NUMMER 132

SAMSTAG, 2 5. AUGUST 1951

Baden will noch eine Woche stillhalten

Wohiebs merkwürdige Erklärungen / Villingen wird Freiburg aufsässig

FREIBURG. Baden werde noch eine Woche stillhalten und keine neuen Schritte in der Frage der Volksabstimmung in Südwest­deutschland unternehmen, sagte der südbadi­sche Staatspräsident Leo W o h 1 e b am Don­nerstag in Freiburg. Nach seiner Aussprache mit Bundeskanzler Dr. Adenauer erkenne Baden einenbedingten Verfassungsnotstand an. Wenn jedoch nicht bis spätestens Ende nächster Woche das Bundesverfassungsgericht geschaffen und klar sei, daß bis zum darauf­folgenden Montag oder Dienstag also vor dem Abstimmungstermin am 16. September über die badische Verfassungsklage entschie­den wird, dann sei einechter Verfassungs­notstand gegeben. Die südbadische Regierung werde dann ihreGegenweisungen erteilen.

Die Bundesregierung habe sich seiner Auf­fassung, daß durch die südbadischen Klagen gegen die Neugliederungsgesetze und das Nichtbestehen des Bundesverfassungsgerichtes ein Verfassungsnotstand gegeben sei, nicht angeschlossen.

Kein Mensch in der Welt kann uns zwin­gen, ein Gesetz durchzuführen, das wir für verfassungswidrig halten, sagte Wohieb. Im Anschluß daran äußerte er noch eine merk­würdige Ansicht, indem er betonte, daß sich Baden vor der Geschichte nicht wie die An­geklagten in Nürnberg auf einen Befehl be­rufen könne, auch dann nicht, wenn dieser die Form eines Gesetzes habe. (Der Sinn dieser Bemerkung ist um so weniger klar, als den in Nürnberg Angeklagten ja gerade zum Vor­wurf gemacht wurde, daß sie zur Begründung ihrer verbrecherischen Handlungen nur auto­ritative Befehle nennen konnten und nicht de-

Das alte Lied

Sowjets wollen keine Atomkontrolle

NEW YORK. Die Sowjetunion erhebt keine Einwände gegen die von den USA vorgeschla­gene Verschmelzung der Atomenergiekommis­sion der UN mit der Kommission zum Studium der Kontrolle der herkömmlichen Rüstungen. Doch widersetzt sie sich jedem Hinweis auf den von der Vollversammlung verabschiedeten Plan für die Atomenergiekontrolle (den soge­nannten Baruch-Plan). Dieser Plan, der im Jahre 1946 von dem amerikanischen Delegier­ten Bernhard B a r u c h eingebracht und spä­ter von der Vollversammlung angenommen worden war, würde eine wirksame Inspektion des Atomenergiewesens durch eine internatio­nale Kontrollbehörde garantieren, und zwar ohne die Einschränkungen durch ein Veto­recht.

Der Baruchplan war bereits seinerzeit in der Vollversammlung von der Sowjetunion abge­lehnt worden. Die sowjetische Ablehnung wurde jetzt in New York bei einer Sitzung des UN-Zwölfer-Ausschusses erneut zum Ausdruck gebracht. Dieser"Ausschuß sollte versuchen, die seit zwei Jahren festgefahrenen Verhandlun­gen wieder in Gang zu bringen.

FDJ flutet aus Berlin zurück

Alle gehen straffrei aus

HARZBURG. Nachdem schon die ganze Woche die FDJ von den Weltjugendfestspielen aus Berlin zurück in den Westen flutet, hat ge­stern eine weitere Welle von Jugendlichen im Gebiet von Eckertal im Harz die Zonengrenze in Kolonnen überschritten. Die Jugendlichen wurden von der Landespolizei, dem Zollgrenz­dienst und dem Bundesgrenzschutz in Emp­fang genommen, auf Propagandamaterial und Uniformen durchsucht und in Sonderzügen in die Heimat abgeschoben. Nach einem Bericht des niedersächsischen Innenministeriums wer­den nur diejenigen Jugendlichen unter Straf­anklage gestellt, die während der Jugendfest­spiele von der Grenzpolizei beim illegalen Grenzübertritt zurückgewiesen wurden, aber trotzdem auf anderen Wegen nach Berlin ge­kommen sind.

mokratisch zustande gekommene Gesetze. Ge­radezu paradox aber erscheint die Gleichstel­lung der durch dieNürnberger begangenen Verbrechen mit der von Baden verlangten Durchführung einer Volksabstimmung; einer Volksabstimmung, wohlgemerkt, die kein an­deres Ziel hat, als auf demokratischem Wege den Willen der Bevölkerung zu erforschen. D.R.)

