SAMSTAG, G. OKTOBER 1951
NUMMER 156
CDU tür Untersuchungsausschuß
Klärung der Geheimdokumenten-Affäre
BONN. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion will im Plenum einen parlamentarischen Untersuchungsauschuß beantragen, der die Einzelheiten der Entwendung von Geheimdokumenten aus dem Bundeskanzleramt und ihre Weitergabe prüfen soll.
Der Deutschland-Union-Dienst der CDU schreibt zu dem Dokumentendiebstahl, die SPD- Veriautbarungen zu dem Fall enthielten nichts anderes als ein verklausuliertes Eingeständnis des von der Bundesregierung dargestellten Tatbestandes. Bestritten werde lediglich die Aufforderung zum Diebstahl und die Bezahlung durch die SPD, was auch nicht behauptet worden sei. Die Vorgänge im SPD-Büro, als die Dokumente überreicht wurden, erfüllten nahezu den Tatbestand der Hehlerei, „es sei denn, man wolle behaupten, man habe die Herkunft der Dokumente nicht gekannt, für die der französische Nachrichtendienst immerhin 800 DM monatlich bezahlt hat“.
Die SPD beschuldigte am Freitag die Bundesregierung, sie ziehe nicht die nötigen Konsequenzen aus der Tatsache, daß „ausgerechnet der französische Nachrichtendienst den Bundeskanzler bespitzele“. Nochmals wurde betont, daß die SPD keinerlei Dokumente geheimen Charakters erhalten und nie gewußt habe oder wissen konnte, daß Dritte irgendwelche Schriftsätze oder Dokumente erhalten hätten.
„Unfähige VdS-Führung“
Stellungnahme des Union-Dienstes
BONN. Die „Unfähigkeit der Führung“ des Verbandes deutscher Soldaten, ihre Arroganz und den Schaden, den sie im Ausland bereits angerichtet habe, prangert das Presseorgan der CDU/CSU, der Deutschland-Union-Dienst, in seiner neuesten Ausgabe an. Die ehemaligen Militärs, soweit sie im VdS führend seien, hätten aus der Vergangenheit nichts gelernt. Sie fühlten sich berufen, zu schwebenden Tagesfragen Stellung zu nehmen und sich auf das glatte politische Parkett zu begeben. Die CDU- Zeitung weist darauf hin, daß der gegenwärtige Wiederaufbau von Staat und Wirtschaft seit 1945 nicht das Werk der heute auftretenden ehemaligen Militärs sei; diese hätten es den Politikern zu verdanken, wenn sie sich heute organisieren könnten.
Mossadeq unnachgiebig
Zuständigkeit der UN wird bestritten
TEHERAN. Regierungskreise äußerten am Donnerstag, Ministerpräsident Mossadeq wolle in New York vor dem Sicherheitsrat nur die Zuständigkeit der UN für den britischpersischen Ölkonflikt anfechten. Die persische Delegation werde die Verhandlungen sofort verlassen, wenn der Sicherheitsrat versuche, Persien eine Entscheidung aufzuzwingen. Mossadeq selbst ersuchte das persische Parlament nicht, wie erwartet, um ein Vertrauensvotum, da er, wie er sagte, keine Sondervollmachten brauche. Er sei sicher, daß der Sicherheitsrat die Berechtigung der persischen Ansprüche anerkennen werde.
Der stellvertretende amerikanische Chefdelegierte bei den Vereinten Nationen, Gross, sagte in New York, die Vereinigten Staaten hofften noch immer auf eine Regelung des Ölstreits, die für die Interessen und Wünsche beider Parteien zufriedenstellend sei.
Kein Kommentar
WASHINGTON. Präsident T r u m a n lehnte In seiner wöchentlichen Pressekonferenz eine Stellungnahme zu der Frage ab, ob im Falle eines Angriffs die militärische Verteidigungslinie in Deutschland entlang der Elbe, am Rhein oder entlang der französischen Grenze gezogen werde. Truman sagte, dies sei eine rein militärische Frage, zu der er nicht Stellung nehmen könne. Außerdem weigerte er sich, die Frage zu beantworten, ob er freie gesamtdeutsche Wahlen in der vom Bundeskanzler vorgeschlagenen Form befürworte.
