NUMMER 107

FREITAG, 13. JULI 1951

Rentenzuiage^Gesefe verabschiedet

Jugendgesetz / Gesetz über Getreidepreise Von unseret Bonner Redaktion

BONN. In seiner bis nach Mitternacht dau­ernden Mittwochsitzung verabschiedete der Bundestag in dritter Lesung das Rentenzu­lagegesetz, durch das die Renten der Invali­den-, Angestellten- und Knappschaftsversi­cherten um 2025 Prozent erhöht werden. Gleichzeitig wurde in allen drei Lesungen das Gesetz zur zweiten Änderung des Soforthilfe­gesetzes verabschiedet, wonach den Empfän­gern der Soforthilfe Rentenzulagen nicht ab­gezogen werden dürfen. Die SPD lehnte das von den Regierungsparteien gestützte Renten­zulagegesetz ab, weil es nicht den Mindest­forderungen der Sozialdemokratie entspreche. Zwei Millionen Sozialrentner, so argumen­tierte die SPD, würden gar nicht oder völlig unzureichend unterstützt. Im einzelnen sieht das Gesetz folgende Zulagen vor: 5 DM für Renten bis zu 25 DM, 7.50 DM bei Renten von mehr als 2535 DM, 10 DM bei Renten von mehr als 3545 DM, 12.50 DM bei Renten von mehr als 4555 DM; 15 DM bei Renten von mehr als 5565 DM; 17.50 DM bei Ren­ten von mehr als 6575 DM; 20 DM bei Ren­ten von mehr als 7585 DM; 22.50 DM bei Renten von mehr als 8595 DM monatlich. Die Zulagen steigern sich um 2.50 DM monat­lich für jede weitere der in Stufen von 10 DM monatlich fortschreitenden Rentengruppen. Bundesfinanzminister Schäffer erklärte, daß durch dieses Gesetz der Bund um zusätz­lich rund eine MifRon DM belastet werde.

Das verabschiedete Jugendschutzgesetz re­gelt die Teilnahme von Jugendlichen an Tanz­veranstaltungen, Kinobesuchen u. a. m. Die Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen darf Jugendlichen unter 16 Jahren bis 22 Uhr unter der Leitung eines Erziehungsberechtig­ten erlaubt werden. Dasselbe gilt von 22 bis 24 Uhr für Jugendliche bis zu 18 Jahren.

Zu Filmvorführungen dürfen Kinder unter 10 Jahren nur dann zugelassen werden, wenn die Veranstaltung bis spätestens 20 Uhr be­endet ist und der Film als jugendfördernd an­erkannt wurde. Jugendliche von 10 bis 16 Jah­ren dürfe ins Kino gehen, wenn die Veranstal­tung bis 22 Uhr zu Ende ist. Der Besuch von Variete-, Kabarett- und Revueveranstaltungen sowie von bestimmten Ausstellungen ist allen Jugendlichen unter 16 Jahren nicht erlaubt Das gleiche wird hinsichtlich des Besuchs von öffentlichen Spielsälen sowie für die Teil­nahme an Glücksspielen festgesetzt. Das Ge­setz bestimmt außerdem, daß Jugendliche un­ter 16 Jahren in der Öffentlichkeit nicht rau­chen dürfen. Der Aufenthalt in Gaststätten ist Jugend, ichen unter 16 Jahren nur in Beglei­tung eines Erziehungsberechtigten erlaubt. An Jugendliche unter 18 Jahren dürfen Gaststätten keinen Alkohol ausschenken.

Dann wurde gegen die Stimmen der SPD, WAV, KPD und des Zentrums sowie eines Teils der FDP-Fraktion das Gesetz über Preise für Getreide inländischer Erzeugnisse verab­schiedet. Im Verlauf der Debatte hatte Staats­sekretär Hartmann vom Finanzministerium erklärt, daß die Subventionierung des Kon­sumbrots unter allen Umständen fortgesetzt werde. Das Getreidegesetz bestimmt keine fe­sten Preise, sondern räumt je nach den Preis­gebieten eine mögliche Preisdifferenz von 20 DM ein. Diesevon-bis-Preise wurden von der Opposition erneut abgelehnt. Das Gesetz gibt der Bundesregierung die Möglichkeit,

