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NUMMER 145
MONTAG, 17. SEPTEMBER 1951
„Gesamtdeutsche freie Wahlen“
Regierungserklärung Grotewohls / Bonn: „Propagandatrick“
BERLIN. Im Namen der Sowjetzonen-Re- gierung forderte Minliterpräsident Grotewohl in einer Regierungserklärung am Samstag die ostzonale Volkskammer auf, dem Bundestag gesamtdeutsche Beratungen über folgende Punkte vorzuschlagen: 1. Abhaltung gesamtdeutscher freier Wahlen für eine gesamtdeutsche Nationalversammlung; 2. Beratungen über die Beschleunigung des Abschlusses eines Friedens Vertrags der Ost- und Westmächte mit Gesamtdeutschland. Daraufhin hat die Volkskammer in ihrer außerordentlichen Sitzung am Samstagnachmittag in einem Appell an den Bundestag der Bundesrepublik peutschland Wahlen zu einer deutschen Nationalversammlung als „dringend notwendig und möglich“ bezeichnet. Den offenbar von ihm selbst erwarteten Einwand, es handele sich bei diesen Vorschlägen um nichts anderes als ein Propagandamanöver, suchte Grotewohl mit den Worten zu entkräften: „Nehmt den Vorschlag an, und die Einheit Deutschlands ist keine Propaganda, sondern morgen Wirklichkeit“
In einer außerordentlichen Sitzung nahm die Volkskammer der Sowjetzone außerdem eine Protesterklärung der Sowjetzonen-Regie- rung gegen die Beschlüsse der Washingtoner Außenminister-Konferenz entgegen, die von Ministerpräsident Grotewohl verlesen wurde. Zu der Sitzung waren unter Leitung des außerordentlichen sowjetischen Botschafters in Ostberlin, Semjonow, mehrere Vertreter der sowjetischen Kontrollkommission erschienen.
Hermann Matern, SED-Kontrollkommis-
Grundrenten-Erhöhung verlangt
Reichsbund fordert 40 Prozent Zuschlag
HAMBURG. Die Erhöhung der Grundrenten im Bundesversorgungsgesetz um 40 Prozent rückwirkend ab 1. April dieses Jahres forderten die Delegierten des Reichsbundes der Kriegs- und Zivilbeschädigten, Sozialrentner und Hinterbliebenen in einer Entschließung am Samstag auf dem zweiten Bundestag des Reichsbundes in Hamburg. Ferner verlangt der Reichsbund einen Zuschlag zut Grundrente von ,20 DM für alle, die 30 bis 40 Prozent erwerbsbehindert sind, sowie die baldige Verabschiedung der Durchführungsbestimmungen für die Kriegsopferfürsorge-Paragraphen des Gestzes. Schließlich fordert der Reichsbund, daß vom neu zu gestaltenden Schwerbeschädigtengesetz alle über 50 Prozent Körperbehinderten ohne Rücksicht auf die Ursache der Behinderung erfaßt werden; bisher fielen nur über 70 Prozent Kriegsbeschädigte darunter.
Hinsichtlich der Pflichtquote der von Betrieben und Behörden einzustellenden Beschädigten setzten sich die Delegierten für eine gesetzliche Regelung ein, nach der die Pflichtquote bei den Behörden 10 Prozent und in der freien Wirtschaft 8 Prozent betragen müsse.
Aufrüstung gegen den Krieg
Erste Wiedersehensfeier des Afrikakorps
ISERLOHN. Der Vorsitzende des Verbandes ehemaliger Afrikakämpfer, General a. D. Cruewell, bekannte sich auf der ersten Wiedersehensfeier der Angehörigen des ehemaligen Afrikakorps zu einem deutschen Beitrag zur Sicherheit der freien Welt. Unbedingte Voraussetzung müsse sein, daß die westliche Welt nicht für, sondern gegen den Krieg rüste. Der Nachfolger Feldmarschall Rommels im Kommando des Afrikakorps betonte unter starkem Beifall, „wir müssen in Bewaffnung, Ausrüstung, Organisation und Beteiligung an der Führung mit den Heeren der Europaarmee völlig gleichgestellt sein“. Zum Schluß forderte Cruewell die ehemaligen Soldaten auf, sich hinter den demokratischen Staat zu stallen und allen radikalen Elementen, gleichgültig von welcher Seite sie kommen, abzusagen.
sar, erläuterte als erster Sprecher der SED- Volkskaifimer-Fraktion die Voraussetzungen, die nach Ansicht der SED für die „gesamtdeutsche Beratung“ und gesamtdeutsche Wahlen gegeben sein müßten: Aufhebung des Verbots der FDJ und des Gesetzes zur Ausschaltung antidemokratischer Einflüsse; ferner müsse dis „Unterdrückung der Friedensbewegung und Behinderung der demokratischen Parteien“ beendet werden.
