NUMMER 114

WIRTSCHAFT

MITTWOCH, 25. JULI 1951

Kritische Entwicklungsphase der Wirtschaft

Tendenz zur Preissenkung gewinnt immer mehr an Kraft, aber keine echte und dauernde Preissenkung

K.H. Die sich über Monate erstreckende Phase aufwärts treibender Rohstoffpreise auf den Weltmärkten scheint sich ihrem Abschluß zu nähern, heißt es im Vierteljahresbericht für das II. Quartal 1951 des Volkswirtschaftlichen und Statistischen Büros der Industrie- und Handels­kammern von Württemberg-Hohenzollern. Diese Wende wurde vor geraumer Zeit angekündigt durch eine erkennbare Verlangsamung des Preis­auftriebs und noch deutlicher dadurch, daß ein­zelne wichtige Rohstoffpreise in kurz auf­einanderfolgenden Stößen die Richtung ihrer Entwicklung mehrmals wechselten.

Neuerdings wird dieses Wechselspiel der Preise abgelöst durch eine Entwicklung, in der die Tendenz zur Preissenkung immer mehr an Kraft gewinnt gegen die erschlaffenden Preisauftriebskräfte.

Diese Entwicklung in den Preisen ist gleich­bedeutend mit einer leichten Entspan­nung in der Weltrohstofflage, die sich vorläufig allerdings in der Gruppe der rüstungswichtigen Rohstoffe noch kaum bemerk­bar macht.

Die gegenwärtige Entwicklung der weltpoliti­schen Lage läßt die Annahme zu, daß die im Markt wirksam gewordene Tendenz zu absinken­den oder sich stabilisierenden Rohstoffpreisen in naher Zukunft eine weitere Kräftigung erfährt.

Zunächst kein Druck auf Fertiguiarenpreise

Damit steht die westdeutsche Wirt­schaft vor einer psychologisch kriti­sch en Phase ihrer Entwicklung. Es wäre trügerisch, anzunehmen, daß sinkende Rohstoff­preise des Weltmarktes in jedem Falle und unter allen Umständen auch zu einer auf längere Dauer sich erstreckenden Senkung der deutschen Fer­tigwarenpreise führen müsse. Da bisher die vom Weltmarkt ausgegangenen Rohstoffverteuerun­gen nur zu einem Teil, und zudem in der Regel nur zum kleineren Teil, in die Kalkulation der Fertigwarenpreise Eingang gefunden haben, ist vorläufig von den sinkenden Rohstoffpreisen her kein Drude auf die Fertigwarenpreise zu er­warten.

Anzeichen für Absatzbelebung

Wenn trotzdem in der Tat eine Reihe von deut­schen Fertigwaren in jüngster Zeit im Preise nachgegeben haben, liegt die Ursache überwie­gend in der gegenwärtigen Absatzlage am Binnenmarkt. Seit Monaten hat sich am deutschen Markt eine Verkaufsstille ausgebreitet, die sich mehr oder weniger auf alle Konsum­güter erstreckt und, wenn auch mit geringerer Wirkung, auf den Produktionsmittelmarkt über­gegriffen hat. Am stärksten ist hiervon der Ab­satz in unserem Gebiet in Schuh- und Wirkwa­ren betroffen. Das Sommergeschäft ist in diesen Branchen fast ganz ausgeblieben. In den anderen Branchen der Konsumgüterindustrie hat sich die Geschäftstätigkeit in den letzten Monaten nur sehr gedämpft entwickelt. Unter dem Einfluß der Absatzverhältnisse wurde bei einer größeren Warengruppe ein leichter Preisrückgang erzwun­gen. Vereinzelt glaubten Unternehmungen, sich vor dem drohenden Sturz in die Illiquidität nur noch dadurch retten zu können, daß mit dem sehr fragwürdigen und bedenklichen Mittel des Schleuderpreises operiert wurde. Der durch die

Absatzverhältnisse erzwungene Preisrückgang ist jedoch keineswegs ein Zeichen echter und dauer­hafter Preissenkung, weil nach wie vor im Ko­stengefüge Preisauftriebskräfte latent beschlos­sen liegen, die mit einer Besserung der Absatz­verhältnisse wieder wirksam werden. Schwa­che Anzeichen einer Besserung der Absatzlage machen sich heute schon bemerkbar.