Sßdwestfunk vertrag bejaht

TÜBINGEN. Das Kabinett von Württem- berg-Hohenzollem hat auf seiner letzten Sit­zung den Abschluß eines Staatsvertrags der Länder Rheinland-Pfalz, Südbaden und Würt- temberg-Hohenzollern über den Südwest- fuhk grundsätzlich bejaht. Die Ausarbeitung der Einzelbestimmungen soll Verhandlungen zwischen den an einem solchen Vertrag betei­ligten Kreisen Vorbehalten bleiben. Diese Ver­handlungen sollen schon in Kürze stattfinden. Ein Termin wurde jedoch noch nicht genannt.

durch Verordnungen festzulegen, daß für je­den Kauf von Getreide vom Käufer ein Schluß­schein auszustellen ist. Auch kann die Regie­rung im Bedarfsfälle vorschreiben, inwieweit die in Verkehr gebrachten Getreideerzeugnisse bestimmten Betrieben oder Stellen anzubieten sind. Schließlich wird auch noch die Möglich­keit von Rechtsverordnungen über den Bezug von Getreideprodukten durch gewerbliche Un­ternehmen sowie für den Handel und den Kon­sum gegeben. Als Anreiz für eine frühzeitige Ablieferung von Brotgetreide sieht das Gesetz Frühdruschprämien vor, die im August bei Roggen 30, bei Weizen 20 DM, im September 25 bzw. 18 und vom 1. Oktober bis 15. Novem­ber 20 bzw. 16 DM betragen sollen.

Zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen Regierung und Opposition kam es am Mitt­woch und Donnerstag bei der Beratung des Gesetzes über die Investitionshilfe der deut­schen gewerblichen Wirtschaft. Nachdem der Bundestag in der Nacht zum Donnerstag mit 177:123 Stimmen beschlossen hatte, dieses Ge­setz in Ruhe erst nach den Parlaments­ferien zu beenden, kündigte Bundeskanzler Adenauer am Donnerstag früh an, falls es

eine Notwendigkeit für die deutsche Wirtschaft sei, werde er gemäß den Bestimmungen der Verfassung den Bundestagspräsidenten ersu­chen müssen, eine Sondersitzung in den Par­lamentsferien anzusetzen. Als der Bundeskanz­ler von einerErmüdung des Bundestags sprach, kam es zu tumultartigen Protesten. Abg. E r 1 e r (SPD) erklärte unserer Bonner Redaktion, es sei einfach eineUnverfroren­heit, wenn die Regierung Gesetzentwürfe, für deren Vorlage sie lange Zeit gehabt habe, un­ter dem Druck von Terminnöten dem Parla­ment zu einer überstürzten Entscheidung vor­lege.

Über das Strafrechtsänderungsgesetz, das vor allem der Bedrohung der Republik durch die extremen Kräfte der Linken und Rechten entgegentreten soll, war schon vor der dritten Lesung im Rechtsausschuß zwischen Regie­rungsparteien und Oppositionübereinstimmung erzielt worden. In der Debatte machte Abg. Kiesinger (CDU) kein Hehl aus den Grenzen jedes rein strafrechtlichen Schutzes eines Staates. Aber, so erklärte Kiesinger, zur KPD gewandt:Durch Leute wie Sie sind wir zu diesem Gesetz gezwungen worden. Wir ha­ben lange genug zugesehen, wir müssen han­deln. Für die SPD sagte Dr. Arndt, kein Gesetz sei dem Parlament so schwer gefallen, wie dieses. Das Parlament werde darüber wa­chen, daß die Grundrechte der Bürger gewahrt blieben.

Friedensvertragsentwurf für Japan

Friedenskonferenz beginnt am 3. Sept. in San Franzisko /Souveräne Nation

WASHINGTON. Die Westmächte veröffent­lichten am Donnerstag in Washington und Lon­don den Entwurf zu einem Friedensvertrag mit Japan. In ihm wird Japan als souveräne Nation anerkannt, der jede Gelegenheit ge-, geben werden solle, zum gemeinsamen Wohl und zur internationalen Sicherheit beizutra­gen und den Antrag auf volle Mitgliedschaft in den UN zu stellen.

