SAMSTAG, 21. JULI 1951

AUS DEM HEIMATGEBIET

NUMMER 118

100 000' fremdsprachige Prospekte

Bad Liebenzell. Gerade erst hat die diesjährige Hauptkurzeit ihren Anfang ge­nommen und im Schwarzwald vollbesetzte Kurorte gebracht, und doch müssen sich die Fremdenverkehrs- und Hotelverbände schon mit Werbefragen für das kommende Jahr beschäftigen. In Bad Liebenzell trafen sich die Vorstände der Fremdenverkehrsverbände Württemberg, Nordbaden und Südbaden und der Fachverband der Hotels aus den gleichen Gebieten (also der bereits gebildete Südwest­staat des Fremdenverkehrs!), um über die Herausgabe einer Auslandswerbeschrift und eines gemeinsamen Hotelverzeichnisses zu verhandeln. Die Bundesregierung hat zur För­derung des Fremdenverkehrs aus dem Aus­land und damit zur Hebung ihres Devisen­aufkommen Mittel zur Verfügung gestellt, mit denen zehn Werbeschriften westdeutscher Fremdenverkehrsgebiete hergestellt werden sollen. Für unser Gebiet, das in dieser Zu­sammenfassung nach Bayern das bedeutend­ste Reiseland Deutschlands ist, soll die Schrift unter dem HaupttitelDeutscher Südwesten und den Untertiteln Württemberg Baden Schwarzwald Bodensee Schwäbische Alb Rhein Neckar Donau in einer Auflage von etwa 100 000 in deutscher, eng­lischer und französischer Sprache erscheinen und reich mit Bildern ausgestattet werden. Die Kosten des Hotelverzeichnisses müssen von den beteiligten Betrieben aufgebracht werden.

Zuverlässigkeitsfahrt über 700 km

Bad Liebenzell. Der MSC. Bad Lie­benzell und Umgebung hielt dieser Tage eine Sitzung ab, bei der u. a. bekanntgegeben wurde, daß der ADAC (dem der MSC. Lieben­zell angeschlossen ist) am 29. und 30. Sep­tember eine nationaloffene Schwarzwaldfahrt durchführt, deren Start- und Zielort Bad Liebenzell ist. Es handelt sich um eine schwierige Zuverlässigkeitsfahrt für Touren- und Sportwagen sowie Motorräder aller Klas­sen. Die Gesamtstrecke beträgt 700 km und wird durch die schönsten Teile des Schwarz­walds führen. Eingeschlossen sind dabei ver­schiedene Prüfungen, so Brems-, Start- und Geschwindigkeitsprüfung.

Sommemachtsfest mit Prachtfeuerwerk

Enzklösterle. Die Gemeindeverwal­tung in Verbindung mit dem Fremdenver­kehrsverein und der Blaskapelle wollen den vielen anwesenden Kurgästen einen Sonder­genuß bereiten. Am Sonntag, 29. Juli, feiert der Musikverein auf der Festwiese beim Het- schelhof sein großes, traditionelles Garten- und Sommernachtfest. Bei Eintreten der Dun­kelheit soll ein Prachtfeuerwerk seinen Far­benglanz über das ganze Tal ergießen und die schönen Enzpartien über dem Hetschelhof werden von unzähligen Lichtern und Lam­pions beleuchtet sein Mehrere Omnibus­linien in verschiedenen Richtungen werden zum Besuch des Festes eingesetzt.

Rede und Antwoit

Altensteig. Die Bürgerversammlung am vergangenen Dienstag war ein Stimmungs­barometer für eine Stadt im Wahlfieber. Die alten und bekannten Anschuldigungen wur­den hier in aller Oeffentlichkeit wiederholt. Gemeinderat, Stadtamtmann und Bürger­meister versuchten jeder für sich das Schuld­urteil über den andern zu sprechen. Der Wäh­lerschaft darf ein tadelloses Zeugnis ausge­stellt werden. Trotz der begreiflichen Er­regung und der harten Meinungsverschieden­heiten hat sie eine vorbildliche Disziplin ge­zeigt. Sie wird nun bei der morgigen Bür­germeisterwahl ihre endgültige Entscheidung treffen.