Wenige Stunden nach der Verkündung der neuen Vorschläge verbreitete der Sowjetzo- nen-Nachrichtendienst ADN bereits die ersten Propagandareaktionen aus Betrieben und Organisationen der Sowjetzone. Belegschaften volkseigener Betriebe wandten sich an Belegschaften im Bundesgebiet.
Ein Sprecher der Bundesregierung bezeichnet« den Vorschlag Grotewohls am Samstag als einen „Propagandatrick“. Diese Erklärung vor der Volkskammer versuche vor der deut
schen Öffentlichkeit die „Fata Morgana einer zurzeit möglichen deutschen Wiedervereinigung zu zaubern“, in der die Forderung nach freien, geheimen und gerechten Wahlen akzeptiert werde. Die Einheit Deutschlands hänge aber nicht von der Abhaltung von Wahlen ab, sondern von der Verständigung zwischen den vier Großmächten, die zurzeit wegen der russischen Haltung nicht möglich sei. Es sei das Ziel der sowjetischen Politik, zu verhindern, daß Deutschland in der Gemeinschaft der freien Völker fest verankert werde. Der Weg zu diesem Ziel sei die Neutralisierung Deutschlands, „das heißt, daß Deutschland als Niemandsland zwischen Ost und West hilf- und waffenlos ln der Luft hängt“. Mit dem Herausbrechen Deutschlands aus dem Westen werde die Integration eines freien Europas verhindert und eine wirkungsvolle Verteidigung Westeuropas militärisch unmöglich gemacht. Eine Neutralisierung Deutschlands würde daher sehr schnell das Interesse der USA an Europa töten. Man sehe also, welche großen Pläne hinter dem so friedlich und harmlos anmutenden Angebot Grotewohls siedeten.
Hausbrandaussichten verbessert
22 Zentner Kohle für jeden Haushalt !
BONN. Die Aussichten für die Hausbrand- j Versorgung der Bevölkerung im kommenden i Winter haben sich gebessert Nach Mitteilung zuständiger Stellen kann jetzt jeder Haushalt im Bundesgebiet im Durchschnitt mit ein« reinen Kohlenzuteilung von 20 Zentner und einer zusätzlichen Zuteilung von 2 Zentner Steinkohlenheizwert in Form von Holz und Gas rechnen. Dia Bundesregierung wird diese Zahlen voraussichtlich in einer „großen Kohlendebatte" vor dem Bundestag bekanntgeben, mit der in Bonn für morgen gerechnet wird
Skepsis wegen Aufwandsteuer
Der Bundestag wird vielleicht ablehnen
BONN. Die Gesetzesvorlage über eine Auf- wandsteuer, die am Freitag dem Bundestag zugeleitet wurde, wird in Kreisen der gesetzgebenden Körperschaften in Bonn mit größter Skepsis beurteilt. Der Gesetzentwurf, der all- i gemein als eine „Konzession an den Petera- berg“ betrachtet wird, soll innerhalb eines Haushaltsjahres rund 300 Millionen DM ein- bringen. In Abgeordnetenkreisen des Bundes- j tages und des Bundesrats ist man jedoch der ! Ansicht, daß eine weitere sechs- bis zehnprozentige Verteuerung eines so umfassenden Warengebietes, wie es die Aufwandsteuer vorsieht, möglicherweise zu empfindlichen Rückgängen des Umsatzes und damit zu einer entsprechenden Minderung der Umsatzsteuereinnahmen führen könnte.
