MITTWOCH^ 12 . SEPTEMBER 1951
NUMMER 14*
Der Vertreter des Innenministeriums und
die Verteidiger beantragen Freispruch
Rouches Darstellung der Geiselerschießung
Sie entlastete Kalbfell / Die Zeugen Kern, Danzer und Büttner unter Eid genommen / Urteil am 20. September
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Die Geduld des Gerichtes war beispielhaft: 93 Zeugen sind vor die Schranke getreten, von links nach rechts: Beisitzer Asmuß, Präsident Neilmann, Beisitzer Bürgermeister Balz und der Protokollführer.
Zu Beginn der Montagsitzung (11.30 Uhr) beantragte Rechtsanwalt Dr. Wilhelm die Vorladung von vier weiteren Zeugen, nämlich Frau Gohil, Reutlingen, Oberregierungsrat Weißenrieder, Reutlingen, Herrn Mollenkopf, Pfullingen, und Dr. Kober, Reutlingen. Bei der Vernehmung von Witwe Margarete G o h 1, geb. Freytag, de- ren' Väter am Abend des 24. April von der Erschießung erfahren und die Leichen am andern Morgen gesehen hatte, ergaben sich keine neuen Gesichtspunkte
Drei Eide von Gewicht
Den Zeugen Kern, Danzer und Büttner setzte der Vorsitzende nocheinmal klar auseinander, was sie beeidigen wollten. Es ging um die Anzahl von sieben Personen, dem Abendessen in der „Harmonie“, ferner darum, daß dort nicht über Geiselerschießungen oder Kontributionen, oder dem Tod eines französischen Soldaten gesprochen wurde, ferner bei Kern und Danzer um die Darstellung, daß ein Bürger mit der Nachricht der Erschießung in das Rathauszimmer hereingestürzt ist und um die Darstellung der dann folgenden Szene bei Rouchd.
Vorsitzender: „Können Sie das alles beschwören, können Sie das mit Sicherheit beschwören, daß alles mit Sicherheit so war, wie Sie das gesagt haben?“
Kern: „Ich bin ohne weiteres bereit zu beschwören,. daß sich diese Vorgänge so abgespielt haben.“
Danzer: „Nach meiner bestimmten Erinnerung kann ich sagen, daß es so gewesen ist, wie Sie es eben wiederholt haben.“
Beisitzer Asmuß zu Büttner: „Haben Sie von den Gesprächen beim Abendessen in der Harmonie nichts mitbekommen?“
Büttner verneinte.
Die drei Zeugen wurden nun vereidigt.
Nicht schon wieder Holzer
Dr. Wilhelm: „Die Verteidigung hat absichtlich vier Tage nicht in den Prozeß eingegriffen, was ihr jederzeit zusteht. Der Prozeß hat sich aber so ausgedehnt, was an die äußerste Grenze des Möglichen geht. Herr Holzer hat Wert darauf gelegt, als Zeuge zu erscheinen, dann bitte ich aber, Herrn Holzer nicht die Fragen zuzulassen, die nicht dazugehören.“
Neilmann: „Ith lasse viele Fragen mit Absicht zn, damit man nachher nicht in der Öffentlichkeit sagen kann, es seien Fragen unterdrückt worden.“
Es hätte nahegelegen, Prof. Rouche, der von den Vorgängen am 24. April am meisten wissen muß, und heute an der Universität Bordeaux Germanistik lehrt, zum gegenwärtigen Dienststrafverfahren kommissarisch in Bordeaux vernehmen zu lassen. Ein dahingehender Antrag sei nicht gestellt worden, weil in diesem Falle mit Sicherheit mit einer Evozierung des Verfahrens durch die Besatzungsmacht hätte gerechnet werden müssen.
Bekanntlich existiert aber aus dem Verleumdungsverfahren des Innenministeriums gegen Jakob Staiger eine beeidigte Aussage von Prof. Rouchö über das, was er über die Vorgänge um den 24. April weiß. Das Original der Vernehmung von Rouchö in Bordeaux lag dem deutschen Rechtsanwalt Leibßle mit der Unterschrift von Rouchd vor. Rechtsanwalt Leibßle hat eine Abschrift davon beglaubigt. Das Protokoll lautet — unter Weglassung der formalen juristischen Bezeichnungen am Anfang und am Schluß — in deutscher Übersetzung wie nebenstehend.