Flegel der Landstraßen

Gegen die Lausbubereien von alkoholbenebelten Rowdies

Wenn wir in der Ueberschrift vonFlegeln der Landstraßen sprechen, so meinen wir damit nicht jene undisziplinierten Kraftfahrer aller Schattierungen, die durch ihr verkehrs­widriges Verhalten ihren Straßenmitbenut- zern sicherlich auch als Flegel erscheinen. Wir meinen vielmehr jene Sorte von starken Männern, alkoholbesäuselten Jünglingen und anderen Rowdies, die nächtlicherweise an allerlei Verkehrszeichen, an Geräten zu Stra­ßeninstandsetzungen und unschuldigen Bäum­chen ihr zechseliges Mütchen zu kühlen pfle­gen und sich dabei weiß Gott wie originell und witzig Vorkommen.

Dafür ein paar Beispiele: Da wurden in der Nacht vom 3. zum 4. Juli an der Bundes­straße 296 bei Calmbach 13 junge Obstbäum­chen umgeknickt und so nebenbei noch ein Quadratmeter Neupflasterung aufgerissen. Bei Althengstett mußte in der Nacht vom 1. auf den 2. Juli ebenfalls ein Bäumchen dran glau­ben und auf der Strecke nach Calw wurden fast sämtliche Verkehrstafeln beschädigt. Auch sonst scheint es langsam gang und gäbe zu werden, daß man beim nächtlichen Heimweg Straßenwärterhütten aufbricht, deren Fenster einschlägt (weshalb Fensterscheiben über­haupt nicht mehr eingesetzt werden), Oefen stiehlt oder sie verschleppt, die Straßenwart­karren die Böschungen hinunterkippt bzw. die Räder abmontiert und volle wie leere Teerfässer die Abhänge hinabrollen läßt, wo sie dann am anderen Morgen unter Aufwen­dung von vielen Arbeitsstunden wieder ge­borgen oder gar von einer Zugmaschine hoch­gewunden werden müssen. Das allein kostet rund 10 bis 12 DM, der Verlust eines vollen Teerfasses etwa 40 DM. Der Ersatz der aus­gehängten und gestohlenen Türe eines Stra­ßenwärterhauses (darum handelte es sich vor kurzer Zeit) kommt einem Geldaufwand von 60 DM gleich.

Die Reihe derartiger Lausbubenstreiche (deren Urheber aber meist nicht mehr im jugendlichen Alter stehen) ließe sich beliebig

fortsetzen. Man müßte dann beispielsweise das Aufdrehen der Hahnen an den Teerfäs- sem, das Abschrauben der Stopfen daran oder das Oeffnen der Hahnen an den Teer­maschinen nennen ein Unfug, der jedesmal den Verlust des ganzen Faß- oder Teer­maschineninhalts verursacht. Die auf solche und ähnliche Art entstandenen Schäden gehen allein im Bereich des Straßen- und Wasser­bauamts Calw in die Tausende.

Daß bei all diesen nächtlichenTaten man würde besser vonUntaten sprechen der Alkohol ein gewichtiges Wort mitzureden hat, erweist sich aus der Tatsache, daß die Mehrzahl davon in Nächten nach Sänger- und Sportfesten verübt wird. Gegenden, in denen an einem oder anderen Sonntag ein Fest stattgefunden hat, sind meist am nächsten Tag die Bezirke, aus denen die Straßenwarte irgendeinen mutwillig angerichteten Schaden zu melden haben. Und so geht das von der Fastnachtszeit angefangen den ganzen Som­mer hindurch bis zum Herbst, wo dann mit den Kirbefestlichkeiten allmählich auch die Landstraßen-Flegeleien aufhören.

Wir wissen, daß es wenig Zweck hat, mit erhobenem Zeigefinger auf die strafrecht­lichen Folgen solcher Lausbubereien hinzu­weisen. Es wird auch wenig nützen, wenn wir betonen, daß derartiger Unfug stets einen Strafantrag (gegebenenfalls gegen Unbekannt) nach sich zieht, daß der Täter vollen Scha­denersatz zu leisten und auch eine entspre­chende Bestrafung durch das Gericht zu er­warten hat. Aber selbst ein alkoholumnebeltes Gehirn sollte noch zu der Erkenntnis fähig sein, daß diese nächtlichen Streiche Vergehen am Eigentum der Allgemeinheit sind und damit auch die Allgemeinheit schädigen. Und diese Allgemeinheit hat auf dem Umweg über die Steuergelder auch den entstandenen Scha­den zu tragen, wenn der Täter das unver­diente Glück haben sollte, daß er seiner ge­rechten Bestrafung entgeht.