Der Entwurf enthält folgende Hauptpunkte: Japan verzichtet auf seine Ansprüche auf For­mosa, Korea, die früher unter seiner Mandats­verwaltung stehenden Pazifikinseln und ver­schiedene andere pazifische Gebiete; zuerkannt wird ihm das Recht, sich an kollektiven Si­cherheitsvereinbarungen zu beteiligen und bi­eder multilaterale Abmachungen über die wei­tere Stationierung ausländischer Streitkräfte in Japan zu treffen; mit Ausnahme einiger Sonderfälle werden die Alliierten auf sämt­liche Reparationsforderungen verzichten.

Der Vertragsentwurf, der über 50 Nationen zur Begutachtung vorgelegt wurde, faßt die

anglo-amerikanischen Vorschläge und die Stel­lungnahmen anderer Nationen zusammen. Das amerikanische Außenministerium gab bekannt, daß der Entwurf allen Staaten, die sich mit Ja­pan im Krieg befanden, offiziell zugeleitet werde zusammen mit einer Einladung zu einer Konferenz, auf der die endgültige Fassung des Vertrags ausgearbeitet und unterzeichnet wer­den soll. Diese Konferenz werde am 3. Sep­tember in San Franzisko beginnen.

Der Vertrag tritt in Kraft, wenn die Rati­fikationsurkunden von Japan und der Mehr­heit der Alliierten hinterlegt worden sind. Nach den Bestimmungen des Vertragsentwurfs ist der Kriegszustand mit Japan in dem Augen­blick beendet, in dem dieser Vertrag in Kraft tritt.

Die Schwierigkeit der Frage, welches China zur Unterzeichnung des Friedensvertrags her­angezogen werden soll, wurde dadurch umgan­gen, daß Japan selbst entscheiden soll, mit welcher chinesischen Regierung es den Vertrag abschließen will.

Kleine Weltchronik

TÜBINGEN. Als Vertreter des Landes Würt- temberg-Hohenzollern im Bundeskuratorium für Jugendfragen ist vom Tübinger Kabinett an Stelle von Dr. Zimmerte, welcher unlängst als Senatspräsident zum Spruchsenat für Soforthilfe­sachen nach Bad Homburg berufen wurde, Re­gierungsrat Dr. Karl Zimmermann, der ge­genwärtige Leiter der Fürsorgeabteilung des In­nenministeriums in Tübingen, bestimmt worc'en.

BONN. Bundeskanzler und Außenminister Dr. Adenauer veranstaltete am Mittwoch im Palais Schaumburg daserste diplomatische Gartenfest der Bundesrepublik. Über 50 ausländische Diplo­maten nahmen teil.

BONN. Das Bundesinnenministerium wies am Mittwoch Pressemeldungen, nach denen eine Verstärkung der Grenzschutzpolizei auf 90 000 Mann geplant sein sollte, als völlig unsinnig zurück.

BONN. Nunmehr haben folgende Länder den Kriegszustand mit Deutschland beendet: Brasi­lien, Indien, Ägypten, Mexiko, Großbritannien, Australien, die Südafrikanische Union, Italien, Ceylon, Kanada, Luxemburg und die Domini­kanische Republik.

LEIPZIG. Das Gebäude des ehemaligen Reichs­gerichts in Leipzig ist mit der über 300 000 Bände umfassenden Bibliothek in das Eigentum der Stadt Leipzig übergegangen. Der im Krieg teil­

weise zerstörte Bau ist wieder hergestellt und der sächsischen Justizverwaltung zugeteilt wor­den.

PARIS. Die 6. Vollversammlung der UNESCO wurde am Mittwochabend in Paris beendet. In der Schlußansprache erklärte der Leiter der De­legation der Bundesrepublik, Prof. Walter Erbe, Tübingen, die Bundesrepublik hoffe, der Sache der Menschlichkeit zu dienen, wenn sie an der allgemeinen Aufgabe mitarbeite. Erbe gab weiter bekannt, daß im Bonner Bundeshaus eine große Demonstration zur Förderung des Gedankens der UNESCO geplant sei.

TOPEKA (Kansas). Gewaltige Regenfälle haben in den letzten 24 Stunden in dem amerikani­schen Mittelwest-Staat Kansas zu riesigen Über­schwemmungen geführt. Platzregen bis zu 200 Millimeter Niederschlagshöhe verwandelten die Felder und Fluren weithin in Sümpfe. In der Stadt Marion steht das Wasser 3 m hoch in den Straßen. In Topeka selbst wurde mit der Evaku­ierung von 10 000 Einwohnern begonnen. Weitere Regenfälle sind angekündigt.

