I

NUMMER 145

MONTAG, 17. SEPTEMBER 1951

Gesamtdeutsche freie Wahlen

Regierungserklärung Grotewohls / Bonn:Propagandatrick

BERLIN. Im Namen der Sowjetzonen-Re- gierung forderte Minliterpräsident Grote­wohl in einer Regierungserklärung am Samstag die ostzonale Volkskammer auf, dem Bundestag gesamtdeutsche Beratungen über folgende Punkte vorzuschlagen: 1. Abhaltung gesamtdeutscher freier Wahlen für eine ge­samtdeutsche Nationalversammlung; 2. Bera­tungen über die Beschleunigung des Abschlus­ses eines Friedens Vertrags der Ost- und West­mächte mit Gesamtdeutschland. Daraufhin hat die Volkskammer in ihrer außerordentlichen Sitzung am Samstagnachmittag in einem Appell an den Bundestag der Bundesrepublik peutschland Wahlen zu einer deutschen Na­tionalversammlung alsdringend notwendig und möglich bezeichnet. Den offenbar von ihm selbst erwarteten Einwand, es handele sich bei diesen Vorschlägen um nichts anderes als ein Propagandamanöver, suchte Grotewohl mit den Worten zu entkräften:Nehmt den Vorschlag an, und die Einheit Deutschlands ist keine Propaganda, sondern morgen Wirk­lichkeit

In einer außerordentlichen Sitzung nahm die Volkskammer der Sowjetzone außerdem eine Protesterklärung der Sowjetzonen-Regie- rung gegen die Beschlüsse der Washingtoner Außenminister-Konferenz entgegen, die von Ministerpräsident Grotewohl verlesen wurde. Zu der Sitzung waren unter Leitung des au­ßerordentlichen sowjetischen Botschafters in Ostberlin, Semjonow, mehrere Vertreter der sowjetischen Kontrollkommission erschienen.

Hermann Matern, SED-Kontrollkommis-

Grundrenten-Erhöhung verlangt

Reichsbund fordert 40 Prozent Zuschlag

HAMBURG. Die Erhöhung der Grundrenten im Bundesversorgungsgesetz um 40 Prozent rückwirkend ab 1. April dieses Jahres forder­ten die Delegierten des Reichsbundes der Kriegs- und Zivilbeschädigten, Sozialrentner und Hinterbliebenen in einer Entschließung am Samstag auf dem zweiten Bundestag des Reichsbundes in Hamburg. Ferner verlangt der Reichsbund einen Zuschlag zut Grundrente von ,20 DM für alle, die 30 bis 40 Prozent er­werbsbehindert sind, sowie die baldige Verab­schiedung der Durchführungsbestimmungen für die Kriegsopferfürsorge-Paragraphen des Gestzes. Schließlich fordert der Reichsbund, daß vom neu zu gestaltenden Schwerbeschädig­tengesetz alle über 50 Prozent Körperbehin­derten ohne Rücksicht auf die Ursache der Be­hinderung erfaßt werden; bisher fielen nur über 70 Prozent Kriegsbeschädigte darunter.

Hinsichtlich der Pflichtquote der von Be­trieben und Behörden einzustellenden Beschä­digten setzten sich die Delegierten für eine ge­setzliche Regelung ein, nach der die Pflicht­quote bei den Behörden 10 Prozent und in der freien Wirtschaft 8 Prozent betragen müsse.

Aufrüstung gegen den Krieg

Erste Wiedersehensfeier des Afrikakorps

ISERLOHN. Der Vorsitzende des Verban­des ehemaliger Afrikakämpfer, General a. D. Cruewell, bekannte sich auf der ersten Wiedersehensfeier der Angehörigen des ehe­maligen Afrikakorps zu einem deutschen Bei­trag zur Sicherheit der freien Welt. Unbe­dingte Voraussetzung müsse sein, daß die westliche Welt nicht für, sondern gegen den Krieg rüste. Der Nachfolger Feldmarschall Rommels im Kommando des Afrikakorps betonte unter starkem Beifall,wir müssen in Bewaffnung, Ausrüstung, Organisation und Beteiligung an der Führung mit den Heeren der Europaarmee völlig gleichgestellt sein. Zum Schluß forderte Cruewell die ehemaligen Soldaten auf, sich hinter den demokratischen Staat zu stallen und allen radikalen Elemen­ten, gleichgültig von welcher Seite sie kom­men, abzusagen.

sar, erläuterte als erster Sprecher der SED- Volkskaifimer-Fraktion die Voraussetzungen, die nach Ansicht der SED für diegesamt­deutsche Beratung und gesamtdeutsche Wah­len gegeben sein müßten: Aufhebung des Ver­bots der FDJ und des Gesetzes zur Ausschal­tung antidemokratischer Einflüsse; ferner müsse disUnterdrückung der Friedensbewe­gung und Behinderung der demokratischen Parteien beendet werden.

