NUMMER 130

MITTWOCH, 2 2. AUGUST 1951

Hurrikan im Anmarsch auf Mexiko

230 km/std Geschwindigkeit / Uber 150 Todesopfer und unermeßliche Sachschäden NEW ORLEANS. Mit 230 Stundenkilometer

Bemerkungen zum Tage

Durch die amerikanische Filmbrille

ar. Man kennt die amerikanischen Pappdek- kel- und Staffagefllme und die sentimentale Verharmlosung menschlicher Probleme in vie­len Filmen amerikanischer Gesellschaften zur Genüge und ist gerne bereit, darüber hinweg­zusehen. Wenn aber eine naive Harmlosigkeit oder ein mangelndes Empfinden für das was möglich oder darstellbar ist, als dauerndes Privileg genommen wird, hört die Sache auf, harmlos und entschuldbar zu sein, sondern beginnt gefährlich zu werden. Was beispiels­weise in dem RKO-FilmHölle am weißen Turm an völkerpsychologischer Banalität und Verballhornung gezeigt wird, überschreitet das Maß des Entschuldbaren. Da wird ein Deut­scher namens Siegfried Hein (!) als brutaler und kaltschnäuziger Gipfelstürmer dargestellt, 4er für jede Situation eine Parole auf der Zunge hat und in dessen Bergsteigerfratze es nur noch fehlt, daß er in der schwierigsten Situation seinen Mitspaziergängern zuruft: Vorwärts für den geliebten Führer! Hein ist ohne jeden Sinn für Bergkameradschaft, und es macht ihn froh, wenn wieder einer schlapp gemacht hat, denn damit steigen seine Chancen, als Erster den Gipfel zu erreichen.

Was soll man von einer solchen Darstel­lung eines Deutschen und noch dazu eines deutschen Bergführers halten? Die nächstlie- gende Assoziation ist natürlich die: So sieht man uns Deutsche in Amerika und so denkt man über uns. Und dies in einer Zeit, da es in der ganzen Welt darum geht, wieder Ver­ständnis füreinander zu finden. Wir buhlen nicht darum, daß man uns in Amerika oder anderswosympathisch findet dies ist im­mer Geschmackssache und beruht auf Gegen­seitigkeit aber wir dürfen gerade in der heutigen Zeit der Gefährdung auch von den amerikanischen Filmproduzenten, die mit uns Geschäfte machen wollen, erwarten, daß man aufhört, hinter jedem Deutschen einen ver­kappten SS-Gardisten zu sehen. Eine derar­tige billige Schwarzweiß-Manier ist nicht nur der Völkerverständigung abträglich, sie ist auch künstlerisch unter aller Kritik. Was würde man wohl in Amerika sagen, wenn der deutsche Film die Amerikaner als Gangster typisierte, nur weil es in Amerika auch Gang­ster gibt!

Griechenland und Türkei

Aufnahme in Antiantikpakt wird vorbereitet

LONDON. Der atlantische Exekutivausschuß, der aus Stellvertretern der Außenminister der Paktstaaten besteht, begann in London mit der Ausarbeitung eines Berichts über die Auf­nahme Griechenlands und der Türkei als Voll­mitglieder in den Atlantikpakt. Der Bericht des .Exekutivausschusses wird den Außenmi­nistern der zwölf Antiantikpaktstaaten zu-4h- rer Konferenz in Ottawa Mitte September vorgelegt. Erst der Atlantikrat wird-darip dar­über entscheiden, ob Griechenland und die Türkei Vollmitglieder werden. -

Tübingen contra Freiburg'

TÜBINGEN. Die Staatliche Nachrichtenstelle von Württemberg-Hohenzollern teilt mit: Nach­dem Staatspräsident W o h 1 e b Pressemeldungen zufolge heute den Antrag der badischen Regie­rung auf Verschiebung der Volksabstimmung zur Neugliederung des südwestdeutschen Raumes vor dem Bundeskabinett in Bonn persönlich begrün­den konnte, hat der Stellvertreter des Staats­präsidenten von Württemberg-Hohenzollern, In­nenminister Renner, den Bundeskanzler er­neut gebeten, eine Entscheidung im Sinne des badischen Antrages nicht zu treffen, bevor nicht die Landesregierung ebenfalls vor dem Bundes- kabinett ihren Standpunkt habe vertreten können.

