MONTAG, 6. AUGUST 1951

NUMMER 121

Schlechter als die Japaner behandelt

Freund oder Feind? meinen die Italiener / Anspielungen auf Deutschland Von unserem Mailänder Korrespondenten Carlo G. Mundt

ROM. Während Japan vor einem günstigen Friedensvertrag steht und die Deutsche Bun­desrepublik ein solches Abkommen noch nicht am politischen Horizont erkennen kann, lau­fen die Italiener Sturm gegen dasDiktat von Luxemburg. Entweder sind wir Freunde und Alliierte im Atlantikpakt oder aber wir be­trachten uns als Ex-Feinde und pfeifen auf den Westen, sagt man sich in Rom etwas stark rhetorisch. Die öffentliche Meinung ist immer aufgebrachter gegen denhumoristischen Ver­trag von 1948, wie ihn eine große Zeitschrift genannt hat. Das Maß ist aber jetzt überge­laufen, nachdem der italienische Leser die Be­dingungen vernommen hat, unter denen in Tokio die Unterschrift unter dem Friedens­vertrag mit Japan gesetzt werden müssen.

Die Japaner haben bis zuletzt gegen die Alliierten gekämpft, zwei Jahre länger als die Italiener. In der Präambel zum Vertrag ist davon keine Rede, man spricht nicht von Aggression, Achsenpolitik, Niederlage. Es ist schlechthin nur aufgeführt, daßein gemein­samer Wille, die friedlichen Beziehungen auf­zunehmen, besteht. Da Italien 1944 (wenn auch nur theoretisch) Japan den Krieg erklär­te, zu der Friedenskonferenz in San Franzisko nicht eingeladen ist und außerdem unter dem Druck desDiktates steht, schlagen die Wel­len hoch.

Die Japaner dürfen aufrüsten, wie sie wol­len, um sich zu verteidigen, sie können außer­dem militärische Sicherheitspakte abschließen. Die Italiener dagegen haben militärische Be­schränkungen, die man angesichts der west­lichen Politik nicht nur als humoristisch, son­dern schon als gefährlich-lächerlich bezeichnen kann. Alle Streitkräfte dieses 47 Millionen- Volkes dürfen nicht 250 000 Mann überschrei­ten, Jagdflugzeuge dürfen bis zu 200 bereit­gestellt werden, und Bombenflugzeuge gibt es einfach nicht. In der letzten Zeit haben leichte Italienische Seestreitkräfte Übungen mit eng­lischen, amerikanischen und französischen Schiffen abgehalten. Die Italiener zeigten be­sonderen Eifer im Auffinden von U-Booten. Minen und Unterwasserstreitkräfte wurden von den Alliierten ausgeborgt, da für Italien diese Dinge tabu sind.

Als die italienischen Vertreter bei den Kon­ferenzen zur Schaffung eines europäischen Heeres teilnahmen, waren sie sich bewußt, daß sie damit so etwas wie eine ArtKriegsver­brecher nach dem Luxemburger Vertrag wur­den. Denn der Artikel 68 sagt klar, daß Italien alles tun werde, um mit den Alliierten die Aufrüstung Deutschlands und Japans zu ver­hindern. Falls im Rahmen der Atlantikpolitik einst die westdeutsche Industrie Kriegsmate­rial hersteilen sollte, dürfte es nicht nach Ita­lien geliefert werden. Denn dort hat man laut

Wett-jamboree der Pfadfinder

BAD ISCHL. Das am Freitagabend eröffnete Weltpfadfindertreffen im Salzkammergut, an dem rund 15 000Boyscouts aus 47 Nationen teilnehmen, nahm gestern mit dem Bekennt­nis zu Weltfrieden und Glaubensfreiheit sei­nen Fortgang. Kardinal Innitzer, Wien, rief den Jungen zu:Wenn alle Regierungen und alle Völker sich so einig wären wie Ihr, wie glücklich würde dann die Welt sein.

Den etwa 600 deutschen Teilnehmern am 7. Welt-jamboree der Pfadfinder in Bad Ischl wurde ein herzlicher Empfang bereitet. Alfred Lenz, Düsseldorf, wies darauf hin, daß im Osten die Pfadflnderbünde wohl verboten, aber nicht tot seien.

In dem weltbekannten Kurort herrscht für zehn Tage eine fast babylonische Sprachver­wirrung, aber durch das gemeinsame Lager­leben und Wanderungen in die Bergwelt de­monstrieren die Pfadfinder eine überzeugende Solidarität der Jugend.

