckslos scheinenden Blick.
16 Prozent Maklerkommission war so gut wie Frachtunterbietung, bloody Christ, was ging das außer ihn und dem Mausäugigen die übrige Welt an! Mit wurmstichigen Erbsen, etwas weniger Fleisch, aber dafür einigen Fässern Salzheringen und Bataten konnte man zunächst einmal 5°/« einholen, kleine 5% ließen sich durch smartes Auftreten an Bord gutmachen, well, dann lief die Rechnung darauf hinaus, als ob mit den üblichen 5% abgeschlossen worden wäre. Allright. Mit schnellen Segeln ließen sich dann auch die restlichen 5% verkleinern, vorausgesetzt, daß man aus dem Golf von Mexiko noch vor Eintritt der Tornadozeit herauskam ...
Dekker ging. Roxy warf ihm einen prüfenden Bück nach. Irgend etwas war mit Dekker los, diese verdammte Höllenkatze hatte etwas vor, Roxy fühlte es und rollte seine Zigarre in den andern Mundwinkel.
Bevor sich Dekker an Bord seiner „Dei Gracias“ übersetzen ließ, rief er ein Kutschgefährt mit einem trotz der Nacht über dem Bock aufgespannten riesigen Sonnenschirm an und schickte es mit Vorauszahlung zu Madame Grand jeans Etablissement, um zwei dort wartende Ladies nach dem French Market zu fahren, an die Treppe mit der stromwärts rot brennenden Laterne bet der steinernen Treppe.
Madame Grandjean verströmte über Donoga weiche, warme und fette Mütterlichkeit, die ölig gluckste.
Donoga saß auf Madames Bett und sah ihr zu, wie sie für die nächtliche Fahrt Toilette machte. Ein langer gelber bauschiger Seidenrock mit einigen Umläufen schwarzer Samtborten über der Besenlitze bauschte sich nach Art eines Reifrockes und verdeckte die Schuh- soitzen. eine enggeschneiderte kurzärmelige Schoßjacke verließ sich auf die Festigkeit einer krachenden Korsage, Ohrringe. Arm
bänder, die Kette mit dem Kreuz, die sie Donoga geliehen hatte, Fingerringe und Brosche, durchbrochene lange schwarze Handschuhe mit halben Fingern, Badehosenhandschuhe genannt, und über dem Kopf ein schwarzes Spitzentuch, et voild, Madame war bereit.
Donoga ahnte, daß sie nun mit Madame gehen müsse. Irgendwohin. Sie ahnte durchdringende Wohltätigkeit. Sie hörte, daß es doch noch gute Menschen auf der Welt gäbe, fürsorgliche Menschen, sie würde nun einem Kapitän übergeben werden, einem exzellenten Gentleman, der demnächst nach Hawai führe, oh lala, quelle chance für ein junges Mädchen, für ein so schönes Mädchen...
Donoga saß und ließ sich von Madame über die Wangen streicheln, sie glitt in eine müde Gleichgültigkeit, irgendwo mußte alles enden ...
Madame Dolly durchwühlte die Schubladen einer Kommode, sie fand ein buntes seidenes Tüchlein, das nach Patschuli roch, sie wuchtete im Zimmer umher, daß die Dielen krachten, sie fand hinter einem Spiegel einen Fächer, fand m der Nachttischschublade zwei klebrige Bonbons, erjagte in einem Korb mit schmutziger Wäsche ein vielgeflicktes, fast weißes Spitzen-Kopftuch und schenkte alles, alles & ce eher enfant, alles diesem teuren Kinde.
Sie sprach unermüdlich auf Donoga ein: wie schrecklich wäre Moresby House gewesen, Baumwollekrempeln, oder vielleicht hätte man sie sogar in die Jutespinnerei, ah. mon Dieu, was sage ich, gar vielleicht in die Sackweberei gesteckt, ach, und nun war 'blies so gut gekommen.
Donoga schwieg.
Madame Grandjean war fertig und am Ende ihrer Wohltätigkeit angelangt. Sie ergriff energisch Donogas magere, abgewetzte Reisetasche, die Tasche, die Dixon immer getragen hatte, um deren zwei Ledertragschlaufen sich seine guten, lieben und kunstfertigen Hände geschlossen hatten, und führte Donoga hinunter.
Der Wagen wartete, (Fortsetzung folgt)