Wie die württembergisch-badische Staatskanz­lei meldet, hat auch hier der stellvertretende Ministerpräsident Dr. Hermann Veit (SPD) in einem Fernschreiben an die Bundesregierung zum Ausdruck gebracht, die Landesregierung er­warte, daß keine Entscheidungen in Bonn ge­troffen werden, bevor nicht Württemberg-Baden Seinen Standpunkt vor dem Bundeskabinett dar­gelegt habe.

Geschwindigkeit rast ein in der Geschichte der Antillen beispielloser Hurrikan auf Yukatan an der Südspitze Mexikos zu, nachdem ihm auf der britischen Insel Jamaika über 150 Per­sonen und Sachwerte in Höhe von etwa einer Viertel Milliarde DM nach den letzten Mel­dungen zum Opfer gefallen sind. Die Wetter­station von New Orleans rechnet damit, daß der Hurrikan die mexikanische Grenze in der Nacht von gestern auf heute erreicht haben wird.

Die ersten tropischen Regenschauer Vor­boten des Wirbelsturms sind in den späten Abendstunden des Sonntags über den uralten Mayaruinen Yukatans niedergegangen. Der Sturmwarndienst hat die Bevölkerung von Yukatan, Louisiana und Texas aufgefordert, auf das Schlimmste gefaßt zu sein.

In Jamaika zählte man gestern schon 150 Todesopfer der Sturmkatastrophe, die mei­sten in dem am schwersten betroffenen Ost­

teil der Insel. Allein in St. Thomas gab es 51 Tote, in Morant Bay, wo praktisch kein Haus mehr steht, waren es 21. Der Gebäude- und Ernteschaden beträgt nach vorsichtigen Schät­zungen nahezu eine Viertelmilliarde DM. In der Hauptstadt Kingston ist wenigstens die Wasserversorgung seit gestern wieder in Gang gekommen. Die Elektrizitäts- und Telefonlei­tungen sind aber so schwer mitgenommen, daß die Stadt mindestens noch eine Woche ohne Strom und Nachrichtenverkehr sein wird. Die Regierung der Insel tritt täglich zusammen und hat ein Sturmhilfswerk eingerichtet, das die Obdachlosen mit Mahlzeiten versorgt und ihnen beim Bau von Notunterkünften zur Seite steht. Etwa 70 Insassen des Gefängnisses von Kingston unternahmen in der heillosen Verwir­rung einen erfolgreichen Ausbruchsversuch. Schwer bewaffnete Hilfspolizeistreifen, aus den vom Sturm noch völlig benommenen Ein­wohnern der Stadt rekrutiert, haben die Ver­folgung auf genommen. Kingston hat 200 000 Einwohner.

Bardamen und Besatzunqskosten

kw. Der gewöhnliche Mann, der weder in Sachen Bardamen noch in Sachen der euro­päischen Verteidigung beflissen ist, mag sich wohl fragen, was ausgerechnet diese beiden Dinge miteinander zu tun haben sollen. Nun, es besteht ein Zusammenhang, der des Nach­denkens wohl wert ist. Damit wir aber nicht in den Verdacht geraten, wir benützen diesen Zusammenhang aus irgendwelchen nationali­stischen Gedankengängen heraus deren wir neuerdings so gerne vom Ausland bezichtigt werden, wenn wir uns gegen uns imtragbar erscheinende Forderungen der Besatzungs­mächte wenden, um ein billiges Argument gegen diese zu haben, hören wir die Meinung der BaselerNational-Zeitung, die in dieser Sache ja nicht Partei ist, zu dieser Angelegen­heit. Das Blatt schreibt, daß die Frage der Besatzungskosten von den Alliierten noch im­mer im Geist des Sieger-Besiegten-Verhält- nisses behandelt werde. Der Hinweis darauf, die Deutschen könnten ruhig bezahlen, da sie teilweise besser lebten als die von ihnen über­fallenen Länder, sei insofern fadenscheinig, als die Alliierten den Deutschen ja die Gleichbe­rechtigung zugestehen wollten.Hat man schon je gehört, daß zur Verteidigung der westlichen Welt Bardamen, 155 000 Biergläser, 45 000 Zahnbürstenständer, 11 000 Pudding­formen, 3500 Eisschalen, 5000 Kognakgläser und eine Kegelbahn in Garmisch-Partenkir­chen für 122 000 DM benötigt werden? Vom reinen Siegerstandpunkt aus gesehen ist dies alles vertretbar. Von der Entwicklung seit 1945 her gesehen gehen alle diese Bardamen usw. auf Kosten der finanziellen Stabilität eines Landes, dessen Stabilität eine der wichtigsten Voraussetzungen für die Verteidigung des Westens ist... Wie kann man von den Deut­schen verlangen, sie sollten zugunsten von Besatzungskosten als Verteidigungskosten den Gürtel enger schnallen, wenn von dem Etat dieser Kosten so gar nichtausterity-mäßige Dinge wie Bardamen, Kognakgläser und Ke­gelbahnen figurieren? Ja, wie kann man so etwas verlangen? Das fragen wir uns auch. Hoffentlich wirkt es, von der Basler-National­zeitung gesagt, nicht so nationalistisch, wie wenn wir es tun.

