NUMMER 156

SAMSTAG, 6. OKTOBER 1951

Mitenand goht s besser!

Was wir von den Schweizern lernen sollten / Von Will Hanns Hebsacker

Im schweizerischen Zollhaus habe ich, von Sig­maringen kommend, zum erstenmal das Bild des zufrieden lächelnden Eidgenossen gesehen, das die Unterschrift trägt:Mitenand gohts besser! Der Zollbeamte konnte mir auch meine Fragen beantworten, was das Plakat bedeuten solle, wer der Urheber sei, ob es sich um die Werbung einer Partei handle u. a. m. Die Aktion mit der so selbstverständlich erscheinenden These, daß miteinander alles besser geht, hat in der ganzen Schweiz der Gotthard-Bund durch­geführt. Das ist eine überparteiliche Organisa­tion, der es darum zu tun ist, den Bürgersinn der Schweizer wachzuhalten, Gegensätze zu über-', brücken und zur Verständigung in allen politi­schen und wirtschaftlichen Fragen aufzurufen. Bemerkenswert, daß es so etwas gerade in der Schweiz gibt, wo wir in Deutschland froh wären, wenn bei uns auch nur ein Teil des­sen im Volk lebendig wäre, was in der Schweiz seit Jahrhunderten im Denken und Fühlen des Volkes als echte Demokratie verwurzelt ist.

Der Staatsgedanke

Ausgehend von ihrenLandsgemeinden wa­chen die Schweizer sorgsam darüber, daß die Demokratie, was jaHerrschaft des Volkes be­deutet, nicht zu einem leeren Wort erstarrt, son­dern sich täglich aufs neue bewährt. In allen wichtigen Fragen, die die Schweiz berühren, ist jederzeit der Appell an das Volk möglich, und keine Regierung würde es wagen, innen- und außenpolitische Entscheidungen von größe­rer Tragweite zu fassen oder gar durchzuführen, ohne daß dazu das Schweizer Volk ausdrücklich seine Zustimmung gegeben hat. DieLandsge­meinde ist der unmittelbarste Ausdruck demo­kratischen Lebens, und der schweizerische Schrift­steller Georg Thiirer hat darüber mit Recht gesagt:Der Staatsgedanke ist es, der unseren Kleinstaat groß macht.

Dieses jahrhundertealte demokratische Staats­denken macht es den Schweizern viel leichter als uns, sich auch in schwierigen Fragen zu ver­ständigen und miteinander zu gehen. Aber w i r Deutsche hätten das noch viel nötiger! Und wie weit wir im Grunde von echter Demokratie und einem wahren Gefühl der Zusammengehö­rigkeit entfernt sind, das beweist neben vie­lem anderem gerade heute der beschämende Streit um die Neugliederung des südwestdeut­schen Raumes, wobei Staatspräsident Wohieb in Südbaden der Rufer im Streit um die Verewi­gung partikularistischen Geistes und einer be­schränkten Kirchturmspolitik immer gewesen und bis auf den heutigen Tag geblieben ist.

Da erscheinen zur rechten Zeit im Jung-Verlag in Stuttgart zwei Schriften von Waldemar K u r t z. die auf schweizerischen Erkenntnissen beruhen; sie werden vom Verfasser sinngemäß auf das kommende Bundesland des Südweststaa­tes übertragen.Gemeinden sind wich­tiger als Staaten, betitelt sich die erste; Kurtz hat sie seinem Basler Lehrer und Freund Adolf Gasser gewidmet. Die zweite Veröffentli­chung, ein Vorschlag zur Verständigung in der Südweststaatfrage, trägt den TitelDas neue Bundesland. Ihr ist ein Wort des Freiherrn vom Stein vorangesetzt, das er am 10. Februar 1816 an den Großherzog von Baden gerichtet hatte:Verfassungen bilden, heißt bei einem al­ten Volk wie dem deutschen, das seit zweitau- eend Jahren eine ehrenvolle Stelle in der Ge­schichte einnimmt, nicht sie aus nichts erschaf­fen, sondern den vorhandenen Zustand der Dinge untersuchen, um eine Regel aufzufinden, die ihn ordnet. Allein dadurch, daß man das Gegenwär­tige aus dem Vergangenen entwickelt, kann man ihm eine Dauer für die Zukunft sichern.