Produktion wird absinken Auch von der Produktionsseite her scheint in Bälde sich eine Entwicklung abzuzeichnen, die unter wenig erfreulichem Aspekt zu einem ausgewogeneren Spiel von Güterangebot und Gü­ternachfrage führen wird. Angesichts der drasti­schen Kürzungen der Kohlenzutei­lungen, welche von der Regierung im Hin­blick auf die Notwendigkeit einer Kohlenbevor­ratung für den Hausbrand angeordnet worden sind, kann mit der Aufrechterhaltung des ge­genwärtigen Produktionsstandes nicht mehr ge­rechnet werden. Die aus der Kohlenversorgungs­lage erwachsenden Schwierigkeiten werden die

Verknappungserscheinungen auf dem Rohstoff­gebiet in der Wirkung auf die Höhe des Pro­duktionsstandes vermutlich noch übertreffen. Die Zuteilung von Kohle zu den festgesetzten Prei­sen reicht schon länger nicht mehr aus, den Koh­lenbedarf der Industrie zu decken. Die Industrie ist gezwungen, vorhandene Bedarfslücken mit dem Bezug von Deputatkohle, Importkohle oder anderer Kohle, die außerhalb des Bewirtschaf­tungssystems angeboten wird, unter Bezahlung beträchtlich erhöhter Preise zu decken.

Exportwettbewerb

Das Exportgeschäft steht weiterhin im Zeichen nicht ungünstiger Aspekte. Den nachhaltigen Be­mühungen zur Steigerung des Exportvolumens ist ein gewisser Erfolg nicht versagt geblieben. Der Ausweitungsspielraum verengt sich jedoch zusehends im Zusammenhang mit den Schwie­rigkeiten der Rohstoffbeschaffung und der Koh­lenlage. Gestiegene Lohnkosten und hohe Roh­stoffpreise erschweren darüber hinaus die Bil­dung wettbewerbsfähiger Preise.

Wirtschaftsspiegel

Kohlenförderung fast unverändert

ESSEN. In der Woche vom 16. bis 32. Juli för­derten die westdeutschen Steinkohlenzechen ins­gesamt 2 270 424 t gegenüber 2 273 394 t in der Vorwoche. Der Arbeitstägliche Förderdurchschnitt belief sich auf 378 404 t (Vorwoche 378 899 t).

Da noch nicht geklärt ist, ob gegen das Ver­fahren von Sonntagsschichten behördliche Maß­nahmen durchgeführt werden sollen, wurden am Sonntag, dem 22. Juli, nur 174 000 t gefördert. Das Wirtschaftsministerium von Nordrhein-West­falen hatten sich gegen weitere Sonntagsschich­ten ausgesprochen.

DÜSSELDORF. Für und gegen die Sonn­tagsschichten. Das Wirtschaftsministerium von Nordrhein-Westfalen erklärt, es sei keine be­sondere Aktion gegen das Verfahren von Sonn­tagsschichten eingeleitet worden, sondern auf Grund der Gewerbeordnung von 1900 sei das Verfahren von Sonntagsschichten schon immer verboten gewesen. Man habe bisher lediglich ein Auge zugedrückt; nun aber könne man wegen der steigenden Unfallziffer, die vor allem auf Übermüdung zurückzuführen sei, nicht län­ger schweigen.

Ein Sprecher der IG Bergbau erklärte, der ge­genwärtige Kohlenmangel sei nicht als Not­stand im Sinne der Gewerbeordnung anzuspre­chen und könne daher auch nicht die gesetzliche Grundlage für die Grubenarbeit am Sonntag liefern. Die deutsche Kohlenbergbauleitung ver­tritt demgegenüber die Auffassung, daß die Ge­werbeordnung von 1900 veraltet sei und den jet­zigen Forderungen nach einer höheren Kohlen­förderung nicht mehr gerecht werde.