Um die Konfesslonssdiulen

Das französische Problem Nr. 1

PARIS. Gestern nachmittag begannen in der französischen Nationalversammlung, die zu diesem Zweck ihre Herbstferien für zehn Tage unterbrochen hat, die Beratungen über die Zuwendung staatlicher Mittel' auch an die bisher nur aus privaten Geldern unterhalte­nen konfessionellen Schulen. Damit wird die Fiage wieder akut, an der die französische Kabinettsbildung über einen Monat lang schei- terte. Auch jetzt ist noch nicht abzusehen, auf welche Kompromißlösung sich die Par­teien einigen. Gleichzeitig gilt als wahrschein­lich, daß sich das Kabinett zum Vorschlag ei­ner Erhöhung des Getreidepreises um 40 bis 50 Prozent veranlaßt sehen wird.

Nach einer amtlichen Bekanntgabe aus Pa­ris sind die außereuropäischen Gebiete der französischen Union in fünf Verteidigungs­zonen gegliedert worden: 1. französisch Zen­tralafrika umfaßt Togo und französisch Äquatorial-Afrika; 2. Nordafrika; 3. Indischer Ozean mit Madagaskar, Komoren, der In­sel Reunion und den französischen Inselbesit­zungen in australischen Gewässern; 4. Indo­china; 5. Guyana und Antilleninseln. Im Kriegsfall soll in jeder Zone ein Gencralin- spekteur das Oberkommando übernehmen.

BONN. Wie der französische Hohe Kommissar Francois-Poncet mitteilte, sind die deutschen Saardindustriellen Hermann und Ernst Röchling vorzeitig aus französischer Haft entlassen wor­den. Die beiden waren 1949 von einem franzö­sischen Militärgericht in Rastatt zu zehn bzw. fünf Jahren Gefängnis verurteilt worden. Di* Industriellen dürfen sich in der Bundesrepublik aufhalten, jedoch nicht in das Saargebiet ein- reisen.

Die finanzielle Seite des Südweststaats

Eine Stellungnahme des Bundes der Steuerzahler / Kleinstaaten teurer

STUTTGART. Der Bund der Steuerzahler tritt in der letzten Nummer seines Organs, Der Steuerzahler, für die Bildung des Süd­weststaates ein. Schon durch zwei wegfallende Landesregierungen mit einer Vielzahl von Mi­nisterien werde man Millionen Steuergelder einsparen. Im Behördenaufbau und im Beam­tenkörper seien die kleinen Länder weniger sparsam und rationell. So seien im Rechnungs­jahr 1950 in Württemberg-Baden je Kopf der Bevölkerung für persönliche Verwaltungsaus­gaben 61,2 DM, für Versorgung 16,5 DM auf­gewendet worden. In Württemberg-Hohenzol- lem hätten die entsprechenden Zahlen 63,5 bzw. 19,5 DM, in Südbaden 75,3 und 18,8 DM betragen. Im Bundesdurchschnitt jedoch seien je Kopf der Bevölkerung im Jahre 1950 für persönliche Ausgaben 51,5 DM, für Versorgung 14,5 DM aufgewendet worden.

