NUMMER 155

FREITAG, 5. OKTOBER 1951

Bis zum lebten Paragraphen

Der Kampf um das Neugliederungsgesete vor dem Bundesverfassungsgericht

KARLSRUHE. Gestern befaßte sich das Bun­desverfassungsgericht mit der Rechtsgültigkeit einzelner Bestimmungen des zweiten Neu­gliederungsgesetzes. Die Vertreter von Süd­baden, Württemberg-Baden und Württem- berg-Hohenzoliern legten die Auffassungen ihrer Regierungen dar. Die eigentliche grund­sätzliche Debatte um das Gesetz war schon am Mittwoch vorhergegangen.

Am Mittwoch befaßte sich der zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts mit dem zwei­ten Neugliederungsgesetz. In seiner Begrün­dung des südbadischen Antrags auf Nichtig­keitserklärung des Gesetzes beanstandete Rechtsanwalt Dr. K o p f, Freiburg, vor allem, daß das Gesetz das Prinzip der Volksbefra­gung verletze, die ja den echten Willen des Volkes zum Ausdruck bringen solle. Bei den vorgesehenen Abstimmungsmodalitäten könne aber ein Land durch das Gewicht der übrigen Länder majorisiert werden. Damit sei der ver­fassungsmäßig garantierte Gleichheitsgrund­satz verletzt. Es sei ein prinzipielles Wesens­merkmal des Bundesstaates, daß in ihm die Erhaltung der Länder garantiert werde und die Änderung ihre Grenzen nur mit Zustim­mung des Volkes möglich sei. Wenn man der heutigen Staatsrechtslehre folge, sei die Bun­desrepublik mit dem ehemaligen Deutschen Reich identisch. Dann sei aber Baden nach wie vor als ein Gliedstaat des Bundes anzu­sehen, der durch das Land Südbaden reprä­sentiert werde. Die ohne Volksabstimmung, lediglich durch einen Zwangsakt der Besat­zungsmilchte erfolgte Ausgliederung des nord­badischen Teües müsse rechtlich als nicht stattgefunden betrachtet werden. Die logische Konsequenz aus dieser Rechtslage sei, daß nur die alten Länder Ausgangspunkte einer Volks­abstimmung sein dürften.

Als Vertreter der Bundesregierung entgeg- pete Ritter v. L e x auf die Ausführungen von Rechtsanwalt Dr. Kopf, die Bundesregierung Sei der Auffassung, daß das Gesetz rechts­kräftig sei. Das Gesetz habe den ihm im Grundgesetz vorgeschriebenen Rahmen'nicht überschritten. Es sei selbstverständlich, daß die Vorschriften der Volksbefragung dem Ge­setzgeber jederzeit die Freiheit lassen, die Abstimmungsbezirke festzulegen. Der Vertre­ter des Bundestages, Kurt Kiesinger, schloß sich der Ansicht des Vertreters der Bundesriegerung an. Kiesinger sagte, den Ar­gumenten von Rechtsanwalt Dr. Kopf fehle

Manöver nach Koreaerfahrungen

Schwere Flurschäden

FRANKFURT. Das dritte der großen alliier­ten Herbstmanöver in Deutschland begann am Mittwoch in der amerikanischen Zone. 160 000 amerikanische Soldaten, unterstützt von an­deren alliierten Einheiten, verteidigen in dem UnternehmenCombine den Westen gegen einen angenommenen Angriff einer starken Feindmacht im Osten. Nach den Koreaerfah­rungen werden die unter dem Oberkommando von General Eisenhower stehenden Übun­gen in drei Phasen eingeteilt: Eröffnung des Kampfes durch den Angreifer und Rückzug der alliierten Truppen auf vorbereitete Ver­teidigungslinien, Umgruppierung bei .den Alli­ierten und- Vorbereitung ihres Gegenstoßes, und schließlich die Großoffensive, die den Feind in sein Land zurückwirft. Die Manöver sollen zeigen, welche Fortschritte die in Eu­ropa stationierten amerikanischen Einheiten in den letzten sechs Monaten auf Grund der Ausbildung nach den letzten Koreaerfahrun­gen gemacht haben.

