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Von Theodor Storm Ich weiß es wohl, kein klagend Wort Wird über deine Lippen gehen,
Samt - der Modeliebling des Winters
Ein königlicher Stoff verleiht Anmut und Würde — Neue Liebe zum Poncho
Symbolhaft für die Prächtigkeit und Vornehmheit des Gewandes war in früheren Jahrhunderten Samt — dieses weiche, einschmei- Dodl, was SO sanft dein Mund V«r«hweigt, chelnde Gewebe von wunderbarer Eleganz.
Seine Beliebtheit entfaltete er im Besonderen
Muß deine blasse Hemd gestehen.
Die Hand, an der mein Auge hängt, Zeigt jenen feinen Zug der Schmerzen, Und das in schlummerloser Nacht Sie lag auf einem kranken Herzen.
Lächelnder Blumengruß
Wie tröstlich eine Blume im Winter wirkt und mag sie auch aus dem Treibhaus kommen, immer lächelt sie uns an wie ein Zau- pergruß, Ja sie verwandelt die düstere Stube lP ein Märchenland. Blumen sind um diese Jahreszeit für uns immer etwas Unglaubliches, weil sie den Winter mit Eis und Schnee auslachen, so wie einstmals die Menschheit jenen Zauberhaften Mann, Klingsor, den Dichter aus Ungarn auslachten, von dem die Sage ging, daß er mitten in den Karpathen und im Eise •inen herrlichen Rosengarten besitze.
Unser Heim schmücken im Winter Chrysanthemen, Kakteen und Orchideen, der grüne Tannenzweig mit dem roten spanischöl Pfeffer, und wir sehen in Schnee und Eis da draußen durch sie das unsterbliche leben, das Blühen mitten im Winter, so wie es uns die alten Rosenstücke in einer Abtei in England alljährlich in der Christnacht und der Zweig der heiligen Barbara in der bäuerlichen ßtube zeigen. Damit die Schönheit des winterlichen Blühens den Menschen unvergessen bleiben möge, haben sie unsere alten Meister
S uf ihren Bildern verewigt: Mathis Nithart, er seiner Stuppacher Madonna den Blumenstrauß bei gibt, Meister Dürer sein großes und kleines Rasenstück und die zarte Akelei.
Kaum ein Volk, das die Blumen im Winter so hütet und pflegt, wie das chinesiche. Dort ist jeder Monat einer Blume geweiht. Bei Kälte und Frost bedeckt man sie mit Papiertüten, bettet ihre Wurzeln warm durch unterirdische Luftschächte, die mit Holzkohle
f heizt werden, ja man hüllt die Knospen in eine Papiermäntel ein, die von Atemlöchem ircbbrochen sind. Audi im Winter begeht man den Blumengeburtstag, feiert ihn am fünften Tage nach Neumondaufgang und es besteht in den Familien die Sitte der Blumenbesuche, bei denen man seinen Freunden Sannen und Ableger von schönen Blumen mit- pringt, Blumengedichte vorliest und mit Blumen bekränzt tanzt im festlichen Gewände.
Blumen lm Winter und ln Eisesnacht — sie lehren uns an die Gärten glauben, ln denen Bosen und Lilien wachsen und an ein Lächeln te Traurigkeit und Düsterkeit.
Kleider sind die Waffen, womit die Schönen streiten, und die sie, gleich den Soldaten, dann nur von sich werfen, wenn sie überwunden sind. Jean Paul
zur Zeit der Byzantiner, nachdem Kaiser Konstantin seinen Hof nach Konstantinopel verlegt hatte. Aber auch in der burgundischen Mode des 14. Jahrhunderts feierte er seine Triumphe. Die schönen Burgunderinnen zierten ihn mit kostbaren Spitzen, trugen ihn drapiert und in Falten gelegt. Die Maler jener Zeit konnten sich nicht genug tun, das schmeichelnde Gewebe über nackte schöne Schultern zu legen und im Bildnis festzuhalten. In der Renaissance und Gotik war der Purpurmantel das Zeichen der Könige und Patrizier, Samt triumphierte überall da, wo festliche Gewandung die gehobene Feierlichkeit betonen sollte. In zahllosen Minneliedern wird der bezaubernde Reiz dieses Stoffes, den die Burgfrau ebenso wie den Edelmann schmückte, besungen.