Gegen Manöverschäden
Ein interfraktioneller Antrag
BONN. In einem interfraktionellen Antrag haben die Bundestagsfraktionen der CDU/CSU,
SPD, FDP, der Deutschen Partei, der Bayern- Partei und des Zentrums am Samstag die Bundesregierung ersucht, mit den zuständigen alliierten Stellen sofort in Verbindung zu treten, um zu erreichen, daß vermeidbare Schäden bei den alliierten Truppenmanövem im Bundesgebiet künftig unterbleiben.
Allgemeine Tariferhöhung ■
BONN. Wie in einem Teil unserer Samstag- Ausgabe bereits gemeldet, hat das Bundeskabinett unter Vorsitz von Bundeskanzler Dr. Adenauer beschlossen, die Personen- und Gütertarife der Bundesbahn sowie die Gebühren für Pakete, Postgüter und Päckchen zu erhöhen. Die Bundesbahn soll durch die Tariferhöhung jährlich zusätzlich 627 Millionen DM zur Deckung .
ihrer erhöhten Unkosten erhalten; auch die Post i
sei wegen gestiegener Materialpreise zu einer Gebührenerhöhung gezwungen.
Bei der Bundesbahn ist im einzelnen vorge- |
sehen, den Personentarif mit Ausnahme des Berufsverkehrs um 15 Prozent, und den Preis der Schülerkarten um 50 Prozent zu erhöhen. Die Kilometerpreise für die erste Wagenklasse wür- I
de dann 13,8; für die zweite Wagenklasse 10,38 '
und für die dritte Wagenklasse 6,9 Pfg. betra- ;
gen. An Stelle der bisherigen Urlaubskarten sollen für alle Entfernungen gültige allgemein» Rückfahrkarten ausgegeben werden, die bis zu 100 km vier Tage und bei Entfernungen über 100 km einen Monat gelten sollen. Der Zuschlag j für Eil- und Schnellzüge soll künftig nur noch ! in der bisherigen Höhe des Dritte-Klasse-Zu- Schlages erhoben werden. 1
Der Expreßguttarif der Bundesbahn soll um I maximal 25 Prozent heraufgesetzt werden. Di# | Tarife für den Stückgutverkehr werden, nach Gewichtsstufen gestaffelt, um 20—25 Prozent erhöht. Die Wagenladungsfahrten sollen nach Tarifklassen verschieden um 15—25 Prozent steigen. !
Das Bundesverkehrsministerium gab zugleich bekannt, daß die Güterfemverkehrstarife für Kraftfahrzeuge automatisch miterhöht würden, da die Tarife der Bundesbahn mit denen de* Kraftfahrzeugfemverkehrs gekoppelt seien. Di* generelle Erhöhung der Tarife um 25 Prozent werde im Kraftverkehr jedoch bei weitem nicht erreicht.
Die Bundespost plant ebenfalls eine durchschnittliche Erhöhung ihrer Gebühren für Pakete und Postgüter um 24,5 Prozent und für Päckchen von 60 auf 70 Pfennig. Ein Sprecher des Bundespostministeriums betonte, daß ein# allgemeine, darüber hinausgehende Gfebührener- höhung nicht vorgesehen sei.
Vermittlungsaussdiuß gebildet
Neue Phase im hessischen Streik
WIESBADEN. Die IG Metall und der Arbeitgeberverband einigten sich in ihren Verhandlungen zur Beilegung des hessischen Me- tallarbeHerstreiks am Samstagnachmittag über die Bildung eines Vermittlungsausschusses, der die sachlichen Standpunkte beider Sozialpartner prüfen und Vermittlungsvorschläge »»arbeiten soll.
Wie von gutunterrichteter Seite bekannt wird, soll der Ausschuß unter Vorsitz des Heidelberger Professors Sit zier heute zum ersten Male zusammentreten. Außer dem Vorsitzenden besteht der Vermittlungsaussdiuß aus zwei unparteiischen Beisitzern und je drei
Kleine Weltdironik
STUTTGART. Der neue Leiter der persischen Mission in der Bundesrepublik, Esfandiary Bakh- tiari, traf an seinem Amtssitz in Stuttgart ein. Esfandiary ist der Vater der jungen persischen Kaiserin.
OHLSTADT (Oberbayern). Durch das schöne und warme Wetter der letzten Wochen hat eine große Zahl von Obstbäumen in der Umgebung von Murnau zu blühen begonnen. Die Bäume tragen Blüten und Früchte zugleich.
