HEIMATBLATT FÜR
STADT UND LAND
SAMSTAG, 6. OKTOBER 1951
ÜBEBPABTEILICHE TAGESZEITUNG
7. JAHRGANG / NR. 156
Französische Bedenken gegen Aufschub der Verhandlungen
Kirkpatrick für zwei Tage in London / McCloy informiert Schumacher
PARIS. Die dem britischen Hohen Kommissar in Deutschland, Sir Ivone Kirkpatrick, zugeschriebene Absicht, einen Aufschub der Verhandlungen zwischen der Alliierten Hohen Kommission und Bundeskanzler Dr. Adenauer vorzuschlagen, falls die nächste Unterredung am kommenden Mittwoch nicht zu befriedigenden Ergebnissen führt, wurde am Freitag in amtlichen Pariser Kreisen mit Erstaunen und einem gewissen Befremden aufgenommen. Man erklärte, die Regierungen der Westmächte seien sich über die im Zusammenhang mit den Washingtoner Außenministerbeschlüssen den alliierten Hohen Kommissaren erteilten Instruktionen völlig einig gewesen. Diese Instruktionen seien auch so klar abgefaßt, daß jeder weitere Meinungsaustausch Uber ihre Bedeutung und Tragweite überflüssig erscheine.
Man könne nur mit Erstaunen verzeichnen, daß die Hohen Kommissare einen beträchtlichen Teil der Washingtoner Beschlüsse den Außenministern zur neuerlichen Prüfung zurückgereicht haben sollen. Die Kritik der deutschen Presse an den Verhandlungen sei „allzu heftig“. Schließlich habe man doch in der letzten Sitzung gewisse Fortschritte erzielt. Außerdem könne man Frankreich nicht von seinen Verbündeten trennen und ihm vorwerfen, es
f ehe auf Zeitgewinn aus. Einen gesonderten ranzösischen Standpunkt bei diesen Verhandlungen gebe es nicht, sondern nur einen gemeinsamen der drei Alliierten, der in Washing
ton festgelegt worden sei. Von diesem Standpunkt werde Frankreich keinen Schritt abweichen.
Ein Sprecher des britischen Außenministeriums teilte zu dem zweitägigen Besuch Kirk- patrieks in London mit, der Hohe Kommissar werde am Montag und Dienstag in der britischen Hauptstadt nur „reine Routinebesprechungen“ führen und am Mittwoch wieder in Bonn sein. Sein Besuch sei schon geplant gewesen, ehe es bei den Verhandlungen auf Schloß Röttgen zu Schwierigkeiten kam.
In mehrstündigen geheimen Sitzungen berichtete Bundeskanzler Adenauer am Donnerstag dem Bundesratsausschuß für Auswärtige Angelegenheiten und dem Unterausschuß des Bundestages, der die Regierung bei den deutsch-alliierten Verhandlungen berät, über seine Besprechungen mit den alliierten Hohen Kommissaren.
Der amerikanische Hohe Kommissar McCloy unterrichtete am Donnerstag den SPD- Vorsitzenden Dr. Schumacher über die Ergebnisse der Washingtoner Außenministerkonferenz. An der Unterredung nahmen auch Mitarbeiter der Hohen Kommissare sowie der stellvertretende SPD-Vorsitzende Ollenhauer und der Vorsitzende des außenpolitischen Ausschusses des Bundestages, Prof. Schmid, teil. Der Vorstand der SPD teilte mit, Schumacher habe noch keinen neuen Zeitpunkt für die Unterredung mit dem Bundeskanzler erhalten.
Gegen Inflationstendenzen
Schaffer begründet seine „unpopulären Steuergesetze“ / Nachtragshaushalt
BERLIN. Bundesfinanzminister Schäffer betonte vor dem deutschen Sparkassentag 1951 in Berlin, daß er jeder inflationistischen Tendenz im Intereses des deutschen Volkes, insbesondere der Sparer entschieden entgegentreten will. Das sei auch der Grund für seine „unpopulären Steuergesetze“.
Wenn der Bundestag und der Bundesrat seine Gesetzesvorlagen billige, könne er versichern, daß das Etatjahr 1952/53 ohne neue Steuern gemeistert werde, sofern keine unerwartete Verschlechterung in der wirtschaftlichen Entwicklung eintrete. In seiner Steuerpolitik sei er an das Grundgesetz gebunden, das einen ausgeglichenen Steuerhaushalt vorschreibe. Das gelte auch für die Körperschaften, die an dem Haushaltsgesetz mitarbeiteten. Daher sollte sich der Bundestag hüten, aus Propagandagründen neue Ausgaben zu verlangen, die eine weitere Belastung des Steuerzahlers zur Folge haben müßten. Es sei vielmehr die Aufgabe des Parlaments, die Steuerzahler zu schützen.