Artikel 52 die Aufgaoe, es an die Ex-Feinde auszuliefern. Sogar ein militärisches deutsches Patent kann heute nicht für die italienische Verteidigung ausgenutzt werden.

In Rom kann man sich nicht ganz des Ein­drucks erwehren, als ob man in bezug auf den italienischen Friedensvertrag den russi­schen Bären von Washington, London und Paris aus nicht ärgern will, obwohl man ihn wegen des Abkommens mit Japan aus dem Häuschen bringen wird.Man behandelt uns schlechter als die Japaner, meinen die Italie­ner nicht zu Unrecht, die erst vor kurzem einen Kreuzer an Griechenland it conto Repa­rationen ablieferten. Aber in Wirklichkeit empfindet man, daß heute Italien in der alli­ierten Wertschätzung nach Deutschland, Japan, Jugoslawien und Spanien kommt und daß je­der Protest im Westen nur eine relative Wir­

kung hat. Und der Westen weiß zu gut, daß die römische Regierung nicht nach Osten ab- schwenken kann.

Die Kolonien und Teile seiner Erde hat Ita­lien für die nächste Zeit verloren, aber es er­hofft, durch eine Aufsage des Vertrages Triest zurückzuerlangen, endlich in die Vereinten Nationen aufgenommen zu werden, die er­niedrigende Einleitung des Friedensvertrages und vor allen Dingen die militärischen Ein­schränkungen zu beseitigen, die nach der Auf­rüstung von Ungarn, Bulgarien und Rumänien absolut überholt sind. Als mögliche Folge führt derEuropeo auch eine Aufrollung der Frage desVerzichtes auf die italienischen Kredite in Deutschland an ... Es ist aber anzunehmen, daß bei der Kündigung diesesDiktates (ob von alliierter oder italienischer Seite) nur mo­ralische Erleichterungen einträten, die mate­riellen will Italien keiner zugestehen. Immer mit einem Seitenblick auf Rußland. Daß die italienischen Nationalisten den Regierungen de Gasperis die Schuld am Stand der Dinge zuschieben wollen, beweist, wie stark falsch­verstandener Patriotismus erblinden läßt.

40 qm Wald pro Einwohner

Die Westberliner haben zu wenig Auslauf Von unserem Berliner Dr. F. E. O.-Korrespondenten

BERLIN.Wenn Ihnen Ihr Auto lieb ist, fahren Sie besser nicht weiter, Sie könnten es sonst los werden, sagt wohmeinend ein Poli­zist jeden Sonntag zu den Westberliner Auto- ausflüglern, die im Havelgebiet zwischen Wannsee und Potsdam auf einer durch keinen Schlagbaum gesperrten Straße fahren. Ein Stückchen weiter ist nämlich nicht mehr West­sektor, sondern Ostzone und dort veranstalten dieVolkspolizisten mit Vorliebe sonntags überraschend kleine Razzien auf Westberliner; wenn sie dann nur dasverbotene Westgeld konfiszieren, hat man Glück gehabt. Sie stellen auch Autoszur Überprüfung sicher und kürzlich fielen ihnen an einem Sonntag etwa fünfzig Westberliner Sportboote in die Hände, deren Besitzer aus Fahrlässigkeit oder in Un­kenntnis des genauen Verlaufs der Zonen­grenze am sowjetischen Ufer zwischen Wann­see und Potsdam gelagert hatten.

Die Westberliner kommen gar zu leicht in die Versuchung, absichtlich oder unabsichtlich die Grenzen Westberlins auf ihren Sonntags­ausflügen zu überschreiten, denn ihre Bewe­gungsfreiheit ist gegen früher doch recht arg beschnitten. 40 qm Wald kommen nach einer amtlichen Statistik auf jeden Westberliner, aber das ist auch nur Theorie, die Hälfte da­von ist nämlich Kahlschlag und es sieht in diesem sogenannten Wald in Wirklichkeit so aus, daß die Erholungsuchenden stundenlang an den Stacheldrahtzäunen der neu angelegten Schonungen entlang gehen können.