Aus dem Landkreis Heidelberg werden schwere Flurschäden gemeldet. Vor allem wird bedauert, daß viele noch nicht abgeemtete Kartoffel- und Rübenfelder in Mitleidenschaft gezogen worden sind.

jedes Fundament. Die Bedenken, die man jetzt gegen das Grundgesetz vorgebracht habe, hät­ten geltend gemacht werden müssen, als das Grundgesetz behandelt worden sei.

Als Vertreter der Länder Württemberg-Ba­den und Württemberg-Hohenzollem bat Prof. Dr. Schneider, Tübingen, den Senat, die von Baden eingereichten Anträge als unzuläs­sig und unbegründet zurückzuweisen. Der Ar­tikel 118 des Bundesgesetzes verstoße nicht ge­gen das föderalistische Prinzip, sondern för­dere es. Bei einer Neugliederung müsse ja ausschlaggebend sein, daß die neuen Länder die ihnen vom Bund gestellten Aufgaben er­füllen können. Es werde aber anerkannt, daß die gegenwärtigen Länder Württemberg-Ho- henzollern und Südbaden dazu nicht in der Lage seien.

Innenminister Viktor Renner, Württem­berg-Hohenzollem, bezeichnete die Ausfüh­rungen von Rechtsanwalt Dr. Kopf als eine

merkwürdige Theorie. Das Argument, Süd­baden sei für Nordbaden verantwortlich, sei geradezu absurd. Der württembergisch-ba- dische Wirtschaftsminister Dr. Herrn. Veith legte dem Senat in der Nachmittagsverhand­lung ein Gutachten des Heidelberger Universi­tätsprofessors Dr. Walter Jellineck vor. Jellineck kommt darin in 14 Thesen zu dem Schluß, daß der Bundesgesetzgeber die ihm eingeräumten Entscheidungsbefugnisse mit dem Neugliederungsgesetz nicht überschritten habe. Staatspräsident Dr. Gebhard Müller bezeichnete es als zwecklos, über rein theore­tische Begriffe zu sprechen. Entscheidend sei vielmehr die Frage, welches der Wille des Verfassungsgesetzgebers bei der Einführung des Artikels 118 in das Grundgesetz gewesen sei. Dieser Wille sei politischer Natur gewe­sen und man müsse zugeben, daß die Bundes­organe mit dem Neugliederungsgesetz eine Lö­sung gefunden hätten, die dem Höchstmaß einer gerechten und zweckdienlichen Rege­lung im Südwestraum entspreche. Im übrigen seien nach dem Ergebnis der Probeabstimmung für beide Parteien bei einer Durchzählung in vier Abstimmungsbezirkendie Chancen völ­lig offen.

Heute Entscheidung

Acht Länder gegen Aufwandsteuer

HAMBURG. Die Entscheidung über die von der Bundesregierung geplante Aufwandsteuer für Waren des gehobenen Bedarfs wird heute im Bundesrat fallen. Nach Württemberg-Ba­den, Südbaden, Hessen, Bremen, Hamburg und Bayern gaben auch das nordrhein-westfälische und das niedersächsische Kabinett die Ab­lehnung der Regierungsvorlage bekannt. Da­mit haben acht der elf Bundesländer beschlos­sen, im Bundesrat gegen die Aufwandsteuer zu stimmen. Die Bundesregierung hält aber an ihr wie an der Autobahnsteuer fest, da diese beiden Steuern zur Deckung unabweis­barer Ausgaben notwendig seien. Es gehe nicht an, diese durch eine Erhöhung der Um­satzsteuer decken zu wollen, da eine Erhöhung über vier Prozent unmöglich sei.

Ein Bundestagsbeschluß über die Investi­tionshilfe der Wirtschaft wird nicht vor Ende Oktober erwartet. In den Bundestagsausschüs­sen für Wirtschaft und für Finanzen wird zur­

zeit geprüft, in welcher Höhe die Investitions­umlage erhoben werden kann. Eine starke Minderheit in den Ausschüssen meint, daß durch die Umlage eine Milliarde DM jährlich nicht aufgebracht werden könne. Eine Förde­rung der Grundstoffindustrie durch Erhöhung der Preise von Kohle und Stahl sei deshalb unumgänglich.