In den Staatshaushalten 1949 habe es in Württemberg-Baden 11 830 Dienstkräfte auf eine Million Einwohner gegeben, in Südwürt­temberg 13 030 und in Südbaden 15 830. Für

Kleine Weltchronik

STUTTGART. Das württembergisch-badische Innenministerium hat die für Anfang dieser Woche geplanten SRP-Kundgebungen in Heidel­berg, Eberbach und Karlsruhe verboten. Das Ministerium habe zahlreiche Protestbriefe gegen die in Aussicht genommenen Versammlungen er­halten, so daß Unruhen zu befürchten gewesen seien.

MÜNCHEN. Nach fünftägiger Verhandlung wurde am Samstag vor dem Münchener Land­gericht der größte Bandenprozeß Bayerns nach Kriegsende abgeschlossen. 19 Mitglieder einer Einbrecherbande, die München und andere Orte Ober- und Niederbayerns zwei Jahre hindurch unsicher gemacht haben, wurden zu hohen Zucht­haus- und Gefängnisstrafen verurteilt.

KARLSRUHE. Man stehe vor einem Streik in den Milchverwertungsbetrieben Nord- und Süd­württembergs, falls nicht in wenigen Tagen die württembergische Milchverwertung ihren Arbei­tern eine Erhöhung der Löhne zugestehe, er­klärte die Tarifkommission der Industriegewerk­schaft Nahrung, Genuß und Gaststätten in Karls­ruhe. In Nord- und Südbaden sowie im würt- tembergischen Oberland ist die Streikgefahr durch Abkommen der dortigen Betriebsleitungen mit der Gewerkschaft, bzw. durch den Abschluß eines neuen Angestellten- und Arbeitertarifs ab­gewendet worden.

FRANKFURT. Die amerikanische Hohe Kom­mission hat 15 Millionen DM bereitgestellt, um demokratischen Zeitungen in Westdeutschland und Westberlin zur finanziellen Unabhängigkeit zu verhelfen. Das Geld wird derwirtschaft­

das Gebiet des Südweststaates ergebe sich da­mit ein Durchschnitt von 12 790 Beamten und Angestellten auf je eine Million Einwohner.

Aus den zugänglichen Unterlagen der Rech­nungsabschlüsse und der Haushaltspläne er­gebe sich, daß nur der Haushalt von Nord­württemberg regelmäßig Überschüsse auf­weise. Mit der einzigen Ausnahme eines klei­nen Überschusses in Nordbaden im Rechnungs­jahr 1948 hätten dagegen die drei übrigen Ge­biete stets Fehlbeträge zu verzeichnen ge­habt.

Der Steuerzahler kommt zum Schluß, daß den Ländern heute bei der Teilabführung der Einkommensteuer an den Bund als wirksamer Ausweg aus der äußersten finanziellen Not­lage nur die Beschränkung der von ihnen beeinflußbaren Ausgaben bleibe. So werde die Not der Länder zwangsläufig auch dahin füh­ren müssen, daß die trotz des Finanzausglei­ches nicht lebensfähiger Länder mit minder notleidenden Gebieten zu neuen, genügend starken Ländern vereinigt werden.

liehen Genossenschaft der Presse übergeben und den durch einen deutsch-amerikanischen Aus­schuß ausgewählten Zeitungen in Form von niedrig verzinslichen Anleihen zur Verfügung gestellt. Ein Sprecher der Hohen Kommission sagte, es sei keineswegs beabsichtigt, mit den Gelderndie Unterstützung der deutschen Presse zu kaufen.

BONN. Die alliierte Hohe Kommission hat dem deutschenUFA-Gesetzentwurf, nachdem alle ehe­mals reichseigenen Filmgesellschaften und ihre Vermögenswerte innerhalb eines Jahres in pri­vate Hand übergeführt werden sollen, grund­sätzlich zugestimmt. Die Alliierten haben sich lediglich ein Einspruchsrecht hinsichtlich des Wie­dererwerbs durch leitende Persönlichkeiten der früheren deutschen Film-Dach-Organisation Vor­behalten. Im Widerspruch dazu liquidieren die Alliierten zurzeit die Bavaria-Filmgesellschaft nach den Bestimmungen des alliierten Gesetzes Nr. 32.