Der Villinger Stadtrat beschloß inzwischen auf seiner letzten Sitzung, unter allen Um­ständen die Volksabstimmung über den Süd­weststaat am 16. September durchzuführen, wenn der Bund den Abstimmungstermin auf­recht erhalte. Dem Beschluß, der mit neun Stimmen der Sozialdemokraten und der De­mokraten gegen fünf Stimmen der CDU an­

genommen wurde, lag ein sozialdemokrati­scher Antrag zugrunde. Für den Fall, daß die Freiburger Regierung die Abstimmung in Vil­lingen mit Polizeigewalt verhindern sollte, wurde ein Omnibuspendelverkehr nach der württembergischen Nachbarstadt Schwennin­gen beschlossen, damit die Villinger dort ih­ren Willen bekunden können. In der vorher­gegangenen Debatte fragte die CDU die an­deren Stadträte, ob sie ihrer Landesregierung ungehorsam werden wollten. Es wurde von der Mehrheit der Stadtväter festgestellt, daß wenn Freiburg dem Bund den Vollzug seiner Gesetze verweigere, die Gemeinden gegenüber Freiburg für sich das gleiche Recht in An­spruch nehmen könnten.

Die Zahl der Stimmberechtigten wird sich gegenüber den letzten Wahlen erhöht haben, weil die Stimmberechtigung jetzt schon durch einen dreimonatigen Aufenthalt im Abstim­mungsgebiet erworben wird

Wer darf seinen Namen ändern?

Neue Verwaltungsvorschrift der Bundesregierung /Sehr strenger Maßstab

BONN. Die Bundesregierung hat neue Ver­waltungsvorschriften über die Änderung von Familiennamen und Vornamen ausgearbeitet und sie dem Bundesrat zur Beschlußfassung am Donnerstag zugeleitet. In den Vorschriften wird allgemein die Anlegung einessehr stren­gen Maßstabes bei der Bearbeitung von An­trägen auf Namensänderung empfohlen, da die Namensänderung sehr leicht zu einerMode werden könnte.

Als wichtiger Grund, der eine Änderung des Familiennamens rechtfertigt, gilt zum Beispiel, wenn der bisherige Name anstößig oder lä­cherlich klingt oder doch geeignet ist, Anlaß zu frivolen oder unangemessenen Scherzen zu ge­ben. Bei der Prüfung der Anstößigkeit eines Namens sei grundsätzlich der sachliche Maß­stab allgemeiner Erfahrungen anzulegen. Doch sollen auch besondere Gründe,die etwa in der Person, dem Beruf oder der Umgebung des An­tragstellers liegen, wohlwollend berücksichtigt werden. Die Behörden sollen auch dem Wunsch auf eine Änderung des Geburtsnamens einer verheirateten Frau entgegenkommen, wenn der Mädchennamegrob anstößig ist.

In den Ausführungsvorschriften wird darauf

hingewiesen, daß jede Namensänderung im Verwaltungswege dieErkennbarkeit der Her­kunft aus einer Familie beeinträchtigt und da­mit eine Verdunkelung des Personenstandes erleichtert. Ein Name darf deshalb nicht ge­ändert werden, wenn der Antragsteller mit sei­nem alten Namen im Schuldverzeichnis steht oder als straffällig bekannt ist.

Als neuer Name kann in erster Linie der Name eines Vorfahren,aber auch ein Name gewährt werden, der an den bisherigen Na­men anklingt oder ein völlig neuer Name. Ein Name, der durch frühere Träger bereits eine bestimmte Bedeutung auf historischem, litera­rischem oder politischem Gebiet erhalten hat, soll im allgemeinen nicht verliehen werden.

