HEIMATBLATT FÜR
STADT UND LAND
MITTWOCH, 31. OKTOBER 1951
ÜBERPARTEILICHE TAGESZEITUNG
7. JAHRGANG / NR. 17»
Spekulationen um Churchills künftige Europapolitik
Eden sofort sehr aktiv / Kabinett vervollständigt sich
LONDON. Die Deutschlandpolitik der Regierung Churchill-Eden beginnt mit der Begegnung Eden-Acheson-Schuman auf der UN-Tagung in Paris Anfang November. Sie gibt Gelegenheit zu einer Aussprache über die Entwicklung der Verhandlungen seit der Washingtoner Konferenz im September und über den Churchill zugeschriebenen Plan, eine Konferenz „auf höchster Ebene“ zur Beendigung des kalten Krieges zwischen Ost und West vorzubereiten. Auf der UN-Tagung selbst soll über den Vorschlag Dr. Adenauers entschieden werden, die Voraussetzungen für eine gesamtdeutsche freie Wahl durch eine UN-Kommission in West- und Ostdeutschland untersuchen zu lassen.
Obwohl die persische und ägyptische Krise im Vordergrund stehen, gehört seit der Neubildung der britischen Regierung die Frage nach der Ansicht Churchills und Edens über Deutschland zu den häufigsten, die in London gestellt werden. Diplomatische Kreise betonen, daß sich die Unterschiede zwischen Churchills Politik und der bisherigen Labour-Poli- tik vor allem auf das Tempo beziehen werden, mit dem Churchill auf die Eingliederung Deutschlands in den Westen drängen werden.
Mit einiger Spannung sieht man den ersten Schritten der Konservativen Regierung in der Frage des europäischen Zusammenschlusses entgegen, in der vor allem Churchill eine besondere Aktivität entfaltet hat. Konservative Kreise meinen, daß man nicht zwischen Commonwealth- und Europa-Orientierung zu wählen habe, sondern daß eine Konsolidierungspolitik in beiden Richtungen betrieben werde müsse. Der Westen sei in der heutigen weltpolitischen Lage eine Einheit.
Churchill soll, wie seine Freunde wissen wollen, auch neue Drei- oder Viermächtever
handlungen unter dem gleichen Gesichtswinkel sehen. Sie würden nicht im Sinne der Kriegsallianz geführt werden, d. h. nicht auf Kosten eines Dritten. Es wäre dazu im Widerspruch, wenn man Deutschland nicht als einen festen Bestandteil der westlichen Welt betrachten würde. In diesem Sinne berührten Gespräche über eine Konferenz zur Beendigung des kalten Krieges auch Deutschland. Bei der Frage der gesamtdeutschen Wahlen vor der UN könnten die Meinungsverschiedenheiten über die Oder-Neiße-Linie eine Rolle spielen, wenn die Sowjetunion ihre Anerkennung bei dieser Gelegenheit durchzusetzen versuche.
Der neue britische Botchafter Anthony Eden hat bereits an seinem ersten Arbeitstag eine Reihe von Schritten unternommen, die weitreichende Rückschlüsse auf das künftige außenpolitische Programm der konservativen Regierung zulassen. Als erstes hat Eden den britischen Botschafter in Teheran, Sir Francis S h e p h e r d , zu Besprechungen über die Möglichkeit einer Wiederaufnahme der anglo- persischen Ölverhandlungen nach London gerufen. Gleichzeitig wurde im Foreign Office mit der Ausarbeitung einer neuen Note an Ägypten begonnen, in der Vorschläge zur Beendigung der gegenwärtigen anglo-ägypti- schen Krise unterbreitet werden sollen. In diesem Zusammenhang soll Eden in Erwägung ziehen, auch den britischen Botschafter in Ägypten, Sir Ralph Stevenson, zu Besprechungen nach London zu rufen.
Gestern nachmittag hat Churchill noch vier weitere Minister für sein neues Kabinett ernannt. Es handelt sich um folgende Personen: Harold Mac Millan, Minister für Wohnungsbau und Gemeindewesen. Er wird mit der Aufgabe betraut, den konservativen Plan
Noch keine Einigung
Hohe Kommission widerspricht deutscher Beurteilung der Verhandlungen
Drahtbericht unserer Bonner Redaktion
BONN. Entgegen den sehr optimistischen Erklärungen am vergangenen Wochenende beurteilen jetzt Bonner Regierungskreise die deutsch-alliierten Verhandlungen über die Washingtoner Beschlüsse wieder mit betonter Zurückhaltung. Vor der Ankündigung, daß die nächste Zusammenkunft zwischen Bundeskanzler Dr. Adenauer und den Hohen Kommissaren von Mittwoch auf Freitag auf Wunsch der Kommissare verlegt worden ist, hatten maßgebende Beamte der Alliierten nachdrücklich vor einem übertriebenen deutschen Optimismus gewarnt. Es sei keine Rede davon, daß der Kanzler bereits in dieser Woche den Entwurf für einen allgemeinen Rahmenvertrag vorlegen werde.
