NUMMER 186
M11 X \V OCH, 28. X O V E M B E R 1951
Sieben Übernationale Ministerien
Ein französischer Vorschlag / Die große politische Debatte im Europarat
STRASSBURG. Frankreich wird der Beratenden Versammlung des Europarates in Straßburg die Errichtung von sieben übernationalen europäischen Ministerien als ersten Schritt zur Schaffung einer europäischen Regierung vorschlagen, verlautete gestern aus Kreisen der französischen Europarats-Delega tion. Der Vorschlag bestimmt, daß diese Ministerien nicht ihren nationalen Parlamenten, sondern einem europäischen Parlament in der Gestalt der Beratenden Versammlung des Europarates verantwortlich sein sollen.
Jeder Minister soll für ein vereintes europäisches Ressort, wie z. B. den Schumanplan, die Europa-Union, eine Landwirtschafts- und Transport-Union oder eine Eisenbahn- und Post-Union verantwortlich sein. Ein Minister dürfte für die europäische Verteidigung und einer für eine gemeinsame europäische Außenpolitik ernannt werden.
Nach dem französischen Plan soll es jedem Land freigestellt werden, für welches Ressort es die Autorität eines europäischen Ministers anerkennen will. Danach wäre es möglich, daß ein europäischer Staat z. B. die Autorität des Ministers für Verteidigung und dessen für Landwirtschaft anerkennt, sich jedoch nicht
4,5 Millionen Deutsche vermißt
Darunter 3 Millionen Zivilisten
BONN. Nach den Ermittlungen des Suchdienstes des Deutschen Roten Kreuzes werden seit dem Krieg über 3 Millionen deutsche Zivilpersonen vermißt. Die Gesamtzahl der vermißten Deutschen beläuft sich auf 4,5 Millionen, von denen 1 480 000 Soldaten waren. Unter den vermißten Zivilisten befinden sich 1,5 Millionen Volksdeutsche; der Rest, rund 1,6 Millionen, sind Reichsdeutsche. Bisher sind von diesen vermißten Zivilpersonen nur 35 000 zurüdegekehrt.
In mühsamer Arbeit konnte das DRK feststellen, daß der größte Teil der verschleppten Deutschen mit der Eisenbahn deportiert und hauptsächlich in den Ural, die Ukraine und in das Gebiet um Moskau transportiert wurde.
„Betriebsrätegeseß bleibt“
Eine Zusicherung an Freiburg
STUTTGART. Der Landesbezirk Württemberg-Baden des Deutschen Gewerkschaftsbundes wandte sich gegen eine Erklärung der Arbeitsgemeinschaft der Badener, in der die Vermutung ausgesprochen wird, daß die „jetzt noch auf Südbaden beschränkte vorbildliche Gesetzgebung über das Mitbestimmungsrecht“ im Falle der Bildung des Südweststaates hinfällig werde. Der DGB wolle sich dafür ein- setzen, daß im Südweststaat in den einzelnen Landesbezirken die bisher gültige Regelung des Mitbestimmungsrechts — in Südbaden also das badische Betriebsrätegesetz und das Fachkommissionsgesetz — bestehen bleibe, bis eine bundeseinheitliche Regelung getroffen sei.
SRP-Pressekonlerenz
Remer hat seine Strafe angetreten
HANNOVER. Der ehemalige Generalmajor Otto Remer Vorstandsmitglied der SRP, versuchte gestern vor seinem für den Nachmittag fälligen Strafantritt noch eine Pressekonferenz abzuhalten, die jedoch nach zehn Minuten auf Veranlassung des niedersächsischen Innenministeriums abgebrochen werden mußte. Die Pressekonferenz fand im Hause des niedersächsischen Landtagsabgeordneten und geschäftsführenden Fraktionsvorsitzenden der SRP, Graf Wolf Westarp, in Hannover, statt. Remer hatte zu Beginn der Konferenz erklärt, er frage sich, ob Kritik an der derzeitigen Politik und persönliche Beleidigung nicht zweierlei seien. Die Gefängnisstrafe erhielt Remer wegen Beleidigung der Bundesregierung.
verpflichtet, die Minister für den Schumanplan und andere Ressorts zu unterstützen.