Als wichtiger Grund für eine Namensände­rung oder für die Hinzufügung eines unter­scheidenden Zusatzes kann ferner das Tragen von Sammelnamen angesehen werden. Als Sammelnamen gelten z. B.: Braun, Becker, Fi­scher, Haase, Hoffmann, Krause, Krüger, Leh­mann, und ähnliche.

Die Verwaltungsvorschriften treten nach Ge­nehmigung durch den Bundesrat in Kraft.

Kleine Weltchronik

MÜNCHEN. Der bayerische Justizminister Dr. Josef Müller kritisierte am Donnerstag im baye­rischen Rundfunk die vom Bundestag verabschie­dete Strafrechtsnovelle. Es sei einKautschuk- Gesetz und man könne sich beim besten Willen nicht vorstellen, wie ein Richter es einigermaßen vernünftig handhaben wolle, ohne politische Ent­scheidungen zu treffen. Bis auf die Bestimmun­gen über den Hochverrat, die praktisch den klas­sischen Beispielen entsprächen, seien im Gesetz nur sehr bedenkliche Maßnahmen festgelegt.

NÜRNBERG. Seit Anfang des Jahres wurden in Nürnberg 40 Fälle von spinaler Kinderläh­mung verzeichnet, von denen fünf tödlich verlie­fen. Die Zahl der Neuerkrankungen stieg im Juli und August auf 34 an. Wie der Leiter des Nürn­berger Gesundheitsamtes erklärte, sei zu einer Besorgnis kein Grund vorhanden, da diese Krank­heit in den Sommermonaten stets ihre Spitze er­reiche. Von besonderen Schutzmaßnahmen sei Abstand genommen worden.

KIEL. Von den rund 60 000 Bauernhöfen in Schleswig-Holstein sind nach Angaben des Land­wirtschaftsministeriums 1500 von der Maul- und Klauenseuche befallen. Die im Januar nach Schleswig-Holstein eingeschleppte Seuche war Mitte Mai nahezu abgeklungen und hat sich von zwei Gehöften aus wieder verbreitet, weil die erlassenen Sperrbestimmungen nicht genau be­achtet worden seien. Die Bekämpfung der Seuche sei auf Schwierigkeiten gestoßen, weil der vor­handene Impfstoff auf Grund einer Typenwand­lung des Erregers nicht mehr voll wirksam ge­wesen sei.

BERLIN. Auf Anweisung der SED-Leitung in Potsdam soll das weltbekannte Neue Palais im Park von Sanssouci zu einerArbeiter- und Bauernfakultät umgebaut werden, wie der West­

berlinerTelegraf berichtet. Durch die Umbau­ten werde der künstlerische und historische Wert des Gebäudes praktisch vernichtet Der größte Teil der Gemälde, Fresken und Statuen seien im vergangenen Jahr bereits von den Sowjets abtransportiert worden.

BERLIN. Der stellvertretende Ministerpräsi­dent der Ostzone, Walter Ulbricht, hat nach Be­endigung der dritten Weltfestspiele der Jugend seinen Jahresurlaub angetrete'n. Nach verläßli­chen Informationen aus Ostzonenkreisen soll Ul­bricht nach der Sowjetunion abgereist sein.

WIEN. Die seit einigen Tagen registrierten An­schläge auf kommunistische Parteilokale in Wien haben sich jetzt auch auf den sowjetischen Sek­tor ausgedehnt. In drei Räumen der KPÖ wur­den Brandkörper zur Entzündung gebracht.

MADRID. Der spanische Staatschef General Franco wird eventuell seinen Urlaub abkürzen, um sich persönlich in die Verhandlungen mit der zurzeit in Madrid weilenden amerikanischen Mi­litärmission einzuschalten, die die Sherman-Be­sprechungen des Monats Juli fortführt.

TEL AVIV. Außenminister Acheson und der israelitische Botschafter in Washington, Eban, Un­terzeichneten am Donnerstag in der amerikani­schen Hauptstadt einen Freundschaftsvertrag zwi­schen ih*en beiden Ländern. Ein Sprecher des israelischen Außenministeriums betonte, der Ver­trag sei ein Beweis für die stets enger werden­den Beziehungen zwischen den beiden Staaten.