Ein Abschluß irgendwelcher Verhandlungen
Erneute Stockung
Aufflackern der Kämpfe in Korea MUNSAN. Die alliierten und kommunistischen Vertreter bei der Waffenstillstandskom- mission in Pan Mun Jon hielten gestern erneut zwei Sitzungen ab, bei denen die beiderseitigen Vorschläge für eine neutrale Zone zwischen den Hauptkampflinien besprochen wurden. Nach den ersten Meldungen soll kein weiterer Fortschritt erzielt worden sein.
An der Front sind erneut erbitterte Kämpfe aufgeflackert. Alliierte Panzer und Infanteriestoßtrupps, die im Gebiet von Kumsong Säuberungsaktionen durchführten, stießen auf
hartnäckigen Widerstand frischer chinesischer \ th. STUTTGART. Im Landtag von
stehe nicht zur Debatte. Auch eine Vorentscheidung über den Vertrag für einen deutschen Verteidigungsbeitrag sei nicht zu erwarten. Ferner hatten diese Beamten erklärt, daß jedes Übereinkommen, das zwischen dem Bundeskanzler und den Hohen Kommissaren getroffen wird, die Zustimmung der drei Regierungen der Westmächte bedarf. Erst dann könnte mit gutem Recht von einem Abschluß der Verhandlungen gesprochen werden.
„Wir stellen uns ein breitangelegtes Vertragswerk vor, das sich nicht nur auf einen deutschen Verteidigungsbeitrag bezieht, sondern auf alle anderen Fragen, die die deutschalliierten Beziehungen regelt. Daneben sollen etwa sechs separate Konventionen abgeschlossen werden, die einzelne Teilgebiete betreffen.“ Diese Zielsetzung, wie sie ein amerikanischer Beamter formulierte, bestätigt die Erwartung politischer Kreise in Bonn, daß noch einige Wochen zur Paraphierung der ersten Verträge vergehen werden und diese Meinung bestätigten auch maßgebende Beamte der britischen Hohen Kommission, die betonen, daß von einem baldigen Verhandlungsabschluß nicht gesprochen werden sollte.
für 300 000 neue Wohnungen jährlich in die Wirklichkeit umzusetzen. Lord Leathers, Minister für die Koordinierung von Verkehr, Brennstoff und Energie. Minister für das Verkehrs-, Brennstoff- und Energieministerium werden später ernannt. Harry F. Crooks- hank, Gesundheitsminister. Ihm untersteht das verstaatlichte Gesundheitswesen mit einer Riesenorganisation. Er wurde gleichzeitig zur Entlastung Edens zum stellvertretenden Führer des Unterhauses ernannt James Stuart wurde Minister für Schottland; zusätzlich berief Churchill Patrick Buchan-Hep- burn als Staatssekretär ins Finanzministerium und den Brigadegeneral a. D. Selwyn Lloyd ins Außenministerium.
Mord in Kambodscha
Französischer Kommissar erstochen
PNOM PENH. Der französische Kommissar für Kambodscha, de Raymond, ist in seinem Heim in der Hauptstadt Pnom Penh erstochen aufgefunden worden, gab am Dienstag das Ministerinm für die assoziierten Staaten in Paris bekannt Die Mordtat selbst geschah am Montag. Kambodscha ist einer der drei indochinesischen Mitgliedstaaten der französischen Union (die beiden anderen sind das Königreich Laos und die vietnamesische Republik).
Der frühere französische Kommissar und Oberbefehlshaber der Erdtruppen in Südvietnam, General Chanson, wurde bereits am 31. Juli in Sadec, südlich von Saigon, Opfer eines Mordanschlags.
