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MONTAG, 2 0. AUGUST 1951

Nach der Rückkehr des Kanzlers

Voraussichtlich schon diese Woche Verhandlungen auf dem Petersberg

BONN. Bundeskanzler Dr. Adenauer, der aus dem Urlaub zurückgekehrt ist, will heute seine Amtsgeschäfte in Bonn mit zahl­reichen Besprechungen wieder aufnehmen. Vor der Sitzung des Bundeskabinetts am Dienstag will Vizekanzler Blücher über die Regierungsgeschäfte aus der Zeit der Ab­wesenheit des Bundeskanzlers berichten.

Zahlreiche innen- und außenpolitische Pro­bleme dürften während der ersten Vorver­handlungen mit Kabinettsmitgliedern, Vertre­tern der Koalitionsparteien und den nächsten Beratern des Bundeskanzlers zur Sprache kommen. Zur Klärung schwebender deutsch­alliierter Probleme wird der Bundeskanzler voraussichtlich schon in der nächsten Woche mit den Alliierten Hohen Kommissaren auf dem Petersberg über alle aufgeworfenen Fra­gen beraten. In Bonn nimmt man an, daß die Hohen Kommissare unter Umständen eine Reihe deutscher Wünsche an ihre Regierun­gen weitertragen. Der Fortgang der Pariser Gespräche über die Auflösung der Ruhrbe­hörde wird in Bonn positiv beurteilt, sowohl von amerikanischer als auch von britischer Seite wurde in Unterredungen mit Vertretern des Auswärtigen Amtes grundsätzlich einer Auflösung der Ruhrbehörde zugestimmt, die verschwinden soll, sobald die im Schumanplan vorgesehene Hohe Behörde in Funktion tritt.

Zur Rüdekehr des Bundeskanzlers nach Bonn schreibt der Pressedienst der CDU/CSU, diewährend seines Urlaubs beliebte Drama­tisierung der politischen Tagesprobleme werde

nunmehrauf das richtige Maß zurückgeführt werden. Weder im Falle der Exportkohlen- quote noch in der Frage der Besatzungskosten seien endgültige Entscheidungen getroffen.

In der Auslandspresse wird indessen von einerBonner Krise oder doch wenigstens von einerlatenten Krise gesprochen. Die Schweizer Blätter vertreten überwiegend die Auffassung, es werde derpolitischen Ge­schicklichkeit und Festigkeit des Bundeskanz­

lers gelingen, die sich abzeichnenden außen- und innenpolitischen Schwierigkeiten der Bun­desrepublik zu meistern.Le Monde schreibt: Dr. Adenauer wird Mühe haben, die Koali­tion wieder herzustellen, die ihn unterstützte, und deren drittes Mitglied, die Deutsche Par­tei, mit der FDP gemeinsame Sache macht. Das LinksblattCombat meint:Bonn will jetzt bei den Alliierten einen großen Feld­zug des Mitleids starten. ... Die deutschen Argumente enthalten insgesamt zweifelsohne einen guten Teil Wahrheit, aber man vermag nur widerstrebend dieser Darlegung der Pro­bleme zu folgen. Sie ist allzu eigennützig, um ehrlich gemeint zu sein.

Patriotismus statt Nationalismus

Prominente Redner vor 10 000 Jugendlichen

20000Zivilsoldaten

Bei den Manövern der Alliierten

HAMBURG. Mitte September werden 20 000 uniformierte deutscheZivilsoldaten zusam­men mit Truppenkontingenten der Besatzungs­mächte und anderer europäischer Länder zu den größten auf deutschem Boden abgehalte­nen Nachkriegsmanövem ins Feld ziehen. Diese deutschenZivilsoldaten sind Ange­hörige der bei der englischen Besatzungsmacht beschäftigten deutschen Dienstgruppen (Ger­man Labour Units), die nach Mitteilung bri­tischer Stabsoffiziere zum ersten Male eine entscheidende operative Rolle in den kom­menden Manövern übernehmen werden. Die Manöver finden vom 14. bis 24. September in der norddeutschen Ebene zwischen Hamburg, Bremen, Hannover und Bad Oeynhausen statt. Zwar werden diese deutschen Diensteinheiten nicht direkt an den eigentlichen Manöver­kämpfen teilnehmen, aber für den gesamten Nachschub der britischen Streitkräfte verant­wortlich sein.

