KUMMER 182
MITTWOCH, 21. NOVEMBER 1951
56 Prozent Parteilose gewähät
Auch Kreistagswahlen in Südwürttemberg im Zeichen der freien Listen
TÜBINGEN. Das Innenministerium von Wiirttemberg-Hohenzollern gab am Dienstag- nachmittag das vorläufige Gesamtergebnis der Kreistagswahlen in Südwürttemberg bekannt. In 935 Gemeinden des Landes wurden 496 Kreistagsmitglieder für 17 Kreistage gewählt. Von den 759 904 Wahlberechtigten (1948: 690 930) sind 506 583 (509 901) Stimmzettel abgegeben worden, von denen 488 739 (483 256) gültig waren. Danach ergibt sich eine Wahlbeteiligung von 66,66 Prozent (73,8 Prozent), die etwas unter derjenigen der Gemeinderatswahl mit 67 Prozent liegt.
Auf die Parteien und freien Listen entfallen die gültigen Stimmzettel und Sitze in den Kreistagen wie folgt (in Klammer wiederum die Vergleichszahlen von 1948): CDU 117 232 Stimmzettel = 24,38 Prozent, 139 Sitze (198 297 = 41 Prozent, 215 Sitze); S P D 58 430 = 12,15 Prozent, 50 Sitze (73 425 = 15,2 Prozent, 56 Sitze); FDP 27 300 = 5,68 Prozent, 28 Sitze (41713 = 8,6 Prozent, 37 Sitze); KPD 10 706 = 2,23 Prozent, 1 Sitz (19 234 = 4,0 Prozent, 8 Sitze); Freie Listen und Listenlose 267 071 *= 55,56 Prozent, 278 Sitze (150 587 = 31,2 Prozent, 148 Sitze). Damit beträgt der Anteil der Parteilosen Kreistagsmitglieder 278 "* 56,05 Prozent.
In den einzelnen Kreisen verteilen sich die Sitze auf die vier Parteien sowie auf die freien Listen und auf listenlose Kandidaten (Mehrheitswahl) wie folgt (von der Aufzählung der Stimmzettel, die auf die einzelnen Parteien fallen, sehen wir ab, da die Anzahl der Sitze nicht nach den Stimmzetteln, sondern nach den Gesamtstimmen, die für die einzelnen Wählergruppen abgegeben worden sind, berechnet werden):
Balingen: CDU 0 (1948: 14); SPD 6 (7); FDP 4 (5); KPD 0 (1); Freie Listen 22 (1).
Biber ach: CDU 19 (20); SPD 0 (0); FDP 1 (2); KPD 0 (0); Freie Listen 12 (10).
Calw : CDU 0 (2), SPD 2 (3); FDP 0 (0); KPD 0 (0); Freie Listen und Listenlose 34 (29).
Ehingen: CDU 1 (2); SPD 0 (0); FDP 0 (0); PKD 0 (0); Freie Listen und Listenlose 21 (20).
Freudenstadt: CDU 1 (3); SPD 1 (2); FDP 3 (5); KPD 0 (0); Freie Listen 21 (14).
Hechingen: CDU 12 (16); SPD 0 (1); FDP 0 (2); KPD 0 (0); Freie Listen 12 (3).
Horb: CDU 4 (13); SPD 1 (1); FDP 0 (4); KPD 0 (0); Freie Listen und Listenlose 17 (4).
Münsingen: CDU 0 (0); SPD 0 (0); FDP 0 (0); KPD 0 (0); Freie Listen und Listenlose 22 ( 22 ).
Ravensburg: CDU 9 (23); SPD 4 (2); FDP 4 (2); KPD 0 (0); Freie Listen 17 (5).
Reutlingen: CDU 6 (9); SPD 10 (14); FDP 3 (3); KPD 0 (3); Freie Listen 21 (7).
Rottweil: CDU 19 (17); SPD 8 (8); FDP 5
(4) ; KPD 0 (1); Freie Listen 4 (4).
Saulgau: CDU 14 (16); SPD 0 (0); FDP 0
(1); KPD 0 (0); Freie Listen und Listenlose 14 (9).
Sigmaringen: CDU 17 (19); SPD 1 (2); FDP 0 (0); KPD 0 (0); Freie Listen 6 (1).
Tettnang: CDU 12 (17); SPD 3 (4); FDP 0 (0); KPD 0 (0); Freie Listen und Listenlose 11 (3).
