SAMSTAG, G. OKTOBER 1951

NUMMER 156

CDU tür Untersuchungsausschuß

Klärung der Geheimdokumenten-Affäre

BONN. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion will im Plenum einen parlamentarischen Unter­suchungsauschuß beantragen, der die Einzel­heiten der Entwendung von Geheimdokumen­ten aus dem Bundeskanzleramt und ihre Wei­tergabe prüfen soll.

Der Deutschland-Union-Dienst der CDU schreibt zu dem Dokumentendiebstahl, die SPD- Veriautbarungen zu dem Fall enthielten nichts anderes als ein verklausuliertes Eingeständnis des von der Bundesregierung dargestellten Tatbestandes. Bestritten werde lediglich die Aufforderung zum Diebstahl und die Bezah­lung durch die SPD, was auch nicht behauptet worden sei. Die Vorgänge im SPD-Büro, als die Dokumente überreicht wurden, erfüllten nahezu den Tatbestand der Hehlerei,es sei denn, man wolle behaupten, man habe die Herkunft der Dokumente nicht gekannt, für die der französische Nachrichtendienst immer­hin 800 DM monatlich bezahlt hat.

Die SPD beschuldigte am Freitag die Bun­desregierung, sie ziehe nicht die nötigen Kon­sequenzen aus der Tatsache, daßausgerech­net der französische Nachrichtendienst den Bundeskanzler bespitzele. Nochmals wurde betont, daß die SPD keinerlei Dokumente ge­heimen Charakters erhalten und nie gewußt habe oder wissen konnte, daß Dritte irgend­welche Schriftsätze oder Dokumente erhalten hätten.

Unfähige VdS-Führung

Stellungnahme des Union-Dienstes

BONN. DieUnfähigkeit der Führung des Verbandes deutscher Soldaten, ihre Arroganz und den Schaden, den sie im Ausland bereits angerichtet habe, prangert das Presseorgan der CDU/CSU, der Deutschland-Union-Dienst, in seiner neuesten Ausgabe an. Die ehemaligen Militärs, soweit sie im VdS führend seien, hätten aus der Vergangenheit nichts gelernt. Sie fühlten sich berufen, zu schwebenden Ta­gesfragen Stellung zu nehmen und sich auf das glatte politische Parkett zu begeben. Die CDU- Zeitung weist darauf hin, daß der gegenwär­tige Wiederaufbau von Staat und Wirtschaft seit 1945 nicht das Werk der heute auftreten­den ehemaligen Militärs sei; diese hätten es den Politikern zu verdanken, wenn sie sich heute organisieren könnten.

Mossadeq unnachgiebig

Zuständigkeit der UN wird bestritten

TEHERAN. Regierungskreise äußerten am Donnerstag, Ministerpräsident Mossadeq wolle in New York vor dem Sicherheitsrat nur die Zuständigkeit der UN für den britisch­persischen Ölkonflikt anfechten. Die persische Delegation werde die Verhandlungen sofort verlassen, wenn der Sicherheitsrat versuche, Persien eine Entscheidung aufzuzwingen. Mos­sadeq selbst ersuchte das persische Parlament nicht, wie erwartet, um ein Vertrauensvotum, da er, wie er sagte, keine Sondervollmachten brauche. Er sei sicher, daß der Sicherheitsrat die Berechtigung der persischen Ansprüche an­erkennen werde.

Der stellvertretende amerikanische Chefdele­gierte bei den Vereinten Nationen, Gross, sagte in New York, die Vereinigten Staaten hofften noch immer auf eine Regelung des Ölstreits, die für die Interessen und Wünsche beider Par­teien zufriedenstellend sei.

Kein Kommentar

WASHINGTON. Präsident T r u m a n lehnte In seiner wöchentlichen Pressekonferenz eine Stellungnahme zu der Frage ab, ob im Falle eines Angriffs die militärische Verteidigungs­linie in Deutschland entlang der Elbe, am Rhein oder entlang der französischen Grenze gezogen werde. Truman sagte, dies sei eine rein militärische Frage, zu der er nicht Stel­lung nehmen könne. Außerdem weigerte er sich, die Frage zu beantworten, ob er freie ge­samtdeutsche Wahlen in der vom Bundeskanz­ler vorgeschlagenen Form befürworte.