-Freikorps Deutschland

In Opposition zur Bundesregierung

HAMBURG. Eine kleine Gruppe ehemaliger Frontsoldaten hat in Hamburg einFreikorps Deutschland gegründet, demFreischaren in Berlin und neun westdeutschen Län­dern angehören. DerFührer des Frei­korps, Karl Heinz Neumann, ist 29 Jahre alt. Auf einer Pressekonferenz gab er bekannt, daß jede der Freischaren 113 Mitglieder hat und von einemFähnrich geführt wird. Die Freischaren haben Namen wieDönitz,Mar­schall Petain,Werl,Landsberg,'Schla- geter undDas Reich. Neumann lehnte es ab, die Namen derFähnriche oder anderer Mitglieder in den einzelnen Ländern bekannt­zugeben, da er das Eingreifen der Bundes­regierung befürchtet. Nach Neumanns Worten will das Freikorps in Opposition zur Bundes­regierung und den bereits bestehenden Solda­tenbünden die deutschen Frontsoldaten sam­meln.

ST. GOARSHAUSEN. Rund 10 000 Jugend­liche aus 14 europäischen Ländern bekannten sich gestern auf der Lorelei zur europäischen Einheit. Auf der großen Hauptkundgebung des internationalen Jugendlagers richteten prominente Redner des In- und Auslandes einen Appell an die Jugend, sich für die Ein­heit und Freiheit Europas einzusetzen.

Der französische Hohe Kommissar, Fran- gois-Poncet, stellte fest, daß es der euro­päischen Jugend Vorbehalten sei, das Antlitz der Erde zu verändern. Der jungen Genera­tion möge es gelingen, Europa das Bewußt­sein seiner selbst zu geben und ihm Verständ­nis dafür beizubringen, daß es sich einer Reihe von überholten Begriffen und Gefühlen entle­digen müsse, um in der Welt auch weiterhin eine säkulare Rolle spielen zu können.

Frangois-Poncet warnte vor natio­nalen Leidenschaften, die leicht zu Katastro­phen führen.Europa verlangt nicht von uns, daß auf Patriotismus verzichtet wird, es for­dert aber den Verzicht auf Nationalismus. Nicht zuletzt bleibe die Aufgabe, die euro­päische Verteidigung zu organisieren. Das freie Europa, das heute nur die Hälfte des Kontinents umfasse, müsse das Schauspiel

einer kraftvollen, schöpferischen Energie bie­ten, damit sich eines Tages wieder die andere Hälfte anschließe. Die englischen Freunde, sagte Frangois-Poncet, müßten ihren insularen Geist überwinden, der gewisser­maßen ein Bestandteil ihrer inneren seelischen Substanz sei.

Vizekanzler Blücher, der in Vertretung von Bundeskanzler Dr. Adenauer zu den Jugendlichen gekommen war, wies darauf hin, daß viele die Europa-Idee tragen müßten. Europa kann nur werden, wenn die Völker mit ihrer Gesamtheit, in allen Altersstufen, wirtschaftlichen und sozialen Schichten zu Trä­gern der europäischen Einheit gemacht wer­den.

Lang anhaltender Beifall stimmte dem Fran­zosen Alexandre Marc von der Föderalisti­schen Universität Paris zu, als er im Namen der europäischen Jugend von den Politikern Taten verlangte.Europa fehlen verantwor­tungsbewußte Politiker, rief er aus,die den Mut haben, zu sagen: Jetzt ist es genug! Die Völker drängten nach Einheit in dem Be­kenntnis:Wir wollen sein ein einzig Volk von Brüdern, in keiner Not uns trennen und Gefahr.

Kleine Weltchronik

MÜNCHEN. Zehntausende von Münchnern er­lebten am Samstagnachmittag das Richtfest des Alten Peter, der bekanntesten und vielbesun­genen Kirche der bayerischen Landeshauptstadt. Nach den Reden der prominenten Gäste sam­melte sich alles um das 4800 Liter fassende Faß. um am Strom des von der Hacker-Braue­rei extra dafür gebrauten Patronatsbieres teilzu­haben.