FRANKFURT. Mit einer Kundgebung auf dem Opernplatz begann am Samstag eine Protestaktion der deutschen Kraftverkehrswirtschaft gegen die geplante Autobahnsteuer. Weitere Protestversammlungen in der Bundesrepublik werden folgen.
BONN. Die Landwirtschaftsminister der deutschen Länder sprachen sich gegen eine Erhöhung des Zuckerpreises um 26 Pfennig je kg auf 1.40 DM aus. Sie schlugen statt dessen einen Kilopreis von 1.32 DM vor.
BONN. Der Vorstand der Deutschen Reichspartei teilt mit, daß der Bundestagsabgeordnete Wolfgang Hedler aus der DRP ausgeschlossen worden sei. Hedler wurde im Juli vom Kieler Landgericht zu neun Monaten Gefängnis wegen Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener und wegen übler Nachrede verurteilt.
BONN. Die Bundesregierung soll nach einem Antrag der Bundestagsfraktion der Deutschen Partei mit den Besatzungsmächten darüb« verhandeln, daß deutsche Abgeordnete politische Gefangene der Besatzungsmächte auf deutschem Boden besuchen können. Ein Besuch des DP-Fraktions- vorsitzenden Dr. Mühlenfeld bei den in Werl inhaftierten Deutschen ist vom britischen Kommandanten des Zuchthauses abgelehnt worden.
BONN. Der Gesamtaufwand der offenen Fürsorge hat sich von April bis Juni im Bundesgebiet auf 42,7 Millionen DM erhöht. Dia Belastung je Einwohner ist damit im Monat vom 0.80 auf 0.89 DM gestiegen.
BONN. Im zweiten Quartal dieses Jahre» sind nach den Ermittlungen de* Statistischen Bundesamtes 1878 Menschen bei Straßenunfällen getötet worden; das sind täglich mehr als 20.
Vertretern der Gewerkschaft und der Arbeitgeber.
Zu den vom Arbeitgeberverband erhobenen Beschuldigungen, daß die Polizei beim Schutz der Arbeitswilligen verschiedentlich versagt hätte, erklärte Innenminister Zinnkann gestern, es könne nicht die Rede davon sein, daß sich die Staatsautorität nicht durchgesetzt habe. Soweit Zusammenstöße gemeldet worden seien, habe die Polizei sofort eingegriffen; sie könne jedoch nicht an allen Orten zugleich sein. Z i n n k a n n ordnete besondere Vorkehrungen an, um Zwischenfälle zu unterbinden.
KÖLN. Das Präsidium des Deutschen Ärztetages hat Bundeskanzler Dr. Adenauer in einer Denkschrift ersucht, seinen Einfluß zur Überwindung der beruflichen und sozialen Notstände bei der deutschen Ärzteschaft einzusetzen. Die Notwendigkeit wurde betont, die Zahl der zum Medizinstudium zugelassenen Studenten zu beschränken.
HANNOVER. Zu den großen alliierten Herbst- manövem in Niedersachsen ist gestern der stellvertretende Oberkommandierende der Atlantikpaktstreitkräfte, Feldmarschall Montgo- mery, hier eingetroffen. General Eisenhower, der Chef der Atlantikpaktstreitkräfte, wird am heutigen Tag in Hannover erwartet.
BERLIN. Der Westberliner Polizeipräsident Dr. Stumm hat am Samstag angeordnet, daß sämtliche Polizeistreifen keine Knüppel mehr tragen sollen, ausgenommen die Streifen des Nachtdienstes. Dem guten Verhältnis zwischen der Berliner Bevölkerung und der Schutzpolizei soll damit Ausdruck verliehen werden.
LONDON. König Georg VI. von England brach seinen Urlaub ln Schottland ab und kehrte nach London zurück, um sich einer eingehenden Lungenbehandlung zu unterziehen.
GENF. Die 31 Mitgliedsstaaten des Allgemeinen Handels- und Zollabkommens werden heute hier zur Beratung für Gegenmaßnahmen gegen das amerikafeindliche Vorgehen der Tschechoslowakei (Fall Oatis u. a.) zusammentreten.
ROM. Die italienische Regierung werde die Leiche Mussolinis in Kürze freigeben, damit sie im Familiengrab in Predappio beigesetzt werden könne, berichtet die Abendzeitung „Moments Sera“.