Wenige Stunden nach der Verkündung der neuen Vorschläge verbreitete der Sowjetzo- nen-Nachrichtendienst ADN bereits die ersten Propagandareaktionen aus Betrieben und Or­ganisationen der Sowjetzone. Belegschaften volkseigener Betriebe wandten sich an Beleg­schaften im Bundesgebiet.

Ein Sprecher der Bundesregierung bezeich­net« den Vorschlag Grotewohls am Samstag als einenPropagandatrick. Diese Erklärung vor der Volkskammer versuche vor der deut­

schen Öffentlichkeit dieFata Morgana einer zurzeit möglichen deutschen Wiedervereini­gung zu zaubern, in der die Forderung nach freien, geheimen und gerechten Wahlen ak­zeptiert werde. Die Einheit Deutschlands hänge aber nicht von der Abhaltung von Wah­len ab, sondern von der Verständigung zwi­schen den vier Großmächten, die zurzeit we­gen der russischen Haltung nicht möglich sei. Es sei das Ziel der sowjetischen Politik, zu verhindern, daß Deutschland in der Gemein­schaft der freien Völker fest verankert werde. Der Weg zu diesem Ziel sei die Neutralisie­rung Deutschlands,das heißt, daß Deutsch­land als Niemandsland zwischen Ost und West hilf- und waffenlos ln der Luft hängt. Mit dem Herausbrechen Deutschlands aus dem Westen werde die Integration eines freien Europas verhindert und eine wirkungsvolle Verteidigung Westeuropas militärisch unmög­lich gemacht. Eine Neutralisierung Deutsch­lands würde daher sehr schnell das Interesse der USA an Europa töten. Man sehe also, welche großen Pläne hinter dem so friedlich und harmlos anmutenden Angebot Grotewohls siedeten.

Hausbrandaussichten verbessert

22 Zentner Kohle für jeden Haushalt !

BONN. Die Aussichten für die Hausbrand- j Versorgung der Bevölkerung im kommenden i Winter haben sich gebessert Nach Mitteilung zuständiger Stellen kann jetzt jeder Haushalt im Bundesgebiet im Durchschnitt mit ein« reinen Kohlenzuteilung von 20 Zentner und einer zusätzlichen Zuteilung von 2 Zentner Steinkohlenheizwert in Form von Holz und Gas rechnen. Dia Bundesregierung wird diese Zahlen voraussichtlich in einergroßen Koh­lendebatte" vor dem Bundestag bekanntgeben, mit der in Bonn für morgen gerechnet wird

Skepsis wegen Aufwandsteuer

Der Bundestag wird vielleicht ablehnen

BONN. Die Gesetzesvorlage über eine Auf- wandsteuer, die am Freitag dem Bundestag zugeleitet wurde, wird in Kreisen der gesetz­gebenden Körperschaften in Bonn mit größter Skepsis beurteilt. Der Gesetzentwurf, der all- i gemein als eineKonzession an den Petera- berg betrachtet wird, soll innerhalb eines Haushaltsjahres rund 300 Millionen DM ein- bringen. In Abgeordnetenkreisen des Bundes- j tages und des Bundesrats ist man jedoch der ! Ansicht, daß eine weitere sechs- bis zehnpro­zentige Verteuerung eines so umfassenden Wa­rengebietes, wie es die Aufwandsteuer vor­sieht, möglicherweise zu empfindlichen Rück­gängen des Umsatzes und damit zu einer ent­sprechenden Minderung der Umsatzsteuerein­nahmen führen könnte.

