NUMMER Ijtj

EITAG, 88. SEPTEMBER 1951

Ff BIT

Doppelte Budiführung des Kreml

Friedensoffensive auf drei Linien/ Freundlichkeiten für London

ROM (Eig. Bericht), ln politischen Kreisen ls, wo ln der letzten Zeit alle Informa- en über die Entwicklung des Verhältnisses sehen Ost und West sowohl im Quirinal im Vatikan besonders aufmerksam regi­ert und gewertet werden, herrscht der Ein­ick, daß die gegenwärtige Friedensoffensive Kreml als ein Ausdruck der doppelten (Olitischen Buchführung betrachtet werden

8, die Moskau betreibt. Auch der neue rotewohl-Vorschlag wird hier auf Grund , Iplomatiscfaer Informationen aus Südost-Eu- fopa in diesem Zusammenhang als Randaktion, Vorerst ohne Tiefe, aber als wichtiges Sym­ptom gebucht Viel bedeutungsvoller als die offenen Friedensofferten, die der Kreml über drei Linien startet, sind die unterirdischen Versuche, mit den Extrem-Gruppen mög- fichst neonazistischen Einschlags in Fühlung tu kommen.

Daraus ergibt sich die für Westeuropa sehr chtige Tendenz, daß für Moskau ein neu- alisiertes Deutschland bedeutend wichtiger d nützlicher sein muß als ein mit amerika- ßischem Geld und amerikanischen Waffen |ufgerüstetes Westdeutschland, das einer Ver­tagung mit Ostdeutschland zustrebt.

So werden auch die den verschiedenen al-

S lerten Nachrichtendiensten bekannt gewor- enen Informationen bewertet, wonach man in Moskau das Absinken des kommunistischen Einflusses in den Arbeiterbewegungen West- Europas als Tatsache hinnimmt und zum Ausgleich dafür mit jenen Kreisen Fühlung aufnahm, die eine Wiedervereinigung der bei­den Deutschlandsganz gleich mit wessen Hilfe anstreben.

Die Friedensoffensive des Kreml auf drei Linien wickelt sich nach folgenden Gesichts­punkten ab:

Die neu abgeschlossenen Handelsverträge des Kreml mit London und mit Paris bringen 8ine Ausweitung des bisherigen Handelsver­kehrs mit diesen beiden Ländern, obwohl hach außen hin der Umfang dieses Warenaus­tauschs nicht in Erscheinung treten soll. Die Opposition englischer und französischer Kreise

6 gen die kommerzielle Zusammenarbeit zwi- hen Westdeutschland und dem Osten war so gesehen nichts anderes als ein eiliger

Versuch, die deutsche Konkurrenz vor Ab­schluß der Handelsverträge mit London und Paris auszuschalten. Auch die amerikanischen Handelskreise haben mit Moskau Kontakt ge­nommen. Dieser Kontakt wickelt sich über Zwischenhändler ab, die in erster Linie in Ostasien (Indien und Burma) ferner in südeuropäischen Ländern (speziell Italien) zu suchen sind.

schiedet, wie es in Moskau sonst selten üb­lich ist.

In Paris hat der sowjetische Botschafter Pawlow auf einem sehr geschickten Umweg für den Fall eines Scheitems der Konferenzen von Ottawa, Rom und Paris einen Rückversi­cherungsvertrag RußlandFrankreich amge- boten, dem sich andere westeuropäische Staa­ten nach und nach anschließen könnten, und zwar mit einer Geltungsdauer von vorerst 10 Jahren. Diese Gespräche verlaufen außeror­dentlich geheim.

Über die schon erwähnten Anschlußversuche

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Expreß WienRom verunglückt

LANGENWANG (Steiermark). In der Nacht zum Mittwoch verunglückte der Expreßzug Wien-Rom in der Nähe von Graz. 20 Personell sind dabei ums Leben gekommen. Die Zahl der Verletzten beträgt bis jetzt 41. Alle töde lieh Verunglückten sind Italiener. Der Expreß- zug fuhr im dichten Nebel hinter dem Bahnhof Langenwang auf einen haltenden Güterzug auf. Die Lokomotive des D-Zugs entgleiste und wurde durch die Wucht des Zusammen-* pralls 100 m weit fortgeschleudert. Die folgen-* den Wagen wurden ineinandergeschoben. Dia Untersuchung des Unglücks hat ergeben, daß der Stationsvorsteher von Langenwang das Signal vor dem Bahnhof nicht auf Halt gesetzt hatte, als er den Güterzug auf das Gleis des Schnellzuges Wien-Rom lenkte. Das Signal nach dem Bahnhof stand allerdings auf Rot, aber im dichten Nebel übersah es der Lokomo­tivführer des D-Zuges. Der österreichische Bundespräsident Dr. Körner ist an der Un­glücksstätte eingetroffen. Die Bergungs- und Aufräumungsarbeiten dauerten gestern noch an.