Deutschlands Weltmeister-Paar im Eiskunstläufen, das Ehepaar Falk, hat bei den gestern in Turin begonnenen Weltmeisterschaften im Rollschuhlauf ebenfalls große Chancen für den höchsten Titel
Bemerkungen zum Tage
Keine Außenpolitik
hf. Auf einer Wahlversammlung in Wiedenbrück hatte Bundeskanzler Adenauer in der vergangenen Woche die Berechtigung einer optimistischen Beurteilung der deutsch-alliierten Verhandlungen betont. In der gleichen Richtung liegende Agenturmeldungen wurden im offiziellen Bonn eher bestätigt als dementiert. Nun haben es die Alliierten für richtig gehalten, nachdrücklich vor einem übertriebenen deutschen Optimismus zu warnen. Was Kanzler und Regierung mit ihrem Zweckoptimismus wollten, bleibt völlig unklar. Zwei Landtagsnachwahlen in Nordrhein-Westfalen gewinnen? Nun, dessen bedurfte es diesmal nicht. Die deutsche Verhandlungsposition wurde dadurch gewiß nicht verbessert. Oder wollte man die Alliierten drängen, sich auch auf für Bonn annehmbare Bedingungen festzulegen? Man hat das Gegenteil erreicht. In der Wirkung auf Deutschland und auf das Ausland ist es ein gefährlicher Optimismus, der da demonstriert wurde, und überdies: mit Außenpolitik oder gar Diplomatie hat dies nichts gemein.
Halten wir noch einmal den wirklichen Stand der deutsch-alliierten Verhandlungen fest. Man ist sich in der Frage des Rahmenvertrags, der nur einer von mehreren Verträgen ist, nähergekommen. Von einem Abrücken der Hohen Kommission von ihrem bisherigen — gemäß den Washingtoner Beschlüssen — vertretenen Standpunkt kann nicht die Rede sein. Auch die deutsche Seite hat bis heute keine entscheidenden Zugeständnisse gemacht. Das schließt freilich nicht aus, daß ein deutsch- alliierter Rahmenvertrag noch in diesem Jahr paraphiert werden kann. Er wird dann die Punkte enthalten, über die man sich zuerst ei
Kampfansage an Wohieb
Württembergisch-badisclie Regierungserklärung / CDU hält sich zurück Drahtbericht uns er er Stuttgarter Redaktion
Verstärkungen, die ihrerseits teilweise zu Gegenangriffen übergingen Kumsong liegt zurzeit im Niemandsland. Nördlich der Stadt haben die Roten neue Verteidigungsstellungen bezogen.
Die Aussichten für einen erfolgreichen Abschluß der Waffenstillstandsverhandlungen werden zurzeit in Washington als nicht besonders günstig bezeichnet. Wenn ein Fortschritt erzielt werden sollte, so erwartet man ihn eher von Besprechungen in Paris.
Watens edt-Salzgitter
DP fordert sofortigen Wiederaufbau
BONN. Der Fraktionsführer der Deutschen Partei im Bundestag, Hans Mühlenfeld, bat Bundeskanzler Adenauer aufgefordert, s«h bei den Alliierten für den sofortigen Wiederaufbau der demontierten Hüttenwerke der Reichswerke AG in Watenstedt-Salzgitter einzusetzen. Mühlenfeld soll den Kanzler darauf hingewiesen haben, daß neben der Entspannung in der Rohstofflage, die der Wiederaufbau dieser Anlagen mit sich bringen t'nirde, auch sozialpolitische Überlegungen eine Rolle spielten. Der Raum Watenstedt- Salzgitter weise eine erheblich über dem Bundesdurchschnitt liegende Zahl von Arbeitslosen auf.
Württemberg-Baden ist am Dienstag vom stellvertretenden Ministerpräsidenten Dr. V e i t h eine Regierungserklärung verlesen worden, die eine starke Polemik gegen die Altbadener enthält. Ihnen wird vorgeworfen, sie hätten das Vertrauen zum Bundesverfassungsgericht dadurch untergraben, daß sie das Gerücht verbreitet hätten, das Bundesverfassungsgericht habe nicht nach bestem Wissen und Gewissen geurteilt, sondern sich einem politischen Drude von höchster Stelle der Bundesrepublik gefügt Es fehle eine parlamentarische Vokabel, eine solch ungeheuerliche Beleidigung gebührend zu qualifizieren. In der Regierungserklärung wird dann gesagt, für die Idee des alten Landes Baden stritten mit der Freiburger Regierung nur die Kommunisten und ehemaligen prominenten Nazigrößen, die nicht den Wohlstand aller Volkskreise wünschten, sondern Not und Chaos.
Die CDU mißbilligte die Regierungserklärung. Der Vorsitzende der CDU, Simpfen- dörfer, sagte, seine Fraktion bedauere einmütig und aufs tiefste, daß die Regierung in einer Stunde hochgespannter staatspolttischer Verantwortung es für richtig gehalten habe, in der Hauptsache polemische Gesichtspunkte vorzutragen. Die Fraktion der CDU habe nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts ei
nen versöhnlichen Brückenschlag nach Baden erwartet. Das Gegenteil aber sei der Fall gewesen.