WASHINGTON. Nach Berichten von Flücht­lingen hinter dem eisernen Vorhang nimmt die Säuberungswelle in Ungarn immer schärfere Formen an. Bisher sind ungefähr 30 000 Einwoh­ner von Budapest aus der Stadt deportiert wor­den und auf dem Landezum Teil wie Tiere in den Ställen untergebracht.

Weder . . . noch

cz. In einer Debatte des Landtags von Nord- rhein-Westfalen über die Bereitschaftspolizei erklärte ein Sprecherder nationalen Rechten in der FDP-Fraktion:Es ist besser, wenn die Polizisten den Badenweiler-Marsch pfeifen, als wenn sie die Internationale singen. Wir brauchen hier wohl nicht zu erörtern, vor wel­che Alternative derehrenwerte Abgeordnete uns stellt: Lieber Hitler als Stalin. Das wäre ungefähr dasselbe. Wir meinen aber doch: We­der Hitler (respektive Nachfahren!) noch Sta­lin. Um unsere Hinwendung zum Westen und Ablehnung der östlichen Diktatur zu bekräf­tigen, bedarf es da der Beschwörung Hitlers in Form des Badenweiler-Marsches? Vielleicht ist demVolksvertreter gar nicht aufgegan­gen, was er sagte und wollte er nur seinem marschierfreudigen Herzen Luft machen. Das sei ihm für seine Person unbenommen, aber bitte ohne Badenweiler-Marsch!

Um die Rehabilitierung

Das Anliegen der Amtsverdrängten

TÜBINGEN. (Eig. Ber.) Über Fortschritte desVerbandes der nichtamtierenden (amts­verdrängten) Hochschullehrer in seinen Be­mühungen um die Rehabilitierung der rund 3000 auch heute noch von Forschung und Lehre femgehaltenen Hochschullehrer referierte des­sen geschäftsführender Vorsitzender, Dozent Dr. habil. Herbert G r a b e r t, am Mittwoch in Tübmgen. Der Verband hat inzwischen zu einer festen Gliederung in Hochschulgruppen und Landesverbänden gefunden, in Bonn Ver­bindung aufgenommen und sieht sich in der Lage, seinen Mitgliedern vom Erlaß eines Hochschulgesetzes im armen Lande Schleswig- Holstein zu berichten, das die Verbandsziele, nämlich völlige Rehabilitierung der durch die Entnazifizierung nicht in die Gruppen I und II eingereihten Hochschullehrer, in jeder Hin­sicht befriedigt. Der Verband läßt weiter wis­sen, daß in Niedersachsen demnächst mit der Veröffentlichung eines entsprechenden Geset­zes zu rechnen sei.

Der Geschäftsführer hat es seit der ersten Pressekonferenz im Frühjahr verstanden, die Verbandsziele zu präzisieren und so zu be­schränken, daß sie durchaus als Grundlage einer allseits befriedigenden Regelung ange­sehen werden können. Vorgeschlagen wird, die erfolgreich entnazifizierten beamteten Hochschullehrer zu emeritieren, in die Per­sonalverzeichnisse ihrerStammhochschulen auf­zunehmen und dann von Fall zu Fall soge­nannteProfessuren ad personam (künftig wegfallende Professuren) einzurichten, um die Rehabilitierten, wenn nötig und möglich, zu beschäftigen. Zur Rettung des ordinariatsrei­fen Nachwuchses wird die Einrichtung neuer Diäten-Dozenturen vorgeschlagen. Auch für Südwürttemberg rechnet der Verband nach dem Wegfall des Gesetzes aus dem Jahre 48 mit der Notwendigkeit, eine neue Rechtsgrund­lage zu schaffen, und wird sich angelegen sein lassen, diesen Anlaß zum Vortrag seiner Wünsche zu benützen.

Triestfrage wieder akut

Italien droht mit Haager Gerichtshof

ROM. Zu der von der italienischen Presse mit neuer Schärfe aufgerollten Triestfrage hat am Mittwoch Ministerpräsident de Ga- s p e r i selbst Stellung genommen und erklärt, Italien werde seine Ansprüche auf Triest und das Freistaatsgebiet notfalls vor den Haager Internationalen Gerichtshof bringen. Italien halte das Übereinkommen der drei Westmächte vom 20. März 1948, das sich für eine spätere Rückgabe Triests an Italien aussprach, auch heute noch für gültig und werde darauf be­stehen, daß es nicht geändert werde.

