NUMMER 178
MITTWOCH, 14. NOVEMBER 1951
Briefwechsel Schumacher — Adenauer
Schumacher: Boden der Beschlüsse verlassen / Adenauer: Einigung erwünscht Drahtbericht unserer
BONN. Zwischen Bundeskanzler Dr. Adenauer und dem SPD-Vorsitzenden Dr. Schumacher fand ein Briefwechsel über die Wahlordnung für gesamtdeutsche Wahlen statt, der in Bonn einiges Aufsehen erregt hat. Auf sozialdemokratischer Seite wird betont, daß Schumachers erster Brief vom 9. November im Zeichen der Bemühungen um die Wiederherstellung der gemeinsamen Haltung der Parteien in der gesamtdeutschen Frage stehe. Schumacher habe in seinem Brief am 9. November u. a. erklärt, daß der von Bundesregierung und Bundestag in den Beschlüssen vom 9. März und 27. September dieses Jahres beschrittene Weg verlassen worden sei. Durch die damalige Haltung des Bundestags sei das Gesetz des politischen Handelns in die Hände der deutschen Demokratie gegeben worden, aber bereits in der Sitzung des Bundestages vom 17. Oktober seien Redner der Regierungsparteien von dieser Haltung abgewichen und der Kanzler selbst habe die von ihm verkündeten Grundsätze in dem Entwurf der Wahlordnung verlassen.
„Ihr auf Beschlüsse des Bundestags gegründeter Standpunkt“, so schreibt der SPD-Vor- sitzende, „ist in seinen entscheidenden Grundsätzen ohne Befragung des Bundestags aufgegeben worden. Sie haben damit die Plattform der Einigung der Demokratischen Parteien Deutschlands verlassen.“
Auf diesen Brief hat Bundeskanzler Adenauer erwidert, daß die Bundesregierung genau wie Dr. Schumacher der Überzeugung sei, daß jede auf die Wiederherstellung der deut-
Annäherung in Pan Mun Jon
Kälteeinbruch an der koreanischen Front TOKIO. Bei den Waffenstillstandsverhandlungen in Pan Mun Jon scheint sich eine Einigung über die künftige Demarkationslinie abzuzeichnen. Die Äußerungen des Sprechers der UN-Delegation über die gestrige Sitzung ließ durchblicken, daß die Kommunisten neue Vorschläge gemacht haben. Der Pekinger Rundfunk setzte sich dafür ein, die beiden Parteien sollten die anderen Punkte der Tagesordnung besprechen, während der Unterausschuß die neutrale Zone markierte. Politische Beobachter in Tokio glauben, aus diesen jüngsten Äußerungen beider Parteien schließen zu können, daß sich jetzt doch ein Kompromiß abzeichnet.
Unter einem harten Kälteeinbruch kamen die Kampfhandlungen in Korea gestern fast völlig zum Erliegen. Die 8. Armee berichtet von der ganzen Front Ruhe. Amerikanische, britische, australische und kanadische Flotteneinheiten führten ihren schwersten Schlag gegen die Küsten Nordkoreas seit der Landungsoperation bei Inchon vor 14 Monaten. Die Schiffe beschossen Nachschubdepots, Brük- ken und Verkehrswege auf einer über 500 km langen Strecke. Mehrere Küstenbatterien wurden zum Schweigen gebracht.
Schweigedemonstrationen
Der erste Schritt zum heiligen Krieg KAIRO. Gestern fanden in Kairo und Alexandria große „Schweigedemonstrationen“ statt. Der ägyptische Ministerpräsident Nahas Pascha sprach zu den führenden Persönlichkeiten der Wafd-Partei. Nachdem die höchste Körperschaft des Islams, der Rat der Weisen, in der Al-Azhar-Universität von Kairo den Unabhängigkeitskampf Ägyptens und des Sudans zur Sache aller Mohammedaner erklärt und damit den ersten Schritt zum „heiligen Krieg“ gegen England unternommen hat, drohen erneute Zusammenstöße mit den Briten. Die ägyptischen Behörden haben vorsorglicherweise über Kairo und Alexandria den Ausnahmezustand verhängt und die Polizei in höchste Alarmbereitschaft versetzt.