Weltreiche auf gleicher Ebene
Der portugiesisch-brasilianische Machtblock und seine politische Zukunft
Von unserem iberischen Korrespondenten Werner Schulz
LISSABON. Als unter Präsident Getulio Vargas Außenminister Neves da Fontoura vor Monaten seine offizielle Erklärung zur außenpolitischen Haltung Brasiliens abgab, proklamierte er die Wahrung der portugiesischen Erbschaft und die Anerkennung der Bindungen Brasiliens an das alte portugiesische Mutterland als „unverbrüchliche Grundsätze“ der brasilianischen Politik.
Diese starke Betonung der portugiesisch- brasilianischen Zusammengehörigkeit war keine leere Phrase oder Höflichkeitsbezeugung. Unabhängig von parteipolitischen und ideologischen Entwicklungen in Lissabon und Rio de Janeiro hat sich das Bewußtsein einer lusi- tanischen Gemeinschaft, das eigentlich nie verloren gegangen war, in den letzten beiden Jahrzehnten selbst in den breiten Massen hüben wie drüben in überraschender Weise ausgebreitet. Die sehr weitgehenden politischen Übereinstimmungen zwischen den heute in beiden Ländern bestimmenden Männern, Dr. Oliveira Salazar und Getulio Vargas, geben dieser gefühlsmäßigen Einstellung ihrer Völker einen festen Untergrund und schaffen einzigartig günstige Vorbedingungen für die gemeinsame Stellungnahme Portugals und Brasiliens gegenüber den großen Weltproblemen.
Natürlich war es für diese Entwicklung von großem Einfluß, daß seit jeher das Hauptkontingent der brasilianischen Einwanderung von Portugal gestellt wurde und daß sich der portugiesische Emigrant durch seine Zähigkeit eine maßgebende soziale und wirtschaftliche Stellung erkämpft hat, die ihn zu einem wichtigen Faktor im Leben Brasiliens macht. Er hat sich jedoch geistig und sentimental nie von seiner Heimat gelöst und bildet heute ein festes Bindeglied zwischen den Kontinenten.
Diese enge lusitanische Schicksalsgemein
schaft führt politisch gesehen zur Bildung eines gewaltigen interkontinentalen lusitani- schen Blockes, der insgesamt 75 Mülionen Menschen, davon 55 in Amerika 8 in Europa und über 12 im portugiesischen Afrika umfaßt, die in ihrer Gesamtheit die entscheidenden Produktionszentren Südamerikas und Afrikas beherrschen. Es ist selbstverständlich, daß aus dieser einzigartigen Kräftekonstellation heraus auch die Idee einer politischen lusitanischen Union entsteht, die sowohl in Portugal wie in Brasilien ihre Anhänger hat, in erster Linie im Intellektuellentum. Allerdings befinden sich die portugiesischen Kolonien ebenso wie der brasilianische Großraum noch im Stadium einer Entwicklung, die zwar schon zu geradezu phantastisch anmutenden Fortschritten geführt hat, trotzdem aber noch lange nicht abgeschlosen ist. Ihre Fortführung hängt weitgehend von dem Einstrom ausländischen Kapitals ab und wird auch noch eine Zeitlang davon abhängen müssen.
Tatsächlich liegt dem Portugiesen nichts ferner als politischer Machthunger. Wesentlich wirklichkeitsnaher als diese Idee ist der jetzt des öfteren auftauchende Plan eines regionalen politischen und wirtschaftlichen Blockpaktes zwischen den beiden Ländern, der praktisch den Südatlantik zu einem lusitanischen Meer machen würde. Ein solcher Blockpakt würde allerdings vorerst gewisse Zollgrenzen und selbst Auswanderungsbestimmungen wohl kaum ausschließen können, um eine Beeinträchtigung der portugiesischen Eigenentwicklung in Afrika zu verhindern. Tatsächlich haben also diese Pläne und Ideen über die Konzentration der wirtschaftlichen und politischen Kräfte des lusitanischen Kulturkreises noch keine festumrissenen konkreten Formen angenommen und bedürfen sehr sorgsamer Erwägungen und eines langsamen Heranreifens.