Weltreiche auf gleicher Ebene

Der portugiesisch-brasilianische Machtblock und seine politische Zukunft

Von unserem iberischen Korrespondenten Werner Schulz

LISSABON. Als unter Präsident Getulio Vargas Außenminister Neves da Fontoura vor Monaten seine offizielle Erklärung zur außen­politischen Haltung Brasiliens abgab, prokla­mierte er die Wahrung der portugiesischen Erbschaft und die Anerkennung der Bindun­gen Brasiliens an das alte portugiesische Mut­terland alsunverbrüchliche Grundsätze der brasilianischen Politik.

Diese starke Betonung der portugiesisch- brasilianischen Zusammengehörigkeit war keine leere Phrase oder Höflichkeitsbezeugung. Unabhängig von parteipolitischen und ideolo­gischen Entwicklungen in Lissabon und Rio de Janeiro hat sich das Bewußtsein einer lusi- tanischen Gemeinschaft, das eigentlich nie ver­loren gegangen war, in den letzten beiden Jahrzehnten selbst in den breiten Massen hüben wie drüben in überraschender Weise ausgebreitet. Die sehr weitgehenden politischen Übereinstimmungen zwischen den heute in beiden Ländern bestimmenden Männern, Dr. Oliveira Salazar und Getulio Vargas, geben dieser gefühlsmäßigen Einstellung ihrer Völ­ker einen festen Untergrund und schaffen einzigartig günstige Vorbedingungen für die gemeinsame Stellungnahme Portugals und Bra­siliens gegenüber den großen Weltproblemen.

Natürlich war es für diese Entwicklung von großem Einfluß, daß seit jeher das Hauptkon­tingent der brasilianischen Einwanderung von Portugal gestellt wurde und daß sich der por­tugiesische Emigrant durch seine Zähigkeit eine maßgebende soziale und wirtschaftliche Stellung erkämpft hat, die ihn zu einem wich­tigen Faktor im Leben Brasiliens macht. Er hat sich jedoch geistig und sentimental nie von seiner Heimat gelöst und bildet heute ein festes Bindeglied zwischen den Kontinenten.

Diese enge lusitanische Schicksalsgemein­

schaft führt politisch gesehen zur Bildung ei­nes gewaltigen interkontinentalen lusitani- schen Blockes, der insgesamt 75 Mülionen Menschen, davon 55 in Amerika 8 in Europa und über 12 im portugiesischen Afrika um­faßt, die in ihrer Gesamtheit die entscheiden­den Produktionszentren Südamerikas und Af­rikas beherrschen. Es ist selbstverständlich, daß aus dieser einzigartigen Kräftekonstella­tion heraus auch die Idee einer politischen lusitanischen Union entsteht, die sowohl in Portugal wie in Brasilien ihre Anhänger hat, in erster Linie im Intellektuellentum. Aller­dings befinden sich die portugiesischen Kolo­nien ebenso wie der brasilianische Großraum noch im Stadium einer Entwicklung, die zwar schon zu geradezu phantastisch anmutenden Fortschritten geführt hat, trotzdem aber noch lange nicht abgeschlosen ist. Ihre Fortfüh­rung hängt weitgehend von dem Einstrom ausländischen Kapitals ab und wird auch noch eine Zeitlang davon abhängen müssen.

Tatsächlich liegt dem Portugiesen nichts ferner als politischer Machthunger. Wesentlich wirklichkeitsnaher als diese Idee ist der jetzt des öfteren auftauchende Plan eines regiona­len politischen und wirtschaftlichen Blockpak­tes zwischen den beiden Ländern, der prak­tisch den Südatlantik zu einem lusitanischen Meer machen würde. Ein solcher Blockpakt würde allerdings vorerst gewisse Zollgrenzen und selbst Auswanderungsbestimmungen wohl kaum ausschließen können, um eine Beein­trächtigung der portugiesischen Eigenentwick­lung in Afrika zu verhindern. Tatsächlich ha­ben also diese Pläne und Ideen über die Kon­zentration der wirtschaftlichen und politischen Kräfte des lusitanischen Kulturkreises noch keine festumrissenen konkreten Formen ange­nommen und bedürfen sehr sorgsamer Er­wägungen und eines langsamen Heranreifens.