Suchdienst und Rotes Kreuz berichten

Neue Lager in Rußland?

Die Annahme, wenn neue Lagernummern aus russischer Gefangenschaft gemeldet wer­den, der Kgf. sei in ein neues Lager gekom­men, womöglich auch an einen andern Ort, ist nicht richtig! Der DRK-Suchdienst gibt in Radiomeldungen bekannt, daß die alten La­gernummern nur durch neue ersetzt wurden, z. B. 7182/1 (Schachty) jetzt 6104/1 wieder Schachty. Zu Besorgnissen ist also kein An­laß. Neue Lagernummern der Kgf. in Ruß­land wollen alsbald dem Roten Kreuz Calw gemeldet werden, da dieses die Aenderung weitergeben muß.

Wo kamen Kgf.-Pakete aus Rußland zurück?

Die betr. Angehörigen werden gebeten, dies mit näherer Angabe dem Roten Kreuz Calw zu berichten.

Warnung! Schwindlerint

Zur Zeit sucht eine Frau in Süddeutschland Familien auf, von denen sie durch Erkundi­gungen erfahren hat, daß noch ein Angehöri­ger als Kgf. im Osten ist. Sie gibt an, Be­kannte zu haben, die nähere Auskunft über Kgf. in Rußland geben können. Die Frau wird wegen dieser Schwindeleien gesucht.

Zusammenführung von Familien aus der Tschechoslowakei

Das DRK. München hat hierfür eine beson­dere Abteilung eingerichtet. Näheres durch Rotes Kreuz Calw.

Wer kennt: Oskar Fenthold und Martin Hey- del? Beide sind Flüchtlinge und Heimkehrer. Zuschriften an Rotes Kreuz Calw.

Die Anzahl der Vermißten im Kreis Calw ist mit 2500 nach den neuesten Mitteilungen pro­zentual höher als z. B. in Stuttgart, wo bei 500 000 Einwohnern 10 000 Vermißte verzeich­net sind.

Wenn Kinder allein reisen müssen bereitet besonders auf weiteren Strecken dies den Angehörigen Sorge. Die Evangelische und Ka­tholische Bahnhofsmission nehmen sich je­derzeit der Kinder an. Beide sind in vielen Stationen des Bundesgebiets und der Sowjet­zone tätig. Auskunft geben die Missionen in Stuttgart am Hauptbahnhof.

Um Spenden an Kleidungs- und Wäsche­stücken (vor allem Arbeitshosen), Schuhwerk aller Größen (guterhaltene Kinderschuhe) so­wie Hausrat und Geschirr für die zugezoge­nen Heimatvertriebenen und Bedürftigen wird weiterhin gebeten! Rot-Kreuz-Annahmestel­len in Calw: Lederstraße 16, in Nagold: Frl. E. Wimmel, Freudenstädter Str. 59, E b - hausen: Frl. Elise Schöttle, W i 1 d b a d : Frau M. Schliz, Uhlandstraße 39, Calm­bach: Frau G. Zündel, Spießfeld, Neuen­bürg: Frau K. Schönthaler, Bahnhofstr. 10, Birkenfeld: Frau E. Eisele, Kirchweg. Für die in den Monaten April bis heute über­brachten Spenden wird herzlicher Dank ge­sagt. Besonderer Dank für die neuerdings wieder eingegangenen Geldspenden!

