MONTAG, 6. AUGUST 1951
NUMMER 121
„Schlechter als die Japaner behandelt“
Freund oder Feind? meinen die Italiener / Anspielungen auf Deutschland Von unserem Mailänder Korrespondenten Carlo G. Mundt
ROM. Während Japan vor einem günstigen Friedensvertrag steht und die Deutsche Bundesrepublik ein solches Abkommen noch nicht am politischen Horizont erkennen kann, laufen die Italiener Sturm gegen das „Diktat von Luxemburg“. Entweder sind wir Freunde und Alliierte im Atlantikpakt oder aber wir betrachten uns als Ex-Feinde und pfeifen auf den Westen, sagt man sich in Rom etwas stark rhetorisch. Die öffentliche Meinung ist immer aufgebrachter gegen den „humoristischen Vertrag von 1948“, wie ihn eine große Zeitschrift genannt hat. Das Maß ist aber jetzt übergelaufen, nachdem der italienische Leser die Bedingungen vernommen hat, unter denen in Tokio die Unterschrift unter dem Friedensvertrag mit Japan gesetzt werden müssen.
Die Japaner haben bis zuletzt gegen die Alliierten gekämpft, zwei Jahre länger als die Italiener. In der Präambel zum Vertrag ist davon keine Rede, man spricht nicht von Aggression, Achsenpolitik, Niederlage. Es ist schlechthin nur aufgeführt, daß „ein gemeinsamer Wille, die friedlichen Beziehungen aufzunehmen“, besteht. Da Italien 1944 (wenn auch nur theoretisch) Japan den Krieg erklärte, zu der Friedenskonferenz in San Franzisko nicht eingeladen ist und außerdem unter dem Druck des „Diktates“ steht, schlagen die Wellen hoch.
Die Japaner dürfen aufrüsten, wie sie wollen, um sich zu verteidigen, sie können außerdem militärische Sicherheitspakte abschließen. Die Italiener dagegen haben militärische Beschränkungen, die man angesichts der westlichen Politik nicht nur als humoristisch, sondern schon als gefährlich-lächerlich bezeichnen kann. Alle Streitkräfte dieses 47 Millionen- Volkes dürfen nicht 250 000 Mann überschreiten, Jagdflugzeuge dürfen bis zu 200 bereitgestellt werden, und Bombenflugzeuge gibt es einfach nicht. In der letzten Zeit haben leichte Italienische Seestreitkräfte Übungen mit englischen, amerikanischen und französischen Schiffen abgehalten. Die Italiener zeigten besonderen Eifer im Auffinden von U-Booten. Minen und Unterwasserstreitkräfte wurden von den Alliierten ausgeborgt, da für Italien diese Dinge tabu sind.
Als die italienischen Vertreter bei den Konferenzen zur Schaffung eines europäischen Heeres teilnahmen, waren sie sich bewußt, daß sie damit so etwas wie eine Art „Kriegsverbrecher“ nach dem Luxemburger Vertrag wurden. Denn der Artikel 68 sagt klar, daß Italien alles tun werde, um mit den Alliierten die Aufrüstung Deutschlands und Japans zu verhindern. Falls im Rahmen der Atlantikpolitik einst die westdeutsche Industrie Kriegsmaterial hersteilen sollte, dürfte es nicht nach Italien geliefert werden. Denn dort hat man laut
Wett-jamboree der Pfadfinder
BAD ISCHL. Das am Freitagabend eröffnete Weltpfadfindertreffen im Salzkammergut, an dem rund 15 000 „Boyscouts“ aus 47 Nationen teilnehmen, nahm gestern mit dem Bekenntnis zu Weltfrieden und Glaubensfreiheit seinen Fortgang. Kardinal Innitzer, Wien, rief den Jungen zu: „Wenn alle Regierungen und alle Völker sich so einig wären wie Ihr, wie glücklich würde dann die Welt sein.“
Den etwa 600 deutschen Teilnehmern am 7. Welt-jamboree der Pfadfinder in Bad Ischl wurde ein herzlicher Empfang bereitet. Alfred Lenz, Düsseldorf, wies darauf hin, daß im Osten die Pfadflnderbünde wohl verboten, aber nicht tot seien.
In dem weltbekannten Kurort herrscht für zehn Tage eine fast babylonische Sprachverwirrung, aber durch das gemeinsame Lagerleben und Wanderungen in die Bergwelt demonstrieren die Pfadfinder eine überzeugende Solidarität der Jugend.