Spannung auf dem Höhepunkt
Präsident N e 11 m a n n wandte sich in diesem Augenblick mit erhobener Stimme an das Publikum und sagte, „wenn jetzt das Protokoll und der Brief Rouchos verlesen werden, so bitte ich das Publikum, absolute Ruhe zu bewahren. Falls Sie sich ihre Gedanken darüber machen wollen, — und Sie werden sich Gedanken machen — so behalten Sie es für sich. Sonst werde ich, so leid mir dies täte, den Saal räumen lassen.“
In einem Brief vom 9. März 1951 bat Landge- gerichtspräsident Dr. Teufel, Rottweil, der die Untersuchung im gegenwärtigen Dienststrafverfahren führte, Prof. Rouche in Bordeaux um die Beantwortung von sechs genau formulierten Fragen. Präsident Dr. Teufel legte Herrn Rouche m diesem Brief die Schwierigkeiten dar, mit denen eine Untersuchung der Vorgänge um den 24. April 1945 heute, nach sechs Jahren, zu kämpfen hat. Bei der ganzen Angelegenheit handle es sich heute nicht bloß um eine rechtliche, sondern vielmehr um eine innerpolitische
Frage. In ihrem Mittelpunkt steht die Person von Oberbürgermeister Kalbfell, gegen den seit beinahe drei Jahren immer wieder der Vorwurf erhoben werde, er sei bei der Auswahl der erschossenen vier Männer in irgendeiner Weise beteiligt gewesen. Die großen Schwierigkeiten der Untersuchung lägen darin, daß er bisher niemand habe ermitteln können, der darüber
Aussagen machen kann, wie es kam, daß das Schicksal gerade diese vier Männer getroffen hat. Im folgenden legte Präsident Teufel jene Tatsachen an, die den Vorwürfen gegenüber Kalbfell immer wieder Nahrung geben, und die der Behauptung von Kalbfell widersprechen, er habe von der Festnahme von Geiseln und einer drohenden Erschießung überhaupt nichts gewußt.
„Ich zog Kalbfell nicht zu Rate“
Der Untersuchungsführer im Kalbfell-Dienststrafverfahren, Landgerichtspräsident Dr. Teufel, Rottweil, hat brieflich Verbindung mit dem französischen Sicherheitsoffizier Capi- taine Rouchö, der heute Professor der Germanistik in Bordeaux ist, aufgenommen und ihm in diesem Brief folgende sechs Fragen vorgelegt, auf die Prof. Rouche präzis geantwortet hat. Wir stellen Fragen und Antworten gegenüber:
I. Ist Kalbfell durch Sie oder in Ihrem Auftrag von der Tatsache, daß ein toter französischer Soldat am Sonntag, 22. April 1945, etwa um 23 Uhr aufgefnnden worden ist, bereits am nächsten Tag, 23. April 1945, in Kenntnis gesetzt worden, oder, wie er behauptet, erst am 24. April 1945 gegen Mittag, als Sie ihm eröffneten, die Stadt habe eine Geldstrafe von 200 000 Mark zu bezahlen?
I. Da ich keine schriftliche Notiz von der betreffenden Begebenheit habe, bin ich nicht imstande zu sagen, wann eigentlich Herr Bürgermeister Kalbfell von dem Tod des französischen Unteroffiziers in Kenntnis gesetzt wurde.
II. Hat Kalbfell im Laufe des 23. April 1945 oder am Vormittag des 24. April 1945 von seiten des Commandant d’Armes durch Sie oder einen anderen Angehörigen des 2ieme Bureau davon Kenntnis bekommen, daß wegen des toten Soldaten Geiseln verhaftet und möglicherweise hingerichtet werden?
II. Aus demselben Grunde ist mir nicht mehr erinnerlich, ob Herr Bürgermeister Kalbfell im Laufe des 23. April oder am Vormittag des 24. April von der Verhaftung und Hinrichtung von Geiseln Kenntnis bekam oder nicht. Ich betone, daß diese meine Antwort keine Ausrede ist, sondern eine Folge der Vergessenheit.