HAMBURG. DAG: Radikalisierung infolge Kohlenmangel. Die Deutsche Angestelltenge­werkschaft (DAG) hat in einem Brief an den Bundeskanzler ihrer tiefen Besorgnis über die sich abzeichnende katastrophale Wirtschaftsent­wicklung in der chemischen Industrie infolge zu geringer Kohlenkontingente hingewiesen. Die Betriebsräte der chemischen Industrie fürchten

Erhält die Heiratende ihre Beiträge zurück?

Alliierte und Landesgesetze stehen dem entgegen

H. B. Die Frage, ob weibliche Versicherte bei Ihrer Heirat, also beim Ausscheiden aus der staatlichen Rentenversicherung, ihre eigenen Bei­träge zurückfordern können, wird immer wieder gestellt. Bis vor einigen Jahren gab es über diese Frage keine Unklarheit. Es war selbstverständ­lich, daß sich die Versicherte in dem betreffen­den Falle ihre Beiträge (nicht die vom Arbeit­geber entrichteten Beiträge) zurtickzahlen lassen konnte. Die entsprechende Bestimmung ist aber nach dem Kriege durch ein alliiertes Gesetz im größten Teil des Bundesgebiets suspendiert wor­den; in Württemberg-Hohenzollern besteht ein eigenes Landesgesetz. Der fast allenthalben vor­handene Wunsch, die Suspendierung endlich auf­zuheben, wird jedoch aller Wahrscheinlichkeit nach nicht in Erfüllung gehen. Das wird ohne Zweifel manche Verärgerung schaffen. Indessen gibt es sehr gewichtige Gründe, die gegen die Wiederaufnahme sprechen.

Die Vorteile der Beitragsrückerstattung stehen

in keinem Verhältnis zu den damit verbundenen Nachteilen. Die zurückgezahlten Beträge werden in der Regel rasch verbraucht; die schon erwor­benen Rechte gehen aber unter, da das Versiche­rungsverhältnis nach der Rückzahlung als be­endet gilt. Bedenkt man, daß mit einem sehr niedrigen Beitrag die Anwartschaften, also auch die Rechte aus den Arbeitgeberbeiträgen, auf­rechterhalten werden können, daß in vielen Fäl­len (immer dann, wenn die Verheiratete erneut in eine versicherungspflichtige Beschäftigung kommt) wieder von vorn angefangen werden muß, daß die Beiträge aus der RM-Zeit nur zu einem Zehntel ausgezahlt würden (während die An­wartschaften 1:1 umgestellt worden sind), dann wird man feststellen müssen, daß es gerade vom sozialen Standpunkt aus vertretbar ist, die Bei­tragsrückgewähr nicht wieder einzuführen. Da­mit wird auch die Öffentlichkeit zufrieden sein, weil sie immer einspringen soll, wenn jemand für seine Altersversorgung zu wenig getan hat.

bei Tausenden von Angestellten und Arbeitern für deren Arbeitsplätze und machen auf die Ge­fahr ernster Radikalisierung aufmerksam, die sich aus der so entstehenden sozialen Not erge­ben müßte.

ESSEN. Preisausschreiben im Kohlenberg­bau. Nach den guten Ergebnissen, die das frü­here Preisausschreiben der Deutschen Kohlen­bergbauleitung zur Ausweitung der Mechanisie­rung unter Tage gebracht hat, sind jetzt im Rahmen der allgemeinen Maßnahmen zur Stei­gerung der Kohlenförderung für die nächsten drei Monate ein Sonderprämiensystem und ein darauf aufbauendes Preisausschreiben vorgese­hen, wodurch auf Grund von Sofortmaßnahmen in der Betriebsorganisation eine Steigerung der Förderung innerhalb kürzester Zeit erzielt wer­den soll.

BONN. Kein Stahl mehr für Luxusbauteu? Ein Verwendungsverbot für Stahl und Eisen bei Bauten, die nicht dem täglichen Bedarf dienen, wird gegenwärtig im Bundeswirtschaftsministe­riumernsthaft erwogen. Nach dem Beispiel Englands denkt man an eine Einschränkung in der Verwendung von Eisen und Stahl beim Bau von Kinos, Einzelbandelsgeschäften, Luxusre­staurants. Caf&s und ähnlichen, für den Bedarf der Bevölkerung nicht unbedingt erforderlichen Bauten.