In Mainz tödlidi verunglückt

Neuenbürg. Gestern meldeten wir schon kurz in einem Teil unserer Auflage den Ver­kehrsunfall, dem am Mittwoch in Mainz der Graveur Willy Hermann (Neuenbürg) zum Opfer fiel. Hierzu teilt uns der Bruder de« Verunglückten noch näheres mit: Auf der Fahrt nach Unna durchquerten der Schwager des Verunglückten und Willy Hermann auf dem Soziussitz den Mainzer Vorort Gonsen­heim. Im gleichen Augenblick, in dem die Mo­torradfahrer eine Kreuzung passieren wollten, rollte aus einer Nebenstraße, ohne die ange­brachten Stopschilder zu beachten, ein gro­ßes Spezialfahrzeug der amerikanischen Be­satzungsmacht, beladen mit einem Panzer, in erheblicher Geschwindigkeit heran. Der Kraft­radlenker versuchte noch, das Kraftrad her­umzureißen, doch war der Zusammenstoß nicht mehr zu vermeiden. Das Kraftrad wurde auf den Bürgersteig geschleudert. Willy Her­mann erlitt beim Sturz einen Leberriß und schwere Kopfverletzungen, sein Schwager einen Knöchelbruch, eine Fleischwunde über dem Auge und starke Prellungen. In unver­ständlicher Weise verhinderte die Begleit­mannschaft des Besatzungsfahrzeugs die erste Hilfeleistung, obwohl zwei zufällig anwesende Aerzte hierzu bereit waren. Erst nach einiger Zeit erzwang sich eine Medizinstudentin und ein Arzt den Zugang zu dem Verletzten Her­mann, der in diesem Augenblick jedoch schon bewußtlos war. Kurz nach seiner Einlieferung ins Krankenhaus ist er seinen Verletzungen erlegen.

Zwei Kinder entführt

Altbulach. Am vergangenen Samstag zwischen 17 und 18 Uhr ereignete sich in Alt­bulach folgendes Ereignis: Ein Auto mit einem Kennzeichen der amerikanischen Zone fuhr vor das Anwesen eines Altbulachers. Drei mit Stöcken bewaffnete Männer entstiegen dem Auto und drangen in den Hof ein. Einer schlug auf den sich zur Wehr setzenden Be­sitzer ein, während die zwei anderen zwei im Hof spielende Kinder ergriffen und ins Auto schleppten. Das Auto mit den Tätern ver­schwand dann in Richtung Neubulach. Der Angegriffene nahm mit einem Motorrad die Verfolgung auf und konnte die Täter in Neu­bulach noch einmal stellen, wobei sich noch­mals eine Schlägerei entwickelte. Den Tätern gelang es dann, zu fliehen.

Wie wir hierzu erfahren, war der Geschä­digte in Bieselsberg verheiratet. Die Ehe wurde geschieden, die Kinder dem Vater ge­richtlich zugesprochen und 2 Tage zuvor von der Polizei dem Vater übergeben. Die Täter wurden als Vater, Bruder und jetziger Mann der Geschiedenen erkannt.

Tür von innen verriegelt . . .

Neuhengstett. Als an einem Abend der vergangenen Woche eine hiesige Flücht­lingsfrau von der Arbeit zurückkehrte, konnte sie nicht in ihre im 2. Stock gelegene Woh­nung gelangen. Obwohl der Schlüssel sich im Schloß drehen ließ, gab die Tür nicht nach. Allen Anschein nach war sie von innen ver­riegelt.

Der herbeigeholte Schmied konnte die Tür ebenfalls nicht aufbringen. Es blieb nichts anderes übrig, als mit Hilfe der herbeigerufe­nen Polizei (man vermutete einen in der Woh­nung versteckten Einbrecher) die Feuerwehr­leiter von der Gemeinde zu entlehnen und durch das glücklicherweise offenstehende Fenster in die Wohnung einzusteigen. Ein Einbrecher wurde allerdings nicht entdeckt.

Wie sich später herausstellte, hatte der halbwüchsige Sohn der Flüchtlingsfrau im Laufe des Tages den Zimmerschlüssel ver­loren und dann versucht, die Tür mit einem Draht zu öffnen, wobei er wohl den Riegel vorgeschoben haben dürfte.

Die Mär von den bösen Mandeln

von Lois Mattox Miller

Der Juli-Nummer der ZeitschriftDas Beste aus Readers Digest entnehmen wir nachfolgende Stellungnahme zu einem viel­umstrittenen Problem, die ihrerseits eine Wiedergabe aus der ZeitschriftTodays health darstellt.

