NUMMER 196
SAMSTAG, 15. DEZEMBER 1951
Debatte im badischen Landtag
Wer geht in den Ministerrat? / Noch keine Klärung
FREIBURG. Der badische Landtag, der am 29. Mai 1951 verfassungsmäßig abgelaufen war, dann durch das erste Neugliederungsgesetz des Bundes verlängert, später durch das Bundesverfassungsgericht für nichtexistierend erklärt und schließlich am 18. November durch eine Volksabstimmung wieder zum Leben erweckt wurde, trat am Donnerstag zu seiner ersten Plenarsitzung nach der Südweststaatabstimmung zusammen. Die Sitzung begann angesichts der starken, innerhalb der Parteien und auch innerhalb der Regierung bestehenden Meinungsverschiedenheiten in einer Atmosphäre nervöser Spannung, die sich in einer mehrstündigen erregten Auseinandersetzung entlud.
Die FDP hatte beantragt, in dem zum Vollzug des zweiten Neugliederungsgesetzes zu bildenden Ministerrat einen Altbadener und einen Südweststaatanhänger zu entsenden. Unterstützt von der SPD forderte die FDP ferner, diesen Antrag sofort zu behandeln, was mit 26 Stimmen der CDU gegen 22 Stimmen der FDP und SPD abgelehnt wurde.
Der FDP-Abgeordnete Dietrich V o r t i s c h hatte in der Begründung des Antrags betont, man könne den Ministerrat nicht nur mit „Barrikadenkämpfern“ beschicken, da sich SUdbaden sonst selbst mundtot machen würde. Der Fraktionsvorsitzende der CDU, Anton D i ch t el, erwiderte, das Abstimmungsergebnis in Südbaden lasse es durchaus für vertretbar erscheinen, zwei altbadische Vertreter in den Ministerrat zu entsenden. Im weiteren Verlauf der Sitzung forderte der SPD-Abge- ordnete J ä c k 1 e Staatspräsident W o h 1 e b auf, die Zusammenarbeit in einem Südwest- staat nicht durch neue Unruhen zu stören.
Während der Sitzung wurde im Hause auf Veranlassung des Landtagspräsidenten ein vervielfältigter Artikel der „Basler Nationalzeitung“ an die Abgeordneten verteilt, der sich mit dem Südweststaat kritisch auseinandersetzt. Gegen diese Verteilung nahmen die SPD und FDP als Oppositionsparteien Stellung mit der Begründung, es sei unter der Würde eines deutschen Parlamentes, einen ausländischen Presseartikel sozusagen offiziell zur Kenntnis zu nehmen, in dem dem höchsten
Amerika wünscht Tagesordnung
für Besuch Churchills
WASHINGTON. Bei der Vorbereitung des des für Januar geplanten Besuches Churchills bei Präsident T r u m a n ist eine Differenz aufgetreten, die sich nach Ansicht amerikanischer amtlicher Kreise nachteilig auf das Ergebnis der Besprechungen auswirken könnte. Die amerikanische Regierung wünscht für das Zusammentreffen eine klare Tagesordnung mit eindeutigen Verhandlungspunkten Dagegen hat der britische Premier vor etwa zwei Wochen mitgeteilt, daß er keine Vorschläge für eine bestimmte Tagesordnung machen will. Der amerikanische Botschafter in London hat den Auftrag erhalten, trotzdem zu sondieren, mit welchen bestimmten Absichten Churchill nach Washington geht.
Man geht in Washington von der Annahme aus, daß Churchill außer Fragen der britisch- amerikanischen Politik auch die weltpolitischen Fragen des gemeinsamen Verhältnisses beider Mächte zur Sowjetunion anschneiden wird. Man glaubt der Versicherung daß Churchill seine direkten finanziellen Wünsche bei Truman Vorbringen will, hält es aber für wahrscheinlich. daß der britische Premier einer solchen Forderung in anderer Weise den Boden bereiten will.