Artikel 52 die Aufgaoe, es an die Ex-Feinde auszuliefern. Sogar ein militärisches deutsches Patent kann heute nicht für die italienische Verteidigung ausgenutzt werden.
In Rom kann man sich nicht ganz des Eindrucks erwehren, als ob man in bezug auf den italienischen Friedensvertrag den russischen Bären von Washington, London und Paris aus nicht ärgern will, obwohl man ihn wegen des Abkommens mit Japan aus dem Häuschen bringen wird. „Man behandelt uns schlechter als die Japaner“, meinen die Italiener nicht zu Unrecht, die erst vor kurzem einen Kreuzer an Griechenland it conto Reparationen ablieferten. Aber in Wirklichkeit empfindet man, daß heute Italien in der alliierten Wertschätzung nach Deutschland, Japan, Jugoslawien und Spanien kommt und daß jeder Protest im Westen nur eine relative Wir
kung hat. Und der Westen weiß zu gut, daß die römische Regierung nicht nach Osten ab- schwenken kann.
Die Kolonien und Teile seiner Erde hat Italien für die nächste Zeit verloren, aber es erhofft, durch eine Aufsage des Vertrages Triest zurückzuerlangen, endlich in die Vereinten Nationen aufgenommen zu werden, die erniedrigende Einleitung des Friedensvertrages und vor allen Dingen die militärischen Einschränkungen zu beseitigen, die nach der Aufrüstung von Ungarn, Bulgarien und Rumänien absolut überholt sind. Als mögliche Folge führt der „Europeo“ auch eine Aufrollung der Frage des „Verzichtes auf die italienischen Kredite in Deutschland“ an ... Es ist aber anzunehmen, daß bei der Kündigung dieses „Diktates“ (ob von alliierter oder italienischer Seite) nur moralische Erleichterungen einträten, die materiellen will Italien keiner zugestehen. Immer mit einem Seitenblick auf Rußland. Daß die italienischen Nationalisten den Regierungen de Gasperis die Schuld am Stand der Dinge zuschieben wollen, beweist, wie stark falschverstandener Patriotismus erblinden läßt.
40 qm Wald pro Einwohner
Die Westberliner haben zu wenig Auslauf Von unserem Berliner Dr. F. E. O.-Korrespondenten
BERLIN. „Wenn Ihnen Ihr Auto lieb ist, fahren Sie besser nicht weiter, Sie könnten es sonst los werden“, sagt wohmeinend ein Polizist jeden Sonntag zu den Westberliner Auto- ausflüglern, die im Havelgebiet zwischen Wannsee und Potsdam auf einer durch keinen Schlagbaum gesperrten Straße fahren. Ein Stückchen weiter ist nämlich nicht mehr Westsektor, sondern Ostzone und dort veranstalten die „Volkspolizisten“ mit Vorliebe sonntags überraschend kleine Razzien auf Westberliner; wenn sie dann nur das „verbotene“ Westgeld konfiszieren, hat man Glück gehabt. Sie stellen auch Autos „zur Überprüfung“ sicher und kürzlich fielen ihnen an einem Sonntag etwa fünfzig Westberliner Sportboote in die Hände, deren Besitzer aus Fahrlässigkeit oder in Unkenntnis des genauen Verlaufs der Zonengrenze am sowjetischen Ufer zwischen Wannsee und Potsdam gelagert hatten.
Die Westberliner kommen gar zu leicht in die Versuchung, absichtlich oder unabsichtlich die Grenzen Westberlins auf ihren Sonntagsausflügen zu überschreiten, denn ihre Bewegungsfreiheit ist gegen früher doch recht arg beschnitten. 40 qm Wald kommen nach einer amtlichen Statistik auf jeden Westberliner, aber das ist auch nur Theorie, die Hälfte davon ist nämlich Kahlschlag und es sieht in diesem sogenannten Wald in Wirklichkeit so aus, daß die Erholungsuchenden stundenlang an den Stacheldrahtzäunen der neu angelegten Schonungen entlang gehen können.
