SAMSTAG, 7. JULI 1951
NUMMER 194
Ein europäischer Plan?
Ein weiterer Diskussionsbeitrag zu einem der wichtigsten Probleme unserer Tage
Von h us E> lei (SPD) M. d. H
, Der französische Außenminister Schuman hatte eine großartige Idee entwickelt: durch den Zusammenschluß der Kohle- und Stahlindustrie der wichtigsten europäischen Länder den Beginn für einen großen Wirtschaftsraum mit einem einheitlichen Markt zu schaffen. Da es sich dabei nicht um die ganze Wirtschaft der beteiligten Länder handelt, kam es darauf an, den Verbrauchern in Europa möglichst viel und möglichst billig Kohle und Stahl mit all ihren Erzeugnissen zur Verfügung zu stellen.
Von der Idee zur Wirklichkeit ist ein weiter Weg. Die Sozialdemokratische Partei begrüßt die Grundidee des Schuman-Planes. Sie muß aber leider feststellen, daß der jetzt zur Ratifizierung vorliegende Vertrag der großen Idee nicht näherkommt, sondern ihr in seinen Konsequenzen voraussichtlich schadet.
Der echte Vertragsinhalt ist viel zu wenig bekannt Man sollte nicht einfach auf der Basis von Hoffnungen und Befürchtungen diskutieren, sondern den Vertrag selbst analysieren. Das ist an dieser Stelle nur sehr kurz und zu wenigen Punkten möglich.
Warum schließt man einen Vertrag auf 50 Jahre, wenn alle Beteiligten zugeben, daß es sich um ein Experiment und um Neuland handelt? Wenn das Werk so gut ist, wie behauptet wird, dann steigt auch nach einer Probezeit niemand aus. Aber nur die Möglichkeit, sich beim Mißlingen des Experimentes mit angemessener Kündigung von ihm
lossagen zu können, erhält unter allen Beteiligten den heilsamen Zwang, die Vertragsbestimmungen an die Erfahrungen und die Entwicklung zum Nutzen aller Beteiligten anzupassen. Die Revisionsklausel ist ein frommer Betrug. Da alle Teilnehmer jede Änderung für sich ratifizieren müssen, kann ein einzelner, übermäßig Begünstigter alle anderen daran hindern, den Vertragstext zu verbessern. Die „Anlaufzeit“ ist keine Probezeit. Sie dient nur zum Hineinwachsen in den Vertrag. Man kann aber nicht etwa nach ihrem Ablauf aussteigen.
Voraussetzung für den Vertrag ist, auch nach französischer Ansicht, die vorherige Zerschlagung der Verbundwirtschaft im Ruhrgebiet. Die Deutschen besitzen die Kohle und kaufen das Erz. Ihren Stahlwerken wird der Besitz der eigenen Kohlengrundlage verboten. Die Franzosen besitzen das Erz und kaufen die Kohle. Ihren Stahlwerken wird der Besitz der eigenen Erze nicht verboten. Die Verbundwirtschaft hat dazu geführt, daß man im Ruhrgebiet besonders günstig produziert. Also müßte man doch gerade dort die Produktion fördern. Statt dessen wird durch die Zerschlagung der Verbundwirtschaft der deutsche Gestehungspreis erhöht, damit das Schwergewicht der europäischen Stahlindustrie vom Ruhrgebiet weg nach Westen wandert. Nicht zufällig ist der Verfasser des Schuman-Planes der gleiche Herr Monnet, der als französischer Planungskommissar seine
Stahlindustrie auf 15 Mill. Tonnen entwickeln will. Das ist begreiflich. Es beweist aber nur, daß in diesen Fragen der Schuman-Plan nicht von den Bedürfnissen Gesamteuropas und seiner Verbraucherschaft ausgeht, sondern von den verständlichen Sicherheits- und Aufbauwünschen Frankreichs.
Die Hohe Behörde entscheidet über alle Investierungen aus Fremdmitteln. An ihr liegt es, wo in Europa künftig die Stahlindustrie entwickelt wird. Die Deutschen gehen mit einer kriegszerstörten und demontierten Industrie in den Plan hinein, während in den Nachbarländern riesige moderne Werke mit amerikanischer Hilfe gebaut wurden. Was wäre natürlicher, als daß man vor Abschluß des Vertrages gewisse Zusicherungen über die Investitionspolitik der Hohen Behörde ausgehandelt hätte, die jenen Rückstand der deutschen Entwicklung erst einmal aufholen müßten, gerade weil in Deutschland günstiger produziert werden kann als an anderer Stelle des Kontinents. Der Vertrag enthält die Zusicherung nicht. Er legt die Entscheidung allein in die Hand der Hohen Behörde, in der die kohlenverbrauchenden Länder sich dem Haupterzeuger Deutschland gegenüber immer durchsetzen. Die Ruhrbehörde ist ein warnendes Beispiel. Dort sind wir auch vertreten und haben trotzdem die Festsetzung der übermäßig hohen Exportquoten nicht verhindern können. Man muß doch den Vorläufer studieren, um zu wissen, was der Nachfolger tun wird.
Vor Inkrafttreten des Vertrages wird der deutsche zentrale Kohlenverkauf zerschlagen. Angeblich ist eine Ersatzorganisation versprochen. Aber nur ganz unverbindlich. Warum erst zerschlagen, wenn man dann
doch einen Ersatz schaffen will? Der zentrale Kohlenverkauf in Deutschland hat die Standortverschiedenheiten ausgeglichen und die vom Glück begünstigten Zechen, in denen fette Kohle aus dicken Flözen gefördert wurde, dazu gezwungen, durch den Kohlenmisch- preis jene Zechen zu unterstützen, in denen in großer Tiefe magere Kohle aus dünnen Flözen kam. Ganze Städte des Ruhrgebietes würden bei einer Normalisierung des Kohlenverbrauches in der Welt — und in 50 Jahren sollte doch wohl damit gerechnet werden können — der Arbeitslosigkeit anheimfallen, wenn dieser Ausgleich nicht mehr besteht. Die im Vertrag vorgesehenen Hilfszahlungen für unrentable Gruben sind nicht für diesen Fall vorgesehen, sondern nur für die jetzt schon unrentablen belgischen Betriebe. Was bedeutet aber Arbeitslosigkeit im Ruhrrevier politisch, sozial und wirtschaftlich für Deutschland! In Frankreich sind die Kohlengruben verstaatlicht. Ihre einheitliche Lenkung bedeutet praktisch einen zentralen Kohlenverkauf. Niemand denkt daran, den verstaatlichten französischen Kohlenbergbau wieder in seine Bestandteile zu zerlegen.
So könnte man ein Argument an das andere reihen. Es ist nicht enges nationalstaatliches Denken, das uns zu dem Vertrag nein sagen läßt. Europa darf keine Besserungsanstalt für die bösen Deutschen sein. Wenn unser Volk diesen Eindruck gewänne, wäre es um die europäische Sache geschehen. Um Europas willen sollte man auf die Gewerkschaften hören und vor der Ratifizierung ihre Anstände, die sich mit denen meiner politischen Freunde decken, bereinigen. Unser Nein ist kein Nein gegen die Idee, sondern eines gegen die mißratene jetzige Form.
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