Englands Verschuldung bei der Europäischen Zahlungsunion, eine Auswirkung des Außenhandelsdefizits, ist im November auf 165,9 Millionen Pfund angewachsen.
deutschen Gericht, dem Bundesverfassungsgericht, der Vorwurf gemacht werde, es habe „das Recht mit Füßen getreten“.
Nachdem nunmehr veröffentlichten amtlichen Ergebnis der Volksabstimmung in Würt- temberg-Hohenzollern hat der Kreis Balingen mit 40,4 Prozent die niedrigste und der Kreis Rottweil mit 60,3 Prozent die höchste Wahlbeteiligung im Lande aufzuweisen. Der Kreis Balingen verzeichnete auch den niedrigsten Anteil ungültiger Stimmen mit 2,9 Prozent
gegenüber dem Kreis Sigmaringen, der mit 6,75 Prozent den größten Prozentsatz ungültiger Stimmen aufwies. Der Anteil der Ja- Stimmen bewegte sich innerhalb der einzelnen 17 Stimmkreise des Landes zwischen 88,4 Prozent im Kreis Tettnang und 92,8 Prozent im Kreis Münsingen.
Zu Besprechungen über die Gründung einer „Badischen Heimatpartei“ werden, wie der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft der Badener, Regierungsrat Dr. Ferdinand Weber, gestern bekanntgab, am kommenden Mittwoch Vertreter der nord- und südbadischen Arbeitsgemeinschaften Zusammenkommen. Nähere Einzelheiten über die geplante Neugründung sind noch nicht bekannt geworden.
„Föderalistische Union“
Eine neue Partei?
hf. BONN. Das Zentrum und die Bayem- partei haben sich in Bonn zu einer neuen Fraktion der „Föderalistischen Union Bayernpartei-Zentrum“. vereinigt. Auf einer Pressekonferenz erklärten als Sprecher der neuen Fraktion Frau Wessel (Zentrum) und der Abg. Etzel {Bayernpartei), daß der Zusammenschluß vor allem deshalb erfolgt sei, weil man im Hinblick auf eine Neugliederung des Bundesgebiets den föderalistischen Charakter aktivieren müsse. Daß aus der neuen Fraktion eine neue Partei werden könnte, wurde von Frau Wessel nicht bestritten. Sie betonte, daß der erfolgte Zusammenschluß von dem neugegründeten Zentrum in Südbaden begrüßt worden sei. In welchem Maße die neue Föderalistische Union auf Verstärkung aus Südbaden hofft, zeigt die Tatsache, daß ein Gesetzentwurf der badischen CDU, der die Aufschie
bung der Schaffung eines Südweststaates zum Ziele hat, von der neuen Fraktion mitunterschrieben ist. Was den Gesetzentwurf selbst angeht, so ist nicht damit zu rechnen, daß er im Bundestag eine Mehrheit finden wird.
Ohne Länderausschuß?
hf. BONN. Der gesamtdeutsche und der außenpolitische Ausschuß des Bundesrats behandelten am Freitag den Gesetzentwurf einer gesamtdeutschen Wahlordnung. Wie unsere Bonner Redaktion erfährt, naben die Länder in ihren Forderungen auf Einschaltung eines Länderausschusses, der eine gesamtdeutsche Verfassung billigen sollte, nachgegeben. In Regierungskreisen wird die Ansicht vertreten, daß es nun möglich sei, im Bundestag eine Korrektur des Gesetzentwurfes mit dem Ziel durchzusetzen, daß die Wahlordnung von den Regierungs- und Oppositionsparteien gebilligt werden kann.
Kleine Weltdironik
Proteste des Schutzbundes für Staatsbürger- rechte. Tübingen. — Der Schutzbund für Staatsbürgerrechte Württemberg - Hohenzollern e. V. protestierte gegen die Wiedergabe eines Piesse- interviews zweier Vorstandsmitglieder in der kommunistischen Zeitung „Unser Tag“. Politische Erklärungen seien aus dem Gesprächszusatnmen- hang mit spürbarer Tendenz herausgerissen oder sogar objektiv unrichtig oder entstellt wiedergegeben worden, um den Eindruck zu erwecken, als würden sich der Schutzbund oder einzelne Mitglieder insgeheim für die politischen Ziele der KPD verwenden.