So zitieren me!

wh. In den Informationen des deutschen Friedenskomitees aus Ostberlin lesen wir in der Ausgabe vom September 1951 unter den Stimmen der Westpresse zu den Weltfestspie­len:Schwäbisches Tagblatt, Tübingen, 15. 8. 1951: Diese Weltfestspiele, die eine Weltstadt einen halben Monat in Atem halten, sind schon eine große Sache. Von westlicher Seite hätte man es gar nicht nötig, die zweifellos vorhan­denen erheblichen organisatorischen Mängel, wie sie bei solchen beispiellosen Massenveran­staltungen wohl kaum ganz vermeidbar sind, so groß anzuprangern. Trotz solcher Mängel wird der Besuch in Berlin für alle Teilnehmer doch ein großes Erlebnis sein. Ja, wenn man nur den vorderen Teil der Sätze zitiert, dann kann man ja alles beweisen auf der Welt. In unserem Artikel ging es nämlich weiter,daß dieses Erlebnis nicht gar zu sehr im Sinne der sowjetischen Propaganda ausfällt, dafür sorgt das bloße Vorhandensein Westberlins mit sei­nem unvergleichlich höheren Lebensstandard. Im übrigen heißt der ganze ArtikelIhnen eine Freude zu machen... (den FDJlern in West­berlin) und beträgt ein Vielfaches an Umfang der von den kommunistischen Friedensfreun­den vorgenommenen, zweckgerichteten Aus­lese. Und daß die Festspiele für die Jungen und Mädchen aus der Sowjetzone eine große Sache waren, nicht nur weil sie begierigen Blik- kes vor den Schaufenstern Westberlins stehen konnten, sondern auch deshalb, weil sie da­durch einmal so oder so aus ihrer Enge heraus­kamen, wo sie nichts anderes kennen, als was ihnen täglich eingetrichtert wird das müs­sen wir als große Sache für sie festhalten. Und wenn! Für die Jugend in der Sowjet­zone ist dasWes Brot ich, des Lied ich sing nicht eine Charakterlosigkeit; sie steht jenseits von Gut und Böse, weil sie nichts an­deres kennt als den hochhängenden Brotkorb.

Hetje gegen Besafsungsmacht

Hintermänner sollen die Kaution zahlen

Kleine Weltdironik

BEBENHAUSEN. Am kommenden Dienstag tritt der Landtag zu seiner 112. Sitzung zusam­men. Auf der Tagesordnung, die acht Punkte um­faßt, steht die zweite und dritte Beratung einer Reihe von Gesetzen.

GARMISCH-PARTENKIRCHEN. Der belgische König Baudouin verbringt schon seit einigen Wochen seinen Urlaub in Hinterries unweit der deutschen Grenze. Am Donnerstag ließ er sich von einem österreichischen Grenzpolizisten mit dem Motorrad nach Garmisch fahren, um auf die Zugspitze zu fahren, wo er auf dem Zug­spitzplatt zusammen mit seiner Schwester l 1 /» Stunden Ski lief.

WIESBADEN. Im zweiten Vierteljahr 1951 wur­den im Bundesgebiet 134 349 Ehen geschlossen. Die Zunahme gegenüber 58 255 in den ersten drei Monaten sieht das Statistische Bundesamt alsjahreszeitlich bedingt an. Gegenüber dem­selben Zeitraum des Vorjahres ist erstmals ein Rückgang der Eheschließungsziffer zu verzeich­nen. Außerdem ist eine relative Zunahme der Geburten und eine Normalisierung der Sterbe­fälle eingetreten.

BAD HERSFELD. Ein Kriegsgericht der vier­ten amerikanischen Infanterie-Division verur­teilte zwei Gefreite zu lebenslänglichem Zucht­haus bei schwerer Arbeit und Ausstoßung aus der Armee, weil sie einen Taxifahrer erschos­sen.

LEIPZIG. Jeder Student in der Ostzone muß auf Grund einer Verfügung des Volksbildungs­ministeriums der Ostzonenregierung künftig beim Staatsexamen nachweisen, daß er die rus­sische Sprache versteht. Er hat eine schriftliche Prüfungsarbeit in Russisch vorzulegen und wird außerdem auch noch mündlich in dieser Sprache geprüft.