Gegen Manöverschäden

Ein interfraktioneller Antrag

BONN. In einem interfraktionellen Antrag haben die Bundestagsfraktionen der CDU/CSU,

SPD, FDP, der Deutschen Partei, der Bayern- Partei und des Zentrums am Samstag die Bundesregierung ersucht, mit den zuständi­gen alliierten Stellen sofort in Verbindung zu treten, um zu erreichen, daß vermeidbare Schäden bei den alliierten Truppenmanövem im Bundesgebiet künftig unterbleiben.

Allgemeine Tariferhöhung

BONN. Wie in einem Teil unserer Samstag- Ausgabe bereits gemeldet, hat das Bundeskabi­nett unter Vorsitz von Bundeskanzler Dr. Aden­auer beschlossen, die Personen- und Gütertarife der Bundesbahn sowie die Gebühren für Pa­kete, Postgüter und Päckchen zu erhöhen. Die Bundesbahn soll durch die Tariferhöhung jähr­lich zusätzlich 627 Millionen DM zur Deckung .

ihrer erhöhten Unkosten erhalten; auch die Post i

sei wegen gestiegener Materialpreise zu einer Gebührenerhöhung gezwungen.

Bei der Bundesbahn ist im einzelnen vorge- |

sehen, den Personentarif mit Ausnahme des Be­rufsverkehrs um 15 Prozent, und den Preis der Schülerkarten um 50 Prozent zu erhöhen. Die Kilometerpreise für die erste Wagenklasse wür- I

de dann 13,8; für die zweite Wagenklasse 10,38 '

und für die dritte Wagenklasse 6,9 Pfg. betra- ;

gen. An Stelle der bisherigen Urlaubskarten sollen für alle Entfernungen gültige allgemein» Rückfahrkarten ausgegeben werden, die bis zu 100 km vier Tage und bei Entfernungen über 100 km einen Monat gelten sollen. Der Zuschlag j für Eil- und Schnellzüge soll künftig nur noch ! in der bisherigen Höhe des Dritte-Klasse-Zu- Schlages erhoben werden. 1

Der Expreßguttarif der Bundesbahn soll um I maximal 25 Prozent heraufgesetzt werden. Di# | Tarife für den Stückgutverkehr werden, nach Gewichtsstufen gestaffelt, um 2025 Prozent er­höht. Die Wagenladungsfahrten sollen nach Ta­rifklassen verschieden um 1525 Prozent steigen. !

Das Bundesverkehrsministerium gab zugleich bekannt, daß die Güterfemverkehrstarife für Kraftfahrzeuge automatisch miterhöht würden, da die Tarife der Bundesbahn mit denen de* Kraftfahrzeugfemverkehrs gekoppelt seien. Di* generelle Erhöhung der Tarife um 25 Prozent werde im Kraftverkehr jedoch bei weitem nicht erreicht.

Die Bundespost plant ebenfalls eine durch­schnittliche Erhöhung ihrer Gebühren für Pa­kete und Postgüter um 24,5 Prozent und für Päckchen von 60 auf 70 Pfennig. Ein Sprecher des Bundespostministeriums betonte, daß ein# allgemeine, darüber hinausgehende Gfebührener- höhung nicht vorgesehen sei.

Vermittlungsaussdiuß gebildet

Neue Phase im hessischen Streik

WIESBADEN. Die IG Metall und der Ar­beitgeberverband einigten sich in ihren Ver­handlungen zur Beilegung des hessischen Me- tallarbeHerstreiks am Samstagnachmittag über die Bildung eines Vermittlungsausschusses, der die sachlichen Standpunkte beider Sozial­partner prüfen und Vermittlungsvorschläge »»arbeiten soll.

Wie von gutunterrichteter Seite bekannt wird, soll der Ausschuß unter Vorsitz des Hei­delberger Professors Sit zier heute zum er­sten Male zusammentreten. Außer dem Vor­sitzenden besteht der Vermittlungsaussdiuß aus zwei unparteiischen Beisitzern und je drei

Kleine Weltdironik

STUTTGART. Der neue Leiter der persischen Mission in der Bundesrepublik, Esfandiary Bakh- tiari, traf an seinem Amtssitz in Stuttgart ein. Esfandiary ist der Vater der jungen persischen Kaiserin.

OHLSTADT (Oberbayern). Durch das schöne und warme Wetter der letzten Wochen hat eine große Zahl von Obstbäumen in der Umgebung von Murnau zu blühen begonnen. Die Bäume tragen Blüten und Früchte zugleich.