III. Ist bei dem Abendessen im Gaslhof Harmonie am Abend des 23. April 1945 (Montag), bei dem Sie, Kalbfell, Holzer mit zwei Damen und mehrere andere Persönlichkeiten teilgenommen haben, von dem Anschlag auf den französischen Soldaten, von der Verhaftung von Geiseln und ihrer möglichen Erschießung bei der Unterhaltung gesprochen worden?
III. Ich bin sicher, daß beim Abendessen im Gasthof Harmonie am Abend des 23. April 1945 von der Verhaftung und Erschießung von Geiseln nicht gesprochen wurde.
IV. Ist Kalbfell im Laufe des Vormittags des 24. April 1945 (Tag der Hinrichtung) oder schon vorher, als der Befehl zur Hinrichtung von vier Geiseln eingetroffen war, wegen der Auswahl von vier nach ihrer nationalsozialistischen Vergangenheit znr Behandlung als Schuldige geeigneten Männern nach seiner Meinung durch Sie oder mit Ihrem Wissen durch andere befragt worden?
IV. Von der Wahl der vier Geiseln weiß ich folgendes:
a) In der Nacht vom 22. auf den 23. April befahl mir der Oberst, eine Anzahl von Zivilisten zu verhören, die sich im Rathaus befanden; ich habe nie gewußt, wer sie gewählt und wer sie verhaftet hatte; das Verhör bewies, daß diese Männer unschuldig waren, und nur deshalb verhaftet worden waren, weil sie in der Straße wohnten, wo der Anschlag auf den französischen Unteroffizier stattgefunden hatte. Dann sagte ich ihnen: „Ich bin überzeugt, daß Sie unschuldig sind; in solchen Fällen haben ihre Landsleute bei uns Tausende von Menschen erschossen oder gehenkt; meine Herren, Sie sind frei“ und gab gleich Befehl, sie zu entlassen; das war tief in der Nacht (vielleicht wurden sie erst am Tage tatsächlich auf freien Fuß gesetzt, weil ihr Nachhausekommen während der Nacht auf Schwierigkeiten gestoßen wäre?).
b) Da die Täter nicht zu ermitteln waren, und da wir uns nicht entschließen konnten, die ersten besten unschuldigen Verdächtigen hinrichten zu lassen, mußten Nazis heran (ich betone, daß die Nazipresse damals die — wahre oder erlogene — Ermordung eines amerikanischen Generals durch deutsche Zivilisten in einer besetzten deutschen Stadt erzählte und lobpries). Ich besaß ein Verzeichnis von Mitgliedern der NSDAP in Reutlingen; es war ein Leichtes, solches Verzeichnis zustande zu bringen, denn es regnete schriftliche und mündliche Angaben, darum konnte
ich später, als ich in Neukirch (Kreis Tett- nang, Württemberg) dasselbe Amt eines Polizeioffiziers innehatte (Mai bis Juni 1945), alle Nazis dieser allerdings kleinen Ortschaft mit Namen nennen, ohne daß ich mich dazu an den damaligen Bürgermeister gewendet hätte, denn dieser war immer noch der vom Dritten Reich eingesetzte, also selbst Nazi (er blieb im Amt, solange ich da war, denn es fand sich kein Geeigneter, um ihn zu ersetzen). Aus diesem persönlich erlebten Beispiel erhellt, daß Polizeioffiziere ein Verzeichnis von Nazis bilden konnten, ohne Wissen und Zutun des früheren oder neueren Bürgermeisters.
c) Warum das Schicksal gerade Herrn Egloft traf, kann ich bestimmt sagen: ich selbst habe ihn gewählt, weil ich erfahren hatte, daß er Arzt der SS gewesen war. Bisher hatte ich ihn mit all der Ehrfurcht behandelt, die ich für einen Mann von seinem Alter, von seinem Beruf und von seinem Offiziersrang empfand! Aber als Arzt der SS hatte er alles verwirkt, denn wir wußten schon, was für Experimente SS-Ärzte im Struthof (im Elsaß) und in anderen KZ ins Werk gesetzt hatten; auch seine Eigenschaft als Arzt schützte ihn nicht mehr; denn ich wußte, daß die Deutschen im Jahre 1944 in der Nähe von Dijon (wo ich damals lehrte) einen französischen Arzt erschossen hatten, weil er einen verwundeten „Maqui- sard“ gepflegt hatte., wie er es als Arzt sollte.