BERLIN. Nach dem Vorbild des Bundesgebiets soll in Westberlin ein zentrales Auffanglager für politische Flüchtlinge errichtet werden. Zurzeit kommen täglich etwa 300 politische Flüchtlinge aus den sowjetisch besetzten Gebieten in Ber­

lin an. Die Unterbringungsmöglichkeiten in den 13 städtischen und in 31 privaten Flüchtlings­räumen reichen nicht aus.

BERLIN. Vom Westberliner Amtsgericht Tier­garten wurden bereits am Donnerstag 17 der am Vortage bei den kommunistischen Demonstra­tionen im Bezirk Wedding verhafteten FDJ-An- gehörigen zu Gefängnisstrafen von 7 Tagen bis 6 Wochen verurteilt.

HAMBURG. Der Hauptvorstand der Deutschen Angestelltengewerkschaft (DAG) wandte sich am Freitag gegen das geplante Aufwandsteuergesetz und verlangte die restlose Ausschöpfung aller bisherigen Steuerquellen, bevor neue Steuern eingeführt würden.

PARIS. Die Inflationstendenzen und die be­vorstehende neue Welle von Preiserhöhungen in Frankreich haben der seit einigen Tagen an der Börse zu beobachtenden Hausse starken Auf­trieb gegeben. Zeitweilig war die Nachfrage so stark, daß bei der Abwicklung der Geschäfte ein Durcheinander entstand.

BUENOS AIRES. General Menendez wurde vom Obersten Militärgericht als Anführer der Revolte gegen Peron zu 15 Jahren Gefängnis verurteilt. Sieben weitere Offiziere erhielten Freiheitsstrafen zwischen 3 und 6 Jahren.

BERLIN. Bundeskanzler Adenauer ist am Frei­tagnachmittag zu einem zweitägigen Besuch in Berlin eingetroffen.

LOS ANGELES. Die USA werden in Kürze über so viele und so verschiedenartige Atom­waffen verfügen, daß sie jeder militärischen Si­tuation mit einer darauf zugeschnittenen Atom­waffe Herr werden können, erklärte der Vor­sitzende der amerikanischen Atomenergiekom­mission, Gordon Dean.

STUTTGART''. Das amerikanische Bezirksge­richt verurteilte die 52jährige Lilly Wäch­ter aus Rastatt wegenHetze gegen die Be­satzungsmacht zu acht Monaten Gefängnis und 15 000 DM Geldstrafe, Frau Wächter hat auf öffentlichen Versammlungen des kommu­nistischenDemokratischen Erauenbundes über angebliche Greueltaten alliierter Solda­ten in Korea berichtet. Sie unternahm ihre Reise durch Nordkorea auf Einladung dieses Bundes. Das Gericht setzte sieben Monate und eine Woche der Strafe als Bewährungsfrist aus, weist aber Frau Wächter für ein Jahr ins Ge­fängnis, falls sie die Geldstrafe nicht aufbrin­gen kann. Auf die Bitte, die gesamte Strafe auszusetzen, beschloß das Gericht, Frau Wäch­ter sofort auf freien Fuß zu setzen, wenn sie eine Kaution von 25 000 DM stellt. Der Ge­richtsvorsitzende sagte, es sei klar, daß die Ver­urteilte diese Summe nicht selbst aufbringen könne. Sie habe als Instrument einer fremden Macht gehandelt; die Hintermänner sollen nun auch das Geld beschaffen.

Schacht beleidigt

AMSTERDAM. Bei einem indonesischen Re­gierungsempfang in Djakarta weigerte sich der kanadische Generaldirektor der UN-Ver- waltung für technische Hilfe, Dr. Keenley- s i d e, dem anwesenden ehemaligen deutschen Reichsbankpräsidenten Schacht die Hand zu geben und sagte zu ihm:Ich kenne Ihre dunkle Vergangenheit; mit Ihnen möchte ich nichts zu tun haben. Hjalmar Schacht, der die

sehen Nachrichtenbüro gegenüber alsgemei­nen Verleumder und sprach den Wunsch aus, daß Keenleyside in Deutschland Klage gegen ihn einreichen möge. Schacht meinte, eine An­klage wegen Verbrechen gegen die Menschlich­keit sei in Nürnberg nicht gegen ihn erhoben worden; die Anklage wegen Kriegs Vorberei­tung habe zu seinem Freispruch geführt.