SAN MARINO. Die 7301 wahlberechtigten Bürger der Zwergrepublik San Marino in Italien haben am Sonntag Ihr neues Parlament gewählt. Bislang hatte das Ländchen eine kommunistische Mehrheit. Die engültlgen Wahlergebnisse stehen noch aus.
TSCHUNGKING. Rotchinesische Truppen sind tat Lhasa, der Heiligen Stadt Tibets, eingerückt, meldete der Moskauer Rundfunk am Samstag.
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IM NECKAR TA L Ein fröhlicher Roman von Bise Jung 33] Coerrifbc b» v«di# Bt«hthol4
Thilo heuchelte freudige Überraschung. Er wußte »ehr gut, daß diese Plastik ein Geschenk der Schwester an Imma gewesen war, die ihm da* hübsche Figürchen voller Stolz ■etgte, als sie ihn mit Isa in Dannstadt besucht hatte.
„Meine Schwester hat bereits einen Namen, den ich mir «rat verdienen muß“, sagte er, und Angelika neigte zu stimmend den Kopf.
)r K* wird nicht mehr lange dauern, Herr FalCk, und Ihr Mama ist ebenso bekannt. Er Wird nicht nur Ihnen, sondern auch unseren Wetfcetätten zur Bhre gereichen“, erwiderte afe herzlich und stand auf. „Haben Sie schon «in Hoch will«* schenk für Ihre Schwester gewählt?“
Jawohl, Thilo hatte an den Jacquardwandbehang Bprin^nd» Gazellen 1 gedacht, den er selber entworfen hatte, und Angelika erteilte ihm die Erlaubnis, sich aus den Beständen de* Lagert herauszusuchen, was ihm gefalle.
„Grüßen Sie Ihre Schwester“, sagte sie beim Abschied, „ich würde mich sehr freuen, wenn sie un* mit ihrem Gatten einmal besuchen wollte.“
Als Thilo draußen stand, fühlte er sich ein wenig benommen. Die Strahlen der Gnadensonne hatten ihn mit einem wahren Lichtbündel überschüttet. Die ganze Welt gleißte und funkelte um ihn. Wenn es nur schon Feierabend wäre damit er das ganze Paket Neuigkeiten zu Immas Füßen abladen könnte.
Gehaltszulage, mein Schatz!
Eine Einladung auf die Burg, was sagst du dazu?
Schade, daß ich. fort muß.
Er hielt es nicht aus und lief in den Web- laeL An Immas Stuhl blieb er stehen.
„Du“, flüsterte er ihr zu, „ich muß dich dringend sprechen. Zeichen und Wunder sind geschehen, wir schaffen es Imma, wir schaffen es!“
„Was ist los? Du bist ja ganz durchgedreht, so sag*s doch schon!“ flüsterte Imma zurück.
Nein, nicht hier. Heute abend bei Frau Krause.
Gut, Imma würde kommen.
Als Angelika am Abend ihre Tochter rufen ließ, um sie in ihrem Wagen mit heimzunehmen, wurde ihr gesagt, daß Imma schon vor einer Viertelstunde fortgegangen sei.
Im Auto lag wieder einer ihrer bekannten Zettel:
Liebste Musch! Da morgen Heiligabend ist, habe ich schon Verschiedenes im Städtchen zu besorgen. Ängstige dich nicht um mich. Frau Krause* Jüngster, der Fritz, wird mich wieder sicher auf der Burg abliefem.
' Kuß — Imme
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Die Bescherung war vorüber.
Imma saß auf einem niederen Schemel neben Großmamas Lehnstuhl und knackte Nüsse. Großmama strickte, und die Mutter blättert« in den kostbaren, ledergebundenen Goethebriefen, die sie sich selber geschenkt hatte.
Imma dachte an Thilo, und heimlich drückt« sie ihre Hand auf den Schmuck, den sie an einem dünnen Goldkettchen auf der bloßen Haut unter dem Kleid trug. Thilo hatte ihn gearbeitet, mit seinen Händen, mit seiner ganzen Liebe zu ihr.
Gestern abend in Mutter Krauses Wohnstube hatte er ihr das dünne, feingegliederte Goldblatt mit den blitzenden Tautropfen um den Hals gehängt.
„Für dich, Imma, solange ich in Berlin bin, mußt du den Schmuck Tag und Nacht tragen“, hatte er gebeten.