Stabilisierung der Preise

WASHINGTON. Dfe Preisstruktur der Ver­einigten Staaten habe sich zumindest für die nächsten vier bis fünf Monate stabilisiert, er­klärte der Leiter des amerikanischen Preis­stabilisierungsamtes, Johnston, in Paris. Er befindet sich zurzeit auf einer Instruktions­reise durch Frankreich, die Bundesrepublik und England zum Studium der Inflationsten­denzen. Johnston ist davon überzeugt, daß die Stabilität der amerikanischen Preise einen entscheidenden Einfluß auf die Erhaltung des derzeitigen Preisniveaus in Europa haben wird. Amerika werde nach und nach alle Roh­stoffpreise drücken.

Kleine Weltchronik

FRANKFURT. Der erste Vorsitzende des Deut­schen Gewerkschaftsbundes, Christian Fette, ist nach dreiwöchigem Aufenthalt in den USA wie­der in Deutschland eingetroffen.

FRANKFURT. Insgesamt 68 deutsche Züge werden mit Wirkung vom 7. Oktober keine Son­derabteile für alliiertes Personal mehr führen.

BONN. Die Deutsche Bundesbahn verzeichnet noch 1,2 Milliarden DM Kriegsschäden. Bisher wurden 1,8 Milliarden DM zur Beseitigung von Kriegsschäden ausgegeben.

BONN. Der Flugpassagierverkehr und der Luftfracht- und Luftpostverkehr im Bundesge­biet und mit Westberlin nehmen fortgesetzt zu. Im April d. J. wurden 66 981, im Juli 87 219 Per­sonen befördert.

KASSEL. Mitte der Woche wurde in Kassel ein Verband ehemaliger Wehrmachtshelferinnen gegründet. Der Verband will engen Kontakt zum VdS auf nehmen und beabsichtigt, sich mit Nach­druck für die noch in sowjetischen Lagern be­findlichen Wehrmachtshelferinnen einzusetzen.

DÜSSELDORF. Eine Erhöhung der Altbaumie­ten um 20 Prozent forderte der Zentralverband der Haus- und Grundbesitzer am Mittwoch auf einer Pressekonferenz in Düsseldorf.

HAMBURG. Nach dem westdeutschen Schiffs­bauprogramm, das gegenwärtig von der Bundes­regierung ausgearbeitet wird, soll die Tonnage­zahl der Bundesrepublik in etwa zwei Jahren mit vier Millionen Tonnen nahezu 50 Prozent der Vorkriegstonnage erreichen, was bedeutet, daß bis Ende 1951 1,14 Millionen Bruttoregistertonnen neu gebaut werden müssen.

HAMBURG. Der Haftbeschwerdetermin des Hamburger Journalisten Dr. Platow und seines Mitarbeiters Dr. Wegrich vor dem Hamburger

Landgericht konnte am Mittwoch nicht stattfin­den, da der Haftrichter die Akten bisher noch nicht an das Landgericht weiter gab. Das bri­tische Hohe Kommissariat hat das Bundesjustiz­ministerium gebeten, ihm Einblick in das gegen Dr. Platow vorliegende Material zu gewähren, da dieser in seinem Dienst auch Informationen gebracht habe, die britische Belange beträfen.

BERLIN. An der Sektorengrenze kam es am Mittwochabend im französisch besetzten Bezirk Wedding zu schweren Zusammenstößen, als etwa 7000 Angehörige der FDJ trotz des Verbots einer im französischen Sektor geplanten FDJ-Ver- sammlung in den Westsektor Vordringen woll­ten. Der Polizei gelang es, mit Hilfe von Was­serwerfern die Demonstranten wieder zurückzu­drängen.

SALZBURG. Die amerikanische Armee gab am Mittwochabend die Verhaftung mehrerer Mitglie­der eines gegen die amerikanischen Streitkräfte in Österreich und Deutschland arbeitenden tsche­choslowakischen Spionagerings bekannt.

PALERMO. Das Banditentum in Sizilien scheint sich wieder zu organisieren. Mitte der Woche wurden die beiden ersten Todesopfer einer offenbar neugebildeten Räuberbande im Gebiet von Montelepre aufgefunden, ein Cara- biniere und ein Polizeiagent.

WASHINGTON. Der Handel zwischen den USA und der Tschechoslowakei ist durch die Aufhe­bung der Prag von seiten der USA gewährten Handelskonzessionen praktisch zum Erliegen ge­kommen.

BUENOS AIRES. Der argentinische Staatsan­walt beantragte am Donnerstag das Todesurteil für den Führer des am vergangenen Freitag ge­scheiterten Putsches gegen Peron, General Me- nendez.