Die deutschen Abgeordneten der Koalitionsparteien erklärten bereits, daß sie dem Plan aufgeschlossen gegenüberstünden. Auch die Mehrzahl der italienischen Abgeordneten soll sich für ihn ausgesprochen haben. Die Haltung Großbritanniens ist noch unklar. Es besteht jedoch nicht viel Hoffnung auf eine positive englische Einstellung.
Die große politische Debatte der Beratenden Versammlung über die Zukunft Europas wurde gestern mit einem Vorschlag für die Schaffung eines ständigen inter-europäischen
Ministerkollegiums eröffnet, das die Außenpolitik der europäischen Staaten zu einer gemeinsamen europäischen Außenpolitik koordinieren soll. Der Vorschlag wurde der Versammlung in einem Bericht des Ausschusses für allgemeine Fragen unterbreitet, der von dem belgischen Sozialisten Paul S t r u y e vorgetragen wurde. Aufgabe dieses Kollegiums solle es sein, in enger Zusammenarbeit mit dem britischen Commonwealth eine gemeinsame europäische Außenpolitik, besonders gegenüber den Vereinigten Staaten, festzulegen.
Die zweite Sitzung der Beratenden Versammlung in diesem Jahre wurde am Montagnachmittag unter Teilnahme von 125 Abgeordneten aus 15 Ländern eröffnet. Der Versammlung gehört auch eine 85köpfige Delegation des Bundestages an.
60. Geburtstag
Arbeitsminister Eugen Wirsching
TÜBINGEN. Der Arbeitsminister von Würt- temberg-Hohenzollem, Eugen Wirsching, feiert morgen seinen 60. Geburtstag.
1945 aus russischer Krieggefangenschaft entlassen, schaltete er sich sofort mit der Organisation des Reutlinger Hilfswerkes in die Aufbauarbeit ein, übernahm anschließend das Flüchtlingskommissariat, wurde als Vorsitzender der Ortsgruppe Reutlingen der CDU in den Gemeinderat, in die Kreisversammlung, die Baratende Landesversammlung und zuletzt in den Landtag gewählt. Bei der Regierungsbildung im Juli 1947 erfolgte seine Ernennung zum Arbeitsminister. Außerdem ist der Arbeitsminister seit Jahrzehnten als Kir- chengemeinderat und Mitglied des Evangelischen Landeskirchentages tätig.
Nadikriegssdm'den-Konferenz
USA-Hilfe: 3,8 Milliarden Dollar
LONDON. Über die Londoner Vorbesprechungen zur zweiten „Schulden-Konferenz“, die im Januar sich vor allem mit den deutschen Nachkriegsschulden befassen wird, wurde am Montagabend in Paris und London ein gemeinsames Kommunique veröffentlicht, aus dem hervorgeht, daß die amerikanischbritisch-französische Dreimächte-Kommission und Vertreter der Bundesregierung um allgemeine Richtlinien bemüht sind, nach denen die Abdeckung der Schulden erfolgen soll, die durch die Deutschland von den drei Westmächten nach dem Kriege gewährte wirtschaftliche Hilfe entstanden sind. Den größten Posten stellen dabei die Gelder aus dem Marshall- Plan dar. Von den Westmächten wird für diese Forderungen Vorrang vor den Vorkriegsschulden beansprucht, über die bereits auf der ersten Schuldenkonferenz im Sommer verhandelt wurde. Auf der abschließenden Konferenz im nächsten Jahr sollen beide Schuldengruppen in einen Rückzahlungsplan eingearbeitet werden. An dieser Regelung sind nicht- weniger als 60 Staaten interessiert.
Die USA beziffern ihre Wirtschaftshilfe in den Nachkriegsjahren auf 3,2 Milliarden Dollar, doch ist noch nicht klar, wie weit die Gelder aus dem Marshall-Plan wirkliche Schulden darstellen, da sie zumindest teilweise als Zuwendungen angesehen werden, die nicht zurückzuzahlen sind. Die Bundesregierung hat diese Forderungen grundsätzlich anerkannt, ohne damit die Entscheidung über die Frage, was Anleihen und was Zuwendungen sind, vorwegzunehmen.