KOPENHAGEN. Taucher eines dänischen Ber­gungsschiffes haben in der Bucht von Aarhus in 34 m Tiefe auf dem Meeresgrund ein deutsches U-Boot gefunden, das im zweiten Weltkrieg ver­senkt wurde. Mit der Verschrottung des Bootes wurde bereits begonnen.

Veranstaltung mit seiner Frau daraufhin ver­ließ, bezeichnete den Kanadier dem indonesi-

Ein heiterer Roman oon t ranz Gößl ;

Nachsaison"

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Herr Myera saß beim Frühstück, an dem er herumkaute, als ob es Roßnägel wären. Am besten mundet ihm noch das Glas frischen Wassers, das mit dem Kaffee gebracht wor­den war. Der Schädel rauchte ihm gewaltig als Folge der ausgiebigen Einstandsfeier. Auch daß er bis gegen zehn Uhr troz der draußen lockenden köstlichen Morgenluft geschlafen hatte, brachte nicht viel Erleichterung. Und mit Grausen dachte er daran, daß jetzt schon gleich Zeit zum Mittagessen war. Da schlich der Briefträger-Lois ins Haus und steckte den Kopf zur Tür herein.

Oh, guten Morgen, Herr Maria!

Myera, bitte Myera, verbesserte der Ame­rikaner schwach.

Entschuldigen Sie vielmals, bitte, aber heut dürfen Sie nicht viel Kopfarbeit von mir ver­langen, da ist eine ganze Schmiede drin. Dann rief er kläglich:Marie!

Die Kellnerin erschien und fragte:Was darf s denn sein, Lois?

Red nicht lang und bring mir einen Schnaps! bestellt er abgekämpft.

Hoppla, Sie gehen aber scharf ins Zeug. Dem Amerikaner nötigte dieser Mut auf Schnaps bei der Verfassung, in der ja der Briefträger sein mußte, ehrliche Anerkennung ab.

Wenn noch etwas helfen kann, dann ist es etwas Scharfes. Mein Magen o je. Ich kann Ihnen gar nicht sagen wir mir ist.

Setzen Sie sich doch zu mir her. Den Schnaps übemehm ich, bin ja auch die Ur­sache Ihrer Beschwerden.

Wenns erlaubt ist... Zum erstenmal an

diesem Tag trat ein leichter Glanz in die Au­gen des Lois. Er wäre es bestimmt imstande gewesen, die letzten Züge zu den vorletzten zu machen, wenn er einstens beim Sterben zu einem Schnaps eingeladen würde.

Zum Wohl, Ma Herr Myera!

Gut bekomms!

Sie stierten sich eine Weile trübselig an. Der Fremde brach den Bann:Sagen Sie ein­mal, verdienen Sie gut bei Ihrem Geschäft? Das war nun der falsche Ton für die ge­drückte Seelenverfassung des Lois. Er schüt­telte auch sofort ohne beschönigenden Hehl sein Herz aus:Schau ich so aus? Daß ich die Briefe austrag, ist eigentlich nur ein Werk der Barmherzigkeit. Da zerreiß ich mir ja mehr die Schuhe, als ich verdien. Mit dem Schmalz, das ich mir von meinem Briefträgergeld kau­fen kann, schmiert man keinem Kanari den Schnabel.

Warum tun Sies denn dann? Bekommen Sie soviel Trinkgeld von den Bauern? Erheitert lachte der Lois auf, schloß aber alsogleich mit einem schmerzlichen Zucken den Mund, denn es hatte ihm einen Riß durch den Schädel gegeben, daß er meinte, sein ar­mer Kopf fliege in zwei Stücken links und rechts herunter.

Schmerz laß nach! beschwor er sein Weh und war gerade noch kräftig genug, dem Schnaps den Rest zu geben.

Auf einen Wink des Amerikaners füllte die Kellnerin nach. Der Lois kam bereitwillig auf die Frage Herrn Myeras zurück:Trinkgel­der? Daß ich nicht lach! Da wär schon eher gut. man brächt jedem noch etwas.

Sind die hiesigen Leute so arm?

Arm grad nicht, aber auslassen tun sie nichts. Ein paar sind sogar da, die haben Geld wie Mist, wie der Obermoser der Hanser... Obermoser? unterbrach ihn nachdenklich fragend Herr Myera,Obermoser? Der Name kommt mir bekannt vor.