Der bekannte Grunewald ist das größte und schönste Ausflugsgebiet innerhalb der Westsektoren. Vor langen Jahren, als dort wegen der noch vorhandenen Wildbestände die Hunde an der Leine geführt werden mußten, wollten die Hundebesitzer ihn gern zum freien Auslaufgebiet für ihre Hunde haben; heute sind sie selbst „arme Hunde“, die fast nur noch über dieses „Auslaufgebiet“ verfügen. Denn schon die daran angrenzenden, früher so beliebten Ausflugsgebiete von Babelsberg, Potsdam mit Sanssouci und Werder mit seinen berühmten Obstgärten gehören zur Sowjetzone und werden wegen der damit oft verbundenen Unannehmlichkeiten von den Westberlinern nur noch ungern aufgesucht, wenn es auch heute nicht mehr so streng ist, wie noch vor wenigen Jahren, als jedes in Werder gekaufte Pfund Kirschen unterwegs bei der Kontrolle der Beschlagnahme durch die „Volkspolizei“ verfiel.
Im Osten von Berlin gehören die früher so beliebten anmutig gelegenen Ausflugsziele an der Oberspree im Gebiet der Müggelberge zum Sowjetsektor. Unannehmlichkeiten wie beim
Betreten der Sowjetzone sind da im allgemeinen nicht zu befürchten, aber es hat auch keinen Reiz, in die östliche Dürftigkeit zu fahren. Man bekommt dort in den Gartenlokalen noch nicht einmal Bohnenkaffee, sondern nur „Muk- kefuck“, und Kuchen nur gegen Abgabe von Zucker- und Fettmarken, die die Westberliner ohnehin nicht besitzen. Daß für ein Mittagessen ebenfalls Marken und zwar Fett- und Fleischmarken abgegeben werden müssen, versteht sich von selbst. Es ist also wirklich wenig verlockend für die Westberliner, östliche Ausflugsziele aufzusuchen, zumal sie überall der „Sichtwerbung“ ausgesetzt sind und an allen möglichen und unmöglichen Stellen politische Parolen für den „Friedenskampf“ und die „Weltfestspiele“ sowie gegen
Erdgasbrand tobt weiter
WOLFSKEHLEN (Kreis Darmstadt). Der am Freitag entstandene Erdgasbrand im Riedbruch bei Wohlfskehlen hält immer noch an. Alle Löschversuche verliefen erfolglos, da die glühenden Reste des Bohrturmes, die das ausströmende Gas immer wieder entzünden, zuerst beseitigt werden müssen. Morgen wird nun versucht, durch Anstauen der Gräben und Bäche der umliegenden Riedentwässerung die Umgebung des Bohrloches so weit abzukühlen, daß man an die glühenden Überreste des Bohrturmes herankommen kann.
Die ursprünglich 70 m hohe Stichflamme ist etwa bis zur Hälfte zusammengefallen. Fachleute nehmen an, daß der Bohrkopf sich trichterartig erweitere, so daß der Preßdruck entsprechend naehlasse. Vielleicht komme der Brand auch von selbst zum Erlöschen, da die jetzt weiße Rauchhaube, die von verbrannten Erdpartikelchen herrührt, hoffen läßt, daß die in 900 m Tiefe sich befindende Sonde durch zusammenstürzende Erdmassen verstopft wird. Die täglich ausströmende Gasmenge wird auf 360 000 cbm geschätzt, was einem Drittel des täglichen Gasverbrauches in ganz Hessen entspricht.
Das Gaststättengewerbe und fahrende Händler machen in dem jetzt berühmt gewordenen Wolfskehlen ein gutes Geschäft. Zahlreiche Makler boten für die um das Bohrloch liegenden Äcker bis zu 75 DM pro qm.
die Remilitarisierung Westdeutschlands mit in Kauf nehmen müssen, dazu bekommen sie aus zahlreichen überlauten Lautsprechern zackige Marschmusik, neue östliche Volkslieder und womöglich politische Propagandareden zu hören, und das ist dann keine Erholung.
Der Zoologische Garten und der sehr schöne Konzertgarten auf dem Messegelände am Funkturm sind doch nur ein recht bescheidener Ersatz für das fehlende Ausflugsgelände, und besonders in der Reisezeit fühlen die Westberliner, die durch die Ungunst der Verhältnisse auf eine Sommerreise verzichten müssen, sich in den engen Grenzen ihrer Sektoren wie Hunde im Zwinger, die nicht genug Auslauf haben.