WASHINGTON. Der pazifische Verteidigungs­pakt zwischen den USA, Australien und Neu­seeland wird am 1. September im Hauptquar­tier der 6. US-Armee in der Nähe von San Fran- zisko unterzeichnet werden. In dem Vertrag ver­pflichten sich die drei Staaten zur gegenseitigen Hilfeleistung bei einem Angriff auf ihr Gebiet.

DP hinter Adenauer

Stärkere Berücksichtigung des Mittelstandes

BONN. Bundeskanzler Dr. Adenauer empfing am Donnerstag drei führende Poli­tiker der Deutschen Partei zu einer längeren Aussprache, Bundesminister Heinrich Hell- wege und die Vorsitzenden der DP-Bundes- tagsfraktion Dr. Hans Mühlenfeld und Dr. Hans Joachim von Meerkatz. Dr. Adenauer unterrichtete sie über seine Besprechungen mit den Gewerkschaftsvertretern auf dem Bürgen­stock und wiederholte, daß bei diesen Erörte­rungen keine endgültigen Absprachen getroffen worden seien, sondern daß zunächst Kabinett und Regierungsparteien Stellung nehmen müß­ten.

Die Vertreter der Deutschen Partei brachten den Wunsch nach einer Koordinierung der Re- gierungsarbeit zum Ausdruck. Bei den künf­tigen wirtschaftspolitischen Entscheidungen verlangt die DP eine stärkere Berücksichti­gung des Mittelstandes, der mittleren und kleinbäuerlichen Betriebe. Darüber hinaus wurde die Dringlichkeit des Flüchtlingsaus­gleiches und der Sanierung der Notstandsge­biete unterstrichen.

Auf höchster Ebene

Der Kanzler trifft McCloy am Montag

BONN. Bundeskanzler Adenauer und der amerikanische Hohe Kommissar John Mc­Cloy werden sich am kommenden Montag zu einer Unterredung treffen. Nach Mitteilung des Presseamtes wird Gegenstand der Besprechun­gen der alliierte Gesetzentwurf über die deut­schen Vermögenswerte im Ausland sein, der am Donnerstag der Bundesregierung zur Ein­sichtnahme überreicht worden ist.

In Bonner Regierungskreisen herrscht Ent­täuschung über das alliierte Vorgehen. Man er­klärte, die Überreichung dieses Entwurfs sei zu einempsychologisch ungeeigneten Zeit­punkt erfolgt, wobei man u. a. auf die Koh­lenkrise und die Frage der Besatzungskosten hinwies. Der Gesetzentwurf soll, wie aus Krei­sen des Finanzministeriums verlautet, im we­sentlichen die Beschlagnahme deutscher Aus­landsvermögen bestätigen. Man bezeichnet® den Gesetzentwurf alsaußerordentlich weit­gehend.

Berufsförderung

Praktische Hilfe für Kriegsbeschädigte

BONN. Kriegsbeschädigte sollen nach einer jetzt dem Bundesrat zugegangenen Regie­rungsverordnung Anspruch auf Berufsförde­rung, darunter berufliche Fortbildung, Umschu­lung, sowie Beendigung ihrer durch Militär­dienst unterbrochenen Ausbildung haben.

Zur Gewährung von Berufsförderungshilfe setzt die Verordnung voraus, daß sich der Be­schädigte nach seiner körperlichen und geisti­gen Veranlagung, seiner Vorbildung und Nei­gung für den erstrebten Beruf eignet und daß ihm dieser Beruf voraussichtlich eine Existenz­grundlage bietet.

Für die Bestreitung des notwendigen Le­bensunterhalts soll dem Beschädigten für die Dauer solcher Berufsausbildung ein monat­licher Unterhaltsbeitrag in Höhe der Grund- Ausgleichsrente, die er als Erwerbsunfähiger ohne Einkommen erhalten würde, gewährt werden. Dieser Betrag soll jedoch um die ihm tatsächlich gezahlte Rente sowie sonstige Ein­kommen im Sinne des Fürsorgerechts gekürzt werden.

Die Berufsförderungsmaßnahmen, darunter Aufwendungen für die Beschaffung unerläßlich notwendiger Lernmittel, Arbeitsmittel, sowie Arbeitsmaterial und Fahrtkosten sollen unent­geltlich gewährt werden. Die Dauer dieser .Hilfsmaßnahmen soll die für den angestrebten Beruf vorgeschriebene Mindestausbildungszeit nicht überschreiten und ist jeweils in Ausbil­dungsabschnitten von einem Jahr befristet.