Oberst a. D. Gümbel

jk. Sprecher des Verbandes deutscher Solda­ten haben sich, kaum daß dieser offiziell an­erkannt ist, merkwürdige und bedenkliche Ent­gleisungen zuschulden kommen lassen. Die Al­liierten äußerten erhebliche Mißstimmung, die Bundesregierung hat getadelt und das Anden­ken der Männer des 20. Juli demonstrativ ge­ehrt. Ebensowenig aber, wie solche Äußerun­gen einzelner für den Geist der deutschen Sol­datenbünde kennzeichnend sein mögen, eben­sowenig verhallen sie andererseits auch ein­fach im leeren Raum. Im Gegenteil: sie wer­den mit sehr hellhöriger Aufmerksamkeit re­gistriert. Schon allein das Konzert der Presse­stimmen des Westens mag den törichten und wirklichkeitsfremden Rednern handgreiflich eröffnet haben, welchen Bärendienst sie der Bundesrepublik geleistet haben. In der Tat sind die Folgen für den Gang der Verhand­lungen um die politische Rehabilitierung un­absehbar.

Zwar ist tröstlich, daß sich aus den* Solda­tenbünden selbst Proteste erheben; so hatten die Landesleitung Bayern und der Landesver­band Württemberg-Baden den sofortigen Rück­tritt Frießners gefordert, gleichzeitig dessen Äußerungen vor der ausländischen Presse auf das schärfste mißbilligt und sich von Oberst a. D. Gümbel distanziert. Aber nun ist das Porzellan zerschlagen; es scheint geradezu das Schicksal der Bundesrepublik zu sein, daß im­mer wieder dann solche überflüssigen, ja sinn­losen Störungen auftreten, wenn um die hei­kelsten Dinge gerungen wird.

Es wäre gut, man könnte die anmaßenden Erklärungen dieser Herren mitsamt ihrem un­angebrachten Pathos durch eine wegwerfende Handbewegung abtun um so mehr, als die Soldaten selbst offenbar wenig Neigung ha­ben, an diesem von einigen ihrer Exponenten geübten Spiel mit Ressentiments mitzutun. Aber gerade die Gümbelschen Auslassungen beanspruchen gebieterisch unsere Stellung­nahme, so traurig es auch sein mag, daß eine Diskussion über den 20. Juli überhaupt not­wendig ist. Gümbel zollte glattzüngig den Männern des 20. Juli Anerkennung und Wür­digung für ihr schweres Opfer, um dann aber zu fordern:Von ihrem Idealismus aber glau­ben wir, ableiten zu dürfen, daß sie jeden Ver­such unterlassen, in das deutsche Soldatentum zurückzukehren und darin Einfluß zu neh­men.

Das mag Gümbels eigene anmaßende Mei­nung sein. Als Blutordensträger muß er ja not­wendigerweise Anschauungen huldigen, die sich von denen der von ihm vertretenen Sol-., daten weitgehend unterscheiden. Uns selber sollten wir in unserer Vergeßlichkeit aber in die Erinnerung rufen, daß schon lange vor dem 20. Juli 1944 Hunderttausende deutscher Soldaten in zwar hilfloser, aber scharfer Op­position zu den Verantwortlichen einer ent­menschten Politik und Kriegsführung standen, zutiefst überzeugt von der Nutzlosigkeit der Front und Heimat auferlegten beispiellosen Opfer. Die Geschichte der Männer des 20. Juli muß erst noch geschrieben werden. Durch die bewußten Fälschungen des Regimes und später durch die verzerrten Darstellungen in- und ausländischer Autoren hat sich verständlicher­weise in weiten Bevölkerungskreisen ein total verschobenes Bild festgesetzt, das zu korrigie­ren nun endlich an der Zeit wäre. Oberst a. D. Gümbel aber müssen wir das Recht ab­erkennen, über die Männer des 20. Juli zu ur­teilen auch wenn er dieses Urteil mit einer schon peinlich wirkenden doppelzüngigen An­erkennung ihres Opfers verbrämt.

*

Im übrigen hat der Verband deutscher Sol­daten kurz vor Redaktionsschluß offiziell er­klärt, er sei nicht gewillt, die Frage des 20. Juli erneut zum Anlaß eines fruchtlosen Streites werden zu lassen, und fest entschlos­sen, einen Strich untei das Vergangene zu zie­hen und in Gemeinschaft mit allen, die guten Willens sind, an der Gestaltung einer besseren Zukunft zusammenzuarbeiten. Die kürzlich von Oberst a. D. Gümbel an den Männern des 20. Juli geübte Kritik stelle lediglich dieper­sönliche Auffassung Gümbels dar.