Der bekannte Grunewald ist das größte und schönste Ausflugsgebiet innerhalb der West­sektoren. Vor langen Jahren, als dort wegen der noch vorhandenen Wildbestände die Hunde an der Leine geführt werden mußten, wollten die Hundebesitzer ihn gern zum freien Aus­laufgebiet für ihre Hunde haben; heute sind sie selbstarme Hunde, die fast nur noch über diesesAuslaufgebiet verfügen. Denn schon die daran angrenzenden, früher so be­liebten Ausflugsgebiete von Babelsberg, Pots­dam mit Sanssouci und Werder mit seinen berühmten Obstgärten gehören zur Sowjet­zone und werden wegen der damit oft verbun­denen Unannehmlichkeiten von den Westber­linern nur noch ungern aufgesucht, wenn es auch heute nicht mehr so streng ist, wie noch vor wenigen Jahren, als jedes in Werder ge­kaufte Pfund Kirschen unterwegs bei der Kon­trolle der Beschlagnahme durch dieVolks­polizei verfiel.

Im Osten von Berlin gehören die früher so beliebten anmutig gelegenen Ausflugsziele an der Oberspree im Gebiet der Müggelberge zum Sowjetsektor. Unannehmlichkeiten wie beim

Betreten der Sowjetzone sind da im allgemei­nen nicht zu befürchten, aber es hat auch kei­nen Reiz, in die östliche Dürftigkeit zu fahren. Man bekommt dort in den Gartenlokalen noch nicht einmal Bohnenkaffee, sondern nurMuk- kefuck, und Kuchen nur gegen Abgabe von Zucker- und Fettmarken, die die Westberliner ohnehin nicht besitzen. Daß für ein Mittag­essen ebenfalls Marken und zwar Fett- und Fleischmarken abgegeben werden müssen, versteht sich von selbst. Es ist also wirklich wenig verlockend für die Westberliner, öst­liche Ausflugsziele aufzusuchen, zumal sie überall derSichtwerbung ausgesetzt sind und an allen möglichen und unmöglichen Stel­len politische Parolen für denFriedens­kampf und dieWeltfestspiele sowie gegen

Erdgasbrand tobt weiter

WOLFSKEHLEN (Kreis Darmstadt). Der am Freitag entstandene Erdgasbrand im Ried­bruch bei Wohlfskehlen hält immer noch an. Alle Löschversuche verliefen erfolglos, da die glühenden Reste des Bohrturmes, die das aus­strömende Gas immer wieder entzünden, zu­erst beseitigt werden müssen. Morgen wird nun versucht, durch Anstauen der Gräben und Bäche der umliegenden Riedentwässerung die Umgebung des Bohrloches so weit abzuküh­len, daß man an die glühenden Überreste des Bohrturmes herankommen kann.

Die ursprünglich 70 m hohe Stichflamme ist etwa bis zur Hälfte zusammengefallen. Fach­leute nehmen an, daß der Bohrkopf sich trich­terartig erweitere, so daß der Preßdruck ent­sprechend naehlasse. Vielleicht komme der Brand auch von selbst zum Erlöschen, da die jetzt weiße Rauchhaube, die von verbrannten Erdpartikelchen herrührt, hoffen läßt, daß die in 900 m Tiefe sich befindende Sonde durch zusammenstürzende Erdmassen verstopft wird. Die täglich ausströmende Gasmenge wird auf 360 000 cbm geschätzt, was einem Drittel des täglichen Gasverbrauches in ganz Hessen ent­spricht.

Das Gaststättengewerbe und fahrende Händ­ler machen in dem jetzt berühmt gewordenen Wolfskehlen ein gutes Geschäft. Zahlreiche Makler boten für die um das Bohrloch liegen­den Äcker bis zu 75 DM pro qm.

die Remilitarisierung Westdeutschlands mit in Kauf nehmen müssen, dazu bekommen sie aus zahlreichen überlauten Lautsprechern zackige Marschmusik, neue östliche Volkslieder und womöglich politische Propagandareden zu hö­ren, und das ist dann keine Erholung.

Der Zoologische Garten und der sehr schöne Konzertgarten auf dem Messegelände am Funkturm sind doch nur ein recht bescheide­ner Ersatz für das fehlende Ausflugsgelände, und besonders in der Reisezeit fühlen die Westberliner, die durch die Ungunst der Ver­hältnisse auf eine Sommerreise verzichten müssen, sich in den engen Grenzen ihrer Sek­toren wie Hunde im Zwinger, die nicht genug Auslauf haben.