Tübingen: CDU 10 (10); SPD 5 (3); FDP 5
(5) ; KPD 1 (3); Freie Listen 15 (11).
Tuttlingen: CDU 10 (15); SPD 7 (7); FDP
3 (4); KPD 0 (0); Freie Listen und Listenlose 8 ( 0 )*
Wangen: CDU 5 (19); SPD 2 (2); FDP 0 (0); KPD 0 (0); Freie Listen und Listenlose 21 (5).
In einem Kommentar der CDU von Würt- temberg-Hohenzollern zu den Kommunalwahlen wird darauf hingewiesen, daß es sich hier
Konferenz über Auswanderung
Von unserer Bonner Redaktion hf. BONN. In Brüssel beginnt am 26. November eine internationale Konferenz, die sich mit Auswanderungsfragen befaßt und auf der neben der Bundesrepublik die an der Auswanderung interessierten Länder Italien, Österreich, Griechenland, Holland und als Einwanderungsländer Australien, Kanada, Argentinien, Brasilien, Chile und Venezuela vertreten sind. Es soll ein ständiges Auswanderungsbüro geschaffen werden, dem ein Fonds von 34 Millionen Dollar zur Verfügung stehen wird.
nicht um „politische“ Willensäußerungen handelt, sondern die persönliche Popularität der einzelnen Kandidaten entscheidet. Die CDU habe sich daher bei den Wahlvorbereitungen bewußt an diese Besonderheiten angepaßt, um das Gemeindeleben nicht mit politischen Auseinandersetzungen zu belasten. All dies berücksichtigt, bewiesen die Kommunalwahlen, besonders im Vergleich zu gewissen Wahlergebnissen in Norddeutschland, die Stabilität der CDU in Württemberg.
*
hb. Betrachten wir die Verteilung der Stimmzettel und Sitze auf die einzelnen Wählergruppen, so fällt zunächst — genau wie bei den Gemeinderatswahlen — die erhebliche Verschiebung zugunsten der freien Listen und der Listenlosen auf. Während 1948 die freien Listen im Lande 148 von 464 Kreistagsmitglieder (= 31,8 Prozent) stellten, entfallen diesmal von 496 gewählten Kreistagsmitgliedern
278 auf die freien Listen und auf die Listenlosen. Das sind 56,05 Prozent. Diese Verschiebung in Bausch und Bogen als Niederlage der Parteien zu interpretieren, würde dem Charakter der Kreistagswahlen nicht entsprechen. Genau wie bei den Gemeinderatswahlen ist auch beim Kreistag die „Parteiliste 1 von sekundärer Bedeutung. Ob eine Straße neu geteert werden, oder wer das Kreiskrankenhaus verwalten soll, das sind Entscheidungen, die eine Parteilinie nicht berühren. Die Wahl von nichtparteigebundenen Kandidaten für den Kreistag bedeutet nichts anderes als eine fortgeführte alte schwäbische Tradition. Bemerkenswert ist übrigens, daß der Kreis Rottweil als einziger die Verschiebung zu den freien Listen nicht verzeichnet. Die CDU kann hier sogar gegenüber 1948 zwei gewonnene Sitze verbuchen. Erstmals nach dem Kriege wurden auch listenlose Kandidaten in die Kreistage gewählt. Hier entschied also ausschließlich das Mehrheitsprinzip. Auf diese Weise kamen vor allen Dingen auf dem Lande, auf dem die Parteien vielfach ganz auf die Aufstellung von eigenen Listen verzichtet hatten, insgesamt 77 Kandidaten in die Kreisvertretung.
Neues Manöver Nordkoreas
Gegenbeschuldigungen
TOKIO. Nordkorea hat dem Sicherheitsrat und der UN-Vollversammlung einen eigenen Vierpunktevorschlag zur Beendigung des koreanischen Krieges zugehen lassen, der sich sowohl von dem durch den sowjetischen Außenminister Wyschinski vorgebrachten sowjetischen Friedensplan, als auch von dem Programm, das die alliierten Unterhändler in Pan Mun Jon unterbreiteten, unterscheidet. Gefordert wird die Einstellung aller Feindseligkeiten als erster Schritt zur Beilegung des Konfliktes, Annahme der „gerechten und vernünftigen“ Vorschläge der Nordkoreaner I
und chinesischen Kommunisten die Streit- j
kräfte auf beiden Seiten zwei Kilometer von der front abzuziehen, Abzug aller ausländischen Truppen aus Korea und strenge Bestra- fung der Verantwortlichen für die Grausamkeiten, die an friedliebenden Koreanern begangen wurden. Die alliierten Berichte über Gefangenenmorde wurden als „falsch und unbegründet“ zurückgewiesen. Sie dienten nur der „Verschleierung der unmenschlichen Handlungen der UN-Streitkräfte in Korea“.