Panzerwagen für Grenzpolizei. Bonn. — Der Bundesgrenzschutz übernahm am Freitag 60 leichte amerikanische Panzerfahrzeuge, die den Einheiten entlang der sowjetischen Zonengrenze zu- ge'eilt werden. Der Gesamtpreis betrug eine viertel Million DM, was einem Zehntel des ursprünglichen Anschaffungswertes entspricht. Die Fahrzeuge sind mit leichten Maschinengewehren ausgestattet.
Zusammenkunft Adenauer — Schumacher. Bonn. — Nach einem Brief, den Bundeskanzler Adenauer am Donnerstag an die SPD gerichtet hatte und der am Freitagabend bean'wortet wurde, ist mit einer neuen Zusammenkunft zwischen Dr. Adenauer und Dr. Schumacher zu rechnen.
Sozialer Wohnungsbau. Bonn. — Für den sozialen Wohnungsbau 1952 hat das Bundeswiederaufbauministerium den Ländern 265 Millionen DM im Vorgriff auf die Haushaltssumme des Rechnungsjahres 1952/53 zur Verfügung gestellt. 50 Millionen davon sollen zur Finanzierung der Unterbringung der restlichen 100 000 Umsiedler des Bundesgebiets zur Verfügung gehalten werden. Von den verbleibenden 215 fallen auf Württemberg-Hohenzollern 4,45 Millionen DM.
SPD-PIakataklion. Bonn. — Die SPD hat am Freitag im gesamten Stadtgebiet von Bonn Plakate angeklebt, die auf gelbem Untergrund die Aufschrift „Abtreten. Herr Adenauer!“ tragen.
Übergabe an deutsche Behörden. Bonn. — Die von den alliierten Kriegsverbrechergerichten verurteilten Deutschen — etwa 1000 — werden, wie in alliierten Kreisen Bonns verlautet, wahrscheinlich nach Inkrafttreten des Generalvertrags den deutschen Behörden übergeben werden, sofern die Bundesregierung die Rechtmäßigkeit der Urteile anerkennt.
Stassen in Bonn. Bonn. — Harold E. Stassen, möglicher Präsidentschaftskandidat der Republikaner, Präsident der Universität von Pennsylvania, traf am Freitag zu einem Besuch in Bonn ein Eine Zusammenkunft mit deutschen Persönlichkeiten ist nicht vorgesehen.
Mieterbund protestiert gegen „Kleine Mietreform“. Köln. — Der deutsche Mieterbund protestierte am Donnerstag in einer scharfen Erklärung gegen die von der Bundesregierung verordnete „Kleine Mietreform“. Die Aufhebung des Kündigungsschutzes und der Fortfall der Preisvorschriften für Mietverhältnisse über Geschäftsräume hätten in der kurzen Zeit ihres Bestehens bereits in erheblichem Ausmaße zu Kündigungen und Mietsteigerungen geführt, wodurch weite Kreise des Handwerks, des Handels, des Gewerbes und der betroffenen freien Berufe stärkstens gefährdet würden.
Dänemark verlängert Militärdienstzeit. Kopenhagen. — Der dänische Reichstag ermächtigte die Regierung, die militärische Dienstzeit in Dänemark von 12 auf 18 Monate zu verlängern.
Der dichteste Nebel seit drei Jahren. London. — Seit Donnerstagabend lastet die dichteste Nebelbank der letzten drei Jahre über den britischen Inseln. Der Verkehr ist fast völlig zum Erliegen gekommen. London gleicht einer toten Stadt. Der Luftverkehr ist ganz eingestellt worden.
Churchill und Eden nach Paris. London. — Pre- mierminster Churchill und Außenminister Eden treffen heute in Paris ein, um Besprechungen mit Ministerpräsident Pleven und Außenminister Schuman sowie mit General Eisenhower zu führen. Eines der Hauptthemen der Beratungen wird voraussichtlich die Haltung Großbritanniens zum Schumanplan und zur Aufstellung einer europäischen Armee bleiben. Am Dienstagabend werden Churchill und Eden wieder nach London zurückkehren.