V. Ist es richtig, daß Sie dem Jakob Schmid, Sehreinermeister, nach seiner Verhaftung am Dienstag, 24. April 1945, etwa 11 Uhr vormittags, auf seine Frage dem Sinne nach erklärt haben, er sei von Kalbfell zur Verhaftung bestimmt oder benannt worden, da er Kalbfell in das Lager auf dem Heuberg gebracht habe?
V. Warum das Schicksal die drei übrigen traf, weiß ich nicht. Persönlich waren sie mir unbekannt; ich sah sie nicht, weder vor noch nach ihrer Verhaftung; und ich kann nicht dem Jakob Schmid erklärt haben, er sei zur Verhaftung benannt worden, weil er als SA- Mann früher Herrn Kalbfell in ein Lager geführt hätte; denn diese Einzelheiten erfahre ich erst jetzt beim Lesen Ihres Briefes.
VI. Ist es richtig, daß ursprünglich eine größere Anzahl von Geiseln zur Verantwortung gezogen werden sollten, daß aber Kalbfell sich für die Herabsetzung dieser Zahl verwendet hat?
VI. Es ist vollkommen richtig, daß ursprünglich 20 Nazis als Geiseln verhaftet werden sollten; der' Chef der deutschen Polizei in Reutlingen bekam von mir Befehl, diese 20 Nazis zu verhaften, deren Namen und Adressen ich ihm persönlich gab. Er lieferte deren drei. Da diese Zahl verhältnismäßig sehr gering war (man muß bedenken, daß in solchen Fällen die Deutschen bei uns 10, 20, ja in anderen besetzten Gebieten 50 Mann für einen einzigen Deutschen hinzurichten pflegten), fügte ich Herrn Egloff aus besagtem Grunde hinzu.
Herr Bürgermeister Kalbfell (ich gebe ihm seinen damaligen Titel, ein anderer war Oberbürgermeister) konnte sich nicht bei mir für die Herabsetzung der urspünglichen Anzahl von Geiseln verwenden, denn ich zog ihn nicht zu Rate; und wären die 20 geliefert worden, so wären sie vielleicht sämtlich erschossen worden. Aber daß ich es schließlich mit den vier bewenden ließ und nicht auf Verhaftungen und Hinrichtung anderer drang, was ein Leichtes gewesen wäre, ist trotzdem teilweise auf den Einfluß des Herrn Kalbfell zurückzuführen; denn, was mich zu dieser Schonung der Stadt bewog, war nicht nur ein spontaner Widerwille gegen Blutvergießen, sondern auch die persönliche Sympathie, die ich gleich beim ersten Blick für diesen Mann empfand, der mir und, soviel ich weiß, auch dem Obersten durch seine Tatkraft und Rechtschaffenheit sofort imponierte. Ich wollte mich als menschlich erweisen, um seiner Achtung würdig zu sein.
Die beeidigte Aussage von Prof. Rouche
In Sachen Slaiger Jakob
Aussage des Zeugen Rouche in Bordeaux Protokoll
Geschehen am 7. November 1949. In dem Verfahren gegen Jakob Staiger wegen übler Nachrede ist das angeschlossene Rechtshilfeersuchen des Untersuchungsrichters in Reutlingen vom 25. Oktober 1949 über den Untersuchungsrichter in Bordeaux hier angekom- mon.
Professor Rouche erklärte, daß er mit dem Beschuldigten weder verwandt, noch verschwägert, noch befreundet sei und hat, nachdem er den Eid geleistet, daß er die ganze Wahrheit und nich's als die Wahrheit sagen werde, folgende Angaben gemacht:
Frage: Hat Herr Kalbfell, Bürgermeister in Reutlingen, die vier Personen bezeichnet, die auf ein Attentat gegen den französischen Soldaten haben erschossen werden sollen?