KINGSTON (Jamaika). Der in der Nacht zum Samstag über der Insel Jamaika hereingebro­chene Orkan hat schwerste Verwüstungen ange­richtet. Nach bis jetzt vorliegenden Meldungen sollen 60 bis 70 Menschen ums Leben gekommen sein. Tausende von Einwohnern wurden obdach­los. Die Stadt Port Royal wurde von dem Sturm, der zeitweise eine Geschwindigkeit von 160 km/std erreichte, fast völlig dem Erdboden gleichge­macht. Im Hafen von Kingston sind mehrere Schiffe gesunken.

ITHAKA (New York). Aus 64 Ländern der freien Welt waren nach Ithaka mehrere hundert Jugendliche zu einer Weltjugendkonferenz zu­sammengekommen, um über das Recht auf volle Entfaltung der Persönlichkeit und Entwicklung aller Fähigkeiten zu debattieren. In der Schluß­resolution wendet sich die Weltjugendkonferenz gegen alle Diskriminierung rassischer, religiöser und jeder anderen Art.

FRANKFURT. Ein amerikanisches Kriegsge­richt verurteilte den amerikanischen Korporal Joel L. Davis zu 50 Jahren Zuchthaus. Der far­bige Amerikaner hatte im Juni in Darmstadt einen deutschen Taxifahrer nach einer heftigen Auseinandersetzung durch zwei Schüsse tödlich verletzt.

FRANKFURT. Nach Abschluß der ersten Ma- schinen-Stenografiekurse in Deutschland wurde hier am Wochenende die englische Stenografie­maschine System Palantype vorgeführt. Mit dieser Maschine sollen Geschwindigkeiten bis zu 400 Silben pro Minute erreicht werden können.

HEIDELBERG. Das amerikanische Hauptquar­tier gab bekannt, daß über 1500 Schadensersatz­

ansprüche deutscher oder ausländischer Einwoh­ner der Bundesrepublik gegen die Vereinigten Staaten neu festgesetzt werden sollen. Es han­delt sich vor allem um die nach dem Währungs­stichtag im Verhältnis 10:1 abgewerteten Forde­rungen.

BERLIN. Am ersten Sitzungstag der Delegier­tenkonferenz des Verbandes deutscher Studen­tenschaften in Berlin wurden am Samstag den freiheitlichen Studenten und Professoren der Sowjetzone 10 900 DM überreicht, um Fachbücher, Medikamente und Lebensmittel anschaffen zu können. Die Spende ist eine Solidaritätsaktion der westdeutschen Studentenschaft für ihre Ka­meraden im Osten.

BERLIN. Auf einer Pressekonferenz der Viet- minh-Delegation bei den kommunistischen Welt­jugendfestspielen teilte ein früherer französi­scher Fremdenlegionär mit, daß auf seiten der kommunistischen Vietminh-Armee auch Deutsche kämpften. Sie seien die stärkste Gruppe der aus­ländischen Vietminh-Soldaten.

BERLIN. Der amerikanische Hohe Kommissar John McCloy hat am Freitag Bürgermeister Wal­ter Schreiber einen Scheck in Höhe von fünf Millionen DM überreicht. Das Geld stammt aus dem Sonderfonds des amerikanischen Hohen Kommissars und soll zum Bau einer großen Bi­bliothek verwendet werden.

WIEN. Die Lebenshaltungskosten der öster­reichischen Bevölkerung haben sich im Zusam­menhang mit dem fünften Lohn- und Preisab­kommen erneut um 9,4 Prozent erhöht. Die Bau­konjunktur in Österreich sei spekulativ über­steigert, wie der Bericht des Instituts für Wirt­schaftsforschung hervorhebt.

PARIS. Die französische Justizverwaltung be­arbeitet zurzeit einen Plan, durch den eine enge Verbindung zwischen dem verurteilenden Ge­richt und dem Strafgefangenen hergestellt wird. Die Richter sollen die Strafanstalten des Landes und ihre Insassen in regelmäßigen Abständen besuchen und über eventuelle Strafherabsetzun­gen befinden.

EITERES J>PIEL

IM NECKARTAL

Ein ft öhlicher Roman von Eise Jung 17] Copyright by Verlag Bechthold

Wir sind auf dem besten Wege, uns zu einem musterhaften Betrieb zu entwickeln, sagte Schreyer, der es offensichtlich vermied, seinen Begleiter anzusehen.