Abkehr vom „Mahnmal 44
Volksbund Deutsche Kriegsgräberf ürsorge inmitten großer Aufgaben
cz. Wer sich einmal die Zeit nimmt, darüber nachzudenken, wie er die Aufgabe lösen würde, den Millionen: Toten des letzten Krieges eine würdige Ruhestätte zu bereiten, wird sich sehr rasch die Frage vorzulegen haben, wie verbinde ich Stille und Dank, Frieden und Besuchsort für Angehörige. Längst hat man eingesehen, daß der herausfordernde Protz großspuriger Anlagen mit gewaltigen Denkmälern, bzw. „Mahnmalen“ wider den guten Geschmack gehen und den Eindruck von einem Soldatenfriedhof in die falsche Richtung lenken. Das ist aber eben das Wohltuende, wenn man sieht, wie der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge an diese selbstgewählte Aufgabe herangeht. Wir standen dieser Tage auf den Höhen bei Badenweiler und sahen einen Friedhof, der beispielhaft ist. Eine niedere Mauer umschließt die Gräber mit den Namenstafeln, über das ganze Gräberfeld glücklich angeordnet Gruppen zu- je drei Kreuzen aus Granit, an der oberen Stirnseite eine kleine Kapelle, im Innern in Form von Spruchbändern fortlaufend die Namen der hier Beigesetzten, schließlich glücklich einbezogen eine Madonna aus dem 15. Jahrhundert. Zufall? Nein. Hier ist alles wohl bedacht. Und das vor allem deshalb, weil man davon abgegangen ist, soundsoviele Typen von Soldatenfriedhöfen — je nach Größe — zu entwickeln. Wir sahen viele Friedhöfe und jeder trug den Stempel des Einmaligen, der Einbeziehung in die Landschaft unter Verwendung des Materials, das eben diese Landschaft hervorbrachte. Keine Gewaltlösungen, keine „Mahnungen“, immer Frieden und Stille der Einsamkeit. Hier ist es klüger, eine Reihe von kleinen Anlagen zusammenzufassen, also Umbettungen vorzuneh
men, dort beläßt man einige Gräber, weil die entsprechende Form schon gefunden ist.
250 000 Soldatengräber sind es etwa, die in der Bundesrepublik zu pflegen sind — oder noch instandzusetzen. Eine gewaltige Aufgabe. Ausgrabungen und Umbettungen werden noch zur Identifizierung manches Toten führen — man läßt nichts unversucht, um den Familien die, wenn auch traurige, Gewißheit über den Verbleib von vermißten Angehörigen zu ermöglichen. Leider kann der Volksbund seinem größten Anliegen, der Pflege der Gräber im Ausland, noch nicht in dem Umfange nachkom- men, als dies erwünscht wäre. Das setzt Staatsverträge voraus, die der Zukunft Vorbehalten sind. Rufen wir uns ins Gedächtnis, daß ja nur der geringere Teil unserer Toten im eigenen Lande ruht, dann begreifen wir, daß bei uni die wesentlichsten Aufgaben gelöst sein müßten, wenn jene Möglichkeiten wieder gegeben sind. 825 000 Tote und Grablagen sind in der Zentralgräberkartei heute bereits erfaßt, dia geschätzte Zahl der Gräber liegt weit höher, für die Ostblockstaaten, insbesondere die Sowjetunion sind bei 40 000 erfaßten Gräbern (!) Schätzungen schon überhaupt nicht mehr möglich
Diese echten Werke des Friedens für den Frieden bedürfen unser aller Mithilfe. In unserem Lande war es bis vor einiger Zeit dem Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge nicht möglich, sich der Mitarbeit breiter Bevölkerungskreise zu versichern, auf die der ohne Subventionen arbeitende Bund so ausschließlich angewiesen ist. Versagen wir uns hier nicht, wo die reine Menschlichkeit spricht und jedem Krieg das Urteil gesprochen wird
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Glück in der Liebe
Eine Kurzgeschichte von Friedl Trunzer Niemand wird mir erzählen können, daß man alle Fische in einen Topf werfen darf. Gerade die Fische nicht! Es gibt See- und Flußfische, und solange ich nicht weiß, welche von beiden die Astrologen ihren Berechnungen zugrunde legen, kann ich mich mit meinen Mitfischen nicht solidarisch erklären. Die Löwen, die Jungfrauen, die Widder und Stiere haben es ungleich besser, sie unterliegen einer eindeutigen Definition. Aber daß ein Kabeljau anders zubereitet werden muß als ein Karpfen, ist ein alter Hut. Diese Erkenntnisse sind mir nicht etwa am Kochtopf aufgegangen, sondern nach der Geschichte mit Jeremias.