Eltern und Aerzte haben lange geglaubt, die Mandeln hätten keinerlei Wert und seien nur Krankheitsherde. So kam es zu einem wahren Kreuzzug gegen die kleinen Rachen­organe. Ob vereitert oder nicht, sie wurden bei Millionen Kindern entfernt. In der Ope­rationsstatistik der Vereinigten Staaten stand nach Angaben der Amerikanischen Medizi­nischen Gesellschaft noch 1947 die Mandel­operation an erster Stelle.

Jetzt aber fordern führende Mediziner in Amerika für die Mandeln eineSchonzeit, bis Eltern und Aerzte moderner dächten. Normal arbeitende Mandeln seien Schutzfilter, die man möglichst nicht entfernen solle. Und wüßten Mandeln oder die Stümpfe abge­zwickter Mandeln wirklich einmal ausgeschält werden, weil sie durch und durch vereitert seien, so dürfe dies nur unter Vollnarkose und nur durch einen Spezialisten geschehen.

Schwellung oder Entzündung allein ist aber noch kein Beweis dafür, daß die Mandeln tatsächlich einen Krankheitsherd darstellen. Man sieht die Mandeln heute als Teil des Uymphgefäßsystems an, dem die wichtige Aufgabe zufällt, Krankheitsstoffe abzufangen, Unschädlich zu machen und wegzuschwem- Wen, bevor sie sich im Körper verbreiten können. Sind die Mandeln gereizt, so zeigt wes zunächst nur an, daß sie dabei sind, für wren Teil an dieser Arbeit mitzuwirken und we Abwehrkräfte des Körpers zu mobilisie­ren. Sie stehen hierbei in der vordersten Verteidigungslinie, an der bevorzugten Ein­trittspforte der meisten Krankheitskeime; den

oberen Luftwegen. Ein Spezialist hat daher gesagt:In den meisten Fällen gebührt ge­schwollenen Mandeln nicht der Bannspruch, sondern eine Verdienstmedaille.

Mandelentzündungen kommen am häufig­sten bei Kindern unter zehn Jahren vor. In diesem Alter steht der Körper ständig im Kampf gegen Infektionen aller Art und ent­wickelt dabei nach und nach Abwehrstoffe, die ihn fürs Leben weitgehend immun ma­chen, also widerstandsfähig gegen Krank­heitskeime. Die Mediziner Lederer und Groß- man von der Universität von Illinois haben kürzlich mit Nachdruck darauf hingewiesen, daß die Mandeln von der Natur dazu be­stimmt sind, bei dieserSelbstimmunisierung des Kindes eine wichtige Rolle zu spielen.

Bei Fünf- und Sechsjährigen ist dieser Vor­gang, wie sie besonders betonen, bei weitem nicht abgeschlossen, erfordert vielmehr noch weitere Infektionen. Bleiben die Mandeln un­angetastet, so nimmt die Immunisierung des Körpers zu. Eine gelegentlich hierbei auf­tretende Schwellung oder Entzündung hat nichts zu sagen. Werden Gaumen- und Ra­chenmandeln vorzeitig entfernt, so bleibt der Körper ohne diesen Schutz und ist in späte­ren Jahren leichter einer Ansteckungsgefahr ausgesetzt.

Oft genug ist eine Mandelentzündung nur ein Warnsignal. Sie zeigt dann an, daß an einer andern Stelle des Körpers irgend etwas nicht in Ordnung ist. In überraschend vielen Fällen verschwindet sie, sobald ein kranker Zahn gezogen oder ein Nebenhöhlenkatarrh beseitigt ist. Auch durch eine Allergie, eine Ueberempflndlichkeit gegen bestimmte Stoffe, kann eine Mandelschwellung verursacht wer­den. Die Aerzte raten: behandelt die Allergie, beseitigt die Infektion, aber laßt die Mandeln ungeschoren! Eine Mandeloperation wäre in

solchen Fällen so ähnlich als Sollte man ein Feuer dadurch löschen, daß man die Alarm­sirene abschaltet.