Thilo glaubte ihm aufs Wort, denn was er sah, überstieg seine Erwartungen bei weitem. Hier war in aller Stille ein kunsthandwerkli­ches Können herangereift, das in allen seinen Zweigen auf einer bemerkenswerten Höhe stand, und Thilo äußerte Staunen und Be­wunderung darüber, wie es möglich gewesen sei, daß eine verhältnismäßig noch junge Frau ein solches Werk habe schaffen können.

Schreyer lächelte.

Frau Lorentzen ist eben ungewöhnlich be­gabt und geschäftstüchtig. Sie hat den Betrieb nach dem frühen Tode ihres Mannes in fünf­zehnjähriger Arbeit aus kleinen Anfängen aufgebaut upd zu einem Unternehmen ent­wickelt, das sich im In- und Auslande des besten Rufes erfreut, sagte er und fügte hin­zu, daß die Firma seit zwei Jahren regelmäßig Aufträge aus allen Teilen der Welt erhalte.

Diese Worte begleitete Schreyer mit einer Geste, die Thilo wiederum bekannt vorkam.

Es geht mir ganz sonderbar, Herr Schreyer. sagte er,sollten wir uns nicht schon einmal begegnet sein?

Es flei ihm auf, daß das Gesicht des Pro­kuristen bei dieser Frage nervös zu zucken begann.

Nicht, daß ich wüßte ich kann mich nl-iit erinnern, antwortete Schreyer hastig. Sie müssen sich irren Herr Hev"

Faids Thilo Faids. Vielleicht hilft mein immerhin nicht alltäglicher Vorname Ihrem Gedächtnis ein wenig auf die Sprünge?

Schreyer gab sich den Anschein ange­strengten Nachsinnens. Dann schüttelte er den Kopf.

Ich versichere, daß mir Ihr Name vollkom­men fremd ist, Herr Falck.

Nun, da war nichts zu machen.

Thilo sagte, daß er es bedauere, sich ge­täuscht zu haben. Er hätte eine Bekanntschaft, die allerdings schon sehr lange zurüdsliegen müsse, gern bei einem Glase Wein wieder auf­gefrischt.

Ehe er sich verabschiedete, fiel ihm zur rechten Zeit ein, daß der wahre Grund seines Besuches ja noch ein anderer gewesen sei.

Haben Sie zufällig einmal den Namen ,Imma gehört, Herr Schreyer? fragte er und sah ihn aufmerksam an.

Wieder zuckten die schmalen Nasenflügel des Mannes, der auch diese Frage verneinte.

Aber Thilo ließ nicht nach. Er wollte wis­sen, ob Frau Lorenzen eine Freundin habe, die Imma heiße.

Schreyer sah auf seine Uhr.

Ich weiß es wirklich nicht, da ich mich um persönliche Angelegenheiten der Besitzerin nicht kümmere, sagte er ungeduldig, und Thilo merkte, daß jener die Unterredung zu beenden wünsche. Er bedankte sich noch ein­mal für das Gesehene, bat darum, Frau Lo­rentzen eine Empfehlung auszurichten, und ging zu seinem Wagen

Da sah er den zinnengeschmückten Turm der Rabeneck über den Baumwimpfeln der waldigen Höhe aufragen, wandte sich noch einmal um und fragte Schreyer, ob eine Be­sichtigung der Burg lohnend sei.

Der Prokurist, der schon im Begriff ge­wesen war, zum Hause zurückzugehen, blieb stehen.

Lassen Sie es lieber bleiben, rief er ihm zu,die Rabeneck wird von einem alten Dra­

chen bewohnt, der es übel vermerken würde, wenn Sie in seinen geheiligten Frieden ein­brächen. und damit der unternehmungs­lustige junge Mann nicht etwa glaube, er habe einen Scherz machen wollen, fügte er hinzu, daß die Burg Privatbesitz und für Fremde nicht zugänglich sei.

An diesem Vormittag rauchte Schreyer un­gezählte Zigaretten, und die Arbeit ging ihm nicht von der Hand.

Sein guter Stern hatte es wieder einmal fertiggebracht, ihn vor einer unliebsamen Überraschung zu bewahren. Er hatte Angelika Lorentzen und ihre Tochter Imma auf die Reise nach Leipzig geschickt und eine Begegnung der beiden Frauen mit Thilo Falck verhindert.