Abkehr vomMahnmal 44

Volksbund Deutsche Kriegsgräberf ürsorge inmitten großer Aufgaben

cz. Wer sich einmal die Zeit nimmt, darüber nachzudenken, wie er die Aufgabe lösen würde, den Millionen: Toten des letzten Krieges eine würdige Ruhestätte zu bereiten, wird sich sehr rasch die Frage vorzulegen haben, wie ver­binde ich Stille und Dank, Frieden und Be­suchsort für Angehörige. Längst hat man ein­gesehen, daß der herausfordernde Protz groß­spuriger Anlagen mit gewaltigen Denkmälern, bzw.Mahnmalen wider den guten Ge­schmack gehen und den Eindruck von einem Soldatenfriedhof in die falsche Richtung len­ken. Das ist aber eben das Wohltuende, wenn man sieht, wie der Volksbund Deutsche Kriegs­gräberfürsorge an diese selbstgewählte Auf­gabe herangeht. Wir standen dieser Tage auf den Höhen bei Badenweiler und sahen einen Friedhof, der beispielhaft ist. Eine niedere Mauer umschließt die Gräber mit den Na­menstafeln, über das ganze Gräberfeld glück­lich angeordnet Gruppen zu- je drei Kreuzen aus Granit, an der oberen Stirnseite eine kleine Kapelle, im Innern in Form von Spruchbän­dern fortlaufend die Namen der hier Beige­setzten, schließlich glücklich einbezogen eine Madonna aus dem 15. Jahrhundert. Zufall? Nein. Hier ist alles wohl bedacht. Und das vor allem deshalb, weil man davon abgegangen ist, soundsoviele Typen von Soldatenfriedhöfen je nach Größe zu entwickeln. Wir sahen viele Friedhöfe und jeder trug den Stempel des Einmaligen, der Einbeziehung in die Land­schaft unter Verwendung des Materials, das eben diese Landschaft hervorbrachte. Keine Gewaltlösungen, keineMahnungen, immer Frieden und Stille der Einsamkeit. Hier ist es klüger, eine Reihe von kleinen Anlagen zu­sammenzufassen, also Umbettungen vorzuneh­

men, dort beläßt man einige Gräber, weil die entsprechende Form schon gefunden ist.

250 000 Soldatengräber sind es etwa, die in der Bundesrepublik zu pflegen sind oder noch instandzusetzen. Eine gewaltige Aufgabe. Ausgrabungen und Umbettungen werden noch zur Identifizierung manches Toten führen man läßt nichts unversucht, um den Familien die, wenn auch traurige, Gewißheit über den Verbleib von vermißten Angehörigen zu er­möglichen. Leider kann der Volksbund seinem größten Anliegen, der Pflege der Gräber im Ausland, noch nicht in dem Umfange nachkom- men, als dies erwünscht wäre. Das setzt Staats­verträge voraus, die der Zukunft Vorbehalten sind. Rufen wir uns ins Gedächtnis, daß ja nur der geringere Teil unserer Toten im eigenen Lande ruht, dann begreifen wir, daß bei uni die wesentlichsten Aufgaben gelöst sein müß­ten, wenn jene Möglichkeiten wieder gegeben sind. 825 000 Tote und Grablagen sind in der Zentralgräberkartei heute bereits erfaßt, dia geschätzte Zahl der Gräber liegt weit höher, für die Ostblockstaaten, insbesondere die So­wjetunion sind bei 40 000 erfaßten Gräbern (!) Schätzungen schon überhaupt nicht mehr mög­lich

Diese echten Werke des Friedens für den Frie­den bedürfen unser aller Mithilfe. In unserem Lande war es bis vor einiger Zeit dem Volks­bund Deutsche Kriegsgräberfürsorge nicht möglich, sich der Mitarbeit breiter Bevölke­rungskreise zu versichern, auf die der ohne Subventionen arbeitende Bund so ausschließ­lich angewiesen ist. Versagen wir uns hier nicht, wo die reine Menschlichkeit spricht und jedem Krieg das Urteil gesprochen wird

I !Ü

Glück in der Liebe

Eine Kurzgeschichte von Friedl Trunzer Niemand wird mir erzählen können, daß man alle Fische in einen Topf werfen darf. Gerade die Fische nicht! Es gibt See- und Flußfische, und solange ich nicht weiß, welche von beiden die Astrologen ihren Berechnun­gen zugrunde legen, kann ich mich mit mei­nen Mitfischen nicht solidarisch erklären. Die Löwen, die Jungfrauen, die Widder und Stiere haben es ungleich besser, sie unterliegen einer eindeutigen Definition. Aber daß ein Kabeljau anders zubereitet werden muß als ein Karpfen, ist ein alter Hut. Diese Erkennt­nisse sind mir nicht etwa am Kochtopf auf­gegangen, sondern nach der Geschichte mit Jeremias.