Antwort: Nein.
Frage: Hat der Bürgermeister Kalbfell den französischen Behörden eine Liste mit Geiseln übergeben? _ ....
Antwort: Ich bezeuge, ich habe eine Liste von notorischen Nationalsozialisten^ in der Hand gehabt, aus der die vier Geiseln ausgewählt worden sind. Ich kann mich nicht daran erinnern, wie diese Liste zustande kam, aber auf Grund meiner Überlegungen glaube ich, daß diese Liste nicht von Herrn Kalbfell herrührte.
Frage: Hat Herr Bürgermeister Kalbfell in irgendeiner Weise bei der Aufstellung einer Liste von Geiseln mitgewirkt?
Antwort: Unter dem Vorbehalt, den Ich soeben gemacht habe, bin ich der Überzeugung. daß Herr Bürgermeister Kalbfell an der Aufstellung der Gciselliste nicht teilge- nommen hat.
Soweit es sich um die Antwort auf die erste Frage handelt, bin ich durchaus sicher. Hinsichtlich der Beantwortung der beiden anderen Fragen kann ich nichts mit gleicher Sicherheit bekunden, da meine Erinnerungen darüber ungenau sind.
Vorgelesen, genehmigt und unterschrieben: Rouche
Staiger stellt Strafantrag
Wie wir am Dienstagnachmittag erfahren, hat Stadtrat Jakob Staiger aus Pfullingen gegen Landrat Kern, Hotelier Büttner und Fabrikant Danzer bei der Staatsanwaltschaft Anzeige wegen Meineids erstattet. Von Staiger wurde uns das bestätigt. Es bezieht sich dabei auf die eidliche Aussage der drei genannten Zeugen bezüglich des Essens in der Harmonie, am 23. April 1945. Bei dieser Gelegenheit sollen nach dem, was die Zeugen beschworen haben, nur sieben Personen anwesend gewesen und es soll nicht von Kontributionen und von Geiseln die Rede gewesen sein. Man vergleiche dazu die Angaben des Kapitäns Rouche.
Nicht die Soldaten
Nun kam Karl Hartmann aus Reutlingen zur Vernehmung, der sich am Montagfrüh dem Gericht freiwillig als Zeuge gestellt hatte. Er nahm Bezug auf die vom Zeugen Näher 'vorgebrachte Behauptung gegen Kalbfell, dieser habe die Soldaten in seiner Rede vom 1. Mai Kriegsverbrecher genannt. Hier müsse dem Zeugen Näher entschieden ein Irrtum unterlaufen sein. Kalbfell habe diese Äußerung mit Bestimmtheit nicht getan. Hinter Kalbfell seien damals Herr Kocher von der Gewerbeschule, Herr Seiz, Herr Freytag und Hauptmann Jörg gestanden. Der von Herrn Näher mißverstandene Ausdruck habe folgendermaßen gelautet: „Schuld an dem ganzen Elend seien diq Nazis — diese Verbrecher.“ Kalbfell habe auch über die Geiselerschießungen gesprochen und eine Warnung an die Bevölkerung gerichtet, daß im Wiederholungsfall eines Attentats 40 weitere Bürger gestellt werden müßten. Er sei seiner Sache absolut sicher.
Zwischenruf Staiger: „Ich habe einen Zeugen, daß Kalbfell es doch gesagt hat: Meine Tochter. Sie soll schwören.“
Das Gericht beschloß, die Zeugin Staiger nicht zu hören.
Der Vertreter des Innenministeriums hat das Wort
Nunmehr erteilte der Vorsitzende dem Vertreter der Einleitungsbehörde, Oberregierungsrat Wizigmann das Wort zu seinem Plädoyer. Zum Verständnis des nun folgenden muß noch einmal erklärt werden, daß Oberregierungsrat Wizigmann in diesem Prozeß etwa die Rolle des Staatsanwaltes inne hat. Das Publikum war daher etwas überrascht, von ihm in seinem Plädoyer wenig Worte des Zweifels, dafür mehr der Verteidigung des Beschuldigten zu hören.