BONN. Verschärftes Genehmigungsverfah­ren für Ostexporte? In einer im Bundeswirt­schaftsministerium unter Vorsitz von Staats­sekretär Dr. Westrick und Vertretern al­ler Landeswirtschaftsministerien und Spitzen einiger Wirtschaftsverbände abgehaltenen Sit­zung wurde die künftige Politik des West-Ost­handels erörtert. Man nimmt an, daß diese Po­litik in einer gewissen Verschärfung des Geneh­migungsverfahrens für Exporte nach Ostblock­ländern bestehen wird, die -jedoch zu keinem völligen Embargo führen werde.

SYDNEY. Wolle fast I4mal so teuer. Der Gesamtumsatz der am 30. Juni beendeten austra­lischen Wollhandelssaison 1950/51 beläuft sich auf die Rekordsumme von 636 330 574 Pfund Ster­ling, das sind 7,446 Milliarden DM. Der wert­mäßige Umsatz betrug mehr als das Doppelte des 1949/50 erreichten bisherigen Höchststandes von 286 628 911 Pfund Sterling. Trotz der schar­fen Abwärtsentwicklung der Preise seit April dieses Jahres erreichte der Jahresdurchschnitts­preis für Schweißwolle 144,19 Pence pro eng­lisches Gewichtspfund gegenüber 10,39 Pence in der Saison 1938/39. Der Wollpreis ist also ge­genüber der Vorkriegszeit auf das 14fache ge­stiegen.

BONN. Tariferhöhung wird beraten. Die Frage der Tariferhöhung für den Fracht- und Personenverkehr bei der Bundesbahn wird am Wochenende von drei Fachgremien, dem Tarif­ausschuß Verkehr, dem wissenschaftlichen Beirat des Bundesverkehrsministeriums und dem wis­senschaftlichen Ausschuß der Bundesbahn bera­ten. Die Ergebnisse dieser Beratungen sollen in Kürze dem Bundeskabinett vorgelegt werden. Die Regierung wird dann entscheiden müssen, ob sie das 900-Millionen-Deflzlt der Bundesbahn durch Tariferhöhungen oder Bundeszuschuß aus- gleichen . will.

Die Zürcher DM-Notierung

Wie vor einiger Zeit gemeldet, hat der frei« DM-Kurs in Zürich am 4. 7. 1951 mit einer Not!* von 95.7596.50 sfrs. für 100 DM zum erstenmal die amtliche Parität von 96.05 sfrs. für 100 DM erreicht. Diese Entwicklung verdient, festgehal­ten zu werden. Wie das untenstehende Schaubild mit einer Darstellung des Notenkurses für Deut, sehe Mark in der Schweiz zeigt, hat dieser seit Anfang 1949 eine Aufwärtsentwicklung genom­men, die recht beachtlich ist, denn im Winter 1948/49 war der Kurs bis auf 17 Centimes für 1 DM gesunken.

Notenkurs für Deutsche Mark in der Schweb

Man wende nicht ein so schreibt Dr. Muthesius als anerkannter Experte auf die­sem Gebiet,dies sei ein irregulärer Preis, der ohne Bedeutung für das tatsächliche wirtschaft­liche Leben sei. Nur zu oft hat sich in der Nach­kriegsgeschichte der Wirtschaft gezeigt, daß di« schwarzen Märkte zur Beurteilung der tatsäch­lichen Markttendenz viel aufschlußreicheres Er­kenntnismaterial zu bieten vermögen als alle« das, was an behördlicher Preisfestsetzung ge­schah.

So gesehen, zeigt also die Entwicklung de« DM-Kurses in der Schweiz eine bessere Beurtei­lung, als sie in den zahlreichen Memoranden aus­ländischer Gutachter manchmal zum Ausdruck kam. Gleichzeitig ist diese Kursentwicklung eine beachtliche Anerkennung für unsere Notenbank und ihre Bemühungen, die D-Mark stabil zu halten.