Bonner Redaktion
sehen Einheit gerichtete Politik die Schaffung freiheitlicher demokratischer Verhältnisse in allen vier Besatzungszonen und Berlin zum Ziel haben müsse. Der Bundeskanzler bedauerte, daß Dr. Schumacher den Entwurf der Wahlordnung ablehne. Die Ablehnung des Artikels 5 sei dem Bundeskanzler jedoch nicht verständlich, da dieser Artikel nicht eine Auflage für die Nationalversammlung bedeute, sondern nur Grundsätze enthalte, die für einen freiheitlichen demokratischen Staat selbstverständlich seien. Die Mitwirkung eines Länderausschusses in der Beschlußfassung der Nationalversammlung entspreche dem föderativen Charakter der staatlichen Ordnung, in der der Bundeskanzler keine Beeinträchtigung der Souveränität des Volkes sehe. Adenauer schloß seinen Brief mit der Feststellung, daß er überzeugt sei, daß Dr. Schumacher und die SPD- Fraktion bei Prüfung der Gesichtspunkte der
Regierung zu einer positiven Wertung kommen würden.
Auf diesen Brief hat Dr. Schumacher in einem neuen Schreiben dem Bundeskanzler mit- geteilt, daß der Brief Dr. Adenauers die sozialdemokratischen Einwände und Besorgnisse nicht entkräftet habe.
Schon bei den Verhandlungen des Parlamentarischen Rates hätten der Bundeskanzler und auch die Parteien der Regierungskoalition den nur provisorischen Charakter des Grundgesetzes genau so anerkannt wie die SPD. Jeder Vorschlag an die Besatzungsmächte, der Nationalversammlung Auflagen zu machen, beschwöre einen „Rattenkönig“ von Gegenvorschlägen und Auflagen hervor. Eine so in ihren Befugnissen eingeengte Nationalversammlung wäre u. a. unfähig, alsbald die Gesetze zu erlassen, die eine deutsche Regierung notwendig mache, um die durch die Wiedervereinigung entstehenden gesamtdeutschen Probleme wirtschaftlicher und sozialer Art zu bewältigen. „Das Kernproblem bildet doch, daß gemeinsame Beschlüsse vorhanden waren und Sie, Herr Bundeskanzler, den Boden dieser Beschlüsse verlassen haben."
Schaffer besteht auf seiner Politik
Aussprachen Adenauer
Blücher — Erhard — Schaffer
und grundsätzlich ablehnte und verurteilte. Während Schäffer auf seiner Finanzpolitik besteht und nicht nur sein Veto gegen alle neuen Beschlüsse auf der Ausgabenseite, sondern auch drastische Kürzungen ankündigte, falls der Bundestag die von ihm geforderten Steuern nicht bewilligen sollte, sind in der CDU sogar Stimmen zu hören, die Schäffer den Rücktritt nahelegen wollen.
Bundeskanzler Adenauer konferierte über diese Fragen am Montag mit dem Vorsitzenden der FDP, Vizekanzler Blücher. Eine zusätzliche Klärung ist durch eine Aussprache zwischen Dr. Adenauer, Wirtschaftsminister Erhard und Schäffer vorgesehen.
hf. BONN. Nach der Ablehnung der Aufwandsteuer durch den Bundestag und der Autobahnsteuer durch den Bundesrat ist es um die Position Finanzminister Schäffers zu einer scharfen Auseinandersetzung gekommen. Unterstützt von der bayerischen CSU besteht Schäffer auf der Klärung der Haltung der Regierungsparteien gegenüber seiner Finanzpolitik. Ausgelöst hat die Auseinandersetzung vor allem die Haltung der FDP, deren Sprecher Dr. Wellhausen, wie aus Kreisen des Finanzministeriums verlautet, ursprünglich Schäffer die Mitarbeit an der Steuervorlage zugesagt habe, diese dann aber im Bundestag außerordentlich scharf
Kleine Weltchronik
Badenweiler in Bayern erlaubt. München. — Mitglieder einer Musikkapelle, die im Juli auf einer Kirchweih in Nürnberg den Badenweiler- Marsch gespielt hatten, wurden vom Amtsgericht Nürnberg von der Anklage des groben Unfugs freigesprochen. In der Begründung heißt es, es könne nicht nachträglich ein Zusammenhang gewisser Musikstücke mit dem Nationalsozialismus geschaffen werden. Der frühere Badonvil- ler-Marsch, der Traditionsmarsch des ehemaligen könglich-bayerischen Leibregiments, sei von Hitler umbenannt und mißbraucht worden.