In der dann folgenden Aussprache meldete sich kein Abgeordneter der altbadischen Richtung zu Wort. Die Sprecher der SPD machten geltend^ daß eine scharfe Regierungserklärung angesichts der südbadischen Propagandamethoden notwendig gewesen sei. Zu bedauern sei, daß die schwäbischen Mitglieder derCDU- Fraktion eine „falsche Neutralität“ an den Tag gelegt hätten. „Im gegenwärtigen Augenblick ist eine Hand der Versöhnung nicht möglich.“ Die Regierungserklärung wurde in namentlicher Abstimmung von den Regierungsparteien gebilligt Die CDU stimmte dagegen, die DG/BHE enthielt sich der Stimme.
Alter Landtao wird verlängert
Volksabstimmung mit Südweststaatwahl
TÜBINGEN. Das Kabinett von Württein- berg-Hohenzollern beschloß, die Volksabstimmung über die Verlängerung der Legislaturperiode des Landtages zusammen mit der Abstimmung über die Vereinigung der drei südwestdeutschen Länder, also voraussichtlich am 9. Dezember, durchzuführen.
Die Kommunal- und Kreistagswaben finden, wie vorgesehen, am 18. November statt
nigen konnte. Wie viele der entscheidenden Punkte darin enthalten sein werden, ist die offene Frage, die in der bevorstehenden Konferenz der Sachverständigen und in Besprechungen Adenauers mit den Hohen Kommissaren beantwortet wird.
Voreiliger Optimismus
jk. In der deutschen Öffentlichkeit sind an die Rückkehr der englischen Konservativen an das Regierungssteuer allenthalben optimistische Erwartungen geknüpft worden. Eine Intensivierung der Europapolitik ist das Mindeste, was man von Churchill erhofft. Gewiß, der große alte Mann Churchill hat schon das Format, über nationale Grenzpfähle hinwegzugehen. Ob ihm die wirtschaftliche Situation Englands aber gestattet, beispielsweise eine Revision der britischen Haltung gegenüber dem Schuman-Plan herbeizuführen, ist bereits eine offene Frage. Die Zukunft wird zu erweisen haben, wie weit der Premier halten kann, was der Oppositionsführer versprochen hat. Unbestritten dürfte sein, daß er bei seiner alten und bekannten Neigung für Frankreich nichts unternehmen wird, was dessen vitalen Interessen zuwiderläuft.
Mit noch weit größerer Vorsicht müssen die Aspekte der britischen Deutschlandpolitik beurteilt werden. Übersehen wir dabei nicht, daß die Konservativen nur einen knappen Wahlsieg buchen konnten. Churchill sieht sich also
— ganz wie Adenauer in der Bundesrepublik
— einer starken Opposition gegenüber; besonders die Gewerkschaften dürften ihm schwer zu schaffen machen und an alles, was er tut, Maßstäbe schärfster Kritik anlegen. Er steht aber außerdem den beträchtlichen wirtschaftlichen Schwierigkeiten gegenüber, die, durch die Wiederaufrüstung ausgelöst, nicht einfach deshalb verschwinden, weil an Stelle der Labours nun die Konservativen am Ruder sind.
Mit der Bundesrepublik aber steht England in einem Exportwettbewerb, der, schon bald nach der deutschen Geldneuordnung in Erscheinung getreten, in den letzten Jahren ständig an Schärfe gewonnen hat. Daran wird, daran kann sich nichts ändern, solange die beiden Völker ihre grundlegenden Lebensinteressen mit aller Kraft zu verteidigen gesonnen sind. Die Bundesrepublik wird somit ihren Kampf mit unvermindertem Nachdruck zu führen haben; auf wirtschaftlichem Gebiet ohnedies, und auf politischem auch, denn England hat außer der Frage beispielsweise der deutschen Gleichberechtigung eigene schwere Sorgen in Menge.
Leichter Rechtsruck
Die Wahlen in der Schweiz
BERN. Die Schweizer Wahlen zum Nationalrat und Ständerat haben nach dem noch nicht endgültigen Ergebnis nur unwesentliche Verschiebungen innerhalb der Parteien bei einem leichten Rechtsruck gebracht Der Schweizer Nationalrat wird sich wie folgt zusammensetzen, in Klammern die Fraktionsstärken in der vergangenen Legislaturperiode: Freisinnige 51 (52), Sozialdemokraten 49 (48), Katholisch-Konservative 48 (44), Bauern-, Gewerbe- und Bürgerpartei 23 (21), Unabhängige 10 (9), Liberal-Demokraten 5 (7), Partei der Arbeit (Kommunisten) 5 (7), sowie einige Mandate fü r kleinere Splittergruppen