Seitdem die Industie im 19. Jahrhundert daran ging, Samt und Plüsche billig maschinenmäßig herzustellen und die Kunstfaser auch dieses Gewebe eroberte, sind diese Stoffe zum Modeliebling des Winters von Paris bis London, von New York bis zur Eingeborenen-
küste geworden. Ein hoher Prozentsatz der deutschen Produktion geht nach Afrika. Man wünscht ihn dort in allen Farbennuancierungen, vom hellsten Rot bis zum tiefsten Blau, in bunten Musterungen und mit Aufdrucken von Tierbildem, Landkarten und Alphabeten.
Die europäische Mode bevorzugt den Uni- Samt, wie er die Frau umschmeichelt in Raffungen und Drapierungen zum Gesellschafts- und Abendkleid, wie sie ihn ebenso gerne trägt zu einfachen Jacken- und Tageskleidern. Immer dort, wo eine Frau ein samtenes Kleid trägt, wird sie festlich und gut aussehen.
Auch für den Poncho erneuert sich die Liebe der Frau. Es sind jene langen Tücher aus Samt oder Plüsch, mit oder ohne Fransen, die einstmals in den kleinen bergischen Stuben an der Wupper handgewebt wurden und einen bevorzugten Exportartikel nach Argentinien und Afrika darstellten. Diese Fransentücher sind auch heute wieder in Mode gekommen und erfreuen sich großer Beliebtheit. Die Pariser Modeschöpfer zeigen in diesem Winter Hüte, Gürtel, Taschen und Kragen aus Samt und überall, wo wir diesem königlichen Stoff begegnen, ist in ihm Anmut und Würde dokumentiert.
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Briefe kommen und Briefe gehen — Handschrift oder Schreibmaschine?
Ein moderner französischer Philosoph hat kürzlich einmal gesagt, daß die Leute unserer Tage weniger reden und mehr schreiben sollten. Und dann hat er daran erinnert, daß früher das Briefschreiben einen guten Teil der Freizeit jedes gebildeten Menschen ausfüllte und ihn dazu veranlaßte, über die Ereignisse tiefer nachzudenken.
Mit dieser Feststellung hat der Philosoph nicht unrecht, denn jedem ist durch das Schreiben eines Briefes schon manches bewußter geworden als es vorher war. Ja, manche Entscheidungen sind erst in solchen Briefen gefällt worden.
In welchem Maße früher Briefe geschrieben wurden, geht aus den vielen Sammelbänden hervor, in denen der Schriftwechsel unserer großen Dichter und Denker erschienen ist Beim Lesen fällt einem auf, daß jeder Brief irgend etwas zu sagen hat, daß er nicht nur die Schilderung eines Ereignisses, sondern auch viele wertvolle Gedanken enthält, die beim Schreiben mit in die Feder geflossen sind. Das ist nicht nur beim Genie der Fall, sondern auch die Briefe von ehrsamen Handwerkern und jungen Kavalieren aus jener Zeit enthalten solche selbst geprägten Weisheiten.
Jeder Mensch wird zu einem Dichter, wenn er einen Brief schreibt. In dem Bemühen, seinen Gedanken möglichst die letzte Form zu geben, möglichst unmittelbar alles zu vermitteln, was ihn bewegt, sucht er nach eigenen Bildern und Gleichnissen und bedient sich dabei oft einer besonderen Sprache, die er im Gespräch niemals wählen würde, weil sie ihm zu ungewöhnlich wäre.
Man schreibt die schönsten Briefe, wenn
Die Märchenwelt im Buch
Was sollen Kinder lesen? — Man muß auf ihre Wünsche Rücksicht nehmen
Es unterliegt kaum einem Zweifel, daß gute Bücher, die den Bedürfnissen, Interessen und Wünschen der Kinder gerecht werden, für die Entwicklung von Geist und Charakter von ausschlaggebender Bedeutung sind. Sie müs-
Streben nach dem Unbekannten vorhanden ist, muß diese bekannte Welt doch irgendwie durch noch nicht vertraute Züge ausgeschmückt und interessant gemacht werden. Das Kind braucht das Gefühl der Geborgen-
man verliebt ist, wenn man also seelisch stark mitschwingt. Auch die negative Form seelischer Schwingungen, die Verzweiflung, läßt Briefe schreiben, in denen sich unser ganzes Ich restlos offenbart.