Die Grenze der allgemeinen Besteuerung sei erreicht und nur noch möglich, wie auch im Ausland üblich, durch Sondersteuern, die nicht den täglichen Bedarf betreffen, Mittel zu erschließen. Die vorgesehenen Sondersteuem für die Bundesrepublik blieben immer noch unter den Sätzen, die in anderen Ländern erhoben würden.
Heute Grote wohl-Antwort
Außerordentliche Volkskammersitzung
BERLIN. Der Leiter des Amtes für Information bei der Sowjetzonenregierung, Gerhard Eisler, gab am Freitag auf einer Pressekonferenz in Ostberlin bekannt, daß Ministerpräsident Grotewohl heute um 18Uhr auf einem Staatsakt „wichtige Ausführungen“ über die Frage der gesamtdeutschen Beratung ond die Antwort des Bundeskanzlers und des Bundestags auf seine Vorschläge machen werde.
Der Versorgungsminister und Vorsitzende der Ost-LDP, Hamann, kündigte nach dem sowjetisch lizenzierten „Morgen“ in einer Rede tu Leipzig die außerordentliche Sitzung der Volkskammer an, wobei er die vom Bundeskanzler vorgeschlagene internationale Wahlkontrolle zwar nicht ablehnte, aber als ein „entwürdigendes Verlangen“ bezeichnete. Hamann sagte weiter: „Wir sind der Auffassung, daß der politische Inhalt des zu erarbeitenden gesamtdeutschen Wahlgesetzes uns einen Friedensvertrag bringen kann und würde, könnten wir zu einer vernünftigen Verständigung m diesem Punkte kommen.“
Tariferhöhungen gebilligt
BONN. Der Bundesrat billigte am Freitag mit großer Mehrheit die von der Bundesregierung vorgeschlagenen Erhöhungen im Personen- und Gütertarif bei der Bundesbahn und kn Kraftverkehr. Als einzige Abänderung der
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Mitte kommender Woche tritt der Sicherheitsrat der UN erneut zusammen, um über die britische Klage im anglo-persis eben ölstreit zu entscheiden. Unser Bild zeigt die erste Sitzung: Mit erhobener Hand der britische Delegierte J ebb (Mitte) und der amerikanische Delegierte Austin (rechts); links der russische Delegierte Tsarapkin, der unbeteiligt dabei sitzt. Foto: AP
Menschen unter sich
Von Karl Lerch
Im Bundesfinanzministerium wird zurzeit der Nachtragshaushalt 1951/52 weitgehend umgearbeitet, um ihn der Einigung zwischen Bund und Ländern — der Anteil des Bundes an der Einkommen- und Körperschaftssteuer wurde auf 27 Prozent festgelegt — anzupassen. Da ursprünglich 31,3 Prozent dieser Steuer an den Bund gehen sollte, erleidet dieser eine Einbuße von rund drei Millionen DM. Durch ein Minus an Zolleinnahmen von etwa 100 Millionen DM entsteht eine weitere Einnahmeminderung. Dieser Ausfall wird durch die Streichung von 100 Millionen DM an Wohnungsbaumitteln, 125 Millionen DM Zuschüssen an die Sozialversicherungen und Ausgabenabstrichen bei Verwaltungsausgaben ausgeglichen. Schließlich wird ein um 60 Millionen DM höherer Bundesanteil der Bank deutscher Länder erwartet und . auf eine vollständige Tilgung des Bundesdefizits vom Haushalt 1950 verzichtet.
Mit Bedenken wird darauf hingewiesen, daß in Bundestagsausschüssen Gesetzesänderungen vorbereitet werden, die jährlich insgesamt eine Milliarde DM Mehrkosten verursachen würden. Es handelt sich dabei um eine Erhöhung der Kriegsbeschädigtenrente, verbesserte Heimkehrerfürsorge, Erhöhung der Arbeitslosenunterstützung und der Pensionen sowie Wegfall der Anrechnung von Doppelrenten. Die Bundesregierung sehe sich außerstande, Mittel hierfür bereitzustellen, da man einfach nicht über die hierfür notwendigen Gelder verfüge.