Deutsche und alliierte Sachverständige bemühen sich seit sechs Monaten, die Höhe der öffentlichen und privaten Schulden der Bundesrepublik, die deutsche Zahlungsfähigkeit und die Möglichkeit der Transferierung festzustellen.
Verfassun^sklage beschleunigt
Kommunisten halten Verbot für unmöglich hf. BONN. Nachdem die Klage der Bundesregierung gegen SRP und KPD wegen Verfassungswidrigkeit beider Parteien dem Verfassungsgericht zugestellt wurde, ernannte die Bundesregierung den Staatssekretär im Innenministerium, Ritter v. Lex, zu ihrem Prozeßvertreter. Zur Frage des Verbots der KPD haben am Montag die Abg. Renner und Reimann auf einer Pressekonferenz Stellung genommen. Beide betonten, daß sie es für unmöglich hielten, daß der Verfassungsgerichtshof der Klage der Bundesregierung auf Verbot der KPD stattgeben würde. Die KPD werde sich mit allen legalen Mitteln für die Abweisung der Klage einsetzen.
Notgemeinschaft zur Rettung des Friedens. Bonn. — „Wir werden die Abgeordneten def Bundestages zwingen, auf die Stimme des Volkes Rücksicht zu nehmen“, erklärte Frau Helene Wessel (Zentrum) am Montag zur Gründung der „Notgemeinschaft zur Rettung des Friedens in Europa". Die „Notgemeinschaft“ wurde von Frau Wessel, Dr. Heinemann und Conteradmiral a, D. Ludwig Stummel als „Signal“ gegen eine Wiederbewaffnung ins Leben gerufen.
Weder Schuman- noch Pleven-Plan?
Keine Mehrheiten in der Nationalversammlung
PARIS. Am Montagabend wurden im französischen Parlament erhebliche Zweifel geäußert, ob es der Regierung Pleven gelingen werde, den Schumanplan durchzubringen. Die für diese Woche anberaumte große außenpolitische Debatte wird wahrscheinlich erst in der kommenden Woche stattfinden. Zu den Kommunisten, die die Montanunion grundsätzlich ablehnen, werden sich voraussichtlich noch die Gaullisten, etwa 20 Bauemparteiler, ein Dutzend rechtsstehende unabhängige Republikaner und etwa 20 Radikalsozialisten gesellen, insgesamt also etwa 218 Abgeordnete (die absolute Mehrheit beträgt 314). Unbestimmt ist noch die Haltung der Sozialisten, die den Schumanplan im Prinzip bejahen.
Kleine Weltchronik
Politischer Nachwuchs für die CDU. Tübingen. — Der Landesvorstand der CDU Württem- berg-Hohenzollems erörterte am Montag in Bebenhausen das Ergebnis der Kommunalwahlen sowie Maßnahmen zur Vorbereitung der Volksabstimmung und der Wahlen zur Verfassunggebenden Landesversammlung. Bundestagsabgeordneter Kurt Kiesinger nahm zur Aktivierung der Parteiarbeit Stellung. Er schlug die Schaffung von Ausbildungszentren vor, in denen der politische Nachwuchs der CDU herangebildet wird.
ÖTV fordert zehnprozentige Lohnerhöhung. Stuttgart. — Die Gewerkschaft öffentliche Dienste, Transport und Verkehr“, fordert, wie ihr Vorsitzender Adolf Kummernuß mitteilte, eine zehnprozentige Lohn- und Gehaltserhöhung im gesamten öffentlichen Dienst. Die Gewerkschaft hat bereits die Tarife zum Jahresende gekündigt.
Verbot von SRP-Versammlungen. Freiburg. — Das badische Innenministerium hat die Landratsämter und Polizeidirektionen angewiesen, etwaige Versammlungen der SRP mit Remer oder anderen Rednern dieser Partei, gegebenenfalls unter Anwendung persönlichen Zwanges, zu verbieten bzw. aufzulösen. Die SRP wollte in Bühl und Rastatt Versammlungen abhalten.
Drei Loardes-Pilgerzfige. Köln. — Drei deutsche Lourdes-Pilgerzüge werden auch im kommenden Jahre nach Lourdes fahren, gab der Vorsitzende des deutschen Lourdes-Vereins, Weihbischof Wilhelm Cleven, auf einer Generalversammlung des Vereins in Köln bekannt. Der erste Zug soll zu Christi ^Himmelfahrt gehen.