Zur Dornbirner Messe

DORNBIRN. Die Zahl dfr westdeutschen Ausstellerfirmen auf der' 3. Export- und Mu­stermesse Dornbirn 1951 vom 27. Juli bis 5. Aug. hat sich weiter auf 125 erhöht. Durch weiter« Meldungen stieg auch die italienische Beteili­gung auf 44 Firmen; die Messe wird überdies von 41. Firmen aus der Schweiz, sechs aus Spanien, vier aus den USA, je drei aus Frankreich und Holland, je zwei aus England und Dänemark und einer belgischen Firma beschickt, womit die Zahl der ausländischen Aussteller auf 231 angestiegen ist. Aus dem Lande selbst stellen 432 Unterneh­men aus.

137 von insgesamt 679 Firmen stellen nur Ma­schinen aus, davon allein 60 aus Westdeutsch­land, 49 aus Österreich, die übrigen aus der Schweiz, Italien, England usw.

Die Eintrittspreise stellen sich wie folgt: Dau­erausweis (wie im Vorjahr) 25 Schilling, Tages­karte 9 Schilling, Eintrittskarte 6 Schilling und Kinderkarte 3 Schilling.

Kfz-Steuererhöhung noch unentschieden

BONN. Das Bundeskabinett wird die Ände­rungsgesetze über die vom Bundesfinanzministe­rium ausgearbeiteten Erhöhungen einer Reih« von Verkehrssteuern erst dann verabschieden, wenn die Länderregierungen der Abgabe von 31,3 Prozent ihrer Einnahmen aus der Einkom­men- und Körperschaftssteuer an den Bund end­gültig zugestimmt haben. Die vorgesehene Er­höhung der Versicherungs-, Gesellschafts-, Wech­sel- und Börsenumsatzsteuer kann daher frühe­stens im Oktober wirksam werden. Mit Rück­sicht auf die besondere volkswirtschaftliche Trag­weite ist noch nicht endgültig entschieden, ob auch die Kraftfahrzeugsteuer erhöht werden wird.

VomVorleben der Welt

Neue Forschungen über den kosmischen Urknall Professor Dr. Erich B a g g e vom Physikali­schen Staatsinstitut in Hamburg ist vor kurzem mit neuen Berechnungen über diedynamische Stabilität des Kosmos" hervorgetreten. Bagges Arbeiten, die auf den neuesten Ergebnissen der Atomforscher und Astrophysiker basieren, wer­fen interessante Fragen auf.

Die ungemütliche Vorstellung, wir säßen mit­ten in einem explodierenden Materiehaufen, ist den sorgfältigen Beobachtungen des Amerikaners H u b b 1 e vom Observatorium am Mount Wil­son zu verdanken. Nach Vorarbeiten des KieleT Astronomen W i r t z (1921) sprach Hubble in den Jahren zwischen 1929 und 1939 klar aus, daß «die Spiralnebel von uns fliehen, und zwar um so schneller, je weiter sie entfernt sind. Er er­kannte in dem Licht der Nebel die gleichen Spek­trallinien wieder, in die auch das Fixstemlicht zerlegt werden kann. Aber alle Linien sind auf der Skala von Violett bis Rot etwas nach der roten Seite hin verschoben. Je weiter die Nebel entfernt sind, desto stärker macht sich dde sog. Rotverschiebung bemerkbar, desto größer muß Iso die Fluchtgeschwindigkeit der Spiralnebel sein.

Was Hubble, der Mann am Fernrohr, beobach­tet, kann Bagge jetzt mathematisch beweisen. Er eine einfache Formel gefunden, nach der ich die Flucht der Spiralnebel gesetzmäßig voll­ziehen muß. Sie fliegen gerade so schnell, daß «ie ihre gegenseitige Anziehungskraft überwin­den. Das Weltall wächst explosionsartig, aber in voller Ordnung und nach einem strengen Ge­setz.