Sie würde ihn immer tragen und nie mehr ablegen. Es war Thilos erstes Geschenk. Das zweite solle ein einfacher Goldring sein, hatte er ihr versprochen.
Morgen hätte Thilo bei ihr sein können, hier oben im stillen Feettagsfrieden der Burg, wenn es Isa nicht eingefallen wäre, ausgerechnet an einem Weihnachtsfeiertag zu heiraten.
Imma hob den Kopf und sah sinnend die Mutter an. Daß sie Goethes Liebesbriefe las, war bestimmt ein gutes Zeichen. Es ließ che Vermutung zu, daß sie sich auf dem Wege der Besserung befand. Eine Zeitlang hatte sie nichts mehr von Liebe hören können. Jetzt nahm sie keinen Anstoß daran, auf den ver- echlungenen Liebeepfaden des Olympiers zu wandeln, dessen erhabene Größe das beherrschendste Gefühl sterblicher Menschen vielleicht so geadelt hatte, daß die Lesenden sich ihre* eigenen Liebestrrtumg nicht mehr zu schämen brauchten.
Imma lächelte.
Sie erinnerte sich eine* Sprichwortes, daß men des Eisen schmieden solle, solange es heiß sei, und kühn warf sie ihr Eisen ins Feuer.
„Muschi, sag mal“, fragte sie laut in die Stille hinein, „warum hast du eigentlich nicht Herrn Seuarmena für den morgigen Tag eingeladen?*
Angelika ließ das Buch sinken.
„Wie kommst du auf Herrn Sauermann. Kind?“
„Weil er mir leid tut.“ — Imma knackte Nüsse am laufenden Band. Sie hatte diese Beschäftigung nötig, um ihre Haltung zu bewahren. — „Herr Sauermann ist doch auch Junggeselle wie Herr Falck und genau so tüchtig. Oder findest du das nicht?“
„Doch, doch!“ — Angelika war etwas verwirrt. Imma sprach seit einiger Zeit sehr oft von Herrn Sauermann. Auch hatte sie wieder
holt gefragt, ob sie mit dem neuen Buchhalter zufrieden sei und wann sie ihm endlich Prokura erteilen wolle.
„Wir sollten uns ein bißchen mehr um Herrn Sauermann kümmern, Muschi. Immerhin hat er doch einen verantwortungsvollen Posten, und dann finde ich ihn auch sehr nett. Freilich ist er nicht schön und elegant wie — na, darüber wollen wir nicht sprechen —, aber den notwendigen Schliff und Schick könnte man ihm schon beibringen.“ — Imma wurde immer lebhafter. — „Den häßlichen Schnurrbart werde ich ihm selbstverständlich ausreden, der muß weg, und die Haare kann er ruhig etwas länger tragen —•“
Ein dröhnendes Lachen unterbrach sie. E» kam aus Großmamas Lehnstuhl.
„Gib dir keine Mühe, Iran»“, sagte die alt« Dame, von erneuten Ausbrüchen ihrer Heiterkeit geschüttelt, „aus Herrn Sauermann machst du nie im Leben einen Adonis. Schliff und Schick will sie ihm beibringen — den Schnurrbart ausreden — hast du gehört, Angelika?“
Angelika hatte es gehört und sagte erst einmal gar nichts. Sie saß da wie ein Bild aus Stein. Ihre Gedanken tanzten einen tollen Reigen, und der letzte, der noch einigermaßen klar in ihr Bewußtsein trat, flößte ihr Schrecken ein.
Um Gottes willen, das Kind konnte sich doch nicht ki Herrn Steuermann verliebt haben? Da* wäre ja eine Katastrophe!
Mit ängstlicher Sorge schaute sie Imma an, die ungerührt von Großmamas Gelächter und der Mutter Fassungslosigkeit auf ihrem Schemel saß und sich dem Geschäft des Nüsseknackens mit unverminderter Ausdauer hingab.
„Hör’ endlich auf, Ich kann das Geräusch nicht mehr mit anhören!“ rief die Mutter nervös. „Was du da eben über Herrn Steuermann gesagt hast, war doch wohl nur ein Scherz?“
Imma schob gelassen ein paar Nußkeme in den Mund. (Fortsetzung folgt)