Schulze wird freigelassen. Bonn. — Der in der vergangenen Woche verhaftete Bonner Journalist Dr. Alfred Schulze soll heute freigelassen werden, nachdem die Bundespressekonferenz und der Parlamentarische Pressedienst der SPD je zur Hälfte 5000 DM Kaution zur Verfügung gestellt haben.
Nichtansteckende Tuberkulose überwiegt. Bonn. — Nach den letzten Feststellungen des Statistischen Bundesamts sind im Bundesgebiet und in Westberlin 495 064 aktive Tuberkuloseerkrankungen zu verzeichnen. Als ansteckend werden 141066 Fälle angegeben. Rund 421 000 Erkrankungen entfallen auf Tuberkulose der Atmungs-, rund 74 000 auf andere Organe.
Exekutivausschuß des IBFG. Brüssel. — Die
Das wichtigste Ergebnis des am Sonntag in Nancy zu Ende gegangenen Parteikongresses der Gaullistischen Sammlungsbewegung (RPF) dürfte die Erklärung gegen die Europaarmee sein, da nunmehr in der jetzigen Nationalversammlung keine Mehrheit für den Plevenplan möglich sein wird, wenn neben den Kommunisten (101) und Sozialisten (106) auch noch die RPF mit 122 Abgeordneten dagegen stimmt, de Gaulle erklärte, die Bildung einer Europaarmee würde das legale Ende der französischen Souveränität bedeuten und bei der deutschen Dynamik zur Folge haben, daß die Europaarmee für die Wiederherstellung einer deutschen Militärmacht nutzbar gemacht würde.
Haltung des „Internationalen Bundes freier Gewerkschaften“ zum Problem des erwachenden Nationalismus in kolonialen Gebieten und zur Nordatlantikorganisation ist das Hauptthema der Tagung des Exekutivausschusses des IBFG, die am Montag in Brüssel begann.
Araber wollen Bündnis mit USA. Paris. — Ägypten und die anderen Araberstaaten bieten den USA ein Bündnis zu allen Bedingungen an, erklärte der Generalsekretär der Arabischen Liga, Azzam Pascha, in Paris. Sie würden sogar den USA Militärstützpunkte auf ihrem Gebiet zur Verfügung stellen, „wenn die USA dem britischen und französischen Imperialismus ein Ende setzen“.
Unterhaus billigt japanischen Friedensvertrag, London. — Das britische Unterhaus billigte am Montagabend die Ratiflzierungsvorlage zum japanischen Friedensvertrag in zweiter Lesung mit 382:33 Stimmen. Die überwiegende Mehrheit der Labourfraktion schloß sich den Konservativen in der Abstimmung an. Die Regierung gab bekannt, daß sie den Friedensvertrag demnächst ratifiziere« wolle.
Proteste gegen Schacht. Tel Aviv — Im israelischen Parlament wurde der Regierung die Frage gestellt, warum der frühere deutsche Reichsbankpräsident Dr. Hjalmar Schacht bei seiner Zwischenlandung auf dem israelischen Flugplatz Lydda nicht als Kriegsverbrecher verhaftet worden sei. In Israel ist ein Gesetz in Kraft, demzufolge die Landesgerichte zur Aburteilung von Verbrechen zuständig sind, die gegen das Judentum außerhalb Israels begangen wurden. Schacht befand sich auf dem Rückflug von Indonesien nach Hamburg.
Reinigung in der Tschechei. Prag. — Der bisherige Generalsekretär der Kommunistischen Partei der CSR, Rudolf Slansky, ist seiner sämtlichen Posten enthoben und wegen angeblicher Spionage verhaftet worden, meldete der Prager Rundfunk gestern.