Ich wollte an jenem Morgen, als das mit den Fischen in der Zeitung stand, sowieso in die Stadt. Warum sollte ich nicht wieder einmal bei Jeremias vorbeischauen? Es fällt mir kein Stein aus der Krone, wenn ich zugebe, daß er mir nicht ganz gleichgültig ist. Ich beträufelte mich mit ein wenig „mille fleurs“, denn es hätte ja sein können, daß er zufällig aus seiner Reserve heraustreten und sich nicht so distanziert wie sonst benehmen würde.
Gegen elf klingelte ich bei ihm, die dicke Frau Friedrichs machte mir auf. Sie ist kein Fisch und im wesentlichen über Gut und Böse hinaus. Sie sagte: „Grüß Gott, Fräulein, kommen S’ nur herein. Es ist schon Besuch da.“ Jeremias hatte einen ausgedehnten Freundeskreis, außerdem sind zwei Männer für die Unterhaltung besser als einer. Es sitzt sich so Sut zwischen zwei Männern . . Indessen war der Besuch weiblichen Geschlechts, es war Edeltraut. Der Himmel mag wissen, wie sie zu diesem Namen gekommen ist, sie ist weder edel noch traut. Aber ich hatte alle Trümpfe m der Hand, „mille fleurs“ und das „Glück m der Liebe“ aus der Zeitung.
„Willst du mit mir in der Stadt zu-Mittag essen?“ fragte ich ihn.
„Heute geht es schlecht“, sagte er. „Edeltraut hat mich zu sich eingeladen.“
Das ist nur äußerlich, dachte ich und erinnerte mich, daß einem das Glück in der Liebe auch nicht immer kampflos zufällt. Jeremias würde ja nicht ewig mit Blindheit geschlagen sein.
„Was gibt es denn Gutes?“ fragte ich.
Edeltraut tat sehr geheimnisvoll. Schließlich ließ sie sich zur Erklärung herbei, daß sie ein ganz wunderbares Rezept für gekochten Hecht aufgetrieben habe.
„Aha“, sagte ich, „da soll also Jeremias gar gekocht werden?“
„Wieso?“ fragte er, und ich sah ihm an, daß er mich ziemlich taktlos fand.
„Wissen Sie nicht“, sagte ich zu Edeltraut, „daß Jeremias ein Fisch ist?“
„Glaubst du auch an diesen Blödsinn?“, fragte er.
„Glauben ist zuviel gesagt, aber momentan haben die Fische Glück in der Liebe“, sagte ich.
„Das paßt ja großartig", bemerkte Edeltraut, „ich bin auch ein Fisch.“ Sie klappte mit den Augen zu Jeremias hin Er griff nach der Zeitung und suchte nach den Horoskopen. Ich sah ihm über die Schulter Er rückte etwas weg von mir und sagte: „Du solltest ein anderes Parfüm nehmen!“
Meine Stunde mit Jeremias schien noch nicht gekommen zu sein. Ich wünschte guten Appetit und ging nicht so beflügelt nach Hause, wie ich gekommen war. Daheim sah ich noch einmal nach — ich hatte eine falsche Zeitung erwischt, sie war von vorgestern. Der Mann mit den Horoskopen war rehabilitiert. Es stand nirgends geschrieben, daß die Fische heute Glück in der Liebe haben sollten.
Am Nachmittag kam Jeremias.
,Hat der Hecht geschmeckt?“, fragte ich ihn.
„Gib mir eine Tasse Kaffee", bat er. „ich muß diesen sonderbaren Geschmack loswerden Übrigens, was hast du für ein Parfüm an dir? Bei dem solltest du bleiben.“
Eine verehrungswürdige Frau
Zum 125. Geburtstag von Marie Kurz
Isolde Kurz hat ihrer Mutter zum 100. Geburtstag ein leuchtendes Denkmal gesetzt in dem Buche „Meine Mutter“. Herkunft und Frühzeit hatte sie in dem Werk über ihren Vater Hermann Kurz geschildert, die mittleren Jahre in ihren Lebenserinnerungen. „Die Leser haben es mir gedankt, sie sahen ein Menschengesicht, wie sie noch keines gesehen hatten.“
Marie Kurz wurde am 6. August 1826 in Ulm geboren. Schon früh zeigte sich ihre ausgeprägteste Eigenart. Spielsachen und Puppen verschenkte sie, ihr überflüssig erscheinende Kleidungsstücke riß sie sich vom Leib. Ihre Tierliebe ließ sie später der Fleischkost sich enthalten. Den Gefangenen in Ludwigsburg und den Leidenden half sie, wo sie konnte, wie sie denn auch später keine irdischen Vorteile suchte, nicht einmal für ihre heißgeliebten Kinder. Außer für Bücher erlaubte sie sich keine Ausgaben, und die verschenkte sie. 1848 hatte sie auch den Dichter und Politiker Hermann Kurz kennengelernt. In den von viel Not und Leiden erfüllten Ehejahren mit ihrem politischen Glaubensgenossen war sie in demütiger, verehrungsvoller Liebe für ihren Dichter da.