FRANKFURT. Mit einer Kundgebung auf dem Opernplatz begann am Samstag eine Protestak­tion der deutschen Kraftverkehrswirtschaft gegen die geplante Autobahnsteuer. Weitere Protest­versammlungen in der Bundesrepublik werden folgen.

BONN. Die Landwirtschaftsminister der deut­schen Länder sprachen sich gegen eine Erhöhung des Zuckerpreises um 26 Pfennig je kg auf 1.40 DM aus. Sie schlugen statt dessen einen Kilo­preis von 1.32 DM vor.

BONN. Der Vorstand der Deutschen Reichs­partei teilt mit, daß der Bundestagsabgeordnete Wolfgang Hedler aus der DRP ausgeschlossen worden sei. Hedler wurde im Juli vom Kieler Landgericht zu neun Monaten Gefängnis wegen Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener und wegen übler Nachrede verurteilt.

BONN. Die Bundesregierung soll nach einem An­trag der Bundestagsfraktion der Deutschen Partei mit den Besatzungsmächten darüb« verhandeln, daß deutsche Abgeordnete politische Gefangene der Besatzungsmächte auf deutschem Boden be­suchen können. Ein Besuch des DP-Fraktions- vorsitzenden Dr. Mühlenfeld bei den in Werl inhaftierten Deutschen ist vom britischen Kom­mandanten des Zuchthauses abgelehnt worden.

BONN. Der Gesamtaufwand der offenen Für­sorge hat sich von April bis Juni im Bundes­gebiet auf 42,7 Millionen DM erhöht. Dia Bela­stung je Einwohner ist damit im Monat vom 0.80 auf 0.89 DM gestiegen.

BONN. Im zweiten Quartal dieses Jahre» sind nach den Ermittlungen de* Statistischen Bundes­amtes 1878 Menschen bei Straßenunfällen getötet worden; das sind täglich mehr als 20.

Vertretern der Gewerkschaft und der Arbeit­geber.

Zu den vom Arbeitgeberverband erhobenen Beschuldigungen, daß die Polizei beim Schutz der Arbeitswilligen verschiedentlich versagt hätte, erklärte Innenminister Zinnkann gestern, es könne nicht die Rede davon sein, daß sich die Staatsautorität nicht durchge­setzt habe. Soweit Zusammenstöße gemeldet worden seien, habe die Polizei sofort einge­griffen; sie könne jedoch nicht an allen Orten zugleich sein. Z i n n k a n n ordnete besondere Vorkehrungen an, um Zwischenfälle zu unter­binden.

KÖLN. Das Präsidium des Deutschen Ärzte­tages hat Bundeskanzler Dr. Adenauer in einer Denkschrift ersucht, seinen Einfluß zur Über­windung der beruflichen und sozialen Notstände bei der deutschen Ärzteschaft einzusetzen. Die Notwendigkeit wurde betont, die Zahl der zum Medizinstudium zugelassenen Studenten zu be­schränken.

HANNOVER. Zu den großen alliierten Herbst- manövem in Niedersachsen ist gestern der stellvertretende Oberkommandierende der At­lantikpaktstreitkräfte, Feldmarschall Montgo- mery, hier eingetroffen. General Eisenhower, der Chef der Atlantikpaktstreitkräfte, wird am heutigen Tag in Hannover erwartet.

BERLIN. Der Westberliner Polizeipräsident Dr. Stumm hat am Samstag angeordnet, daß sämtliche Polizeistreifen keine Knüppel mehr tragen sollen, ausgenommen die Streifen des Nachtdienstes. Dem guten Verhältnis zwischen der Berliner Bevölkerung und der Schutzpoli­zei soll damit Ausdruck verliehen werden.

LONDON. König Georg VI. von England brach seinen Urlaub ln Schottland ab und kehrte nach London zurück, um sich einer eingehenden Lun­genbehandlung zu unterziehen.

GENF. Die 31 Mitgliedsstaaten des Allgemei­nen Handels- und Zollabkommens werden heute hier zur Beratung für Gegenmaßnahmen gegen das amerikafeindliche Vorgehen der Tschecho­slowakei (Fall Oatis u. a.) zusammentreten.

ROM. Die italienische Regierung werde die Leiche Mussolinis in Kürze freigeben, damit sie im Familiengrab in Predappio beigesetzt werden könne, berichtet die AbendzeitungMoments Sera.