Ein heiterer Roman oon l ranz Goßt:

Nachsaison"

Copyright by Schwäb. Verlagsgesellschaft, Tübingen

Im fahlen Schein, den die armselige Mond­sichel fünf Tage vor dem gänzlichen Ver­schwinden noch zu geben vermochte, schlich eine dunkle Gestalt verdächtig mit schritt­dämpfenden eingeknickten Knien um das An­wesen des Obermoser Ander herum. Aus der ebenerdigen Stube drang noch ein Lichtschim­mer. Vorsichtig pirschte sich die Gestalt heran und spähte durch einen Spalt des Vorhangs. Was sie sah, schien sie sehr zu befriedigen, denn ein gedämpftesAh! entschlüpfte ihr. Die Lisi saß allein drinnen und stichelte an irgendeinem Wäscheschrank herum.

Leisd* trommelten die Fingerknöchel an die Scheiben. Die Lisi fuhr etwas zusammen und setzte mit ihrer Arbeit aus. Doch rasch faßte sie sich wieder. Was sich so vorsichtig ankün­dete, konnte nicht übermäßig gefährlich sein. Und Geisterstunde war ja auch noch nicht.

Sie ging zum Fenster hin.Mach auf, Lisi!, flüsterte es vernehmlich.

Zu mir kommt man bei Tag durch die Tür und nicht die Nacht zum Fenster, verwies sie den nächtlichen Besucher auf den geraden, allerdings weniger romantischen Weg.

Mach doch keine Flausen, Lisi!, bestürmte sie der Bursch,ich bins ja nur, der Mar­tin.

Was willst, denn überhaupt? fragte sie ihn, mehr, um Zeit zum Überlegen zu ge­winnen, als aus wirklicher Unkenntnis über Zweck und Ziel nächtlicher Besuche.

Ich muß dir was Wichtiges sagen, tat der Martin geheimnisvoll und versuchte, das ein wenig geöffnete Fenster weiter aufzudrücken. Er stieß allerdings auf wenig Verständnis dafür.

Aber Martin!, verwahrte sich die Lisi, was ist denn dir zu Kopf gestiegen? Paß auf, wenn der Vater kommt!

Der sitzt gut in unserer Stube. Es lebe der Amerikaner!, beruhigte sie der Martin und lachte verschmitzt, daß die Zähne trotz der windigen Beleuchtung aufblitzten.Der Ame­rikaner zahlt und die anderen saufen wie die Löcher. Dein Vater mit kannst dir ja den­ken, wenns nichts kostet.

Du, mach meinen Vater nicht schlecht!, schmollte die Lisi,er hat halt seine Schwä­chen.

Wo werd ich! entgegnete der Martin be­schwörend,ich tät ihm dafür ja am liebsten um den Hals fallen aber weil er nicht da ist hm, was meinst, könntest nicht du ihn vertreten.

Das könnt dir so passen! wehrte sie ab, aber Martin geschärftes Ohr vernahm ein un­terdrücktes Lachen der Lisi.

Das machte ihn gleich kühner:Stell dich nicht so, Lisi, mach doch auf!

Hättst gern! ließ sie sich nicht erwei­chen,und jetzt verschwind, es zieht.

Geh, sei doch nicht so! bettelte der Martin, daß es ein hartgesotteneres Herz als der Lisi ihres zum Erweichen hätte bringen können, mir ist heiliger Emst.

Dann wart ein bißl! befahl ihm die Lisi und verschwand vom Fenster. Martin stand nun da und wußte nicht, wie er sich das deu­ten solle. Hatte sie ihn wirklich so glatt ab­fahren lassen? Und er meinte doch immer, auch sie sähe ihn nicht gerade ungern ...

Während er noch überlegte, huschte sie um die Ecke und stand plötzlich in voller Lebens­größe vor ihm:So, da bin ich! Jetzt sag, was du willst!

Lang brauchte der Martin nicht, um sich von der Überraschung zu erholen, und anstatt jeder Antwort packte er sie beim Kopf und pappte ihr ein Bußl hinauf, das nicht von schlechten Eltern war. Nun war es an ihr, die Überraschung zu verdauen. Auch sie brauchte

nicht lange dazu:Oha, Manndl, so haben wir nicht gewettet! Gute Nacht!