Internationale Auswandererkonferenz. Brüssel. — Ein amerikanischer Plan zur Bildung einer neuen internationalen Auswandererorganisation, der die Auswanderung der überschüssigen Bevölkerung aus den übervölkerten westeuropäischen Ländern fördern soll, wurde der Internationalen Auswanderungskonferenz, die zurzeit in Brüssel tagt, vorgelegt. Der Plan ist auf eine Jährliche Auswanderung von etwa 115 000 Personen abgestellt und soll fünf Jahre lang laufen.
in New Orleans
ROMAN VON PETER HILTEN
3] Copyright 1951 by Wilhelm Goldman Verlag
Der Archivar rannte mit dem Brief durch die Gänge zwischen den Aktenregalen und wollte den alten Akt „Espiritu Santo“ suchen. 1900 — 1899 — 98... ein Schwindel erfaßte ihn. er brach zusammen. Nach einer Stunde — das Archiv sollte für den Tag geschlossen werden — wurde er von einem Berufsgenossen gefunden. Er war schon tot und hielt den Brief des Pete Bell in der kalten Hand.
Das war das letzte Opfer der Schiffskatastrophe, die sich zwischen dem 1. und 3 August 1896 auf 35*31’ nördlicher Breite und 40*7’ westlicher Länge zugetragen hatte.
Das niederländische Seeamt versuchte nachzuholen, was nachzuholen war.
Wer war Pete Bell? Was wußte er?
Es wurde nach New Orleans gefunkt. Der niederländische Konsul wurde angewiesen, Bell aufzusuchen. Der Konsul suchte nach Bell. Er fand unschwer seine Spur. Bell war der Besitzer von „Roxys Mexico Bar“. Ihrer Niederländischen Majestät Konsul fuhr nach dem Hospital. Der Chefarzt erklärte dem hohen Beamten, daß Pete Bell vor vier Tagen das Zeitliche gesegnet habe.
„Er war ein merkwürdiger Mann“, erklärte der Chefarzt, „er hat sein ganzes Vermögen, über eine halbe Million Dollar, einem Kapitän Jan ten Brink oder dessen Nachfolgern vermacht.“
Das Leben Pete Beils konnte Stüde für Stück, Jahr für Jahr rekonstruiert werden. Man fand in seinem Nachlaß alte abgegriffene Notizbücher, angefangene Briefe und sogar den Versuch eines Tagebuches. Er war Jung
geselle geblieben. Er hatte nie die Hilfe einer Frauenhand beansprucht. Erst im Hospital, als sich Schwestern seiner annahmen, lernte er Frauenhände kennen. Er nannte seine Krankenschwester Donoga.
„Das war eine Marotte von ihm“, erklärte der Chefarzt.
Nun setzten neue Nachforschungen nach dem Schicksal der beiden Segler ein. Die Seeversicherungsgesellschaften, deren Personal in 40 Jahren längst gewechselt hatte, wurden von Berichterstattern bestürmt, ob die „Espiritu Santo“ und die „Dei Gracias“ versichert gewesen seien, wer die Prämien empfangen habe...
Es wurde geantwortet, daß die Schiffe nicht versichert gewesen seien. Es sei auch kein Claim von Verschiffern eingereicht worden. Im übrigen, so wurde erklärt, hätten die Gesellschaften damals nicht gern kleine Segler versichert Nicht etwa wegen mangelnder Sicherheit, nein, aber die Jahre um 1896 seien doch die Höhe des Baumwollebooms gewesen. In Klondyke habe man Gold gefunden, auch in Kalifornien, im Todestal, der Rummel mit öl sei schon losgegangen. Die Besatzungen der Segler hätten sich meist aus Abenteurern aller Farben und Sprachen zusammengesetzt. Die übrigens, die drüben in Amerika abgemustert hätten, seien nicht auf kleinen Seglern zurückgekommen. Sofern sie überhaupt zurückgekommen seien, dann Luxuskabine. Die andern, das sei dann der Ausschuß der neuen Welt geworden. Nein, man habe diese Segler nicht versichert,
Nun, nach nahezu einem Menschenalter, lüftet sich das Geheimnis über einem der größten Dramen, vielleicht dem größten Drama des Atlantik. Eine Reihe von kleinen Ereignissen zum Teil von beispielloser Tiefe, Leidenschaft und Hemmungslosigkeit hatte sich zu einem Geschehen verdichtet, dessen Ablauf immer wieder erschüttert. Es könnte der Sorache fast an Kraft fehlen, es zu schildern. Die Charakterbilder der beiden Kapitäne und
des Mädchens zwischen ihnen ließen genaue Schlüsse zu.