Thilo Falck!

Verdammt! Er hatte den ehemaligen Schul­kameraden sofort wiedererkannt, und er war sich nicht ganz sicher, wie weit jener seinen Worten, ihm nie begegnet zu sein, Glauben geschenkt haben mochte.

Was hatte er von Angelika gewollt?

Und warum hatte er nach Imma gefragt?

Daß er sie für eine Freundin Angelikas hielt, war rätselhaft und zugleich beruhigend. Es ließ den Schluß zu, daß Thilo Falck sich wohl auf einer Spur, aber nicht auf der rich­tigen befand. Quälend war nur der Gedanke, daß er eines Tages wiederkommen und sich unterdessen eines Namens erinnert haben könnte, den Richard Schreyer früher einmal getragen hatte, und an den zu denken ihm Unbehagen verursachte.

Der Mann am Schreibtisch fand keine Ruhe. Er stand auf und ging rastlos hin und her.

Es wurde Zeit, daß er mit Angelika ins reine kam. Er begriff nicht, warum sie noch immer zögerte, ihm ihr Jawort zu geben, und dunkel ahnte er, daß Imma daran die Schuld trage,

Einen Kilometer vor Neckargemünd stoppte der Silbergraue, weil eine alte, hochgewach­

Lauer Abschluß in Berlin

Weltjugendfestspiele zu Ende

BERLIN. Zur Abschlußkundgebung der kommunistischen Weltjugendfestspiele in Ber­lin sind gestern abend noch einmal einige 10 000 FDJ-Angehörige auf dem roten Auf­marschplatz in Ostberlin zusammengetrom­melt worden. Die Jungen und Mädchen muß­ten den Schwur des Präsidenten der Weltju­gendfestspiele, Enrico Berlinger, daß die Jugend ihren Kampf für den Frieden fortset­zen werde* mit den Worten bekräftigen,Wir schwören es.

Die Jungen und Mädchen aus der Ostzone, deren Abstecher nach Westberlin bekanntge­worden waren, sind eingehend vernommen und zum großen Teil am Sonntagmittag überstürzt abtransportiert worden. Ein um­fangreiches Spitzelsystem war in den letzten Tagen eingerichtet worden, nachdem strikte Verbote, abschreckende Propaganda und dra­stische Verkehrseinschränkungen den Strom in die Westsektoren nicht hatten eindämmen können. Die Besucherzahl wird auf über eine Million geschätzt, allein 850 000 FDJler sind in den Heimen der Westberliner Jugendorga­nisationen betreut und verpflegt worden.

FDJler, die mit der letzten Welle am Frei­tag und Samstag nach Ostberlin kamen, er­zählten übereinstimmend, daß sich die Ge­rüchte über ihre Betreuung und Erlebnisse ln Westberlin wie ein Lauffeuer ln der Sowjet­zone verbreitet hätten.

Zu Zwischenfällen ist es seit Mittwoch ver­gangener Woche nicht mehr gekommen. Dar Bundesminister für gesamtdeutsche Fragen, Jakob Kaiser, der Vorsitzende der SPD, Dr. Kurt Schumacher, und auch der amerikanische Hohe Kommissar, John Mc­Cloy, die diese Tage benutzten, um mit Jun­gen und Mädchen aus der Ostzone in ein Ge­spräch zu kommen, brachten ln Reden über­einstimmend zum Ausdruck, daß die Weltju­gendfestspiele mit ihren hunderttausenden FDJ-Besuchem in Westberlin ein Erfolg der freien Welt gewesen seien.

Deutschland lebt bescheiden

BONN. Das Bundesfinanzministerium weist in einer gestern veröffentlichten Übersicht nach, daß der Lebensstandard in Deutschland im Ver­gleich zu anderen westlichen Ländern, wie Groß­britannien und den USA, recht bescheiden ist. Das Ministerium begegnet damit den alliierten Argumenten, daß die Bundesrepublik sich eine« übermäßig hohen Lebensstandards erfreue und bei gewissen Einschränkungen viel mehr Besat­zungskosten zahlen könne als bisher.