So zitieren me!
wh. In den Informationen des deutschen Friedenskomitees aus Ostberlin lesen wir in der Ausgabe vom September 1951 unter den „Stimmen der Westpresse zu den Weltfestspielen“: „Schwäbisches Tagblatt, Tübingen, 15. 8. 1951: Diese Weltfestspiele, die eine Weltstadt einen halben Monat in Atem halten, sind schon eine große Sache. Von westlicher Seite hätte man es gar nicht nötig, die zweifellos vorhandenen erheblichen organisatorischen Mängel, wie sie bei solchen beispiellosen Massenveranstaltungen wohl kaum ganz vermeidbar sind, so groß anzuprangern. Trotz solcher Mängel wird der Besuch in Berlin für alle Teilnehmer doch ein großes Erlebnis sein.“ Ja, wenn man nur den vorderen Teil der Sätze zitiert, dann kann man ja alles beweisen auf der Welt. In unserem Artikel ging es nämlich weiter, „daß dieses Erlebnis nicht gar zu sehr im Sinne der sowjetischen Propaganda ausfällt, dafür sorgt das bloße Vorhandensein Westberlins mit seinem unvergleichlich höheren Lebensstandard“. Im übrigen heißt der ganze Artikel „Ihnen eine Freude zu machen...“ (den FDJlern in Westberlin) und beträgt ein Vielfaches an Umfang der von den kommunistischen Friedensfreunden vorgenommenen, zweckgerichteten Auslese. Und daß die Festspiele für die Jungen und Mädchen aus der Sowjetzone eine große Sache waren, nicht nur weil sie begierigen Blik- kes vor den Schaufenstern Westberlins stehen konnten, sondern auch deshalb, weil sie dadurch einmal so oder so aus ihrer Enge herauskamen, wo sie nichts anderes kennen, als was ihnen täglich eingetrichtert wird — das müssen wir als große Sache für sie festhalten. Und wenn! Für die Jugend in der Sowjetzone ist das „Wes Brot ich eß, des Lied ich sing“ nicht eine Charakterlosigkeit; sie steht jenseits von Gut und Böse, weil sie nichts anderes kennt als den hochhängenden Brotkorb.
„Hetje gegen Besafsungsmacht“
Hintermänner sollen die Kaution zahlen
Kleine Weltdironik
BEBENHAUSEN. Am kommenden Dienstag tritt der Landtag zu seiner 112. Sitzung zusammen. Auf der Tagesordnung, die acht Punkte umfaßt, steht die zweite und dritte Beratung einer Reihe von Gesetzen.
GARMISCH-PARTENKIRCHEN. Der belgische König Baudouin verbringt schon seit einigen Wochen seinen Urlaub in Hinterries unweit der deutschen Grenze. Am Donnerstag ließ er sich von einem österreichischen Grenzpolizisten mit dem Motorrad nach Garmisch fahren, um auf die Zugspitze zu fahren, wo er auf dem Zugspitzplatt zusammen mit seiner Schwester l 1 /» Stunden Ski lief.
WIESBADEN. Im zweiten Vierteljahr 1951 wurden im Bundesgebiet 134 349 Ehen geschlossen. Die Zunahme gegenüber 58 255 in den ersten drei Monaten sieht das Statistische Bundesamt als „jahreszeitlich bedingt“ an. Gegenüber demselben Zeitraum des Vorjahres ist erstmals ein Rückgang der Eheschließungsziffer zu verzeichnen. Außerdem ist eine relative Zunahme der Geburten und eine Normalisierung der Sterbefälle eingetreten.
BAD HERSFELD. Ein Kriegsgericht der vierten amerikanischen Infanterie-Division verurteilte zwei Gefreite zu lebenslänglichem Zuchthaus bei schwerer Arbeit und Ausstoßung aus der Armee, weil sie einen Taxifahrer erschossen.
LEIPZIG. Jeder Student in der Ostzone muß auf Grund einer Verfügung des Volksbildungsministeriums der Ostzonenregierung künftig beim Staatsexamen nachweisen, daß er die russische Sprache versteht. Er hat eine schriftliche Prüfungsarbeit in Russisch vorzulegen und wird außerdem auch noch mündlich in dieser Sprache geprüft.