Irgendwann müssen die vielen Welteninseln, wenn man ihren Weg rückwärts verfolgt, von einem bestimmten Punkt aus losgeflogen sein. Aus dem zurückgelegten Weg und der Geschwin­digkeit berechnete Hubble, daß die Spiralnebel seit etwa 1,8 Milliarden Jahren unterwegs sind. Ungefähr das gleiche Alter haben die chemischen Elemente, aus denen alle Materie der Welt be­steht. Für Hubble lag also der Schluß nahe: Vor 1,8 Milliarden Jahren ist die Materie der Welt in einer riesenhaften Explosion entstanden. Die T r iirir-i'> r fliegen seitdem Ins Leere.

Inzwischen hat die Atomphysik neue Methoden zur Bestimmung des Alters der Materie gelie­fert. In den Gesteinen der Erde tickt unablässig die Uhr der Geschichte. Radioaktives Uran sen­det Strahlungen aus, und dabei verwandeln sich seine Atome allmählich über mehrere Zwischen­stufen in Blei. Das Tempo dieser Umwandlung ist bekannt, ebenso, wieviel Blei bei diesem Pro­zeß gebildet worden ist. Aus beiden Zahlen er­gibt sich, wie lange der Vorgang schon andauert. Bei mehreren anderen Elementen ist der Ver­such in den letzten Jahren wiederholt worden. Immer kam man zum gleichen Ergebnis; Die chemischen Elemente bestehen seit etwa 3 Mil­liarden Jahren. Sie sind um mehr als eine Mil­liarde Jahre älter, als noch vor kurzem ange­nommen wurde.

Bagge prüfte anschließend nach, ob wenigstens das Datum für den Beginn der Ausdehnung des Weltalls heute noch gültig ist. In diesem Fall er­wies sich die Hubblesche Zahl von 1,8 Milliarden Jahren als zu groß. Die Welt kann sich nach ge­naueren neuesten Forschungen erst seit 1,2 Mil­liarden Jahren ausdehnen. Es klafft plötzlich eine Lücke von 1,8 Milliarden Jahren zwischen der Entstehung der Elemente und dem vermeintli­chenUrknall", genau die gleiche Zeitspanne, die man vor einigen Jahren noch als Gesamtalter der Welt angesehen hatte.

Da tauchte die interessante Frage nach dem Vorleben der Welt auf. Was hat der Kosmos gemacht, ehe er auseinanderflog? Zwei Möglich­keiten bestehen: Die Materie hat sich 1,8 Mil­liarden Jahre in der Ruhelage befunden. Oder aber; Sie war vorher auf größeren Raum ver­teilt und hat eich zusammengezogen. Die natur­wissenschaftliche Erfahrung spricht für die zweite Version, denn absolute Ruhe gibt es im Welt­geschehen nicht. Wahrscheinlicher ist, daß vor­her schon einmal die Materie einen größeren Raum eingenommen hatte und die Stemsysteme bis zum Jahre 1,2 Milliarden vor unserer Zeit aufeinander zurasten. Natürlich ist das nur eine Hypothese. Aber eine Gedankenstütze ist nötig, seitdem angenommen werden muß. daß die Welt schon vor dem Urknall existiert hat.

Die Ausdehnung des Weltalls kann also nicht mit einer gigantischen Katastrophe begonnen haben. Die schon oft ausgesprochenen Vermu­

tungen, Ausdehnung und Schrumpfung des Welt­alls vollzogen sich in einem Rhythmus, wie er von den kleinsten Bausteinen der Materie her bekannt ist, bekommen durch Bagges Berech­nung eine neue Stütze. Sie führen zur Vorstel­lung eines harmonischen Weltbildes, in dem es keine Katastrophen, weder Urknall noch Welt­untergang, zu geben braucht. Dr. H. L. Schräder

25 JahreGesellschaft und Leben

Die kultivierte GesellschaftszeitschriftGesell­schaft und Leben, die im Corso-Verlag erscheint, kann in diesem Jahr auf ein 25jähriges Bestehen zurückblicken. Aus diesem Anlaß erschien in die­sen Tagen ein Jubiläums-Doppelheft, das inhalt­lich und in der Ausstattung dem verwöhntesten Leser etwas Besonderes bietet. Ein reichbebil- deter BeitragEine Großstadt, die sich regt zeigt uns das neue Antlitz Stuttgarts. Die übri­gen Beiträge behandeln Frauenbildnisse, die Einrichtung einer kosmetischen Akademie, eine Reise nach Troja, die Welt der Orientteppiche sowie die neuesten Moden aus Rom und Paris. Besonders reizvoll ist das von Karl Staudinger illustrierteLächelnde Modebrevier für den Herrn, dem sich eine Reihe unterhaltsamer und besinnlicher Plaudereien und Erzählungen an­schließt.