Nach einem Vergleich des Volkseinkommens ln der Bundesrepublik, in Großbritannien und den USA, über welches Thema wir in letzter Zeit wiederholt Artikel und Schaubilder veröffent­lichten, erklärt das Bundesfinanzministerium, der bescheidene Lebensstandard lasse sich schon durch einen Blick in die zerbombten Städte, in Notunterkünfte der Vertriebenen und die Ar­beiterviertel belegen. Er gehe ebenso eindeutig aus den Zahlen über den durchschnittlichen Jah­resverbrauch an Lebensmitteln hervor. Während im Gebiet der Bundesrepublik vor dem Krieg durchschnittlich 51 kg Fleisch je Kopf der Bevöl­kerung und Jahr verbraucht wurden, seien es heute nur 36,5 kg, in Großbritannien dagegen 58 und in den USA 79,5 kg. Bei Zucker beträgt der Jahresverbrauch in der Bundesrepublik 27, in Großbritannien 37 und in den USA 44 kg; der Tabakkonsum ist in der Bundesrepublik von 1,8 kg vor dem Krieg auf 1,4 kg zurückgegangen, ge­genüber 1,8 kg und 4,3 kg gegenwärtigen Ver­brauchs in den beiden angelsächsischen Ländern. Bei Bier lauten die Vergleichszahlen: Bundesre­publik 35 Liter (vor dem Krieg 59); Großbritan­nien 107 und USA 70 Liter. Kaffee: 0,55 kg (vor dem Krieg 1,9 kg), Großbritannien 0,8 und USA 8,3 kg. Diese Zahlen widerlegen nach der Fest­stellung des Finanzministeriums alle alliierten Behauptungen von übertriebenem Luxus.

Rückgang der Arbeitslosigkeit

BONN. Die Zahl der Arbeitslosen in der Bun­desrepublik ist in der ersten Augusthälfte um 15 658 auf 1 276 400 zurückgegangen. Nachdem in Württemberg-Hohenzollern die Arbeitslosig­keit im Juli erstmalig seit dem Frühjahr zuge­nommen hatte, ergab sich bis zum 15. August wieder ein Rückgang von 7023 auf 6883 Arbeits­losen.

sene Dame in Schwarz mitten auf der Fahr­straße stand und mit einem altmodischen Spitzensonnenschirm winkte.

Bei ihrem Anblick gab es Thilo einen Ruck.

Alle Wetter! Dieses runzelreiche Antlitz kannte er doch! Und die tiefe Männerstim­me, die ihn bat eine müde Spaziergängerin bis Neckargemünd mitzunehmen, war ihm auch vertraut.

Plötzlich erinnerte er sich jeder Einzelheit, und in Sekundenschnelle eilen die Bilder an ihm vorbei: Er sah sich selbst regennaß vor dem herabgelassenen Fenster eines schokolade­braunen Autos stehen und mit einer alten Dame sprechen, die Adele Sandrock zum Ver­wechseln ähnlich gewesen war.

Was hatte sie ihm doch beim Abschied zu- gerufen?

Thilo lachte, sprang aus dem Wagen und verbeugte sich tief.

Gnädige Frau, sagte er, und seine Au­gen funkelten,ich freue mich aufrichtig, daß ich dieses Mal das Glück habe, Ihnen ,ange- zogen gegenüberzutreten, Gestatten Sie. daß ich mich vorstelle: Falck ist mein Name.

Die müde Spaziergängerin sah mit einem Male wieder ganz frisch aus. Sie ließ ein tie­fes, rollendes Lachen hören und reichte Thilo die Hand.

Weiß Gott, die Welt ist ein Dorf! sagte sie heiter.Jetzt kann ich es Ihnen ja gestehen, daß ich Sie damals für ein bißchen überge­schnappt gehalten habe.

Ihre hellen, durchdringenden Augen muster­ten ihn eingehend, und belustigt lächelnd sagte sie:Angezogen machen Sie einen ganz guten Eindruck, Herr Falck.

Thilo verbeugte sich dankbar und half ihr sorglich in den Wagen.

Während der Fahrt erzählte sie ihm, daß sie ihre Kräfte überschätzt habe und nun von Neckargemünd aus daheim anrufen und ihre» Chauffeur mit dem Wagen nachkommen lassen wolle. (Fortsetzung fniet)