SAN MARINO. Die 7301 wahlberechtigten Bür­ger der Zwergrepublik San Marino in Italien haben am Sonntag Ihr neues Parlament gewählt. Bislang hatte das Ländchen eine kommunistische Mehrheit. Die engültlgen Wahlergebnisse stehen noch aus.

TSCHUNGKING. Rotchinesische Truppen sind tat Lhasa, der Heiligen Stadt Tibets, eingerückt, meldete der Moskauer Rundfunk am Samstag.

c/j'E ITERES v5pIEE

IM NECKAR TA L Ein fröhlicher Roman von Bise Jung 33] Coerrifbc b» v«di# Bt«hthol4

Thilo heuchelte freudige Überraschung. Er wußte »ehr gut, daß diese Plastik ein Ge­schenk der Schwester an Imma gewesen war, die ihm da* hübsche Figürchen voller Stolz etgte, als sie ihn mit Isa in Dannstadt be­sucht hatte.

Meine Schwester hat bereits einen Namen, den ich mir «rat verdienen muß, sagte er, und Angelika neigte zu stimmend den Kopf.

)r K* wird nicht mehr lange dauern, Herr FalCk, und Ihr Mama ist ebenso bekannt. Er Wird nicht nur Ihnen, sondern auch unseren Wetfcetätten zur Bhre gereichen, erwiderte afe herzlich und stand auf.Haben Sie schon «in Hoch will«* schenk für Ihre Schwester ge­wählt?

Jawohl, Thilo hatte an den Jacquardwand­behang Bprin^nd» Gazellen 1 gedacht, den er selber entworfen hatte, und Angelika er­teilte ihm die Erlaubnis, sich aus den Be­ständen de* Lagert herauszusuchen, was ihm gefalle.

Grüßen Sie Ihre Schwester, sagte sie beim Abschied,ich würde mich sehr freuen, wenn sie un* mit ihrem Gatten einmal be­suchen wollte.

Als Thilo draußen stand, fühlte er sich ein wenig benommen. Die Strahlen der Gnaden­sonne hatten ihn mit einem wahren Licht­bündel überschüttet. Die ganze Welt gleißte und funkelte um ihn. Wenn es nur schon Feierabend wäre damit er das ganze Paket Neuigkeiten zu Immas Füßen abladen könnte.

Gehaltszulage, mein Schatz!

Eine Einladung auf die Burg, was sagst du dazu?

Schade, daß ich. fort muß.

Er hielt es nicht aus und lief in den Web- laeL An Immas Stuhl blieb er stehen.

Du, flüsterte er ihr zu,ich muß dich dringend sprechen. Zeichen und Wunder sind geschehen, wir schaffen es Imma, wir schaffen es!

Was ist los? Du bist ja ganz durchge­dreht, so sag*s doch schon! flüsterte Imma zurück.

Nein, nicht hier. Heute abend bei Frau Krause.

Gut, Imma würde kommen.

Als Angelika am Abend ihre Tochter ru­fen ließ, um sie in ihrem Wagen mit heim­zunehmen, wurde ihr gesagt, daß Imma schon vor einer Viertelstunde fortgegangen sei.

Im Auto lag wieder einer ihrer bekannten Zettel:

Liebste Musch! Da morgen Heiligabend ist, habe ich schon Verschiedenes im Städtchen zu besorgen. Ängstige dich nicht um mich. Frau Krause* Jüngster, der Fritz, wird mich wieder sicher auf der Burg abliefem.

' Kuß Imme

Die Bescherung war vorüber.

Imma saß auf einem niederen Schemel ne­ben Großmamas Lehnstuhl und knackte Nüsse. Großmama strickte, und die Mutter blättert« in den kostbaren, ledergebundenen Goethe­briefen, die sie sich selber geschenkt hatte.

Imma dachte an Thilo, und heimlich drückt« sie ihre Hand auf den Schmuck, den sie an einem dünnen Goldkettchen auf der bloßen Haut unter dem Kleid trug. Thilo hatte ihn gearbeitet, mit seinen Händen, mit seiner gan­zen Liebe zu ihr.

Gestern abend in Mutter Krauses Wohn­stube hatte er ihr das dünne, feingegliederte Goldblatt mit den blitzenden Tautropfen um den Hals gehängt.