General R i d g w a y erklärte hierzu, die Einstellung der Kampfhandlungen könne nur durch einen von beiden Seiten anerkannten Waffenstillstand folgen. Es liege beträchtliches Beweismaterial vor, um die Annahme zu rechtfertigen, daß etwa 6000 amerikanisch« Kriegsgefangene in Korea ermordet wurden.
In 365 Fällen sei die Ermordung erwiesen.
Das „leiste Wort“
Politischer Ausschuß ohne Ergebnisse
PARIS. Weder am Montag noch am Dienstag kam die Arbeit des politischen Ausschusses vom Fleck, da in der Debatte über den westlichen Abrüstungsvorschlag weder der britische Staatsminister Lloyd, noch der sowjetische Außenminister Wyschinski sich zu Wort meldeten. Beide wollen das „letzte Wort“ haben. Die Debatte wurde daher immer wieder vertagt, zuletzt auf heute.
Dibelius bei Grotewohl
Thema: Wiedervereinigung Deutschlands
BERLIN. Der Vorsitzende des Rats der Evangelischen Kirchen Deutschlands, Bischof D. Dibelius, suchte am Montag den Ministerpräsidenten in der Sowjetzonenrepublik, Otto Grotewohl, auf und übermittelte ihm den dringenden Wunsch der Evangelischen Kirche nach einer schnellen Verständigung in der Frage der deutschen Einheit. In eingehender Aussprache wurden der Standpunkt der Regierung der Sowjetzonenrepublik und der der Kirche erörtert.
Grotewohl hat, wie berichtet wird, zum Ausdruck gebracht, daß er es begrüße, wenn die Evangelische Kirche in der ihr gewählten Form den Boden für die Wiedervereinigung des deutschen Volkes bereiten helfa Die So- [ wjetzonenregierung werde ihrerseits nicht in ihren Bemühungen nachlassen, gesamtdeutsche Beratungen und Wahlen zur Vorbereitung der Wiedervereinigung Deutschlands zustande zu bringen. Dibelius habe abschließend betont, die Evangelische Kirche begrüße all« Bemühungen, die zu einer baldigen Wiedervereinigung Deutschlands beitragen würden. Der Bischof brachte außerdem die Anliegen der Kirche zur Amnestie im sowjetisch besetz- [ ten Gebiet zur Sprache. Grotewohl stellte hie- j zu fest, daß bereits eine erhebliche Zahl von | Häftlingen entlassen worden sei. Dis Amne- | stie werde beschleunigt fortgesetzt. i
SPD gegen Schaffer
hf. BONN, Die SPD hat in einer Entschließung Bundesfinanzminister Schäffer vorgeworfen, er versuche die Finanzprobleme des Bundes durch Einschränkung der sozialen Verpflichtungen einseitig zu vermindern. Die von Schäffer geforderte Stillhalteaktion auf sozialem Gebiet sei durch irreführende Zahlen begründet worden.
Kein diplomatischer Kontakt Ost-West
Außenpolitische Debatte im Unterhaus / Eden würdigt Deutschland-Probleme
LONDON. In der ersten außenpolitischen Debatte seit der Übernahme der Regierung durch Churchill gab Außenminister Eden am Montag im Unterhaus eine Übersicht über die außenpolitischen Probleme, denen sich Großbritannien gegenwärtig gegenübersieht Die tiefe und breite Kluft, die Ost und West geistig und materiell voneinander trenne, sei für die Gegenwart entmutigend und für die Zukunft beunruhigend. Das Hauptproblem der internationalen Politik sei, die bestehenden Spannungen zu beseitigen. Praktisch bestehe zurzeit kein diplomatischer Kontakt zwischen Ost und West.
Eden kam wiederholt auf das Thema Deutschland, wobei er die Frage stellte, welche Möglichkeiten es gebe, ein geeintes demokratisches Deutschland in eine Welt einzuglie- dem, die von Haß und Streit zerklüftet sei. Deutschland müsse immer mehr in die europäische Gemeinschaft eingegliedert werden, wobei schrittweise alle Verantwortung den Deutschen selbst zu übertragen sei. Beides
Kleine Weltchronik
Dr. Sauer Präsident der ständigen Kultmini- ster-Konferenz. Tübingen. — Auf der letzten Tagung der westdeutschen Kultminister wurde Dr. Albert Sauer zum Präsidenten der ständigen Konferenz für das nächte Geschäftsjahr gewählt.