Erhard zur Wiedervereinigung. München, — Der bayerische Ministerpräsident Dr. Hans Erhard vertrat in München die Ansicht, daß die Möglichkeit einer Wiedervereinigung Deutschlands in allernächster Zeit noch nicht gegeben scheine. Sie sei eine Frage des politisch Möglichen und nicht des Gefühls.
Auch Knappstein lehnt ab. Bonn. — Der deutsche Generalkonsul in Chigako, Dr. Heinz Knappstein, hat den ihm vom Bundeskanzler angebotenen Posten eines Bundespressechefs abgelehnt. Damit hat nach Kiesinger innerhalb einer Woche schon der zweite Kandidat für diesen seit Schaffung der Bundesregierung unbesetzten Posten die Übernahme des Amtes abgelehnt.
Großkreuz an Luxemburger. Bonn. — Bundespräsident Heuß hat dem scheidenden luxemburgischen Gesandten, Dr. Albert Wehrer, als erstem Ausländer das Großkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik verliehen. Die Verleihung erfolgte in Anerkennung der Verdienste, die sich Dr. Wehrer um die Wiederherstellung der Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und dem Großherzogtum Luxemburg erworben hat.
Barbara Hutton erkrankt. Hannover. — Die amerikanische Millionenerbin Barbara Hutton hat, nach Mitteilung eines Verwandten Gottfried v. Cramms, ihren geplanten Besuch auf Schloß Wispenstein, dem Stammsitz v. Cramms, wegen Krankheit abgesagt. Miss Hutton befindet sich in Begleitung v. Cramms in Wiesbaden. Sie wird nach ihrer Genesung von dort aus die Rückreise in die Vereinigten Staaten antreten.
Mittelstandsblock will aktiv werden. Bonn, — Die drei Partner des deutschen Mittelstandsblocks — der Deutsche Bauernverband, der Zentralverband des deutschen Handwerks und der Zentralverband der Haus- und Grundbesitzer — haben beschlossen, die Arbeit des deutschen Mittelstandsblocks sofort bis in die Kreise hinein durchzuorganisieren. In der Bundeshauptstadt sollen ein Sekretariat und eine parlamentarische Verbindungsstelle eingerichtet werden,
„Dynamische Wirtschaftspolitik“. Bielefeld. — Der zweite Vorsitzende der FDP und Vizepräsident des Bundestages, Dr. Hermann Schäfer, forderte in Bielefeld eine dynamische Wirtschaftspolitik. Der Ablauf der Wirtschaft könne niemals durch „Kommando-Zentralen“ bestimmt werden. Eine zentrale Planwirtschaft komme der Sterndeuterei gleich.
Westliche Botschaften in Wien. Wien. — Die drei westlichen Besatzungsmächte haben am Montag auf Vorschlag der österreichischen Bundesregierung ihre Gesandschaften in Wien in den Rang von Botschaften erhoben. Denselben Status werden auch die österreichischen Gesandtschaften in Washington, London und Paris erhalten.
Erdölvorkommen im Elsaß. Mühlhausen. — Am Wochenende wurden in der Nähe des elsässi- schen Dorfes Staffelfelde bei Mühlhausen Erdölvorkommen entdeckt, deren Ausbeutung nach dem Urteil von Fachleuten die Grundlage für das Entstehen einer neuen Industrie im Raume von Mühlhausen bilden kann. Das aus eigener Kraft aus annähernd 2000 m Tiefe hervorsprudelnde öl ist nach den ersten chemischen Analysen von hoher Qualität.
Studentenkrawall um Kaiser Hirohito. Kioto. — Kaiser Hirohito von Japan wurde am Montag Mittelpunkt eines in der Geschichte Japans noch nicht dagewesenen Studentenkrawalls. Der Kaiser stattete der zweitgrößten Universität des Landes in Kioto, der mittelalterlichen Residenzstadt seiner Vorfahren, einen Besuch ab. Beim Verlassen des Gebäudes umringten in weit über 1000 erregte Studenten und verlangten von ihm die Verhinderung der Wiederaufrüstung Japans.