Dem jähen Tod des Gatten begegnete sie mit höchster Fassung. „Damals vollbrachte sie zuerst das Liebeswunder, das sich leider noch dreimal in ihrem leidvollen Leben wiederholen sollte: Einen Schmerz in seiner ganzen Größe zu fassen, tief in sich hereinzuziehen und festzuhalten, ihn mit den reinsten Säften ihres Innern zu entgiften und ihn in eine Schönheit, eine höhere Freude umzuwandeln. 1877 übersiedelte sie nach Florenz. Als ihr mit 78 Jahren der Sohn Edgar entrissen wurde, auf den sie unbändig stolz gewesen, bewährte sich ihre Kraft, zu tragen, aufs höchste. Als aber zehn Monate später auch ihr zweiter Sohn ins Grab sank, begann der starke Stamm zu wanken. Doch mehr als je triumphierte der Geist. Ein ganzes Leben hindurch hatte sie die Frage nach den ewigen Dingen leidenschaftlich bewegt, stets hatte sie hinter dem flüchtigen Schein ein ewiges Sein gesucht. In poetischen Tagebüchern fand ihr Ringen Gestalt. Jetzt war der große Friede über ihr. In München, wo ihr letzter Sohn lebte, er
losch am 26. Juni 1911 ein Leben, „unvergeßlich in seiner Mischung von Größe und Kindlichkeit“. In Ulm erfolgte die Feuerbestattung, der Isolde mit Freundeshilfe in Italien eine hellenische Totenfeier folgen ließ. Dr. B. H.
Die Weltfahrt eines Arztes
Viktor Heiser, Eines Arztes Weltfahrt. Erlebnisse und Abenteuer in 45 Ländern. Deutsch« Verlags-Anstalt Stuttgart. 46S S. DM 8.50.
In ungemein fesselnder Form rollt hier da« Leben eines amerikanischen Arztes ab, dessen ganzes Streben dem Kampf gegen die furchtbarsten Krankheiten und Seuchen der Welt galt. Wenn wir heute Krankheitsnamen wie Aussatz, Cholera, Pest oder schwarze Pocken hören, so weiß mancher wohl aus Geschichtsbüchern oder ähnlichen Quellen, daß es sich um sehr gefährliche, meist tödlich ausgehende Krankheiten handelt.
Man muß sich vergegenwärtigen, daß noch vor wenigen Jahrhunderten die Bevölkerung auch Deutschlands und Europas durch Epidemien der verschiedensten Seuchen unrettbar aufs schwerste dezimiert worden ist, um ermessen zu können, was Wissenschaft und zähe Ausdauer auf dem Gebiet der Seuchenbekämpfung geleistet haben. Hiervon Zeugnis abzulegen, ist Sinn und überzeugend gelungener Zweck dieses Buches. 16 Weltreisen führten Viktor Hpiser um die Erde, auf denen er der Wissenschaft durch außergewöhnliche ärztliche wie organisatorische Leistungen ein unsterbliches Denkmal setzen half.
Die Schilderung des Verfassers ist von außerordentlicher Lebendigkeit und entbehrt nicht einer Menge dramatischer Höhepunkte, jedoch — zum Glück in unserer Welt der Sensationslust — ohne jegliche Sensationstendenz, was auch schriftstellerisch die Qualität des Buches ausmacht. Bemerkenswert ist noch die außergewöhnliche Menschenkenntnis Heisers und das Wissen um die Psyche des Eingeborenen. Diesen dankt er seine Siege über Primitivität, Aberglauben und stumpfe Resignation bei den einfachen Völkern und erst mit ihrer Hilfe waren die außerordentlichen Erfolge im Kampf um das Leben und die Gesundheit der Menschen möglich. Das Buch verdient, unter den ersten seiner Art genannt zu werden. Dr. H,