Die Darstellung Kalbfells, so erklärte Oberregierungsrat Wizigmann, daß er erst nach der Erschießung der Geiseln davon Kenntnis erhalten habe, sei durchaus glaubhaft. Aus allen Ermittlungen sei ein Anhaltspunkt für eine Beteiligung des Beschuldigten bei der Verhaftung, Einlieferung oder Erschießung der vier Geiseln in keiner Weise festzustellen.
Als die große Wendung bezeichnete Oberregierungsrat Wizigmann die Aussagen von Kapitän Rouche und dessen Briefwechsel mit dem Untersuchungsführer Landgerichtspräsident Dr. Teufel.
Nach diesen Darstellungen, die in Zweifel zu ziehen auch nicht der geringste Anlaß vorliege, sei festgestellt, daß der Beschuldigte an der Aufstellung irgendeiner Liste der Geiseln nicht beteiligt gewesen sei.
Nach diesen Feststellungen sei einwandfrei und ohne Zweifel dargetan, daß es keine Möglichkeit mehr gebe, Oberbürgermeister Kalbfell bezüglich der Auswahl der Geiseln irgend etwas in die Schuhe zu schieben. Die unbestechlichen Angaben von Kapitän Rouchö hätten zur restlosen Klärung des Falles geführt.
„Auf Grund der so getroffenen Feststellungen. die durch das Zeugnis Ronchös ln den Augen der Einleitungsbehörde eine restlose Klärung gefunden haben, komme ich zu dem Antrag, die höbe Dienststrafkammer wolle auf Freispruch des Beschuldigten erkennen. Die Kosten des Verfahrens fallen nach Artikel 97 Abs. 2 der Behörde zur Last.“
Die Plädoyers der Verteidiger
Nach einer Pause begannen um 18.10 Uhr die Plädoyers der beiden Verteidiger. Dr. Wilhelm mußte gleich zu Beginn bekennen, daß ihm der Vertreter der Einleitungsbehörde „bereits die Rosinen aus dem Kuchen herausgenommen habe", trotzdem bleibe der Verteidigung noch einiges zu sagen. Wohl noch nie sei einer Dienststrafkammer eine so schwierige Frage und ein so aufsehenerregender Sachverhalt unterbreitet worden wie der Tübinger Dienststrafkammer. Diese habe sich vier Tage lang alle erdenkliche Mühe gegeben. Klarheit zu schaffen
Der Verteidiger wies auch noch auf die Unglaubwürdigkeit des Zeugen Holzer hin, der sich täglich in neue Widersprüche verwickelt habe, während zum Beispiel die Aussage des Essener Zeugen A 11 h p f f, die Holzer erheblich belastete und die dieser als Racheakt bezeichnete, nicht erst im September 1951 in Tübingen, sondern schon 1946 in Essen gemacht worden sei.
Dr. Wilhelm stellte den Antrag auf Freispruch wegen erwiesener Unschuld.
Dem mehr als einstündigen Plädoyer von Dr. Wilhelm folgte dasjenige Dr. Volkers, des zweiten Verteidigers, der sich in Anbetracht der erschöpfenden Ausführungen seiner Vorredner auf eine Sprechzeit von 25 Minuten beschränken konnte.
Dr. Völker plädierte auf Freispruch, „weil Kalbfell nicht beteiligt war“.
„ Ich habe nur die eine Bitte...”
Das letzte Wort hatte der Beschuldigte. Oberbürgermeister Kalbfell erhob sich und sagte: „loh habe nuc noch wenige Worte zu sagen. Das was ich ausgesagt habe, ist wahr, so wahr es einen Gott im Himmel gibt. Ich bin an dem Tod dieser vier bedauernswerten Menschen unschuldig. Das. was geschehen ist, kann nicht wieder gut- gemacht werden. Ich habe nur die eine Bitte, daß meine Ehre gerettet wird und daß ich Ruhe bekomme. Mehr will ich nicht.“
19.50 Uhr fand die viertägige Verhandlung ihr Ende. Das Urteil wird am 20. September um 17 Uhr im Auditorium maximum verkündet.