Ich wollte an jenem Morgen, als das mit den Fischen in der Zeitung stand, sowieso in die Stadt. Warum sollte ich nicht wieder ein­mal bei Jeremias vorbeischauen? Es fällt mir kein Stein aus der Krone, wenn ich zugebe, daß er mir nicht ganz gleichgültig ist. Ich be­träufelte mich mit ein wenigmille fleurs, denn es hätte ja sein können, daß er zufällig aus seiner Reserve heraustreten und sich nicht so distanziert wie sonst benehmen würde.

Gegen elf klingelte ich bei ihm, die dicke Frau Friedrichs machte mir auf. Sie ist kein Fisch und im wesentlichen über Gut und Böse hinaus. Sie sagte:Grüß Gott, Fräulein, kom­men S nur herein. Es ist schon Besuch da. Jeremias hatte einen ausgedehnten Freun­deskreis, außerdem sind zwei Männer für die Unterhaltung besser als einer. Es sitzt sich so Sut zwischen zwei Männern . . Indessen war der Besuch weiblichen Geschlechts, es war Edeltraut. Der Himmel mag wissen, wie sie zu diesem Namen gekommen ist, sie ist weder edel noch traut. Aber ich hatte alle Trümpfe m der Hand,mille fleurs und dasGlück m der Liebe aus der Zeitung.

Willst du mit mir in der Stadt zu-Mittag essen? fragte ich ihn.

Heute geht es schlecht, sagte er.Edel­traut hat mich zu sich eingeladen.

Das ist nur äußerlich, dachte ich und er­innerte mich, daß einem das Glück in der Liebe auch nicht immer kampflos zufällt. Jere­mias würde ja nicht ewig mit Blindheit ge­schlagen sein.

Was gibt es denn Gutes? fragte ich.

Edeltraut tat sehr geheimnisvoll. Schließlich ließ sie sich zur Erklärung herbei, daß sie ein ganz wunderbares Rezept für gekochten Hecht aufgetrieben habe.

Aha, sagte ich,da soll also Jeremias gar gekocht werden?

Wieso? fragte er, und ich sah ihm an, daß er mich ziemlich taktlos fand.

Wissen Sie nicht, sagte ich zu Edeltraut, daß Jeremias ein Fisch ist?

Glaubst du auch an diesen Blödsinn?, fragte er.

Glauben ist zuviel gesagt, aber momentan haben die Fische Glück in der Liebe, sagte ich.

Das paßt ja großartig", bemerkte Edeltraut, ich bin auch ein Fisch. Sie klappte mit den Augen zu Jeremias hin Er griff nach der Zeitung und suchte nach den Horoskopen. Ich sah ihm über die Schulter Er rückte etwas weg von mir und sagte:Du solltest ein ande­res Parfüm nehmen!

Meine Stunde mit Jeremias schien noch nicht gekommen zu sein. Ich wünschte guten Appetit und ging nicht so beflügelt nach Hause, wie ich gekommen war. Daheim sah ich noch einmal nach ich hatte eine falsche Zeitung erwischt, sie war von vorgestern. Der Mann mit den Horoskopen war rehabilitiert. Es stand nirgends geschrieben, daß die Fische heute Glück in der Liebe haben sollten.

Am Nachmittag kam Jeremias.

,Hat der Hecht geschmeckt?, fragte ich ihn.

Gib mir eine Tasse Kaffee", bat er.ich muß diesen sonderbaren Geschmack loswer­den Übrigens, was hast du für ein Parfüm an dir? Bei dem solltest du bleiben.

Eine verehrungswürdige Frau

Zum 125. Geburtstag von Marie Kurz

Isolde Kurz hat ihrer Mutter zum 100. Ge­burtstag ein leuchtendes Denkmal gesetzt in dem BucheMeine Mutter. Herkunft und Frühzeit hatte sie in dem Werk über ihren Vater Her­mann Kurz geschildert, die mittleren Jahre in ihren Lebenserinnerungen.Die Leser haben es mir gedankt, sie sahen ein Menschengesicht, wie sie noch keines gesehen hatten.