Vom amerikanischen State Department wurde dem italienischen Geschäftsträger ver­sichert, daß die Vereinigten Staaten sich nach wie vor an das Dreierabkommen von 1948 ge­bunden fühlten. Auch das britische Außen­ministerium bezeichnete die italienischen Vor­würfe als unbegründet.

Der verschlossene MUND

Roman von Doris Eicke

Alle Hechle Verlegiheut Reutlingen

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Um Gottes willen, Andrea, fassen Sie sich! sagte er und stützte sie unauffällig. Sie gewann die Herrschaft über ihre Glieder schnell zurück, aber ihre Lippen waren weiß vor Erregung. Tillmann übernahm ihren Koffer, den sie selbst in ihrer Verfassung einfach vergessen und lie­gen gelassen hätte.

Warum sind Sie nicht fortgefahren? fragte sie mühsam im Weiterschreiten.

Ich konnte nicht und ich wollte es auch nicht. Seit Sie fortfuhren, habe ich jedes Schiff hier anlegen sehen, ich habe nichts getan als gewartet. Einmal mußten Sie ja wiederkom­men, um Detlev zu holen.

Ja, wiederholte sie mechanisch,einmal mußte ich wiederkommen.

Andrea, ich sehe Ihnen an, daß Sie Schwe­res erlebt haben. Ist es nicht gut, daß ich hier geblieben bin?

Sie wandte den Kopf nach ihm und schaute ihn an, verzweifelt, angstvoll oder schutz­suchend er vermochte ihren Blich nicht zu deuten. Nur eines fühlte er genau: sie war enttäuscht und unglücklich von ihrem Mann zurückgekommen. Ihr wehrhafter Schild war zerbrochen, sie trieb schicksalhaft auf ihn zu und wußte das auch. Nur so war ihr maßloses Erschrecken bei seinem Anblick zu erklären.

Er geleitete sie fürsorglich ins Hotel, holte ihre Poßt aus der Portierloge und stieg Seite an Seite mit ihr zum ersten Stock empor. An­gesichts ihrer Erschütterung versuchte er gar nicht erst, ein Gespräch anzubahnen. Vor ih­rer Zimmertür huschte eine glühende Röte über ihr gesenktes Gesicht. Hier, an dieser

Stelle war es gewesen hier hatte alles sei­nen Anfang genommen. Einen Augenblick be­gegneten sich ihre Blicke, dann schloß er die Zimmertüre auf und stellte den Koffer um die Ecke.

Werde ich Sie beim Mittagessen sehen?

Ich glaube nicht, ich möchte mich ein we­nig hinlegen, ich habe heute nacht kaum ge­schlafen.

Soll ich Ihnen das Essen heraufschicken lassen? Durch Fasten wird nichts gebessert.

Nein aber trotzdem ich kann nicht ich. Unvermittelt, von seiner Fürsorge gerührt, brach sie ab, begar zu weinen und machte beschämt ein paar Schritte ins Zim­mer hinein. Tillmann schaute einen Augenblick mitleidig auf ihre zuckenden Schultern, dann schloß er behutsam die Tür und nahm sie in seine Arme. Es lag etwas Besitzergrei­fendes in dieser Gebärde. Sie legte ohne Wi­derstreben, wie ein schutzsuchendes Kind, ihren Kopf an seine Brust und schluchzte noch ein paarmal auf, dann wurde sie unver­mittelt ruhiger. Er holte sein Taschentuch her­aus und wischte ihr damit die Tränen ab. Als er versuchte, ihr die Nase zu putzen, ge­nau so, wie sie es mit Detlev tat, mußte sie in all ihrem Elend ein wenig lachen. Er nahm ihr den Mantel ab, stellte den Koffer zum öff­nen bereit auf den Träger und deckte schließ­lich sogar das Bett auf, alles mit der selbst­verständlichen Vertraulichkeit eines alten Freundes oder sogar eines Ehemannes. Im wahrsten Sinne des Wortes sprachlos schaute sie diesem Beginnen zu.

Ich lasse Dich jetzt allein, Du bist über­müdet und mußt schlafen, sagte er sanft. Wirst Du es können oder soll ich Dir eine Tablette besorgen?