KOBURG. Nach Informationen, die der west­deutschen Grenzpolizei zugingen, haben am 16. August etwa 10 000 Arbeiter der Wismuth-AG. in Saalfeld (Thüringen) das Rathaus gestürmt und fünf ihrer Kollegen befreit, die von der Volks­polizei verhaftet worden waren. Russische Mili­tärpolizei ergriff gegen die Arbeiter keine Re­pressalien.

SINGAPUR. Auf dem 11 000 t großen Shelltan­kerDromus brach am Montag ein Feuer aus, das zwei schwere Explosionen auf dem Schiff zur Folge hatte. 22 Personen wurden getötet und 30 verletzt.

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IM NECKARTAL

Ein ft öhllcher Roman von Else Jung

18] Copyright by Verlag Bechthold

Und was hat Sie in diese Gegend geführt? fragte sie.

Thilo berichtete, daß er von einer Besichti-

f iing der Neckartaler Kunsthandwerkstätten äme. Leider sei Frau Lorentzen nach Leipzig

f efahren, so daß er sie nicht habe sprechen önnen.

Seine Begleiterin fragte, ob er etwas Be­sonderes von ihr gewollt habe? Sie kenne Frau Lorentzen recht gut und würde ihr gern eine Bestellung ausrichten.

Ich erinnere mich, Herr Falck, daß Sie sich bei unserer ersten Begegnung als Künstler be- geichneten. Sollte es sich vielleicht um ein Stellungsgesuch handeln?

O nein!

Thilo wurde ein wenig rot. Er habe eine sehr gute Stellung bei der Firma Karl Wörth & Co. in Darmstadt, aber und jetzt kam öim der Gedanke, die freundliche Dame nach Imma zu fragen.

Ich suche jemanden, sagte er verlegen, ein junges Mädchen, das Imma heißt."

Über das Runzelgesicht seiner Begleiterin huschte ein Lächeln, das Thilo nicht sah, denn sie hatte den Kopf zur Seite gewendet. So sprach er weiter, und mit innigem Ver­gnügen vernahm Frau Thilde von Losch die gleiche Geschichte, die sie schon aus Immas Mund gehört hatte.

Das war also der Ritter von Stolzeneck!

Ihre Ahnung hatte sich bestätigt, und sie beschloß, dieses unerwartete Zusammentref­fen nach Kräften auszunützen.

Sie könnten mir noch ein Stündchen Ge­sellschaft leisten, Herr Falck. sagte sie, als sie in Neckargemünd vor dem ,Hotel zur Pfalz 1 ausstiegen, dessen Inhaber sie persönlich zu einem geschützten Plätzchen auf der dem Fluß 20 i gelegenen Terrasse geleitete.

Thilo wurde zum Mittagessen eingeladen und merkte gar nicht, wie geschickt seine Gast­geberin es verstand, ihn auszufragen. Er war glücklich, einen Menschen gefunden zu haben, mit dem er von Imma sprechen konnte, und weil er verliebt war, wurden seine Worte im­mer lebhafter und feuriger.

Und was werden Sie jetzt tun, Herr Falck?

Thilo richtete sich straff auf.

Ich werde so lange suchen, bis ich Imma gefunden habe.

Ein vortrefflicher Entschluß!" In den Augen der alten Dame lachte der Neckteufel. Vielleicht lebt sie auf einer verwunschenen Burg und wird von einem alten Drachen be­wacht?

Drachen? Thilo schlug sich schallend auf das Knie.Richtig! Es soll ja noch sol­che Ungeheuer geben. Zum Beispiel auf der Rabeneck, wie mir der Prokurist Schreyer sagte

Waas? nicht möglich!

Frau von Losch war mit einem Male sehr interessiert und fragte, wie Herr Schreyer zu dieser Behauptung gekommen sei.

Thilo gab bereitwillig Auskunft.

Seine romantische Neigung für alte Ritter­burgen habe ihn zur Besichtigung der Raben­eck verlocken wollen, und da habe ihn Schreyer vor dem alten Drachen gewarnt, der dort droben hause.