Marie Kurz wurde am 6. August 1826 in Ulm geboren. Schon früh zeigte sich ihre ausgepräg­teste Eigenart. Spielsachen und Puppen ver­schenkte sie, ihr überflüssig erscheinende Klei­dungsstücke riß sie sich vom Leib. Ihre Tierliebe ließ sie später der Fleischkost sich enthalten. Den Gefangenen in Ludwigsburg und den Leidenden half sie, wo sie konnte, wie sie denn auch spä­ter keine irdischen Vorteile suchte, nicht ein­mal für ihre heißgeliebten Kinder. Außer für Bücher erlaubte sie sich keine Ausgaben, und die verschenkte sie. 1848 hatte sie auch den Dichter und Politiker Hermann Kurz kennengelernt. In den von viel Not und Leiden erfüllten Ehejahren mit ihrem politischen Glaubensgenossen war sie in demütiger, verehrungsvoller Liebe für ihren Dichter da.

Dem jähen Tod des Gatten begegnete sie mit höchster Fassung.Damals vollbrachte sie zu­erst das Liebeswunder, das sich leider noch drei­mal in ihrem leidvollen Leben wiederholen sollte: Einen Schmerz in seiner ganzen Größe zu fassen, tief in sich hereinzuziehen und festzu­halten, ihn mit den reinsten Säften ihres In­nern zu entgiften und ihn in eine Schönheit, eine höhere Freude umzuwandeln. 1877 übersiedelte sie nach Florenz. Als ihr mit 78 Jahren der Sohn Edgar entrissen wurde, auf den sie unbändig stolz gewesen, bewährte sich ihre Kraft, zu tra­gen, aufs höchste. Als aber zehn Monate später auch ihr zweiter Sohn ins Grab sank, begann der starke Stamm zu wanken. Doch mehr als je triumphierte der Geist. Ein ganzes Leben hin­durch hatte sie die Frage nach den ewigen Din­gen leidenschaftlich bewegt, stets hatte sie hin­ter dem flüchtigen Schein ein ewiges Sein ge­sucht. In poetischen Tagebüchern fand ihr Rin­gen Gestalt. Jetzt war der große Friede über ihr. In München, wo ihr letzter Sohn lebte, er­

losch am 26. Juni 1911 ein Leben,unvergeßlich in seiner Mischung von Größe und Kindlichkeit. In Ulm erfolgte die Feuerbestattung, der Isolde mit Freundeshilfe in Italien eine hellenische Totenfeier folgen ließ. Dr. B. H.

Die Weltfahrt eines Arztes

Viktor Heiser, Eines Arztes Weltfahrt. Er­lebnisse und Abenteuer in 45 Ländern. Deutsch« Verlags-Anstalt Stuttgart. 46S S. DM 8.50.

In ungemein fesselnder Form rollt hier da« Leben eines amerikanischen Arztes ab, dessen ganzes Streben dem Kampf gegen die furcht­barsten Krankheiten und Seuchen der Welt galt. Wenn wir heute Krankheitsnamen wie Aussatz, Cholera, Pest oder schwarze Pocken hören, so weiß mancher wohl aus Geschichtsbüchern oder ähnlichen Quellen, daß es sich um sehr gefähr­liche, meist tödlich ausgehende Krankheiten han­delt.

Man muß sich vergegenwärtigen, daß noch vor wenigen Jahrhunderten die Bevölkerung auch Deutschlands und Europas durch Epidemien der verschiedensten Seuchen unrettbar aufs schwer­ste dezimiert worden ist, um ermessen zu kön­nen, was Wissenschaft und zähe Ausdauer auf dem Gebiet der Seuchenbekämpfung geleistet ha­ben. Hiervon Zeugnis abzulegen, ist Sinn und überzeugend gelungener Zweck dieses Buches. 16 Weltreisen führten Viktor Hpiser um die Erde, auf denen er der Wissenschaft durch außerge­wöhnliche ärztliche wie organisatorische Lei­stungen ein unsterbliches Denkmal setzen half.

Die Schilderung des Verfassers ist von außer­ordentlicher Lebendigkeit und entbehrt nicht einer Menge dramatischer Höhepunkte, jedoch zum Glück in unserer Welt der Sensationslust ohne jegliche Sensationstendenz, was auch schriftstellerisch die Qualität des Buches aus­macht. Bemerkenswert ist noch die außerge­wöhnliche Menschenkenntnis Heisers und das Wissen um die Psyche des Eingeborenen. Diesen dankt er seine Siege über Primitivität, Aber­glauben und stumpfe Resignation bei den ein­fachen Völkern und erst mit ihrer Hilfe waren die außerordentlichen Erfolge im Kampf um das Leben und die Gesundheit der Menschen mög­lich. Das Buch verdient, unter den ersten seiner Art genannt zu werden. Dr. H,