Weizmann bleibt Staatspräsident. Jerusalem. — Das Parlament des Staates Israel hat Professor Chaim Weizmann mit großer Mehrheit erneut zum Staatspräsidenten gewählt.
Erste Nato-Miiitärakademle eröffnet. Paris. — Der Oberkommandierende der Atlantikpaktstreitkräfte. General Eisenhower, eröffnete am Montag die erste Nato-Militärakademie, auf der Offiziere aus 12 Ländern für ihre Aufgaben in der gemeinsamen Verteidigungsstreitmacht ausgebildet werden sollen. Bei einer Parade in Rotterdam wird Eisenhower heute das Kommando über die ersten kanadischen Soldaten, die für die Verteidigung Europas bestimmt sind, übernehmen.
Erstes Lawinenopfer. St. Bernhard. — Der 32- jährige Wärter der berühmten Bernhardinerhunde des Klosters St. Bernhard, Lucien Droz, fiel am Montag einer Lawine zum Opfer, als er die Wege des Großen St. Bernhard-Passes nach verirrten Wanderern absuchte.
Lovett besichtigt amerikanische Truppeneinheilen. Heidelberg. — Der amerikanische Verteidigungsminister Lovett führte am Montag in Heidelberg Besprechungen mit hohen amerikanischen Militärs. Am Dienstag besichtigte er amerikanische Truppeneinheiten in Baumholder und Kaiserslautern.
Wieder Gaullist Oberbürgermeister. Paris. — Der Stadtrat der französischen Hauptstadt wählte am Montag mit 50 von 87 Stimmen den 40jähri- gen Geschäftsmann Paul Coirre zum neuen Prä-
müsse Hand in Hand gehen. Der der UN-Vollversammlung vorgelegte Antrag im Zusammenhang mit der künftigen deutschen Einheit sei ein erster Schritt, von dem er hoffe, daß sich auch die Sowjetregierung ihm anschließen werde.
Über die Verhandlungen zwischen der Bundesregierung und den Westmächten äußerte Eden, er hoffe, daß Großbritannien und Deutschland nach Abschluß der Besprechungen normale Friedensbeziehungen erreichten. Die Besprechungen seien aber „überaus kompliziert“ und zeitraubend. Durch die gegenwärtigen Verhandlungen werde, wie er hoffe, auch der jahrhundertealte Konflikt zwischen Deutschland und Frankreich beigelegt.
Der ehemalige Außenminister der Labour- Regierung, Herbert Morrison, unterstützte die Erklärungen Edens. Zwischen der dargelegten Außenpolitik und der der ehemaligen Labour-Regierung bestünden keine grundsätzlichen Unterschiede.
sidenten und damit Oberbürgermeister. Coirre, Gaullist und Mitglied der französischen Widerstandsbewegung, tritt an die Stelle von Pierre de Gaulle, den Bruder von General Charles de Gaulle.
„Bundeshauptstadt“ wächst. Bonn. — Seit Januar ist die Einwohnerzahl von Bonn um 700 auf 124 500 Personen angestiegen.
Reisender von fallendem Koffer verletzt. Poles- worth. — Der Nachtexpreß Glasgow—London ist am Montagmorgen in der Nähe von Poles- worth entgleist. Die Lokomotive überschlug sich und mehrere Wagen sprangen aus den Schienen. Verletzt wurde nur ein Reisender durch einen herabfallenden Koffer.
Zuchthausstrafen für 63 Eingeborene. Kapstadt.
— Wegen Beteiligung an einem Aufruhr im vergangenen Jahr wurden 63 südafrikanische Eingeborene eines Reservats, die sich gegen die Umsiedlung von Stammesgenossen des überbevölkerten Gebiets zur Wehr setzten, zu Zuchthausstrafen zwischen sechs Monaten und fünf Jahren verurteilt.
Acht Jahre Zuchthaus für Denunzierung von Heimkehrern. Berlin. — Das Schwurgericht Berlin-Moabit verurteilte den 50jährigen Willy Hinke zu acht Jahren Zuchthaus; Hinke hatte als Polizeiangestellter in Luckenwalde (Sowjetzone) 1945 und 1946 eine größere Zahl aus britischer und amerikanischer Kriegsgefangenschaft heimkehrende Ortsbewohner und SPD-Funktionäre bei den Sowjets denunziert und bewußt deren Internierung in sowjetischen KZ veranlaßt.