Die eingewurzelte Anschauung, durch Her­ausnehmen der Mandeln würden Erkältungen und andere Erkrankungen der Atemwege verhütet, ist vor einiger Zeit durch Beob­achtungen widerlegt worden, die Dr. Albert Kaiser in Rochester gemeinsam mit einigen anderen Aerzten über einen Zeitraum von zehn Jahren an 4 400 Kindern gemacht hat. Nach altem Brauch- wäre bei diesen Kindern die Mandeloperation fällig gewesen, aber aus allerlei Gründen war sie nur bei der Hälfte tatsächlich erfolgt. Alle 4400 Kinder wurden nun zehn Jahre beobachtet. Es ergab sich, daß Erkältungen, Bronchial- und Nebenhöh­lenkatarrhe, Ohren-, Luftröhren- und Lun­genentzündungen sowie Tuberkulose bei den Kindern mit herausoperierten Gaumen- und Rachenmandeln keineswegs seltener auftra­ten. Eher schien das Gegenteil der Fall zu sein.

Nach den neueren Erfahrungen der Kinder­ärzte können die meisten Kinderkrankheiten jetzt mit Penicillin, Aureomycin, Chloromyce- tin und anderen antibiotischen Mitteln ver­hütet oder geheilt werden. Damit wird die These, eine Mandeloperation sei als Vorbeu­gungsmaßnahme gegen Krankheiten zu emp­fehlen, vollends hinfällig.

Sind die Gaumenmandeln durch und durch krank oder die Rachenmandeln derart ge­schwollen, daß sie das Atmen beeinträchtigen, so ist gegen einen chirurgischen Eingriff ge­wiß nichts einzuwenden. Aber dann muß ein erfahrener Spezialist heran. Die weitverbrei­tete Meinung, die Mandeloperation sei ein Kinderspiel, ist mit Vorsicht zu genießen. Lederer und Grossmann erklären:Eine Mandelausschälung ist unseres Erachtens eine regelrechte Operation, die ihre Gefahren haben kann. Je mehr Erfahrung ein Spezia­list auf diesem Gebiet hat, um so größer ist sein Respekt vor dieser angeblich so ein­fachen und leichten Prozedur.

Es war oft geradezu tragisch, wie mangel­haft und flüchtig man früher hierbei gearbei­tet hat. Statt die Mandeln sorgfältig auszu­schälen, zwickte man sie nur ab, so daß ein Stumpf stehenblieb, der sich mit dichtem Narbengewebe überzog, daher die Filterfunk­tionen nicht mehr ausüben konnte und statt dessen zu einem Infektionsherd wurde.

Sprang die Infektion dann auf die Lymph- und Blutbahnen über, so traten oftmals an ganz anderen Stellen Störungen auf, die nur schwer zu diagnostizieren waren: Erschöp­fung, Herzklopfen, unbestimmte Muskel­schmerzen und Allergien. Viele Aerzte sind der Meinung, daß uns solche infizierten Man­delstümpfe heute viel mehr zu schaffen ma­chen als die Mandeln selber.

Bekommt ein Kind, dem man die Mandeln herausgenommen hat, leichter Kinderläh­mung? Hierüber gehen die Meinungen aus­einander. Bei Epidemien hat man wiederholt festgestellt, daß der Prozentsatz der Erkran­kungen bei Kindern auffällig hoch war, denen kurz vor Ausbruch der Krankheit die Man­deln entfernt worden waren. Einige Aerzte bestreiten allerdings, daß hier ein Zusammen­hang vorliege. Da aber Krankheiten der Atemwege erfahrungsgemäß besonders in den Wintermonaten auftreten, sind sich alle Ärzte in einem Grundsatz einig: man soll Mandel­operationen nur im Frühling oder im Som­mer vornehmen und unter Umständen ganz darauf verzichten, wenn in der betreffenden Gegend Kinderlähmung vorkommt.

Auf die kürzeste Formel gebracht, lautet die Meinung der modernen Wissenschaft so: man lasse die Mandeln nur dann entfernen, wenn sie unrettbar infiziert oder so geschwollen sind, daß sie die Atmung gefährden, oder wenn die Ursache wiederholter Mandelent­zündungen tatsächlich in ihnen selber liegt. Darüber muß im einzelnen Fall der Arzt ent­scheiden. Im übrigen sollte man die Mandeln zu den guten Gaben der Natur rechnen und nicht mehr an die Schauermär von denbö­sen Mandeln glauben.