Erneute Taifungefahr. Manila. — Der schwere Taifun, der Anfang der Woche die zentralphillp- pinischen Inseln heimsuchte, und Insgesamt 644 Todesopfer gefordert hatte, nahm am Freitag nach einer Schleife auf offener See erneut Kurs auf die Insel. Sein Zentrum raste mit einer Stundengeschwindigkeit von 170 km auf die Inseln zu. Anfang der Woche wurde ein ganzes Dorf mit 300 Einwohnern von einer Flutwelle fortgespült.
Brandstifter festgestellt
Rein kriminell
TÜBINGEN. Die Kriminalpolizei bat nun- mehr den Barackenbrand in der Nacht vom 8, auf 9. Dezember, bei dem zwei Baracken ln der Gartenstraße in Tübingen, in denen di« Geschäftsräume des „Volksbunds für Friede und Freiheit“, das „Büro für Heimatdienst“, das Jugendsozial- und das Jugendaufbauwerk untergebracht waren, aufgeklärt. Der 23jäh- rige Gottfried L i p s i u s hat nach der Mitteilung des Landeskriminalpolizeiamtes ein umfassendes Geständnis abgelegt.
Er ist am Nachmittag des 8. Dezember in eine Baracke durch das Fenster eingestiegen, durchwühlte die Papiere und entwendete die Handkassen. Nachts gegen 2 Uhr stieg er erneut in die erste Baracke ein, legte dort an zwei Stellen Feuer, begab sich anschließend in die zweite Baracke, in die er gleichfalls durch ein Fenster einstieg. nahm auch dort die Handkasse an sich, legte erneut einen Brand und verließ den Tatort. Der Täter gab an, daß er die Handlungen mit niemand abgesprochen gehabt und auch nicht Im Auftrag oder im Interesse einer Gruppe gehandelt habe. Zur Erlassung des Haftbefehls wurde der Täter dem. Richter vorgeführt.
Nach Angaben des „Büros für Heimatdienst“ kam Lipsius als illegaler Grenzgänger aut Sachsen über das Flüchtlingslager Balingen in das Jugendwohnheim Tübingen. Dprt wurde er vor einiger Zeit wegen asozialem Verhalten ausgeschlossen.
Ha'acz wiederholt Geständnis
VERDEN. Der Sprengstoffattentäter Erich v, H a 1 a c z wiederholte am Donnerstag sein in Bremen abgelegtes Geständnis vor dem Ver- dener Untersuchungsrichter und erweiterte es zum Teil noch. Halacz wird voraussichtlich in das Gerichtsgefängnis Hannover gebracht und dort auf seinen Geisteszustand untersucht. Nach Angaben des Landesgerichts in Verden kann der Prozeß gegen ihn frühestens in der zweiten Januarhälfte beginnen.
Ohne Angabe von Gründen
Liquidierung von Privatbetrieben
BERLIN. Überraschend und ohne Angaben von Gründen kündigte die Generaldirektion der Sowjetzoneneisenbahnen ein mit der Bundesbahn geschlossenes Abkommen, wonach die Bundesbahn berechtigt ist, Eisenbahnwaggons durch die Sowjetzone zur Reparatur nach Westberlin zu fahren. Diese Reparaturen gaben bisher rund 1500 Westberliner Facharbeitern eine Arbeitsmöglichkeit.
1600 private Betriebe, die im Laufe der letzten zwei Jahre unter der Beschuldigung, Steuerhinterziehung begangen und illegale Geschäfte mit Westberlin getätigt zu haben, unter Treuhandschaft gestellt worden waren, stehen nach Angaben aus Kreisen des Ostmagistrats vor ihrer Auflösung oder Angliederung an andere volkseigene Betriebe.