Das Volk denkt anders
kw. Wir im Südwesten können ein Lied davon singen, wie manche Regierungen der Länder um die Wahrung ihrer eigenstaatlichen Rechte bemüht und besorgt sind. Wenn man zum Beispiel die Reden der Staatschefs und prominenter Regierungsmitglieder in Freiburg und München hört, kann man den Eindruck gewinnen, es gebe kein wichtigeres Problem, als das, darüber zu wachen, daß ja der größtmögliche Einfluß der Länder gewahrt bleibe und der Einfluß des Bundes möglichst gering sei. Tatsächlich ist ja die Konstruktion der westdeutschen Bundesrepublik nach dem Grundgesetz durchaus föderalistisch, wesentlich mehr jedenfalls, als es bei der Weimarer Republik der Fall war. Wie aber denkt das Volk über diese Frage? Das Bielefelder Institut für Marktforschung und Meinungsforschung „Ennid“ hat einem repräsentativen Bevölkerungsausschnitt die Frage gestellt: „Was sollte Ihrer Meinung nach stärker betont werden, die Zuständigkeit der Bundesregierung oder die Zuständigkeit der Länderregierungen?“ Das Ergebnis ist recht aufschlußreich. Ein Drittel hatte gar keine Meinung, 57 Prozent der Befragten aber sprachen sich für eine »stärkere Stellung der Bundesregierung aus, während nur 13 Prozent für eine stärkere Stellung der Landesregierungen waren. Mit 73 Prozent der Stimmen zugunsten der Bundesregierung ist Hessen das Land, in dem die „unitarischen“ Tendenzen am stärksten sind. Dann folgen Rheinland-Pfalz, Südbaden und Württemberg-Hohenzollem mit je 62 Prozent, Hamburg, Bremen, Niedersachsen und Schleswig-Holstein mit je 59 Prozent. Den Schluß bildet, wie nicht anders zu erwarten war, Bayern, wo aber immerhin auch 47 Prozent für eine stärkere Stellung Bonns und nur 24 Prozent für eine stärkere Stellung der Ländergewalt eingetreten sind. Besonders interessant an diesem Ergebnis ist die Meinung in den süddeutschen Ländern, wo der Föderalismus eigentlich eine stärkere Stütze hatte als in Norddeutschland. Gebe es einen besseren Beweis dafür, daß die Meinung der Bevölkerung gerade heute in manchen wichtigen Fragen nicht mit der der Regierungen übereinstimmt, als die Tatsache, daß selbst in Südbaden, dessen Staatschef einer der verbissensten Kämpfer für den Föderalismus ist, das Volk offensichtlich anders denkt.
Erstes Vertrauensvotum
Labour-Antrag abgelehnt LONDON. Die Regierung Churchill erhielt am Montag im britischen Unterhaus ihr erstes Vertrauensvotum. Ein Antrag der La- bour-Opposition, das Haus solle sein „Bedauern“ über die in der Thronrede empfohlene Rückführung der Stahlindustrie in das Privateigentum zum Ausdruck bringen, wurde mit 320:281 Stimmen abgel'ehnt.
Vor der Abstimmung gab der britische Versorgungsminister Duncan Sandys bekannt, daß in Kürze eine neue Regierungsbehörde, zusammengesetzt aus Vertretern der Regierung, der Unternehmerschaft, der Gewerkschaften und der Verbraucher, die Eisen- und Stahlverwaltung, die von der Labour-Regie- rung zur Lenkung der verstaatlichten Industrien eingesetzt wurde, ablösen werde. Dia Gesetzesvorlage über die Rückführung der Stahlindustrie in das Privateigentum soll am 1. Februar eingebracht werden. Der frühere Labour-Versorgungsminister, George Strauss, erklärte, der Plan der Konservativen werde zu „Unsicherheit und Chaos“ führen.
Das neue britische Parlament geht nach einer Mitteilung der Regierung vom 7. Dezember bis zum 29. Januar in Ferien. Churchill hatte ursprünglich einen Zeitraum von Anfang Dezember bis Anfang Februar angegeben.