Die wegen ihrer Widerlichkeit im einzelnen nicht darstellbaren Grausamkeiten, die gegenwärtig in der Schwurgerichtsverhandlung in Rottweil zur Sprache kommen, zwingen zu einer Stellungnahme. Wenn wir uns zu einem Zeitpunkt dazu entschließen, da die Zeugenvernehmung gerade erst abgeschlossen worden ist, greifen wir damit weder in ein schwebendes Verfahrens ein noch beabsichtigen wir, den Richtern und Geschworenen vorzugreifen. Für unsere Betrachtung ist ohne Bedeutung, ob der Angeklagte Helmer-Sandmann nur für zwei oder etwa für 15 Jahre wegen Mitwirkung an den Tötungen und Mißhandlungen im Lager Dormettingen ins Zuchthaus geschickt wird. Helmer-Sandmann, so schwerwiegend seine Schuld auch sein mag, ist für uns nur eine Figur im großen Geschehen, ein Mensch, der in jenen Tagen der Unordnung um des bloßen materiellen Vorteils willen sich auf die Seite geschlagen hat, bei der die Macht war und die, wie es schien, die alleinige Trägerin eines Ordnungsprinzipes für alle Zeiten werden sollte. Diese Auffassung teilten damals, als Deutschland buchstäblich zerfallen war, viele Millionen. Sie wurde nicht nur von dem Heer der dreimal verbuchten Denunzianten und von den Opportunisten geteilt, auch jene, die in ehrlicher Sorge einen neuen Ausgangspunkt für unser Leben zu schaffen versuchten, konnten nicht überzeugt davon sein, daß Deutsche noch einmal — um es auf eine einfache Formel zu bringen — etwas zu sagen haben würden.
Das Lager Dormettingen scheint der Brennpunkt des Spiegels einer aus den Fugen geratenen Welt gewesen zu sein. Menschen, die in den Konzentrationslagern des Dritten Reiches Frondienste leisten mußten, Fremdarbeiter, denen der nationalsozialistische Staat nicht weniger verhaßt und denen alle irgendwie,
Zu realistische Manöver
Eine Lageannahme von politischer Bedeutung / „Nur zum Spaß“
FRANKFURT. Die amerikanische Armee mußte am Donnerstagabend einsehen, daß sie ihre gegenwärtigen Manöver etwas zu realistisch aufgezogen hat. Bei der üblichen Manöverbesprechung im Hauptquartier der Verteidiger teilte ein Offizier des Stabes mit, daß „auf Grund des bestehenden Kriegszustandes eine Militärregierung die oberste Verfügungsgehalt im Bundesgebiet übernommen hat“. Diese Bemerkung, die nach Aussage hoher Armeeoffiziere nur dazu dienen sollte, eine „realistische Atmosphäre zu schaffen“, hatte zur Folge, daß die Telefone und Fernschreiber bei der Armee, der amerikanischen Hohen Kommission und der Bundesregierung nicht mehr zum Stillstand kamen. Alle Welt wollte wissen, ob es einen solchen Plan tatsächlich gibt.
Ein entsprechender Pressebericht wurde von einem Sprecher der amerikanischen Armee als „nicht den Tatsachen entsprechend“ bezeichnet. Von der amerikanischen Hohen Kommission verlautete, die Angelegenheit sei „angesichts der laufenden Verhandlungen über die größere Unabhängigkeit der Bundesrepublik höchst bedauerlich". Das Bundespresseamt
_„ ___ ___ führte aus, die Meldung „scheine nach Form
Regierungsvorlage wurde bestimmt, daß die und Inhalt völlig aus der Luft gegriffen . Tariferhöhungen für Zuckerrüben erst am Ein amerikanischer. Armeeoffizier führte L Februar, für lebende Tiere am 1. Januar und aus, die Angelegenheit sei „etwas unange- fur Kartoffeln am 1 Juni in Kraft treten nehm, aber schließlich sollte jeder wissen, daß sollen. viele Einzelheiten bei einem Kriegsspiel nur
zum Spaß angenommen werden“. Im tatsächlichen Kriegsfälle wäre es für eine Besatzungsmacht nur natürlich, daß sie solche Anordnungen erlasse. Ob aber dem „Manöver-Plan“ auch ein tatsächlicher Plan entspreche, vermöge er nicht zu sagen. Alle Anfragen in dieser Hinsicht würden auf jeden Fall mit der Erklärung beantwortet, daß „die veröffentlichten Presseberichte nicht den Tatsachen entsprechen“.