Für dich, Imma, solange ich in Berlin bin, mußt du den Schmuck Tag und Nacht tragen, hatte er gebeten.

Sie würde ihn immer tragen und nie mehr ablegen. Es war Thilos erstes Geschenk. Das zweite solle ein einfacher Goldring sein, hatte er ihr versprochen.

Morgen hätte Thilo bei ihr sein können, hier oben im stillen Feettagsfrieden der Burg, wenn es Isa nicht eingefallen wäre, ausgerech­net an einem Weihnachtsfeiertag zu heiraten.

Imma hob den Kopf und sah sinnend die Mutter an. Daß sie Goethes Liebesbriefe las, war bestimmt ein gutes Zeichen. Es ließ che Vermutung zu, daß sie sich auf dem Wege der Besserung befand. Eine Zeitlang hatte sie nichts mehr von Liebe hören können. Jetzt nahm sie keinen Anstoß daran, auf den ver- echlungenen Liebeepfaden des Olympiers zu wandeln, dessen erhabene Größe das beherr­schendste Gefühl sterblicher Menschen viel­leicht so geadelt hatte, daß die Lesenden sich ihre* eigenen Liebestrrtumg nicht mehr zu schämen brauchten.

Imma lächelte.

Sie erinnerte sich eine* Sprichwortes, daß men des Eisen schmieden solle, solange es heiß sei, und kühn warf sie ihr Eisen ins Feuer.

Muschi, sag mal, fragte sie laut in die Stille hinein,warum hast du eigentlich nicht Herrn Seuarmena für den morgigen Tag ein­geladen?*

Angelika ließ das Buch sinken.

Wie kommst du auf Herrn Sauermann. Kind?

Weil er mir leid tut. Imma knackte Nüsse am laufenden Band. Sie hatte diese Beschäftigung nötig, um ihre Haltung zu be­wahren.Herr Sauermann ist doch auch Junggeselle wie Herr Falck und genau so tüch­tig. Oder findest du das nicht?

Doch, doch! Angelika war etwas ver­wirrt. Imma sprach seit einiger Zeit sehr oft von Herrn Sauermann. Auch hatte sie wieder­

holt gefragt, ob sie mit dem neuen Buchhal­ter zufrieden sei und wann sie ihm endlich Prokura erteilen wolle.

Wir sollten uns ein bißchen mehr um Herrn Sauermann kümmern, Muschi. Immerhin hat er doch einen verantwortungsvollen Posten, und dann finde ich ihn auch sehr nett. Freilich ist er nicht schön und elegant wie na, dar­über wollen wir nicht sprechen, aber den notwendigen Schliff und Schick könnte man ihm schon beibringen. Imma wurde immer lebhafter.Den häßlichen Schnurrbart werde ich ihm selbstverständlich ausreden, der muß weg, und die Haare kann er ruhig etwas länger tragen

Ein dröhnendes Lachen unterbrach sie. E» kam aus Großmamas Lehnstuhl.

Gib dir keine Mühe, Iran», sagte die alt« Dame, von erneuten Ausbrüchen ihrer Heiter­keit geschüttelt,aus Herrn Sauermann machst du nie im Leben einen Adonis. Schliff und Schick will sie ihm beibringen den Schnurr­bart ausreden hast du gehört, Angelika?

Angelika hatte es gehört und sagte erst einmal gar nichts. Sie saß da wie ein Bild aus Stein. Ihre Gedanken tanzten einen tol­len Reigen, und der letzte, der noch einiger­maßen klar in ihr Bewußtsein trat, flößte ihr Schrecken ein.

Um Gottes willen, das Kind konnte sich doch nicht ki Herrn Steuermann verliebt haben? Da* wäre ja eine Katastrophe!

Mit ängstlicher Sorge schaute sie Imma an, die ungerührt von Großmamas Gelächter und der Mutter Fassungslosigkeit auf ihrem Sche­mel saß und sich dem Geschäft des Nüsse­knackens mit unverminderter Ausdauer hin­gab.

Hör endlich auf, Ich kann das Geräusch nicht mehr mit anhören! rief die Mutter ner­vös.Was du da eben über Herrn Steuermann gesagt hast, war doch wohl nur ein Scherz?

Imma schob gelassen ein paar Nußkeme in den Mund. (Fortsetzung folgt)