Dem spanischen Botschafter in London ließ die britische Regierung dieser Tage mitteilen, daß sie „korrekte und freundschaftliche Beziehungen" zwischen beiden Ländern wünsche. Regierungskreise sind der Ansicht, daß Außenminister Eden wahrscheinlich in Kürze die Einwände zurückziehen werde, die die La- bour-Regierung gegen Spanien hatte.
Ein heiterer Roman mm I' ranz Goßt:
„Nachsaison"
Copyright by Schwab. Veriagsgesellschaft, Tübingen
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Die Gaststube leerte sich. Der Obermoser blieb an seinem Platz sitzen wie hineingeschmiert.
„Um Gottes willen, wie sehen Sie denn aus?“ kam der Amerikaner auf ihn zu.
Nun erst kam Leben in das Häufchen Unglück. Mit einer unbeteiligten Selbstverständlichkeit, als wenn er das alltäglich zu tun hätte wie das Waschen, wischte sich der Obermoser die Knödelbrocken ab und sagte geknickt: „Was sagen Sie denn zu dieser Schweinerei, Herr Myera?“
„Es ist schrecklich“, pflichtete der Amerikaner der unausgesprochenen Klage bei, „aber Kopf hoch, Obermoser! Vielleicht faßt man die Einbrecher, bevor sie das ganze Geld ver- blitzt haben. Dann können wir ja wieder weiterreden. Freilich müßte das bald sein, denn lang kann ich nicht mehr hier bleiben. Die Geschäfte verlangen dringend nach mir.“
Dem Obermoser fiel es in seinem Jammer nicht auf, daß der Amerikaner nichts davon erwähnte, ob er die Lisi gleich mitnehmen oder später holen wolle, so zerschlagen war er. Mit dem Mann ist heute nichts anzufangen, dachte sich auch Herr Myera und überließ den Freund seinen trübseligen Betrachtungen.
Inzwischen kam der Briefträger-Lois ins Haus gerannt und, nachdem er einige Türen aufgerissen hatte, ohne den gefunden zu haben, den er suchte, rief er durchs Haus: „Martin! — Martin!“
Er mußte den Ruf mehrmals dringend wiederholen, bis oben über den Gang Schritte vernehmbar wurden. Martin streckte den Kopf
über das Geländer: „Was willst denn schon wieder, du lästiger Knochen?“
Der Lois stieß sich nicht an der wenig freundlichen Begrüßung und forderte den Martin halblaut auf: „Komm her, ich muß dir was sagen.“
„Hab keine Zeit für deine Dummheiten“, wollte ihn Martin abfertigen.
„Wenn du wüßtest, hättest sie schon“, machte ihn der Briefträger mit einer geheimnisvollen Andeutung neugierig.
„Wenn schon meinst, kommst herauf! Ich bin beim Zusammenpacken, ich geh“, erklärte ihm der Martin die Lage. Der Lois war davon nicht überrascht, denn er hatte von den Vorfällen schon Wind bekommen.
„Ich tat mir damit Zeit lassen, Martin, wenn ich du wär“, rief er dem Wirtssohn beim Hinaufgehen.
Und als er bei ihm war, fuhr er fort „Errat, wen ich heut mitsammen gesehn hab? — Zwei, die sonst kaum e!n Wort mitsammen reden. Hinter eurem Stadel."
„Red schon, ich habe keine Lust zum Rätselraten“, schnarrte Martin den Briefträger ungeduldig an.
Der Lois legte den Mund ans Ohr des Burschen und flüsterte einige Worte. Martin fuhr betroffen zurück und sah den andern ungläubig an:
„Du, laß einmal riechen! Wieviel Stamper- len Schnaps hast du denn heute schon geputzt?“
„Bei meiner Seel, ich bin nüchtern wie ein neugeborenes Kalb“, beteuerte der Lois. Er machte auch einen durchaus zuverlässigen Eindruck.
„Und du hast das wirklich mit deinen eigenen Augen gesehen?“ fragte nochmals eindringlich der Martin.
„So wahr als mir meine Alte das Leben sauer macht!“ — Das war ein Schwur, dem man unbedingt Glauben schenken mußte.