Wie aber ist es sonst mit unseren Briefen bestellt?
Nun, wir müssen schon den Vorwurf einstecken, daß unsere Briefe flacher und inhaltsloser geworden sind. Sehr viele Menschen schreiben heute, nicht weil sie das Bedürfnis haben, sich anderen zu erschließen, sondern weil sie nicht unhöflich sein wollen. Das in unseren Tagen geprägte Wort von den „Briefschulden“ läßt tiefe Rückschlüsse zu.
Tatsache ist, daß der Lebenskampf, der uns vom frühen Morgen bis zum späten Abend in Anspruch nimmt, keinem mehr Zeit zum geruhsamen Briefschreiben läßt, wie ehedem. Aus dem „gedichteten“ Brief wurde mehr und mehr die sachliche Mitteilung, aus der liebevollen Schilderung der nackte Bericht. Man bedient sich der Schreibmaschine, um Zeit zu sparen und schreibt nur die persönlichsten Briefe mit der Hand.
Schade eigentlich, gewiß, sehr schade!.
Aber wir mußten uns auch daran gewöhnen, daß die Eisenbahn die gemütvolle alte Postkutsche ablöste, auch wenn damit ein gutes Stückchen Romantik aus unserer Welt fuhr. Alles zu seiner Zeit — und wir leben nicht mehr im Biedermeier. Darum hat der sachliche Brief, auch wenn er mit der Schreibmaschine geschrieben ist, in der heutigen Zeit seine volle Berechtigung.
Freilich, besondere Briefe, Zeilen, in denen wir wirklich dem anderen Menschen nah sein wollen, müssen wir mit der Hand schreiben. Und dazu brauchen wir uns vermutlich gar nicht zu zwingen, denn unser Gefühl wird uns selbst sagen, wann wir die Schreibmaschinentaste mit dem Federhalter vertauschen müssen.
Denn es ist schon so: Im geruhsamen Auf und Ab unserer Schriftzüge schwingt immer etwas von unserer Seele mit. Und jede Menschenseele wehrt sich dagegen, Schablone zu sein. Michaela
Rund um die Mode
Kleider sind dem schönen Geschlecht das, was dem männlichen die Gedanken sind: der Kleiderschrank ist die Bibliothek, das Ankleidezimmer die Studierstube. Jean Paul
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Zu viel Schminke und zu wenig Kleider an, das ist bei einer Frau immer ein Zeichen von Panik. Oscar Wilde
*
Es ist ja nun doch einmal nicht anders: die meisten Menschen leben mehr nach der Mode als nach dem Verstand.
Lichtenberg
*
In der Theorie mögen wir noch so heftige Gegner der Mode sein. Wenn eine schöne Frau vor uns steht, sind wir selbst mit dem einverstanden, was wir sonst bekämpfen. Fontane
JCokuspokus
und aus einem Küchenstuhl ist mit einem Handgriff eine ziemlich hohe Leiter enstan- den. Wer möchte nicht einen solchen praktischen Helfer in seinem Haushalt haben, zumal meist für eine Leiter in den Kleinwohnungen kein Raum ist. Und ohne Leiter macht doch der Hausputz manchen Kummer, wenn er nicht noch durch Aufeinanderstellen von Stuhl und Tisch in den „höheren Regionen* gefährlich wird.
Jetzt in den Herbstwochen wäre es doch ein kleiner Liebesdienst von „ihm“, wenn er mit Hammer, Säge und Leim topf ein solches Heinzelmännchen basteln würde, nicht wahr? Aber auch ein Tischler wird gern dieses Kombinationsstück aus weiß lackiertem Holz tu* ein paar Mark anfertigen.
Aus der Zeichnung und den folgende!) Maßen sind alle Einzelheiten zu ersehen und es wird wirklich keine Schwierigkeiten machen, diese uralte Erfindung hervorzuzaübem.