Nein danke, flüsterte sie verwirrt.

Um fünf Uhr komme ich nach Dir sehen, darf ich?

Ja -.

Träume etwas Gutes wenn möglich von

mir, oder ist das ganz ausgeschlossen? fragte er lächelnd.

Nein.

Ach Du kleine Stumme! Kannst Du nichts anderes mehr sagen als ja und nein?

Ich muß mich erst zurechtfinden.

Er nickte ihr zu, ging und schloß behutsam die Tür hinter sich. Er war noch keine zwei Schritte entfernt, als er hörte, wie sie den Schlüssel im Schloß umdrehte. Eg gefiel ihm gut, wie alles, was sie tat.

Andrea zog langsam ihr Kleid über den Kopf, dann holte sie ihre Toilettensachen aus dem Koffer und begann sich zu waschen. Wie­der, wie in jener Nacht, prüfte sie im Spie­gel ihr Gesicht, dann sagte sie ernst und schicksalergeben in ihre wissenden Augen hin­ein:Jetzt ist es um mich geschehen! Hätte er vorhin ihre Schwäche auszunutzen ver­sucht, wäre ihr vielleicht die Kraft zurück­gekehrt, sich gegen ihn zu wehren. Daß er aber so liebevoll und zart mit ihr umging, brach ihren Widerstandswillen vollends. Er war ein guter Mensch, und nun mochte kom­men, was wollte.

Als Tillmann um fünf Uhr bei ihr klopfte, stand Andrea erfrischt und in besserer see­lischer Verfassung vor ihm. Sie hatte sich für ihn schön gemacht. Während er sie sonst nur in sportlichen Kleidchen oder in ihren weiten blauen Schiflerhosen kannte, trug sie jetzt ein duftiges Kleid aus großblumigem Tüll und zierliche weiße Stöckelschuhe. Er legte ihr einen riesigen Strauß roter Rosen in den Arm, so groß, daß sie ihn kaum fassen konnte. Als sie sich mit einem Laut des Entzückens dar­über beugte, um ihren Duft einzuatmen, ver­wandelten sie sich vor ihren schwimmenden Blicken plötzlich geheimnisvoll in die weißen und roten Nelken, die Niels ihr bei ihrer An­kunft in Berlin geschenkt. Entschlossen schüt­telte sie die Täuschung ab und reichte Till­mann mit einem warmen, jungmädchenhaften Lächeln die Hand.

Wie schön Du bist! sagte er bewundernd. Ach, wehrte sie errötend ab,mit solchen Rosen im Arm ist jede Frau hübsch.

Er antwortete nicht, sondern fuhr fort, sie andächtig zu betrachten, big sie verlegen wurde und sich abwandte.

Wo bringe ich sie nun unter? Das Wasch­becken ist doch zu profan.

Wir gehen jetzt ins Dorf und holen eine Vase oder zwei, irgend etwas Annehmbares wird sich ja auftreiben lassen. Du brauchst sie jetzt, und nachher schenkst Du Sie ein­fach dem Zimmermädchen, wenn Du weg­fährst.

Wie hübsch, wenn jemand einem sogar das Denken abnimmt.

Hast Du eg nicht gern, wenn Du ein wenig verwöhnt wirst? Die meisten Frauen sind empfänglich dafür.

Doch. Sie schaute ihn von untenherauf prüfend und mit gerunzelter Stirne an, dann warf sie auf einmal den Kopf in den Nacken, genau so trotzig, wie sie einmal nachts in der Düne wiederholt hatte, daß Detlev er über seine Abreise betrübt gewesen sei. Er faßte sie an beiden Armen und zog sie an sich heran.

Sag mir, was Du eben gedacht hast, An­drea.

Das kann ich nicht.

Bitte!

Warum wollen Sie das wissen?

Ich heiße Rainer.

Rainer

Sag mir, wag Du gedacht hast!

Ach nichts.

Doch. Du warfst den Kopf zurück und warst ärgerlich. Worüber?

Ich weiß es nicht mehr, wich sie bedrängt aus.

Dann will ich es Dir sagen: Es hat Dich verstimmt, daß ich sagte, die meisten Frauen wollten gerne verwöhnt werden. Ist es nicht so? (Fortsetzung folgt)