2X300000 DM

fielen in der 5. Klasse der

9. Süddeutschen Klassenlotterie

auf die Nummern 124 715 und 144 323 Die 10. Lotterie beginnt sdion am 23. Oktober Höchstgewinn Vs Müllen Mark

Heute wird im Prinz-Max-Palais in Karlsruhe feierlichen Staatsaktes eröffnet.

Seit Jahr und Tag ist die englische Diplo­matie in Moskau nicht mehr so hofiert worden wie in den verflossenen drei Monaten. Der zurückgetretene britische Botschafter Sir Da­vid Kelly erhielt Rundreiseerlaubnis und wurde in einer Art und Weise höflich verab-

Immer noch Fortschrittsglaube?

Tagung für Journalisten und Verleger Einerestaurative Tendenz und einebe­tauerlich« ideologische Unklarheit im Westen teilte Dr. Peter Dürrenmatt, der Chef­redakteur derBasler Nachrichten, in einem Referat fest, das er auf Einladung der Evang. Akademie Baden in Herrenalb hielt. Landes- Mschof D. Bender, Karlsruhe, hatte das am *2. und 23. September durchgeführteWochen-

£ de für Journalisten und Verleger eröffnet, s die Begriffe Tradition -und Erneuerung, Re- «tauratlon und Fortschritt zum Gegenstand er- fiebiger Diskussionen machte.

Das Referat Dr. Dürrenmatts,Das Ringen alter und neuer Ideen in der Politik, zeichnete »ich ebenso durch sein Einfühlungsvermögen für Innerdeutsche Verhältnisse wie durch seine ge- «amteuropäische Perspektive aus. Es gipfelte in dem Bekenntnis, daß das cartesianische Grund­prinzip desCogito, ergo sum heute bedeu­tungslos geworden sei, daß eine Neuorientierung nottue und dabei die Synthese mitCredo, ergo sum erstrebenswert erscheine.

Das Grundthema von der wirtschaftlichen und sozialpolitischen Seite her anfassend legte Pri­vatdozent Dr. Achinger, Frankfurt, in sei­nem ReferatDie sozialen und wirtschaftlichen Auswirkungen des Glaubens an den Fortschritt dar, daß die Familie, einst eine wirtschaftliche Produktionsgemeinschaft, heute durch das Prin­zip der Arbeitsteilung und die Industrialisierung zur bloßen Konsumgemeinschaft geworden sei, die nebenbei auch noch Sorge- und Erziehungs­verband ist. Doch auch dies ist bei einer Weiter­entwicklung in der eingeschlagenen Richtung in Frage gestellt und es wird sich zeigen müssen, ob der Staat gewillt und in der Lage ist, bei weiterer Auflösung des Familienverbands dessen seitherige Aufgaben selbst zu übernehmen. Der augenblickliche Zustand von Alters- und Invali- denversorgung, von Steuerpolitik, Versicherungs­wesen und Wohnraumbeschaffung wirkt auf den Betrachter nicht gerade ermutigend.

.Den Schlußvortrag hielt Professor Dr. Hans Frey er, Wiesbaden, überDer Fortschritt und die haltenden Mächte. Von der Ebene der Ge- schichtsphilosophie und Soziologie herkommend schildprte er wie seinerzeit schon auf der Wiesbadener Tagung der Keyserling-Gesellschaft! Eigenart und Auswirkung des Fortschritts­glaubens und wies eindringlich auf diezeh­rende Tendenz des Fortschritts hin. Massen­fabrikation bildet kein Arbeitsethos, die ab­strakten Organisationsformen der industriellen Gesellschaft besitzen keine bildende, keine prä­gende Kraft, sie leben vielmehr von einem ethi­

schen Kapital, das sie selbst nicht gebildet ha­ben, sondern das in Jahrhunderten geschaffen wurde und das aus Familie und Heimat, aus der vorindustriellen Gesellschaft stammt. Da die zehrende Kraft des Fortschritts enorm ist, wird dieses Erbe auf eine harte Probe gestellt. Prof. Freyer schloß mit der Feststellung, es sei nötig, die bedrohlich fortschreitenden Mächte des Fort­schritts in Kontinuität mit dem Menschlichen zu haltender Fortschritt muß mit Menschlichem gefüttert werden, sonst läuft er dem Menschen davon!_, sh.