Die Sitzfläche ist etwa 41 cm lang und 38,5 cm breit, die Rückenlehne reicht auf 1,02 in
vom Boden. (In einem Stück.) Im ganzen hat der Stuhl 4 Tritte — der erste, der auf dc-ro Boden aufliegt, wird, ist der Stuhl zur Leitet verwandelt, zur obersten Stufe. Legt man nämlich die Lehne nach vorne um — die Sitzfläche und gleichzeitig der zweite Leitertritt, besitzt im ersten Drittel ein solides Scharnier — ist aus dem Küchenstuhl eine ausgewachsene Wohnungsleiter geworden. Ein Haken rechts sichert vor dem Auseinandergleiten.
Frisch an die Arbeit und bald wird die ganze Familie diesen Hokuspokus-Stuhl bewundern und bestaunen!
Besser geht’s so!
Muß ein Teppich neu eingefaßt werden, so verwendet man Wäscheklammern, sie sind praktischer zum Vorheften als Stecknadeln.
Schwere Möbel rückt man leicht von der Stelle, wenn man eine rohe Kartoffelschelbe unter deren Füße schiebt.
fen jedoch tief in die Welt, in der das Kind heit und wenn es dieses Gefühl in seinem per.
lebt, eindringen, sie ihm erklären und ihm helfen, in das Reich der Phantasie vorzu- »toßen.
Erwachsene heben eine bestimmte Vorstellung davon, wie die Lektüre für Kinder beschaffen sein soll Sie wissen in der Theorie genau, welchen Gewinn das Kind aus einem Buch für sein späteres praktisches Leben ziehen soll In den letzten Jahren ist darüber auch viel geschrieben worden, das Kind selbst aber ist mehr in den Hintergrund getreten. Es besteht so die Gefahr, allzu sehr der Theorie zu verfallen und darüber vollkommen zu vergessen, daß jedes Buch, mag es seinem Inhalt und höheren Sinn nach auch noch so gediegen sein, doch wertlos ist, wenn es nicht direkt zu dem Kind spricht.
Die wichtigste Frage ist und bleibt: Wodurch ist das Wesen des Kindes in den einseinen Entwicklungsstadien charakterisiert? Was soll ihm das Buch geben und in welcher Form kann es ihm vermittelt werden, damit die Lektüre auch von positivem Wert ist? Die Antwort darauf ist nicht einfach, da zwar jedes Kind mit seinen Altersgenossen viele gemeinsame Züge hat, andererseits aber doch wieder in vieler Hinsicht individuelle Unterschiede aufweist. Es wächst, reift heran und verändert sich wie jedes menschliche Wesen pnd doch behält es während seiner ganzen Kindheit die Vorliebe für eine bestimmte Art Von Büchern.
In frühem Alter ist die Erfahrungswelt des Kindes noch sehr eng begrenzt und es besitzt nicht die geistige Kraft, in das Unbekannte Weiter vorzustoßen. Daher müssen Bücher für diese Altersstufe auf dem Boden der Bekannten bleiböi. Da in ihm jedoch bereits, wenn *u<h einstweilen nur angedeutet, das für eine Vfitere Entwicklungsstufe so charakteristisch«
sönlichen Leben nicht besitzt, sucht es danach um so mehr in der Welt seiner Bücher. Das Schöne an vielen der besten Bilderbücher und gleichzeitig der Grund für ihre große Beliebtheit ist die warme Geborgenheit des Familienlebens, die so oft in ihnen dargestellt wird, ob es sich nun um Tiere oder Menschen handelt, jene zärtliche, wohlwollende, freundliche und schlichte Atmosphäre, die darin wiedergegeben ist. Vielleicht ist dies auch der Grund, warum viele dieser Bücher Kinder wie Erwachsene gleichermaßen ansprechen; die Kinder deshalb, weil sie sie in dem Glauben bestärken, daß die Welt so und nicht anders ist; und die Erwachsenen, weil sie ihnen die Welt so schildern, wie sie sein sollte: Märchenwesen und Märchenweltöl.