Wegen der „teilweisen ungenügenden Erfüllung der Erfassungsnläne“ wies die Sowjetzonenregierung die Ministerpräsidenten der Länder an, „Minister, Hauntabteilungsleiter, Abteilungsleiter“ und so viele andere geeignete Mitarbeiter der Verwaltung wie möglich in den bei der Planerfüllung zurückgebliebenen Kreisen und Gemeinden zur „Unterstützung“ einzusetzen.
Verheirateter katholischer Geistlicher
MAINZ. Der Bischof von Mainz, Dr. Albert S t o h r, wird am 22. Dezember in der Seminarkirche in Mainz Rudolf Goethe zum Priester weihen. Goethe war früher evangelischer Geistlicher und ist mit seiner Frau vor einigen Jahren zur katholischen Kirche übergetreten. Mit der Weiheerlaubnis ist auch ein weiteres Zusammenleben gestattet. Papst Pius XII. hat sich auf Anregung deutscher Bischöfe zu dieser Regelung solcher Fälle entschlossen, sich aber die Entscheidung jedes einzelnen Falles persönlich Vorbehalten. Voraussetzung bleibt dabei, daß es sich um die Weiterführung einer bereits vor dem Übertritt bestehenden Ehe handelt.
MM* in New Orleans
ROMAN VON PETER HILTEN
13] Copyright 1931 by Wilhelm Goldman Verleg
Was tat dieser Italiener — allmächtiger Lord! Das war doch der mit der Drehorgel und dem Affen, sie blickte sich blitzschnell ■ um, hoffentlich hatte er äen Affen nicht mit Ins Zimmer genommen, das Zimmer mit den Treppichen, dem Spiegel und der schönen Matratze. was tat dieser gefährliche Italiener in ihrem Hause! Es war zunächst nicht die Zeit zu Mitgefühlsausbrüchen, die kamen immer noch früh genug, wenn die Miete bezahlt war. Sie hatte Pietro als den Italiener erkannt, der zuweilen im Hofe den Leierkasten drehte und den Affen „exersier “ ließ. War ihm etwa der Affe von der Orgel gefallen und das Business ruiniert?
Mrs. Grimswood stemmte ihre festen, fetten Arme in ihre breiten Hüften, well — und verlangte some money.
„Fünf Dollar pleace.“
Pietro bedeutete Mrs. Grimswood, er und das Mädchen würden partire.
„Partire, signora ..dabei machte Pietro mit beiden Händen gegen Mrs. Grimswood eine winkende Bewegung — gehen ... Mrs. Grimswood verstand falsch und meinte, der Italiener, dieser Monkeytamer und Hand- orgeldriller, wolle ihr bedeuten, sie möge gehen. Sie holte Luft und zog augenblicklich ein vielgeübtes lautes Register eines laut krei
schenden und gellenden Hinauswurfes auf. In ihrer Rede spielten die hohe Anständigkeit des Hauses und sein guter Ruf, die hervorragende Zahlungsfähigkeit aller ihrer Mieter, der feinsten Leute, der unverschämte Versuch, sie zu beschwindeln und Ihr Recht, jeden dreckigen Italiener hinauswerfen zu können, eine immer ln neuer Form wiederkehrende Rolle.
Ihr Gellen war den übrigen Mietern bei solchen Gelegenheiten bekannt. Es erregte keine Aufmerksamkeit mehr.
Pietro nahm eine in der Ecke stehende magere Reisetasche, die Donogas ganzen Besitz enthielt, faßte Donoga, die wie gelähmt auf der Matratze saß, ruhig bei der Hand und zog sie, die willig folgte, an der verblüfft einen Augenblick einhaltenden Mrs Grimswood vorbei hinaus. Sie schritten langsam die Treppe hinunter. Der Auszug aus dem Paradies hatte sich unter dem Schwert des Erzengels vollzogen.
Pietro hatte einen Plan.
Er würde Donoga zu Madame Grandjean bringen Nur für diesen Tag und die kommende Nacht. Und nur damit sie geschützt war. Madame Grandjean würde verstehen ...
Mrs. Grimswood war überzeugt, daß der Affe von der Orgel gefallen war.