DerIndex bibliographicus, ein un­entbehrliches Hilfsmittel wissenschaftlicher Ar­beit, das die internationalen Zeitschriften biblio­graphischen Inhalts in systematischer Gliede­rung nachweist, wird im Auftrag der UNESCO von Th. Besterman, London, neu herausgegeben. Die Bearbeitung des deutschen Anteils wurde dem Tübinger Bibliothekar H, Widmann über­tragen.

Aus Anlaß der Hauptversammlung der Ge­sellschaft Deutscher Chemiker in Köln, an der über 2000 Chemiker dqp In- und Auslandes teil- nahmen, überreichte der Vorsitzende der Gesell­schaft, Prof. Ziegjer, in einem Festakt fünf derhöchstenAuszeichnungen, die die deutsche wissenschaftliche Welt auf dem Gebiet der Chemie zu vergeben hat, an folgende For­scher: Die Justus-von-Liebig-Denkmünze dem Prof. Wilhelm Klemm, Münster, die Adolf - von-Bayer-Denkmünze dem Prof. Otto Bayer, Leverkusen, die Emil-Fischer-Medaille dem Prof. Burckhardt Helferich, Bonn, der Al- fred-Stock-Gedächtnispreis dem Prof. Walter H i e b e r, München und die Joseph-König-Ge- denkmünze dem Prof. Willibald D i e m a i r, Frankfurt. Die nächste Hauptversammlung der Gesellschaft Deutscher Chemiker wird 1952 ln Frankfurt a. M. stattfinden.

Der langjährige Generalsekretär des interna­tionalen PEN-Clubs, der Schriftsteller und Büh­nenautor Hermann O u 1 d, ist im Alter von 65 Jahren in London gestorben. Ould, der John Galsworthy auf den Posten des PEN-General- sekretärs nachfolgte, kämpfte gegen jede Beschrän­kung der freien Meinungsäußerung und unter­stützte nachhaltig die nach 1933 von den Natio­nalsozialisten vertriebenen deutschen Autoren.

Bundespräsident Heuß wurde von der Deut­schen Vereinigung für Geschichte der Medizin, der Naturwissenschaft und Technik zum Ehren­mitglied ernannt. Damit wurden die grundlegen­den Arbeiten von Prof. Heuß über Anton Dohrn und Robert Bosch und seine biographischen Stu­dien über die schöpferischen Deutschen des 19. Jahrhunderts gewürdigt.

das Bundesverfassungsgericht im Rahmen eines

Bild: dsi

an die europäischen Extrem-Gruppen hinaus also außer der Schaffung eines neutralen Blocks, dessen Kern Deutschland sein soll versucht Moskau im Augenblick eine sehr energische Straffung innerhalb der Ostblock­staaten, um im Falle einer Neutralisierung Deutschlands hinter der neuen deutschen Grenze als geschlossener Ostblock bestehen zu kön­nen. dsi.

Die Genossenschaftler tagten

KOPENHAGEN. Auf dem Internationalen Genossenschaftskongreß in Kopenhagen wer­den verschiedene aktuelle Themen der Ge­nossenschaftsbewegung behandelt. In einem Entwurf zur künftigen Politik der Internatio­nalen Genossenschaftsbewegung wird festge­stellt, daß die wirtschaftliche Entwicklung in Ländern mit gemischter Wirtschaftsverfassung nur durch Anwendung genossenschaftlicher, nicht auf Gewinn gerichteter Grundsätze, so­wie durch Teilnahme der Genossenschaften an der Sozialpolitik gefördert werden könne.

Diskussion um Manstein

LONDON. Zwischen dem britischen Anklä* ger in den Nürnberger Kriegsverbrecherpro­zessen, Sir Hartley Shawcross, der heute britischer Handelsminister ist, und dem eng­lischen Anwalt Reginald Paget ist es zu ei­ner Kontroverse über den Mansteinprozeß ge-* kommen. Paget hatte den ehemaligen Feld-* marschall unentgeltlich und gegen den Wider-* stand der britischen Anwaltskammer in dem Prozeß vor dem britischen Militärgericht ver­teidigt, das Fritz von Manstein zu 18 Jah­ren Gefängnis verurteilte.

In seinem vor wenigen Tagen erschienenen BuchManstein, seine Feldzüge und sein Pro­zeß hat der britische Anwalt die Prozeß­führung scharf kritisiert und nach dem Er­scheinen seines Buches dazu erklärt, er habe damitalle Kriegsverbrecherprozesse angrei­fen wollen.Dieser Prozeß, so sagte Paget, zeigt, wie unfair und unsachgemäß die Ver­fahren waren. Der britische Ankläger von Nürnberg, Sir Hartley Shawcross, veröffent­lichte nun eine Stellungnahme zu dem Buch Pagets und sagte, es sei ungewöhnlich, daß ein Jurist, der berufsmäßig an einem Gerichtsver­fahren beteiligt sei, das Ergebnis der Ver­handlung kritisiere.Es genügt zu sagen, daß sich die Kritik Pagets nicht in Übereinstim­mung mit den besten Traditionen des eng­lischen Gerichtswesens befindet.