BERLIN. Nach dem Vorbild des Bundesgebiets soll in Westberlin ein zentrales Auffanglager für politische Flüchtlinge errichtet werden. Zurzeit kommen täglich etwa 300 politische Flüchtlinge aus den sowjetisch besetzten Gebieten in Ber
lin an. Die Unterbringungsmöglichkeiten in den 13 städtischen und in 31 privaten Flüchtlingsräumen reichen nicht aus.
BERLIN. Vom Westberliner Amtsgericht Tiergarten wurden bereits am Donnerstag 17 der am Vortage bei den kommunistischen Demonstrationen im Bezirk Wedding verhafteten FDJ-An- gehörigen zu Gefängnisstrafen von 7 Tagen bis 6 Wochen verurteilt.
HAMBURG. Der Hauptvorstand der Deutschen Angestelltengewerkschaft (DAG) wandte sich am Freitag gegen das geplante Aufwandsteuergesetz und verlangte die restlose Ausschöpfung aller bisherigen Steuerquellen, bevor neue Steuern eingeführt würden.
PARIS. Die Inflationstendenzen und die bevorstehende neue Welle von Preiserhöhungen in Frankreich haben der seit einigen Tagen an der Börse zu beobachtenden Hausse starken Auftrieb gegeben. Zeitweilig war die Nachfrage so stark, daß bei der Abwicklung der Geschäfte ein Durcheinander entstand.
BUENOS AIRES. General Menendez wurde vom Obersten Militärgericht als Anführer der Revolte gegen Peron zu 15 Jahren Gefängnis verurteilt. Sieben weitere Offiziere erhielten Freiheitsstrafen zwischen 3 und 6 Jahren.
BERLIN. Bundeskanzler Adenauer ist am Freitagnachmittag zu einem zweitägigen Besuch in Berlin eingetroffen.
LOS ANGELES. Die USA werden in Kürze über so viele und so verschiedenartige Atomwaffen verfügen, daß sie jeder militärischen Situation mit einer darauf zugeschnittenen Atomwaffe Herr werden können, erklärte der Vorsitzende der amerikanischen Atomenergiekommission, Gordon Dean.
STUTTGART''. Das amerikanische Bezirksgericht verurteilte die 52jährige Lilly Wächter aus Rastatt wegen „Hetze gegen die Besatzungsmacht“ zu acht Monaten Gefängnis und 15 000 DM Geldstrafe, Frau Wächter hat auf öffentlichen Versammlungen des kommunistischen „Demokratischen Erauenbundes“ über angebliche Greueltaten alliierter Soldaten in Korea berichtet. Sie unternahm ihre Reise durch Nordkorea auf Einladung dieses Bundes. Das Gericht setzte sieben Monate und eine Woche der Strafe als Bewährungsfrist aus, weist aber Frau Wächter für ein Jahr ins Gefängnis, falls sie die Geldstrafe nicht aufbringen kann. Auf die Bitte, die gesamte Strafe auszusetzen, beschloß das Gericht, Frau Wächter sofort auf freien Fuß zu setzen, wenn sie eine Kaution von 25 000 DM stellt. Der Gerichtsvorsitzende sagte, es sei klar, daß die Verurteilte diese Summe nicht selbst aufbringen könne. Sie habe als Instrument einer fremden Macht gehandelt; die Hintermänner sollen nun auch das Geld beschaffen.
Schacht beleidigt
AMSTERDAM. Bei einem indonesischen Regierungsempfang in Djakarta weigerte sich der kanadische Generaldirektor der UN-Ver- waltung für technische Hilfe, Dr. Keenley- s i d e, dem anwesenden ehemaligen deutschen Reichsbankpräsidenten Schacht die Hand zu geben und sagte zu ihm: „Ich kenne Ihre dunkle Vergangenheit; mit Ihnen möchte ich nichts zu tun haben.“ Hjalmar Schacht, der die
sehen Nachrichtenbüro gegenüber als „gemeinen Verleumder“ und sprach den Wunsch aus, daß Keenleyside in Deutschland Klage gegen ihn einreichen möge. Schacht meinte, eine Anklage wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit sei in Nürnberg nicht gegen ihn erhoben worden; die Anklage wegen Kriegs Vorbereitung habe zu seinem Freispruch geführt.
KOPENHAGEN. Taucher eines dänischen Bergungsschiffes haben in der Bucht von Aarhus in 34 m Tiefe auf dem Meeresgrund ein deutsches U-Boot gefunden, das im zweiten Weltkrieg versenkt wurde. Mit der Verschrottung des Bootes wurde bereits begonnen.