Das WortGemeinden sind wichtiger als Staa­ten stammt von unserem Bundespräsidenten Theodor H e u ß. Er hat diesen Satz in das Gol­dene Buch der Stadt Wiesbaden geschrieben. Die Gemeinde als Hort der Freiheit und Heimat des Bürgers soll die Grundlage des demokratischen Staates bilden. Darüber hat sich Adolf Gasser in seinem bekannten BuchGemeindefrei­heit als Rettung Europas des näheren ausgesprochen und insbesondere klar herausge­stellt, daß die Gemeindefreiheit die Keimzelle der abendländischen Kultur darstellt.Der zen­tralisierte Großstaat, sagt Gasser,war im Abend­land von Alexander über die römischen Cäsaren bis zu Napoleon und Hitler stets ein Phänomen des Untergangs. Die freie, sich selbst verwal­tende Gemeinde ist zugleich ein Kontrollorgan des Staates, dessen Vertreter vor allem ganz oben leicht in den Fehler verfallen, autoritär regieren zu wollen, auch wenn sie für ihre Ma­chenschaften Tarnbezeichnungen wie etwa die der repräsentativen Demokratie verwenden. Wal­demar Kurtz schließt seine VeröffentlichungGe­meinden sind wichtiger als Staaten mit diesen Worten:Die Frage nach dem letzten Ursprung der staatstragenden Kraft des guten Willens muß im Politischen offen bleiben, da sie in den religiösen Bereich führt und vom Staat her nicht entschieden werden kann und soll. Auf dieser Kraft beruht der Staat Pestalozzis und Jakob Burckhardts, die Schweiz, der humane Staat, der nichts anderes sein will als die freie Gemein­schaft seiner Bürger.

Sinnvoll verwalten

Ach wieviel und wieviel Selbstverständliches haben wir noch zu lernen! Waldemar Kurtz zieht gerade für uns Schwaben und Badener die Nutz­anwendung in seiner zweiten Veröffentliehung Das neue Bundesland, in der er sich vor allem für eine Revision der heutigen Kreisgrenzen nach regionalen Gesichtspunkten einsetzt. Von hier aus muß nach seinen Ausführungen der organi­sche Aufbau des neuen Südweststaates erfolgen und bürokratischer Widersinn muß mit der Wur­zel ausgemerzt werden, damit die Menschen des neuen Bundeslandes sinnvoll leben und arbeiten können.

Was es damit für eine Bewandtnis hat, sagt klar und überzeugend die Denkschrift der Stadt Pforzheim an das Staatsministerium und den Landtag über die notwendige Neugliederung ih­res Wirtschaftsbezirks anläßlich der Bildung des Südweststaats. Dort ist ausgeführt:Ein beson­ders eindrucksvolles Beispiel für die Notwendig­keit einer Revision der Kreisgrenzen ist der heu­tige Landkreis Pforzheim. Die Stadt Pforzheim ist der wirtschaftliche und kulturelle Mittel­punkt eines Gebietes, das einen einheitlichen Wirtschaftsraum umfaßt, dessen staatliche Ver­waltung sich aber auf sechs Landkreise, drei Länder und zwei Besatzungszonen verteilt. Ob­wohl der natürliche Mittelpunkt des Gebietes für die Bevölkerung Pforzheim ist, sind die zu­ständigen Verwaltungsbehörden je nach der Lan­deszugehörigkeit auf weit voneinander entfernte Plätze verteilt. Ein Bürger der zum Pforzheimer Gebiet gehörenden Stadt Neuenbürg hat z. B. zu seinem Landgericht in Tübingen 130 km, zu sei­ner Handwerkskammer in Reutlingen 146 km, zum Feldbereinigungsamt in Freudenstadt 116 km, zur Handelskammer in Rottweil 169 km mit der Bahn zurückzulegen, während die Bahnentfer­nung nach Pforzheim, dem natürlichen Sitz al­ler dieser Verwaltungsstellen, nur 11 km be­trägt. Ein einheitliches Wirtschaftsgebiet ist hier durch Verwaltungsgrenzen zum Schaden der Be­völkerung verhängnisvoll zerschnitten. Die von der landesfürstlichen Staatsverwaltung festge­legten Kreisgrenzen Teile des Pforzheimer

Gebiets kamen 1603 durch Verkauf an Württem­berg entsprechen in keiner Weise mehr der landschaftlichen, wirtschaftlichen und verkehrs­mäßigen Einheit dieses Gebiets. Eine Anpassung der Verwaltungsgrenzen an den natürlichen menschlichen Lebensraum nach den Grundsätzen eines gesunden Regionalismus ist, wie das Pforz­heimer Beispiel zeigt, ein dringendes Erforder­nis moderner Staatsgestaltung, die nicht mehr von territorialstaatlichen Machtinteressen, son­dern von den Bedürfnissen des arbeitenden Men­schen ausgeht. Was für Pforzheim gilt, trifft, wenn auch in geringeremMaße, für die meisten Landkreise des südwestdeutschen Raumes zu.