FRANKFURT. Gestern begann ln Frankfurt die dreitägige Jahreshauptversammlung der Zeugen Jehovas, zu der viele tausend Ange­hörige dieser Religionsgemeinschaft aus ganz Deutschland erschienen sind.

:TE RES s^PIEL

IM NECKARTAL

Ein fröhlicher Roman von Else Jung

20] Copyright by Verlag Bechthold

Den letzten Ausstellungstag, an dem es in den großen Hallen schon merklich stiller ge­worden war, benutzte Imma zu einem Rund­gang durch das Messegelände. Vor allem sah sie sich an den Ständen der Konkurrenz um, und da geschah es, daß sie vor der Box der Firma Karl Wörth & Co., Darmstadt, plötzlich Stehen blieb, als habe sie eine unsichtbare Hand festgebannt.

Handwebdrucke!

Und was für Muster!

Imma schoß das Blut in den Kopf, als sie eine Kornblumenranke entdeckte, che kein »derer als Thilo entworfen haben konnte.

Und hier! Diese bizarr gezeichneten Son­nen des gelben Löwenzahnes stammten auch von ihm. Sie erinnerte sich, den Entwurf in einer Mappe gesehen zu haben.

Aufgeregt lief sie zur Mutter.

Muschi, du mußt dir das anschauen! rief sie.Wörth & Co. haben neue Muster her­ausgebracht, mit denen sich unsere Handweb­drucke nicht messen können.

Na, na, nur nicht übertreiben, mein Kind!

Angelika Lorentzen lächelte überlegen aber kurz vor der Mittagspause ging sie doch hin. Als sie zurückkam, nickte sie Imma zu.

Es stimmt, die Darmstädter haben sich er­staunlich verbessert.

Auf Muschis Stirn stand eine nachdenkliche Falte, als Imma ganz nebenbei bemerkte: Wörth & Co. müßten einen neuen und sehr begabten Zeichner eingestellt haben.

..Wahrscheinlich.

Imma fühlte, daß die Gleichgültigkeit der Mutter nicht echt war. Muschi hatte einen untrüglichen Blick für alles Neuartige, das in ihr Fach schlug. Sie mußte in Sekunden­schnelle sehr viel gesehen haben, und was sie gesehen hatte, machte ihr zu schaffen.

Imma lachte ein klein wenig schadenfroh in sich hinein.

Herrgott, wäre das schön, wenn Thilo der Urheber dieser Unruhe wäre, die Muschi be­fallen hatte.

Als Herr Arnulf am Nachmittag den Messe­stand betrat, schickte Imma auch ihn zu den Darmstädtern.

Wenn Sie herausbekommen könnten, wer die neuen Druckmuster entworfen hat, wür­den Sie mir einen großen Gefallen tun, hatte sie gesagt.

Nun, die Konkurrenz war auf der Hut. Sie verriet ihre Betriebsgeheimnisse nicht. Herr Arnulf hatte nur erfahren, daß die Firma einen neuen Zeichner gewonnen habe, mit dem sie sehr zufrieden sei.

Es war Thilo!

Imma zweifelte nicht mehr daran.

Und Thilo saß in Darmstadt, also ganz in ihrer Nähe.

Ihr Herz frohlockte, und es läutete Sturm, als Herr Arnulf ganz unvermittelt fragt, ob sie Lust habe, sich unter seiner Führung ein­mal Berlin anzusehen.

In Berlin waren Isa und Kersten!

Isa stand fertig zum Ausgehen in der Diele ihrer kleinen Atelierwohnung, als es klingelte.

Na, wer kommt jetzt schon wieder? brummte sie ärgerlich, warf die Handschuhe auf das Tischchen unter dem Spiegel und öffnete.

Gleich darauf stieß sie einen hellen Schrei aus.

Nein Imma du? Ach Mädchen, ich habe ja ein sooo schlechtes Gewissen! Dein Brief mein Gott ich habe ihn verlegt, oder Rumba hat ihn gefressen. Komm her­

ein, zieh dich aus! Hübsch steht dir das rosa Blüschen zum Anbeißen!