Findet ein Kind Gefallen an einem Buch, dann wird ihm die Erzählung zur Wirklichkeit, und zwar in einer Art und Weise, die den Erwachsenen nahezu unverständlich ist. Es gewinnt sie geradezu lieb und lauscht ihr immer wieder. Kein Detail darf jemals in anderer Form gebracht werden, denn das beeinträchtigte die Echtheit und Überzeugungskraft Gleichzeitig — und dies ist dem Erwachsenen ebenso unbegreiflich — scheint ihm völlig der Begriff von der Endgültigkeit des gedruckten Wortes zu fehlen. Allem Anschein nach bangt das Kind insgeheim jedesmal mit der Möglichkeit, die Geschichte könne diesmal anders ausgehen, und wenn dies doch nicht der Fall ist, ist seine Freude darüber stets neu.
Sefemwdrt eines kleinen Herzens
Skizze eines großen Augenblicks / Von Manfred Kyber
In seinem Käfig saß ein kleiner Vogel und sah mit sehnsüchtigen Augen in den Sonnenschein. Es war ein Singvogel, und es war in einem Kulturstaate — jedenfalls in einem solchen, der sich so nannte.
In blauer Feme standen blaue Berge.
Hinter den Bergen liegt der Süden, dachte der kleine Vogel. Ich bin nur einmal den Weg geflogen. Dann nicht wieder.
Die fernen Berge erschienen ihm ganz nah. Die Sehnsucht rückte sie so nah vor die Gitterstäbe.
„Sie sind so sehr nah“, sagte der kleine Vogel. „Wenn nur die Gitterstäbe nicht wären! Wenn die Tür sich nur einmal öffnete — ein einziges Mal! Dann käme der große Augenblick und ich wäre mit ein paar Flügelschlägen hinter den blauen Bergen."
Die Kraniche zogen. Durch die Herbstluft klang ihr klagender Schrei — klagend und lockend. Es war der Ruf nach dem Süden.
Sie verschwanden hinter den blauen Bergen.
Der kleine Vogel rannte gegen die Gitterstäbe.
Der Winter kam, und der kleine Vogel wurde still. Der Schnee fiel, und die blauen Berge waren grau geworden. Der Weg nach dem Süden lag in Kälte und Nebel.
Es kamen viele Winter und viele Sommer. Es kamen viele Jahre. Die Berge wurden blau und wurden wieder grau. Die Zugvögel kamen vom Süden und zogen nach Süden. Der kleine Vogel hinter dem Gitter wartete auf den großen Augenblick.
Dann leam ein klarer, sonniger Herbsttag.
Da war die Tür des Käfigs geöffnet. Man hatte sie aus Versehen offen gelassen. Mit Willen tun es die Menschen nicht.
Der große Augenblick war da! Der kleine Vogel zitterte vor Freude und Erregung. Vorsichtig und scheu huschte er hinaus und flatterte auf den nächsten Baum. Alles um ihn herum verwirrte ihn. Er war es nicht mehr gewohnt.
In blauer Feme standen blaue Berge.
Aber sie schienen jetzt sehr fern zu sein. Viel zu fern für die Flügel, die sich jahrelang nicht mehr geregt hatten hinter den Gitterstäben. Doch es mußte sein! Der große Augenblick war da!
Der kleine Vogel nahm all seinen Mut und seine Kraft zusammen und breitete die Flügel weit aus — zum Flug nach dem Süden, hintei die blauen Berge.
Aber er kam nicht weiter als bis zum nächsten Ast. Waren die Flügel verkümmert in den langen Jahren, oder war es etwas anderes, das in ihm verkümmert war? Er wußte es selbst nicht Die blauen Berge waren fern, viel, viel zu fern für ihn.
Da flatterte er still in den Käfig zurück.
Die Kraniche zogen. Durch die Herbstluft klang Ihr klagender Schrei — klagend una lockend. Es war der Ruf nach dem Süden.
Sie verschwanden hinter den blauen Bergen.
Da senkte der kleine Vogel den Kopf una barg ihn unter dem Flügel.
Der große Augenblick war vorüber. — Aus: „Gesammelte Tiergeschichten“, Christian- Wegner-Verlag. Hamburg.