Veranstaltung mit seiner Frau daraufhin verließ, bezeichnete den Kanadier dem indonesi-
Ein heiterer Roman oon t ranz Gößl ;
„Nachsaison"
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Herr Myera saß beim Frühstück, an dem er herumkaute, als ob es Roßnägel wären. Am besten mundet ihm noch das Glas frischen Wassers, das mit dem Kaffee gebracht worden war. Der Schädel rauchte ihm gewaltig als Folge der ausgiebigen Einstandsfeier. Auch daß er bis gegen zehn Uhr troz der draußen lockenden köstlichen Morgenluft geschlafen hatte, brachte nicht viel Erleichterung. Und mit Grausen dachte er daran, daß jetzt schon gleich Zeit zum Mittagessen war. Da schlich der Briefträger-Lois ins Haus und steckte den Kopf zur Tür herein.
„Oh, guten Morgen, Herr Maria!“
„Myera, bitte Myera“, verbesserte der Amerikaner schwach.
„Entschuldigen Sie vielmals, bitte, aber heut dürfen Sie nicht viel Kopfarbeit von mir verlangen, da ist eine ganze Schmiede drin.“ Dann rief er kläglich: „Marie!“
Die Kellnerin erschien und fragte: „Was darf s denn sein, Lois?“
„Red nicht lang und bring mir einen Schnaps!“ bestellt er abgekämpft.
„Hoppla, Sie gehen aber scharf ins Zeug.“ Dem Amerikaner nötigte dieser Mut auf Schnaps bei der Verfassung, in der ja der Briefträger sein mußte, ehrliche Anerkennung ab.
„Wenn noch etwas helfen kann, dann ist es etwas Scharfes. Mein Magen — o je. Ich kann Ihnen gar nicht sagen wir mir ist.“
„Setzen Sie sich doch zu mir her. Den Schnaps übemehm ich, bin ja auch die Ursache Ihrer Beschwerden.“
„Wenn’s erlaubt ist...“ Zum erstenmal an
diesem Tag trat ein leichter Glanz in die Augen des Lois. Er wäre es bestimmt imstande gewesen, die letzten Züge zu den vorletzten zu machen, wenn er einstens beim Sterben zu einem Schnaps eingeladen würde.
„Zum Wohl, Ma — Herr Myera!“
„Gut bekomm’s!“
Sie stierten sich eine Weile trübselig an. Der Fremde brach den Bann: „Sagen Sie einmal, verdienen Sie gut bei Ihrem Geschäft?“ Das war nun der falsche Ton für die gedrückte Seelenverfassung des Lois. Er schüttelte auch sofort ohne beschönigenden Hehl sein Herz aus: „Schau ich so aus? Daß ich die Briefe austrag, ist eigentlich nur ein Werk der Barmherzigkeit. Da zerreiß ich mir ja mehr die Schuhe, als ich verdien. Mit dem Schmalz, das ich mir von meinem Briefträgergeld kaufen kann, schmiert man keinem Kanari den Schnabel.“
„Warum tun Sie’s denn dann? Bekommen Sie soviel Trinkgeld von den Bauern?“ Erheitert lachte der Lois auf, schloß aber alsogleich mit einem schmerzlichen Zucken den Mund, denn es hatte ihm einen Riß durch den Schädel gegeben, daß er meinte, sein armer Kopf fliege in zwei Stücken links und rechts herunter.
„Schmerz laß nach!“ beschwor er sein Weh und war gerade noch kräftig genug, dem Schnaps den Rest zu geben.