Hirohlto unterzeichnet Friedensvertrag. Tokio.
— Der japanische Kaiser Hirohito Unterzeichnete am Montag den japanischen Friedensvertrag und den japanisch-amerikanischen Sicherheitspakt.
Ein heiterer Roman von 1‘ ranz Gößt:
„Nachsaison"
Copyright by Schwäb. Verlagsgesellschaft, Tübingen
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Wie ein erleichternder Regenguß einen gewitterschwülen Sommertag durchbrach da plötzlich die lastende Stille die Stimme des Spenglers, der seit dem Sonntag aus verständlichen Gründen nicht mehr mit dem Obermoser am gleichen Tisch zusammensaß. Befriedigt grunzte er:"
„Jetzt bin ich erst recht froh, daß ich dem Falotten die Flöhe ins Bett geschüttet hab!“
Wie von einer Nadel von hinten angebohrt, fuhr der Obermoser in die Höhe: „Was? — Du selbst bist der Lump!“ — Aber sofort sank er wieder unter der Wucht der verschiedenen Erkenntnisse, die in seiner Seele wüteten und wobei er vor sich selbst gar nicht gut abschnitt, in sich zusammen und murmelte mit einer wegwerfenden Handbewegung: „Ist auch schon Wurst!“
Kommissar Sandbichler kam zurück. Kaum hatte er sich hingesetzt, als wenn nichts gewesen wäre, bestürmte ihn der Tischler: „Ich muß ehrlich sagen, mir ist ganz dumm im Kopf. Ich versteh von der ganzen Teufelei überhaupt nichts mehr.“
„Das werde ich Ihnen gern erklären“, erwiderte der Dicke, „aber zuerst muß der Martin her!“
„Um Gottes willen! der auch!“ stöhnte der Wirt, der sich ebenfalls wieder ganz klein hinter den Tisch geschoben hatte.
„Nicht so, wie Sie anscheinend meinen“, schmunzelte der Kommissar, „ganz anders. Es langt nämlich. — Gehn’s Marie, rufen Sie den Marrin! Er sitzt in der Küche und bläst Trüb- *al. Aber nichts sagen!“
Der Gerufene kam, ohne auch nur ein biß
chen Neugierde zu zeigen, was man von ihm wolle. Die Ereignisse hatten sich so blitzschnell und überraschend abgewickelt, daß die Kunde davon noch gar nicht bis in die Küche gedrungen war. Es hatte auch niemand daran gedacht, so vor den Kopf geschlagen war jeder der Beteiligten. Lässig und freudlos trat Martin an den Tisch: „Der Herr wünscht?“
Der Dicke erhob sich und klopfte Martin auf die Schulter: „Na, Martin, Sie werden gleich ein anderes Gesicht machen! Der Onkel Ihres Kameraden bin ich und er läßt Sie schön grüßen. Sie sollten ihn einmal besuchen. Fein haben Sie das gemacht! Ihnen ist die Entdeckung des Einbrechers zu verdanken.“
Martin begriff nicht und sah geradezu polizeiwidrig drein.
Geistreicher aber waren auch die Gesichter der anderen nicht. Die Dinge wurden immer verwickelter.
„Geht Ihnen kein Licht auf?“ fragte der Kommissar. „Gut, dann will ich es Ihnen anzünden. Der sogenannte Amerikaner und die Zawadil sitzen hinter Schloß und Riegel.“
Da ging eine merkwürdige Wandlung mit Martin vor sich. Ein Schein des Verstehens erhellte sein Gesicht. Dann sah er fragend einen nach dem anderen der Runde an und je länger ihm ihre Gesichter vorkamen, desto freudiger wurde seines. Schließlich kam wie angeworfen federndes Leben in ihn.
„Da muß die Lisi her!“ schmetterte er heraus.
Der Obermoser war innerlich derart zu einem fügsamen Brei zerknetet, daß er keinen Ton dagegen sagte. Ja, er war so zerknirscht, daß er sogar einen vernünftigen Gedanken gebar.