Erbitterte Schladit im Gämse
TOKIO. Die UN-Truppen in Korea traten gestern erneut zu Angriffen an, um ihre am Mittwoch aufgenommene Herbstoffensive fortzusetzen. Sie erzielten gegen erbitterten Widerstand chinesischer Elitetruppen Geländege- winne. Zurzeit stehen die UN-Einheiten 3 bis 5 km nördlich ihrer Ausgangsstellungen im Westabschnitt der Koreafront
Wie aus dem spärlich vorliegenden Nachrichtenmaterial zu ersehen ist, haben die Kämpfe den Umfang einer Großoffensive angenommen. Auch die Kommunisten vermuten, daß es sich dabei um die schon lange angesagte alliierte „Todesstoß“-Offensive handelt, mit der sie militärisch in die Knie gezwungen werden sollen. Der chinesische Rundfunk behauptet, die Alliierten ständen kurz vor einer neuen amphibischen Operation gegen Nordkorea.
und sei es nur durch ein grobes Wort, Unrecht geschehen war, haben sich an ihren tatsächlichen, aber auch an ihren vermeintlichen Widersachern schadlos gehalten. Diese Umkehr der bürgerlichen Welt ist immer brutal und ohne Gnade. In solchen Zeiten werden jene Elemente an die Spitze gewisser, ein überdurchschnittliches Maß von Brutalität voraussetzender Einrichtungen getragen, die unter normalen Umständen das Licht der Öffentlichkeit scheuen müssen. In solchen Zeiten und in solchen Einrichtungen werden aber auch bei Menschen, die normalerweise ein bürgerliches Leben führen, Instinkte geweckt, die den ganzen Menschen umkrempeln.
Was in Dormettingen geschehen ist, geschah nicht etwa nach einem politischen System. Unter dem Eindruck der Schilderungen jener unmenschlichen Grausamkeiten ist man geneigt, die Schuld, die ein vergangenes System auf sich geladen hat, zu verkleinern nach dem einfachen Verfahren: Die anderen waren noch schlimmer, laßt uns in Ruhe mit dem Vorwurf der Unmenschlichkeit. Dormettingen ist für eine solche Argumentation das denkbar schlechteste Beispiel. Hier tobten sich Verbrecher und Entwurzelte aus und ihre Taten beweisen nur, daß weder Nationalität noch Rasse vor Verirrungen und verbrecherischen Veranlagungen schützen. Zu gleicher Zeit aber, da in Rottweil ein privates KZ der Nachkriegszeit vor Gericht steht, sind ähnliche Folterungen aus dem KZ Flossenbürg, das während des Dritten Reiches bestand, Gegenstand einer Verhandlung vor dem Schwurgericht Stuttgart. Was hier, von einem verbrecherischen System gewollt, geschah, ist ebenso verabscheuungswert und erschütternd wie das Schicksal der Opfer des Lagers Dormettingen.
Die Morde von Dormettingen gehen auf das Konto eines im Bewußtsein der Macht schwelgenden Verbrecherhaufens. Mittelbare Schuld haben freilich auch die deutschen Zutreiber und Denunzianten auf sich geladen, die der Besatzungsmacht eilfertig ihre Dienste an- boten. Bezeichnend für die Verwechslung dessen, was anständig und moralisch und was das Gegenteil davon ist, erscheint uns ein Brief von Dorfbewohnern aus dem Umkreis des Schreckenslagers zu sein, in dem der angebliche Franzose Deletre aufgefordert wurde, jene Männer aus ihrer Mitte, die im Lager Dormettingen schmachteten und deren Todesschreie man bis auf die umliegenden Felder gehört hat, möglichst lange einzusperren.
Angesichts eines solchen Mangels an menschlichem Mitgefühl mag es als ein fragwürdiges Unternehmen gewertet werden, wenn wir unserem Erstaunen darüber Ausdruck verleihen, weshalb der damalige französische Sicherheitsoffizier und der Kommandant von Balingen, obwohl sie von den Mißhandlungen und Totschlägen im Lager Dormettingen Kenntnis hatten, diesem Treiben erst nach fünf Wochen ein Ende gesetzt haben. Wir stellen diese Frage dennoch, nicht weil wir uns zum Richter machen wollen, sondern weil für die von uns ersehnte neue Ordnung in Europa ein klares Bekenntnis, auch wenn es das Zugeständnis einer Schuld enthielte, uns ehrenhafter erscheint als ein Schweigen, das mehr dem Bewußtsein von der vorläufig noch faktischen Verschiedenran- gigkeit der Nation als dem Gewissen entspringt. Prozesse dieser Art könnten die Menschen lehren, daß der Geist der Gewalt und der Mißachtung des Lebens immer wieder überwunden wird. Also verdammen wir diesen Geist, der dem wahren Frieden abträglich ist und der immer wieder so viele Opfer fordert!