Eine steile Falte schnitt sich in die Stirne Martins, Mit gespreizten Beinen stand er da,
als wollte er sich gegen Tod und Teufel anstemmen, und dachte angestrengt nach. Dann stieß er zwischen den Zähnen hervor: „Wart nur, du Kerl, du lumpiger, dir komm ich schon noch auf die Schliche!“
Gleich darauf schlug er dem Briefträger auf die Schultern, daß es knackte: „Lois, wenn mir das weiterhilft, dann kriegst ein ganzes Faßl Wein!“
„Aber ohne Lilo als Zugabe!“ bat sich der Lois mit kläglicher Mine aus und trollte sich, nicht ohne noch „Viel Glück“ gewünscht zu haben.
In der nächsten Viertelstunde blätterte Martin hastig die Meldezettel, durch, die in einem ziemlichen Durcheinander aufbewahrt waren. Plötzlich zog er einen heraus und pfiff durch die Zähne. Er hatte entdeckt, was er suchte.
Die Auswirkung dieses Fundes war folgender Brief:
„Lieber Johann!
Du wirst dich wundern, von mir einen Brief zu bekommen. Bei uns ist nämlich seit einigen Tagen der Teufel los. Ich kann Dir nicht das alles erzählen. Warum ich Dir schreibe, das hat einen anderen Grund. Wie wir zusammen beim Militär waren, hast Du mir davon erzählt, daß Du einen Onkel hast, der Detektiv oder was Ähnliches ist. Sei so gut und sag ihm, er soll zu uns herkommen. Ich zahle alles. Und ich werde ihm dann auch alles ausdeutschen, warum ich das möchte.
Hoffentlich geht’s Dir besser als mir, aber es wird alles eingerenkt werden mit Hilfe von Deinem Onkel.
Sei inzwischen bestens bedankt und gegrüßt von Deinem alten
Martin Kralinger,
Hirschenwirtssohn in Zwischenquell."
Schon wieder wurde draußen an der Bahn ein Fuhrwerk nach Zwischenquell verlangt. Ein älterer, etwas blasser und magerer Herr mietete sich eine Fahrgelegenheit. Während
er noch am Verhandeln war, schnaufte ein Mann heran, der das gerade Gegenteil des Fragenden war. Die Fülle seines Körpers steckte in einem Steirergewand und auf dem roten Vollmondkopf saß ein speckiges Hütl, von dem ein Gamsbart wippte, der so zerrupft war, daß man in Versuchung kam anzunehmen, diese Zierde stamme vom Urahn aller Gemsen.
Leicht tippte er an den Rand des Hutes, als scheue er sich selbst, ihn in die Hand zu nehmen: „’tschuldigen Sie, Philipp Sandbich- ler ist mein Name, Besitzer der Löwenbrauerei in der Stadt draußen.“
„Freut mich“, sagte der Magere, wobei seiner Stimme allerdings nicht viel Freude anzumerken war, „und Sie wünschen?“ ,,'tschuldigen Sie schon“, wieder tippte der Dicke weltmännisch an seinen Hut, „ich hab da zufällig gehört, Sie wollen nach Zwischenquell und da ich auch ..., da hab ich mir halt gedacht..., ’tschuldigen Sie schon, wir könnten zusammen ...“ Verlegen brach er ab.
Hochmütig ging der Angeredete auf das Gespräch ein: „Wenn ich Sie recht verstehe, meinen Sie, wir sollten gemeinsam fahren?
„Ja, ja, ganz richtig“, fiel erfreut der Besitzer des ehrwürdigen Gamsbartes ein.
Der andere zauderte, willigte dann aber ein: „Na, ja, wäre nicht ganz unvernünftig.“ Während sie gemütlich in den Wagen kletterten, schwadronierte der Dicke drauf los, daß es auch der Kutscher hören konnte, er habe die Brauerei erst ein halbes Jahr und habe sich jetzt auf den Weg gemacht, endlich einmal seine Kundschaft zu besuchen; man müsse doch, ’tschuldigen Sie schon, die Wirte kennen, die einem das Bier abkaufen. Der Hirschenwirt in Zwischenquell sei auch einer seiner Abnehmer. Und so schwatzte er wak- ker drauf los und man konnte nicht erkennen, war der andere von Natur aus schweig* sam oder kam er bloß nicht zu Wort, weil er so gut wie keine Antwort gab.
(Fortsetzung folgt)