„Nachher bringst die Trine auch gleich mit“, bat er, „bei der muß ich was einrenken.“
Die letzten Worte hatte Martin nur mehr halb gehört, so schnell war er draußen. Er sauste durchs Dorf, als brenne es hinter ihm. Nur beim Haus des Briefträgers bremste er
kurz, als er schon vorbei war, machte rasch kehrt, riß die Türe auf und rief dem Lois zu: „Lois, lauf schnell zu uns heim, das Faß] ist fällig!“
Der Lois wußte zuerst nicht, was er sich denken solle. Sein erstes Gefühl war: Jetzt ist er ganz übergeschnappt oder besoffen! Dann aber fiel Verstehen wie milder Tau auf seine durstige Seele und er zögerte keine Sekunde mehr, der Aufforderung nachzukommen. So schnell stellte er nicht einmal ein Telegramm zu, wie er diesmal im Hirschen ankam. So hörte er noch das meiste, was Kommissar Sandbichler aus dem Vorleben Mayers erzählte. Wiederholt vorbestraft, unter Umständen auch gefährlich. Die Zawadil sei an und für sich harmlos. Nur so mitgerissen und rutsche eben immer weiter ab.
Der Spengler reckte in seiner selbstgewählten Verbannung den Hals wie ein böser Gänserich, um sich ja nichts entgehen zu lassen. Da rührte den Briefträger das Mitleid an.
„Setz dich doch daher, Schorsch!“ forderte er ihn auf. „Der Obermoser beißt dich nimmer, der hat so schon genug zu kauen.“
Gegen dessen Versöhnungsversuch sträubte sich der Stolz der beiden Streithähne zuerst wie die Haare eines Hundes, der einer Katze die Zähne zeigt, aber dann machte doch der Spengler eine unsichere Bewegung und gab nach: „Wenn halt der Obermoser ...“
„Geh nur her, Schorsch!“ forderte ihn der Bauer mit einem Anflug von Galgenhumor auf, „du bist doch das kleinste Unglück. Warum sollen denn zwei Esel nicht an der gleichen Krippe sitzen?“
Damit war der alte freundschaftliche Ton aufs neue hergestellt und dem Spengler war endlich wieder so richtig wohl.
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Martin polterte wie ein Wilder durch den Flur des Obermoser-Hofes und füllte das ganze Haus mit seinem Ruf „Lisi — Lisi!“
Erschreckt durch den Lärm rannte sie aus der Küche heraus. Beim Anblick Martins aber
stockte ihr Schritt. Wie ein grausiges Untier stand wieder alles vor ihr, was er ihr angetan hatte. Dementsprechend flammte sie ihn auch gleich an: „Was willst denn da, Liloschleckerl Ich hab dir’s deutlich genug gesagt...“
„_ daß mich alleweil noch gern hastl*
schnittt er ihr kurzerhand das Wort ab. Und damit sie ja nicht die Möglichkeit hatte, nochmals von vorne anzufangen, verpichte er einfach ihren Mund mit einem Kuß, der so ausgiebig war, als wollte er in einem Zug alle* einholen, was er in diesen bitteren Tagen versäumt hatte. Sie zappelte zuerst wie ein Fisch an der Angel und stemmte sich gegen ihn, aber als sie das Vergebliche des Widerstandes ein- sehen mußte, ergab sie sich mit einem Seufzer in ihr Schicksal und fand sich bald so gut damit ab, daß nun der Martin außer Atem kam.
„Holla! was geht denn da vor“, bellte, all das schönste Einvernehmen herrschte, di« Trine aus einer Tür heraus. „Ihr seid wohl nicht recht bei Trost, närrische Leut übereinander!“
„Und wie wir das sind!“ redete sie der Martin nieder, „der Myera und die Zawadil sind geschnappt. Mach schnell, Trine, wir gehen zu uns heim!“
Die Trine wehrte sich zwar greinend ge6®u eine solche Zumutung, aber Martin, der SO schön in einem gewalttätigen Schwung wari packte sie einfach zusammen und schleifte si mit. Dem Schwiegervater mußte man diesen Gefallen schon tun.
Erst jetzt, als er alle schön beisammen hatte, schilderte der „Bierbrauer“ die Zusammen^ - hänge. Der Gauner hatte sich den Obermose, der ihm am vertrauensseligsten erschien — bei lächelte der Dicke etwas zweideutig, w auch der Obermoser richtig zu deuten wußt Er sagte näml ; ch in schöner Selbseinschätzung- „Sagen Sie ruhig, am dümmsten! Das vertrag ich schon, wenn’s auch keine Ehre ist.“