Imma wußte nicht, wie ihr geschah.

Sie fühlte sich von festzupackenden Händen ins Atelier gezerrt, von zärtlichen Armen um­fangen und von einem warmen Munde schwe­sterlich geküßt. Mantel und Hut wurden ihr entrissen und flogen auf den Divan, und dann saß sie in einem Sessel, auf dessen Lehne der Affe Romba hockte, der sofort auf ihre Schulter sprang.

Kanaille! schrie Isa, packte den Zappeln­den beim Genick und sperrte ihn ins Neben­zimmer.

Imma schaute sich mit staunenden Augen um.

So also sah es bei einer schon ziemlich be­rühmten Bildhauerin aus?

Die Unordnung wirkte immerhin genial, und Isa, die ihre Gedanken zu ahnen schien, sagte mit dem lachenden Versuch, sich zu ent­schuldigen:Gott ja, wenn ich arbeite, dann fliegen alle Gegenstände. Kersten behauptet, ich könne gar nicht arbeiten wie andere Sterb­liche, ich könne nur rasen. Er hat recht, der Junge, aber nun erzähle mal, auf welche Weise du nach Berlin gekommen bist, ja?

Imma berichtete von der Leipziger Messe und von Herrn Arnulf, der sie mitgenommen habe. Diese Einladung sei ihr mehr als er­wünscht gewesen.

Ach Isa, du weißt ja nicht, was ich in die­sen letzten Wochen durchgemacht habe. Mu­schi hat immer noch keine Ahnung, daß Thilo

und ich-aber das erzähle ich dir später.

Zuerst einmal eine wichtige Frage. Ist Thilo bei Wörth & Co. in Darmstadt angestellt?

Seit etwa vier Wochen, jawohl!

Also habe ich mich doch nicht getäuscht. Nun weiß ich wenigstens, wo ich ihn finden kann.

Isa saß noch in Hut und Mantel auf dem Divan, mit untergeschlagenen Beinen wie ein Türke.

Ich dachte, er sollte dich finden, mein Kind! Jedenfalls erinnere ich mich

Der arme Junge ist ganz auseinander, well er dich nicht finden kann, sagte sie und sprang auf.Wo habe ich doch seinen letzten Brief? Warte mal, hier muß er irgendwo liegen.

Sie fegte einen Stoß fliegender Blätter vom Tisch: Zeichnungen, Zeitungen und Zeitschrif­ten, und wunderte sich selber, daß der Brief, wenn auch zerknittert und beschmutzt, zum Vorschein kam.

Da lies! Er is ein einziger Hilfeschrei.

Imma versank in das Schreiben, als sei es die spannendste Lektüre. Sie sah und hörte nichts mehr, und als sie ihn ein halbes Dut­zend mal gelesen hatte, stand ein gedecktes Tischchen mit Tee und Gebäck neben ihrem Sessel. Isa schien auch in hauswirtschaftlichen Arbeiten zu rasen.

Na, was sagst du? Hast du noch das Herz, deinen bedauernswerten Ritter länger im Un­gewissen zu lassen? fragte Isa und goß den goldbraunen Tee in die spinn webdünnen Schalen.

Ach, Immas Herz war weich geworden, viel weicher, als sie es zugab. Jede Zeile in Thilos Brief war ihr gegenwärtig, und jeder Buch­stabe verriet ihr seine Liebe.

,Ich habe einen Plan. Isa, sagte sie,und dabei brauche ich deine Hilfe. Thilo muß von Darmstadt fort.

Ganz meine Meinung! Isa war zu al­lem bereit und wollte wissen, welche Aufgabe ihr Imma zugedacht habe.

Hör* zu, die Sache ist ganz einfach.

Eine Stunde verging, der Tee wurde kalt, und als Walter Kersten, der einen Wohnungs­schlüssel besaß, gegen sieben Uhr das Atelier betrat, fand er zwei junge Damen im Däm­merlicht des Abends so stark" in ein Ge­spräch vertieft, daß sie sein Kommen nicht einmal bemerkten. Erst als er Isa von hinten umfing, schnellte sie in die Höhe und spuckte dreimal aus:

Toi. toi, toi, Menschenskind. hast du mich aber erschreckt! (Fortsetzung folgt)