*
Auf Pietros schüchternes Klopfen an der Türe von Madame Dollys Grandjeans Drei- Dollar-Etablissement, vor der er vor wenigen Tagen Schutz gefunden hatte, wurde in der Türe hinter einem Gitter ein Schieber geöffnet. In dem Ausschnitt erschien das Negergesicht einer übellaunigen, barschen Maramy, Mary Robinson aus Südkarolina, Hausbesorgerin von Madame Grandjean.
Mammy Mary blickte erstaunt von Pietro auf Donoga, die Pietro an der Hand hielt.
Sie verstand sofort, eine Neue! Es gab also some business. Es war zwar noch nachtschlafende Zelt, aber, Gott segne meine Augen, das Girl war hübsch, man konnte es wagen, Madame zu wecken.
Sie ließ das Paar eintreten und schwappte eine steile Treppe hinauf, offenbar zu Madame Grandjeans Gemächern. Man hörte sie eine Weile beharrlich an einer Türe anklopfen, eine Türe ging. Dann war es wieder still im Hause. Es war sehr still in diesem Hause.
Donoga sah die Wände und schlug die Augen nieder. Sie waren nach der Art der Postkartenserie des Kapitäns Dekker, jedoch ohne den Hintergrund römischer Kirchenarchitektur. bemalt.
Nach einer Weile kam Madame Grandjean mit einer weißen Nachthaube auf fetten schwarzen Haaren, mit etwas verquollenen Augen, aber durchaus eindruckerweckend und majestätisch die Treppe herunter. Sie erkannte Pietro auf den ersten Blick, sah Donoga und setzte sofort ihr breites Babylächeln auf. Sie erblickte in Pietros Besuch mit Begleitung eine Erkenntlichkeitsgeste, die dem Italiener alle Ehre machte, mon Dieu, mein Gott, die Damen wechselten oft, und es fehlte an geeignetem Nachwuchs.
Sie lud Pietro und Donoga ein, in einen Raum zu treten, der schal nach kaltem Rauch und überständigem Bier roch (die Flasche zu einem Dollar — man war bei Madame Grandjean in einem anständigen Etablissement, bei „Chez Lucie“ kostete die Flasche 1 Dollar 25, außerdem herrschte Trinkzwang). Es war noch dunkel im Raum, und als Mammy Mary die
Vorhänge hochzog, enthüllte sich der Raum in türkischer Plüschtracht mit einem großen runden Polstersofa in der Mitte.
Madame ließ für Pietro sogleich eine Flasche Bier kommen und war nun zu Geschäften bereit. Sie hatte vor mehreren Jahren in Marseille im Viertel des „Vieux Port“, Rue de la Republique, an der Ecke der berüchtigten „Hutstraße“ ein Geschäft betrieben, das besonders von italienischen Kunden geschätzt wurde, sie war also des Italienischen soweit mächtig, um Pietros Gegenvorschläge hören.
Am Ende von Pietros Ausführungen war in Madame Grandjeans Herz die Wärme mütterlichen Mitleidens erwacht. Dieses schmale, verängstigte junge Mädchen, dem man Tränen und Gebrochenheit ansah, ließ zwar erfahrungsgemäß erwarten, daß es nach einigen Tagen der Erholung durchaus ein brauchbares Mitglied des Hauses werden könnte, doch Madame Grandiean war durch Donogas Schönheit das erste Mal in ihrem Leben gerührt. Sie maß Donoga mit Blicken, ln denen Geschäft, Rechnung und Matronenhaftigkeit miteinander zu ringen schienen, und entschloß sich. Donoga Unterkunft und Verpflegung zu gewähren. Sie würde als Reklameschönheit das Haus Grandjean bereichern und Kunden von „Che* Lucie“ weglocken.
„Papiere?“
Die Frage nach Papieren! Ohne Papiere ist ein Mensch namenlos, und selbst ein Priester müßte sich hüten, ihn als Toten, als ein von Gott und durch Gottes Willen in die Welt gesetztes Geschöpf der Allmacht anzuerkennen.
(Fortsetzung folgt)
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