Das glaub ich gern, trug ihn der Brief­träger behutsam über die Gedächtnislücke,

das ist ja der Dickkopfete, Katzgraue, der neben Ihnen gesessen ist und den Wein hin­untergeschüttet hat, als wenn in seinem Bauch ein ganzes Dorf brennen tät. Das ist über­haupt ein ganz Feiner!

Warum denn?

Geld zum Säuefüttem und doch nie ge­nug.

So, so?... Und ich habe geglaubt, da her­innen, so weit aus der Welt, wären alle La­ster verbannt. Es ist eben nichts vollkommen auf Gottes Erdboden, bemerkte salbungsvoll der Amerikaner.

Doch, machte der Briefträger einen Ein­wand,meine Geldtasche. Die ist vollkommen leer.

Herr Myera, feinfühlig wie er war, verstand die zarte Andeutung und setzte sie in die Tat um, indem er für den Lois noch einen Schnaps bestellte. Zugleich verlangte er die Rechnung für den feuchten Abend. Diese war saftig wie ein gutes Gulasch, aber wer hat, der kann! Herr Myera zahlte, ohne mit einer Wimper zu zucken und schob ein derart nobles Trinkgeld hin, daß dem Lois die Augen fast übergingen. Mit etwas müden Schritten entfernte sich dar­auf der Amerikaner. Der Lois hingegen wid­mete sich mit Inbrunst dem ergatterten drit­ten Stamperl und wurde dabei von Martin überrascht, der, ein lustiges Liedchen pfeifend, in die Stube kam.

,3ist schon wieder hinter dem Schnaps- glarsl? begrüßte er unfein und wenig gast­freundlich den Briefträger.

Doch der war trotz des Katers nicht auf den Mund gefallen und schnappte zurück:Sei froh, daß ich euch den Fusel wegsauf, bevor einmal die Polizei kommt und die Bude sperrt wegen Giftmischerei!

Nachher tät ich mein Geld nicht dafür hin­ausschmeißen, stänkerte der Martin weiter.

Das hat der Amerikaner gezahlt, bäh! Da­zu streckte der Lois die Zunge heraus wie ein ungezogener Schulbub. Man muß manchmal

seine Seele von ihrer Spannung durch etwas ganz Ausgefallenes befreien.

Dann wird er dir wohl Zusagen, du Ab­putzer!

Meinst wirklich, so ein Tröpfl Schnaps macht aus dem Lois einen Stiefellecker?"

Der Martin horchte auf. In dieser Bemer­kung lag etwas, was mit seinen Gefühlen übereinstimmte.

Was willst denn damit sagen? fühlte er dem Briefträger auf den Zahn.

Sagen will ich nichts, wich der Lois vor­sichtig aus,aber das eine merk dir, Martin: Hinter einem, der so patzige Trinkgelder gibt, stinkt etwas.

Mein ... wenn einer Geld genug hat.. sagte der Martin achselzuckend. Er hatte sich Gescheiteres erwartet.

Nachher schmeißt er erst recht nicht damit herum, folgerte der Lois,weil er sonst bald keines mehr hätt.

Solche Reden waren entschieden undankbar, denn die Worte entschwebten dem Munde zu­gleich mit einem fast sichtbaren Schnaps­hauch, den zu bezahlen im fernen Südamerika die armen Teufel tief in den Minen drinnen schufteten.

Wenn in den paar Tagen, die seit dem Ein­treffen des Amerikaners in Zwischenquell ver­strichen waren, die Weingeister des ersten Abends den im Laufe der Zeit über fünfzig Jahre alt gewordenen Leib des Obermoser Ander noch nicht ganz verlassen gehabt hät­ten, so mußten sie bestimmt an diesem milden Herbstnachmittag mit den Schweißtropfen da­vonschwimmen, die das Gesicht des Ander glänzend machten wie einen frisch aus dem Schmalz kommenden Krapfen. Es waren knor­rige Scheiter, die er vor dem Haus klob.

Der Ander war so hingebungsvoll in die ge­sunde Arbeit vertieft, daß er gar nicht merkte, wie er teilnahmsvoll beobachtet wurde. ET blickte erst auf, als man ihn unversehens an­rief:Fleißig bei der Arbeit, Herr Obermo­ser? (Fortsetzung folgt)