Die Tat selbst hatte auf ihrem Höhepunkte keine Zeugen.
Die rasende Fahrt der „Dei Gracias“ hinter der „Espiritu Santo“ ist eine leidenschaftliche Fahrt der Rache eines wilden Haufens betrunkener Rohlinge. Die Fahrt war ein Rainen hinter einer Frau her. Die Flagge des Verfolgers ist nur eine Vision: die Vision einer nackten Frau auf einem Ölbild in einer Hafenbar von New Orleans. Aber sie peitschte eine Handvoll Desperados über den Atlantik.
Und der Preis?
Kein Preis. Sie gingen alle unter.
*
Pietro ‘de Bellami war um die Mitte der achtziger Jahre des vorigen Jahrhunderts mit sieben Worten Englisch, einem Affen und einer Drehorgel auf einem kleinen, halbverrotteten italienischen Segler von Sizilien, seiner Geburtsheimat, nach New Orleans gekommen.
Es gab damals in New Orleans Leute, die noch nie einen Affen gesehen hatten, und die mexikanischen Hafenarbeiter, von denen die heiße Stadt am Mississippi wimmelte, hatten noch nicht einmal von einem solchen Tier etwas gehört.
Um Pietro sammelte sich, kaum daß er irgendwo erschien und seine verschnupfte Orgel mit „Santa Lucia“ oder „Bella Napoli“, ... plihuppnatt, fft, ... drehte — es schien, daß dem Musikinstrument das subtropische Klima des Mississippideltas nicht gut bekam — alsbald eine gaffende Menschenmenge, und der Affe in der schlechtsitzenden Uniform eines rothosigen französischen Soldaten mit Käppi und Säbel begann mit ungewöhnlichem Eifer und Erfolg Cents und Nickel zu sammeln.
Eines Tages schrie eine fette Mexikanerin auf.
Der Affe, heulte die Senora, habe sie am Bein gepackt, der Affe sei ein verzauberter
Mann-Teufel, Madre mia! Un Dlabolol Ihr* Stimme gellte.
Im Augenblick jagten sich die kleinen Geschehnisse und machten im Laufe von zwei> drei Minuten aus dem kleinen Vorfall ein Drama. Ein Mexikaner, ein Dingo von einem Mestizen mit vom vielen Pulquesaufen verquollenen Augen, kickte mit dem Fuß nach dem Affen. Der Affe schrie auf und fuhr eine Telegraphenstange hoch, wo er sogleich von einem Dutzend wütend helfender Hunde, di* sich bisher in achtungsvoller Entfernung von dem merkwürdigen Uniformträger gehalten hatten, belagert wurde. Pietro griff die Hunde an. Er warf mit Steinen und traf einen, daß 'er aufjaulte. Daraufhin stellte ein Mexikaner Pietro ein Bein. Pietro fiel und kam mit einem zweischneidigen Stiletto in der Faust wieder auf die Beine. Drei Mexikaner wollten Pietro von dem Beinsteller abdrängen und mußten sich vor dem Stiletto selbst in Sicherheit bringen. Einer von Ihnen hatte bei dem Handgemenge einen Stich in die Hand bekommen. Er schrie und spritzte, mit dem verletzten Glied in der Luft fuchtelnd, Blut. Pietro sah sofort, daß er die nun folgende erste Sekunde des Schreckens, während der sich das Interesse dem kreischenden Mexikaner zuwandte, zur Flucht benützen mußte. Er pf’® seinem Affen, nahm ihn unter den Arm, ließ seine Orgel, die gerade auf „Bella Napoli gestellt war, im Stich und flüchtete.
Die Menge zögerte einen Augenblick. Sm sah Blut, hörte Blut, roch Blut und witterte noch mehr. Sie formte sich im Augenblick zu einer einmütigen Masse, die dem kleinen Sizilianer mit dem blutige« Messer und dem Affen vor der Brust, die ganze Straßenbreite einnehmend, nachstürmte.
Pietro suchte in einer Nebenstraße unter einer einladenden tiefen Haustüre Schutz. # ließ den Affen nieder, wickelte sich blitzschn e11 seine rote Flanellbinde um den linken Arm und hielt den Dolch in Erwartung eines Angriffs zur Abwehr bereit. (Forts, folgt)