Paget bemerkte zu dieser Erklärung von Shawcross:Ich kann aus der Stellungnahme Sir Hartleys nur entnehmen, daß er mein Buch nicht gelesen hat. Ich hoffe, er wird es noch mit Nutzen tun."

Ueber Wohieb und seine Politik ...

Baden 19451951. Was nicht in der Zeitung'steht

Diesmal nicht über eine Größe des Dritten Reiches. Aber trotzdem so etwas wie Zeitrepor­tage und Enthüllungsliteratur. Die Broschüre gibt eine umfassende Darstellung von Vorge­schichte und Stand der augenblicklichen würt­temberg-badischen Kontroverse im Zusammen­hang mit der staatlichen Neuordnung im süd­westdeutschen Raum. Das würde an sich eine ausführlichere Behandlung der Arbeit an dieser Stelle noch nicht rechtfertigen, denn die beiden Wahlkämpfe haben es mit sich gebracht, daß sowohl Freiburg als auch Stuttgart und Tübin­gen im Eifer des Gefechtes immer wieder die äußeren Entwicklungen seit 1945 aufzeigten. Hier aber haben wir eine Schilderung, die hinter die Kulissen der Kabinettspolitik blicken läßt. Sie wurde zweifellos auchhinter den Kulissen, und zwar in unmittelbarer Nähe des Freiburger Staatsoberhauptes verfaßt. Nur so läßt sich die Fülle interessanter, zweifellos aus erster Hand mitgeteilter intimer Beobachtungen erklären. Wenn deshalb der oder die Verfasser ungenannt bleiben wollen, so sollte man dies angesichts der ln der Broschüre trotz oder gerade wegen ihrer Sachlichkeit enthaltenen Kritik an Leo Wohieb und im Hinblick auf die immer wieder durch Erfahrungen bestätigte, für den Betroffenen un­angenehme Reaktion der Freiburger Machthaber gegenüber jedem, der aus der Reihe tanzt, hin­nehmen. Von jener Tagung auf dem Hohen- neuffen, bei der zum erstenmal von den drei be­teiligten Regierungen das Problem eines Zusam­menschlusses ihrer Länder angegangen wurde, bis zu den letzten Wohlebschen Querschüssen in Bonn, wird die Freiburger Politik auch in

ihren scheinbaren Inkonsequenzen bloßgelegt. Oder sollte man sagen: bloßgestellt? Zu den interessantesten Abschnitten gehört die Geschichte jenesUrias-Briefes des badischen Oberlandes­gerichtspräsidenten Dr. Zürcher an den inzwi­schen verstorbenen Bürgermeister von Sigma­ringen, Müller, der infolge einer Unklarheit in der Adresse an den Staatspräsidenten Dr. Mül­ler in Tübingen gelangte. In dem Brief war be­kanntlich der Sigmaringer Bürgermeister, also ein Südwürttemberger, aufgefordert worden, an einer heimlichen Konferenz teilzunehmen, die der Aufteilung oder Auflösung Südwürttembergs gel­ten sollte. Freiburg spielte ja damals noch mit dem Gedanken des sogenannten Südstaates. Ferner ist hervorragend die Studie zum Verhält­nis zwischen dem Staatspräsidenten Wohieb und seiner grauen Eminenz, dem großen Juristen Zürcher. DieHaßliebe der beiden, die, so gegen­sätzliche Naturen und so verschiedener Meinung sie auch in allen anderen Dingen sein mögen, doch nach der ganzen Entwicklung in der Frage des Südweststaates auf Gedeih und Verderb zu­sammengekettet sind, erfährt eine psychologische Durchleuchtung. Selbstverständlich setzt sich die Schrift für den Südweststaat ein. Sie ist aber nicht tendenziös in dem Sinne, daß sie die Vor­gänge verzerrte. Wir erachten sie innerhalb des bescheidenen Sektors, den sie nach ihrem Gegen­stände nur behandeln will, für ein hochinter­essantes Stück politischer Zeitgeschichte. hr, Baden, von 1945 bis 1951. Was nicht in der Zeitung steht. Erschienen 1961 im Friedrich Vorwerk-Verlag in Darmstadt. Broschüre, 79 S.

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