Neugliederung S ü d w e s t d e u t s c h - lands

Von den Erfahrungen im eigenen Bezirk aus­gehend, kommt die Pforzheimer Denkschrift zu der Feststellung:Es erscheint zweckmäßig, den vom Leben geschaffenen Wirtschaftsbezirk ohne Rücksicht auf Verwaltungsehrgeiz und -Riva­litäten zum Verwaltungsbezirk, also zum Kreis, zu machen, dessen kreisfreie Hauptstadt dann auch die wirtschaftliche Basis für die Erfüllung ihrer kulturellen Aufgabe als geistiger Mittel­punkt ihres Betreuungsbereiches gewinnt. Die Lebensunfähigkeit mancher derzeitigen Kreisbil­dung beruht trotz allen Rechenkunststücken be­züglich Fläche und Einwohnerzahl auf dem Feh­len eines echten, vitalen Mittelpunktes, der die erforderliche Kraft ausströmt und durch seinen Sog den Bezirk zusammenhält.

Von dieser Folgerung, die eine Grunderkennt­nis des modernen Regionalismus ausspricht, kommt der Verfasser der Pforzheimer Denk­schrift zu einer Gliederung des ganzen südwest­deutschen Gebietes in zwei Stadtkreise und 33 Landkreise etwa der Hälfte der heutigen Zahl. Man mag von anderen Gesichtspunkten her zu einer anderen, großräumigeren Gebietsgliede­rung kommen wichtig ist zunächst nur, daß die Notwendigkeit einer Revision der heutigen Kreis­grenzen nach regionalen Gesichtspunkten erkannt und anerkannt wird.

Einen Hinweis auf einen den modernen Be­dürfnissen entsprechenden Gebietsumfang der Kreise, sagt Oberbürgermeister a. D. Scholl, gibt die im Jahre 1924 vorgenommene Einrich­tung der Bezirke der Württemberg und Baden umfassenden Landesarbeitsverwaltung Südwest­deutschland, die ja auch als Selbstverwaltungs­einheiten gedacht waren. Zu welchen Lösungen man aber hier auch im einzelnen kommen mag: Die staatliche Neuordnung im Südwesten wird erst mit einer sinnvollen regionalen Verwal­tungsgliederung des Gebietes, die den natürli­chen Zusammenhängen folgt, vollendet sein.

*

Kein Württemberger und kein Badener, dem es ernst ist um seine Heimat und der sich ehrlich um sie sorgt und müht, kann an den Veröffent­lichungen von Waldemar Kurtz achtlos vorüber­gehen. Wir wiederholen deshalb noch einmal die Titel:Gemeinden sind wichtiger als Staaten undDas neue Bundes­land, beide erschienen im Jung-Verlag in Stuttgart-Degerloch. Wer sich für die schweize­rischen Verhältnisse näher interessiert, findet al­les Wissenswerte in dem Buch von Adolf Gasser Gemeindefreiheit als Rettung Eu­ropa s, erschienen im Verlag der Bücher­freunde in Basel, und in dem sehr lebendig ge­schriebenen, reichbebilderten Werk von Georg ThürerUnsere Landsgemeinden im Verlag Eugen Rentsch in Zürich-Erlenbach.

Sieben Tage im Bild

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Vom SS-Offizier zum indischen V o g i. In seiner neuen Rolle alsSwami Age- hanandt, was zu deutsch heißtHeilige heimat­lose Wonne, zeigt sich hier der frühere SS-Offi­zier Leopold Fischer vor einer Höhle in der Nähe des Birla-Tempels, dem berühmten Hindu-Tem­pel in Neu Delhi (Indien).

Porsche fährt neun neue Welt­rekorde. Dieser deutschePorsche-Wagen, abwechselnd gefahren von Petermax Müller, Hel­mut Glöckler, Huschke von Hanstein, Bruno von Frankenberg und Hermann Ramelow, hat am 1. und 2. Oktober 1951 auf der Monthlery-Renn- strecke bei Paris neun neue Weltrekorde für die Klasse bis 1500 ccm aufgestellt. Es fielen die bis­herigen Rekorde über drei-, vier- und fünftau­send Kilometer, über zwei-, drei-, vier- und fünftausend Meilen sowie über 24 und 48 Stun­den. Aufnahme: AP, Schirner

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