Und der Ritter von Stolzeneck hat sich durch diese Drohung abschrecken lassen? Wahrhaftig, das hätte ich nicht von ihm er­wartet. Frau von Losch rührte lächelnd in ihrer Kaffeetasse, während Thilo sie mit beredten Worten zu überzeugen versuchte, daß

es nicht Furcht, sondern Rücksichtnahme ge­wesen sei. Man dringe doch nicht ungebeten in fremde Burgen ein, nicht wahr?

Die alte Dame nickte und stand auf.

Ihr Wagen war inzwischen angekommen, und Thilo begleitete seine freundliche Gast­geberin hinaus.

Durch die offene Wagentür reichte sie ihm die Hand.

Leben Sie wohl, Herr Ritter, sagte sie, und die Runen in ihrem Antlitz vertieften sich zu tausend kleinen Knitterfältcher.,hoffent­lich finden Sie Ihre Imma recht bald, und falls Sie wieder an den Neckar kommen, ver­gessen Sie nicht, die Rabeneck zu besuchen. Der alte Drachen, der .dort oben haust, bin nämlich ich!

Sprachlos behielt Thilo den Mund offen. Er sah in diesem Augenblick nicht sehr klug aus, und das tödlich verlegene .Verzeihung 1 , das er endlich stammeln konnte, ging im Brummen des Motors unter, der den Schokoladebraunen entführte.

Siebentes Kapitel

Isa hatte von Thilo einen jammervollen Brief bekommen. Jede Zeile klagte das ver­hängnisvolle Geschick an, das ihn dazuver­dammt hatte, die entschwundene Geliebte zu suchen, zu der ihm der Weg mit tausend Wid­rigkeiten gepflastert sei.

Alles geht mir schief, es ist zum Ver­zweifeln!

Mit diesen pessimistischen Worten schloß der Brief.

Isa hätte den armen Jungen bedauern sol­len, aber das lag ihrem Temperament nicht. Sie fühlte sich eher versucht, ihn auszulachen.

Geschah ihm ganz recht, dem kindischen Träumer!

Kersten war ja auch ein sonderbarer Hei­liger, an dem sie noch sehr viel zu modeln haben würde, aber seit sie sich verlobt hatten, stand er sehr fest auf beiden Füßen. Er hatte

die Gespenstervilla in Halensee verkauft und baute sich jetzt ein neues Haus im Grunewald, in dem greulich-grinsende Urwaldgötter kei­nen Platz mehr hatten. Sobald es fertig sein würde, wollten sie heiraten.

Ihrem Beruf würde Isa treu bleiben, und ihre Tiere würde sie auch mitnehmen. Das Atelier, das Kersten für sie im Garten er­richten ließ, war groß genug, um ihre ganze Menagerie aufzunehmen, und die Gehege im Garten boten viele Möglichkeiten, sie noch zu vergrößern.

Kersten war großzügig. Er konnte es sein, weil er gut verdiente und Isa liebte.

Alles in allem: Es würde sich vortrefflich mit ihm leben lassen, und Isa brauchte sich um seine weitere Entwicklung keine Sorge zu machen.

Anders Thilo!

Der Junge machte ihr sehr viel Sorgen.

Thilo saß immer noch nicht auf dem rich­tigen Platz, denn was konnte er bei Wörth & Co. schon Besonderes leisten?

Daß er das Tapetenzeichnen aufgegeben hat­te, war ein Glück für ihn gewesen, aber wa­ren seine Berufsaussichten in Darmstadt bes­sere geworden?

Isa zweifelte daran.

Thilo müßte in einen Betrieb hinein, in dem seine vielseitige, künstlerische Begabung ein größeres Wirkungsfeld fände, aber im Au­genblick schien er ja nichts anderes im Sinn zu haben als Imma.

Isa wußte von Imma etwas mehr als der Bruder. Sie wußte zum Beispiel, daß sie in einer großen Handweberei angestellt war, daß sie sich mit ihrer Mutter überworfen hatte und von Hause fortgelaufen war. Sie wußte auch, daß Imma eine gütige alte Großmama besaß und in Thilo Falck verliebt, sogar sehr verliebt war.

Ich liebe ihn so, daß ich ihn heiraten könn­te, aber ob Thilo ebenso denkt, weiß ich nicht, hatte sie Isa in einem letzten Gespräch io Bingen gestanden. (Fortsetzung folgt)