Auf einen Wink des Amerikaners füllte die Kellnerin nach. Der Lois kam bereitwillig auf die Frage Herrn Myeras zurück: „Trinkgelder? Daß ich nicht lach! Da wär schon eher gut. man brächt jedem noch etwas.“
„Sind die hiesigen Leute so arm?“
„Arm grad nicht, aber auslassen tun sie nichts. Ein paar sind sogar da, die haben Geld wie Mist, wie der Obermoser der Hanser...“ „Obermoser?“ unterbrach ihn nachdenklich fragend Herr Myera, „Obermoser? Der Name kommt mir bekannt vor.“
„Das glaub ich gern“, trug ihn der Briefträger behutsam über die Gedächtnislücke,
„das ist ja der Dickkopfete, Katzgraue, der neben Ihnen gesessen ist und den Wein hinuntergeschüttet hat, als wenn in seinem Bauch ein ganzes Dorf brennen tät. Das ist überhaupt ein ganz Feiner!“
„Warum denn?“
„Geld zum Säuefüttem und doch nie genug.“
„So, so?... Und ich habe geglaubt, da herinnen, so weit aus der Welt, wären alle Laster verbannt. Es ist eben nichts vollkommen auf Gottes Erdboden“, bemerkte salbungsvoll der Amerikaner.
„Doch“, machte der Briefträger einen Einwand, „meine Geldtasche. Die ist vollkommen leer.“
Herr Myera, feinfühlig wie er war, verstand die zarte Andeutung und setzte sie in die Tat um, indem er für den Lois noch einen Schnaps bestellte. Zugleich verlangte er die Rechnung für den feuchten Abend. Diese war saftig wie ein gutes Gulasch, aber wer hat, der kann! Herr Myera zahlte, ohne mit einer Wimper zu zucken und schob ein derart nobles Trinkgeld hin, daß dem Lois die Augen fast übergingen. Mit etwas müden Schritten entfernte sich darauf der Amerikaner. Der Lois hingegen widmete sich mit Inbrunst dem ergatterten dritten Stamperl und wurde dabei von Martin überrascht, der, ein lustiges Liedchen pfeifend, in die Stube kam.
,3ist schon wieder hinter dem Schnaps- glarsl?“ begrüßte er unfein und wenig gastfreundlich den Briefträger.
Doch der war trotz des Katers nicht auf den Mund gefallen und schnappte zurück: „Sei froh, daß ich euch den Fusel wegsauf, bevor einmal die Polizei kommt und die Bude sperrt wegen Giftmischerei!“
„Nachher tät ich mein Geld nicht dafür hinausschmeißen“, stänkerte der Martin weiter.
„Das hat der Amerikaner gezahlt, bäh!“ Dazu streckte der Lois die Zunge heraus wie ein ungezogener Schulbub. Man muß manchmal
seine Seele von ihrer Spannung durch etwas ganz Ausgefallenes befreien.
„Dann wird er dir wohl Zusagen, du Abputzer!“
„Meinst wirklich, so ein Tröpfl Schnaps macht aus dem Lois einen Stiefellecker?"
Der Martin horchte auf. In dieser Bemerkung lag etwas, was mit seinen Gefühlen übereinstimmte.
„Was willst denn damit sagen?“ fühlte er dem Briefträger auf den Zahn.
„Sagen will ich nichts“, wich der Lois vorsichtig aus, „aber das eine merk dir, Martin: Hinter einem, der so patzige Trinkgelder gibt, stinkt etwas.“
„Mein ... wenn einer Geld genug hat.. sagte der Martin achselzuckend. Er hatte sich Gescheiteres erwartet.
„Nachher schmeißt er erst recht nicht damit herum“, folgerte der Lois, „weil er sonst bald keines mehr hätt.“
Solche Reden waren entschieden undankbar, denn die Worte entschwebten dem Munde zugleich mit einem fast sichtbaren Schnapshauch, den zu bezahlen im fernen Südamerika die armen Teufel tief in den Minen drinnen schufteten.
Wenn in den paar Tagen, die seit dem Eintreffen des Amerikaners in Zwischenquell verstrichen waren, die Weingeister des ersten Abends den im Laufe der Zeit über fünfzig Jahre alt gewordenen Leib des Obermoser Ander noch nicht ganz verlassen gehabt hätten, so mußten sie bestimmt an diesem milden Herbstnachmittag mit den Schweißtropfen davonschwimmen, die das Gesicht des Ander glänzend machten wie einen frisch aus dem Schmalz kommenden Krapfen. Es waren knorrige Scheiter, die er vor dem Haus klob.
Der Ander war so hingebungsvoll in die gesunde Arbeit vertieft, daß er gar nicht merkte, wie er teilnahmsvoll beobachtet wurde. ET blickte erst auf, als man ihn unversehens anrief: „Fleißig bei der Arbeit, Herr Obermoser?“ (Fortsetzung folgt)