Büchereiwesen weit im Rückstand

In einem Aufsatz in Nr. 12 des Staatsanzeigers für Württemberg-Hohenzollern nimmt Dr. Wil­helm Schröder, Leiter der LandessteUe für Volksbüchereien, zum gegenwärtigen Stand des Büchereiwesens Stellung. Dr. Schröder geht da­von aus, daß der Volksbücherei in der Erwachse­nenbildung eine zentrale Stellung zukomme.Der Lehrling und der Fortbildungsschüler, so schreibt Dr. Schröder,brauchen das Buch, um sich In ihrem Fach weiterzubilden, der Kauf­mann, um sich über Wirtschaftsfragen zu orien­tieren, der Bauer, um in der Landwirtschaft kon­kurrenzfähig zu bleiben, der Arbeitslose, um sich in andere Berufe einzuarbeiten." Aus dieser Er­kenntnis habe man im Ausland fast überall durch großzügigen Ausbau des öffentlichen Bücherei­wesens und cer Schüler- und Jugendbüchereien außerordentlichen wirtschaftlichen Nutzen gezo­gen Man wisse dort aber auch die Bedeutung

der öffentlichen Bücherei für die politische Reif« des Volkes zu würdigen. Es gebe kein Bildiung*- mittel, das so sehr das freie und verantwortlich« eigene Urteil entwickele, wie das Buch. In die­sem Zusammenhang habe Deutschland besonder* gegenüber den angelsächsischen und skandinavi­schen Ländern einen großen Vorsprung aufzuho­len. Nach den letzten Zählungen von 1948 be­saßen etwa 77 Prozent der Gemeinden in der Bundesrepublik überhaupt keine öffentlichen Bü­chereien.

Für den Bücherfreund

Die Geschichte einer großen Liebe

Robert Pilchowski, Geliebte Corinn», Carl-Schünemann-Verlag, Bremen 1951, 25« S., 8.50 DM.

Einen ungewöhnlich reizvollen Unterhaltungs­roman großen Stiles legt uns der Schünemann- Verlag vor: Robert Pilchowski, der Inzwischen bekannt gewordene Autor gängiger Literatur, schrieb für uns diese Geschichte einer großen Liebe. Sie spielt zwischen Paris und Mallakk* und handelt von den Lebenswegen der schönen Corinna und ihres oft so fernen Peter, eine« Gummipflanzers in Hinterindien. Milieu und handelnde Personen werden so liebenswürdig uns aufgezeichnet, das ein Verlieben in die Ge­stalten des Romans nur eine Frage des Gemüt» ist.

Nach zweijähriger Pause legt die ln Hannovei beheimatete Wllhe 1 m-B usch- GeSeil­schaft ln der Reihe ihrer zwanglosen Mittei­lungen ein umfangreiches Jahrbuch für 1950/91 vor. Besonders wertvoll macht die neue Jahre*- gäbe eine ausführliche Würdigung Buschs dur® den Bundespräsidenten Prof. Dr. Theodor Heußi der anläßlich seines Aufenthaltes in Hannover am 29. April 1951 zum Ehrenmitglied der Wu- helm-Busch-Gesellschaft ernannt worden ist..

Prof. Dr. Walter Erbe wurde vom Vorstand desInstituts für Auslandsbeziehungen in Stutt­gart zum Vorsitzenden gewählt.

In einer Kiesgrube in Montana ist das fast vollständig erhaltene Skelett eines Mast­odons gefunden worden, das etwa 50 000 Jahre alt sein dürfte.