Gerade, daß er sie noch erwischte und zu­rückhalten konnte:

Aber Lisi, sei doch gescheit! Ich will dich ja heiraten!

Dieses Wort genügte allerdings, um ihre Rückzugsabsichten etwas zu bremsen:Ist das dein Emst, Martin? Spielen laß ich mit mir nicht, das laß dir gesagt sein!

Wenn ich es schon sag, Lisi! beteuerte der Martin. Und da gerade eine Bank in der Nähe war, setzten sie sich hin, um das weitere zu besprechen. Merkwürdigerweise wurde dabei trotz eifriger Lippentätigkeit sehr wenig gere­det.

*

Erschreckt fuhr plötzlich die Lisi auf:Mein Gott, Martin, der Vater!

Mit der gelassenen Ruhe eines, der mit sich und der übrigen Welt zufrieden ist, warf der Martin hin:Laß ihn, der beißt heut nimmer! Das Gebaren des alten Obermoser recht­fertigte jedoch in keiner Weise eine solch zu­versichtliche Auslegung seines Tuns. Denn während er drinnen im Haus die Stiege hin­aufkletterte und dabei anscheinend jede Stufe mit seinen Grobgenagelten auf ihre Festigkeit prüfte, bullerte er vor sich hin:... da ums Ecke . . . hupp . . . der Schatten . . . aha! da ist er, der Hundsknochen, der lumpige . . . hupp! es tat einen grausamen Pumpererer... oder ich!... wart nur, Bürschl!.... mit dir . . . hupp . . . jetzt springt er her ... es kracht . . . hupp . . . Kruzitürken! . . . au! au! au! und zugleich hörte man einen Rumpler, daß einem die hellichte Angst anspringen konnte. In der Hitze des Gefechtes, einer Nachwirkung der haarsträubenden Erzählungen des Amerika­ners, war der gute Obermoser über die im Gang stehende Truhe gestolpert, wobei es ihm in der Länge nach hinhaute. Dann war es un­heimlich still.

O Gott! O Gott! jammerte die Lisi,was ist denn jetzt passiert?

Kaltherzig bemerkte der Martin:Nur keine Aufregung! Einem Besoffenen geschieht nichts! Da hörst er rappelt sich wieder auf.

Tatsächlich. Mordsmäßig fluchend klaubte der Obermoser seine Knochen zusammen, man hörte ihn an seiner Kammertür knaspeln er war seit Jahren Witwer, sein einziger Sohn gegenwärtig beim Militär eine Tür schlug zu. Damit war wieder Ruhe im Hause.

Du Martin, wandte sich Lisi wieder ih­rem Besuch zu,du bist ein schlechter Mensch.

Wieso denn auf einmal? fragte er unschul­dig.

Herzlos bist! fauchte sie ihn an,du könn­test kaltblütig Zusehen, wie ein Mensch zu­grund geht. Das hab ich jetzt gemerkt.

Aber geh, Lisele, redete er ihr gut zu,da hab ich mehr Erfahrung als du. So schnell geht ein ordentlicher Mann wegen einem Rausch nicht kaputt. Ich kenn das.

Du ich mein, du hast sonst auch aller­hand Erfahrung, argwöhnte sie weiter.

Wieso? Harmloser konnte sich ein neu­geborenes Kind auch nicht benehmen.

Bei den Mädchen, half sie ihm auf den rechten Gedankengang.

Lisele, da schneidest dich jetzt, beteuerte der Martin ehrlich,du bist die einzige, die ich mag, jetzt und alleweil!

Wenn man dir glauben könnte! seufzte Sie.

So wahr ich da sitz! schwor er, weil ihm im Augenblick keine bessere Beteuerung ein­fiel

..... und so wahr du jetzt verschwinden

mußt, ergänzte sie die Formel.

Das war so deutlich, daß von vornherein jeder Widerspruch zwecklos erschien. Und so verschwand Martin ebenso geräuschlos, wie er gekommen war, in der Nacht. Die Lisi huscht® durch die hintere Haustür, durch die sie auch herausgekommen war, hinein. Nun erst war vollkommene Ruhe im und ums Haus.

(Fortsetzung folgt)