Sette 2 Nr. L7ö

Nagolder LagblattDer Gesellschafter"

Mittwoch 24. November 1926

Kieden nicht so viele Arbeiter sich einfindcn, daß die Be­triebe in Gang kommen können. Bei der Aussperrung wür­ben etwa 8000 Arbeiter in Betracht kommen.

Kundgebung des Saargebicts für die Wiedervereinigung mit dem Reich

Saarbrücken, 23. Rov. In der Landratssitzung des Saar­lands gab Rechtsanwalt Levacher namens des Zentrums, der Deutsch-Saarländischen Bolkspartei sRechie) und der Sozialdemokraten die Erklärung ab, das Saargebiet be­grüße die Annäherung zwischen dem deutschen Vaterland und Frankreich. Der Landesrat halte es aber für seine Pflicht, dem einmütigen Wunsch der Bevölkerung des Saarlands feierlichen Ausdruck zu geben, daß das Saar- gediek in friedlicher Vereinbarung zwischen Deutschland und Frankreich m ö g l i ch st bald dem übrigen D c u ! sch- la n d z u r ü ck g e g e b e n werde.

Arbeitsgemeinschaft in der spanischen Industrie Madrid. 23. Nov. Das spanische Kabinett hat einen Ge­setzentwurf zur Regelung der Arbeitsverhältnisse in der Industrie genehmigt. Nach dem Entwurf sollen in den In­dustriestädten Ausschüsse aus je fünf Arbeitgebern und Ar­beitnehmern gebildet werden, um Löhne, Arbeitszeit und die allgemeinen Arbeitsbedingungen festzusetzen. Diese Orts­ausschüsse wählen wiederum für die einzelnen Jndustrie- «veige besondere Ausschüsse, die bei Wirtschaftskämpfen und Jndustrietagungen die oberste Berufungsstelle bilden.

Neuordnung des spanischen Heers Madrid, 23. Nov. Das halbamtliche BlattLa Nacion" kündigt eine Reform der Organisation des spanischen Heers durch Einführung des Milizsystems an. Durch ab­gekürzte Uebungskurse für Offiziere und Mannschaften soll der aktive Bestand der Armee herabgesetzt und zugleich sollen die Kosten wesentlich verringert werden.

Die Lage in China

Peking. 23. Rov. Der frühere Ministerpräsident Tsaokun hat sein ganzes Besitztum verkauft und den Er­lös im Betrag von 18 Millionen Dollar den Truppen Wu- persus zur Verfügung gestellt. Jedoch soll die Verteilung Anlaß zu Streitigkeiten gegeben haben. Wupeifu sei voll­kommen entmutigt. Die Konferenz von Tientsin hat nach der Ag. Ind. Tschangtsolin zum Oberbefehlshaber des Nord­heeres ernannt.

Die ersten Bezirksregelungen London, 23. Nov. Die Bezirksregelungen, welche die Ver- treterkonserenz de» Bergleuten freigestellt hat, nehmen be­reits ihren Anfang. In N o t t i n g h a m s h i r e ist die erste Regelung zustande gekommen. Sie umfaßt 45 000 Bergleute und gilt für fünf Jahre. Heute sind die Bergleute von P o r k- jhire an die Grubenbesitzer mit dem Antrag auf eine Lezirksregelung herangetreten. Zahlreiche Bergleute in allen Bezirken haben bereits die Absicht kundgegeben, die Arbeit wieder aufzunehmen.

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Weimarer Koalition in Baden

Karlsruhe, 23. Nov. Zwischen den Fraktionen des Zen­trums, der Sozialdemokraten, der Deutschen Bolkspartei m- der Demokraten waren Verhandlungen über die Bil­dung einer neuen Regierung in Baden geführt worden. Die Demokraten erklärten sich mit zwei Staaksräten, die ihnen »gekeilt werden sollten, nicht befriedigt, andererseits ver- angke die Deutsche Bolkspartei einen Ministersitz. Die Ber- mndlungen zerschlugen sich. Darauf wurden neue Berhand- ungen zwischen Sozialdemokraten, Zentrum und Demo­kraten (Weimarer Koalition) geführt, die zu einer Verstän­digung führten. Die Demokraten erhalten das Unterrichts­ministerium. Dem Landtag, der am 23. Novembe- wieder zusammengetreten ist, wurde von der Koalition Kenntnis gegeben.

Württemberg

Stuttgart, 23. Nov. Besuch des Generals Heye. General Heye, der sich auf einer Reise durch Süddeulsch- lond befindet, wird am 26. November der würtkembergischen Regierung seinen Antrittsbesuch machen.

Vom Landtag. In der Zeit vom 21. September bis k. November sind beim Landtag 40 Eingaben eingegangen. Gie wurden den zuständigen Ausschüssen überwiesen. Die Gesamtzahl der beim jetzigen Landtag eingereichtsn Peti­tionen beträgt nunmehr 835.

Oberstudienrat Dr. Egelhaaf, der Vorsitzende der Landtagsfraktion der Deutschen Volkspartei im württ. Land­tag, zugleich Alterspräsident des Landtags (aeb. 1848s, hat sein Landtagsmandat aus Gesundheitsrücksichten nieder­gelegt. Reichstagsabg. Bickes, der Landesvorsitzende der Deutschen Volkspartei, hat ihm in einem Schreiben den wärmsten Dank für seine politische Tätigkeit ausgesprochen. Frau Haid wird als Nachfolgerin Egelhaafs in den Landtag einziehen.

Versammlung der Wohlfahrtspflegerinnen Am Freitag fand die diesjährige von 60 Teilnehmerinnen besuchte Herbstzusammenkunft des Verbands der eoäng. Wohlfahrts­pflegerinnen statt. In der Mitgliederversammlung der Fachgruppe der Gefährdetenfürsorgerinnen am Vormittag berichtete Frl. S t o o ß - Oberurbach über Neuerungen und erstrebenswerte Aenderungen in unserem Anstaltsleben und Frl. NS ge lsb ach-Gotteszell über die Wirkungen des neuen Strafvollzug. Nach einem Vortrag von Frau Dr. Kraut über Entstehung, Zweck und Ziel dieses Bun­des evang. Frauen gab am Nachmittag die Vorsitzende des Berbands der Wohlfahrtspflegerinnen, Frl. Schubert, einen Einblick in den Dienst an gefährdeten Mädchen. Frl. Emma H o f erzählte von einer Freizeit der Fachgruppe des

kirchlichen Wohlfahrt»- und Iugendienstes, der fie i« Eisenach beiwohnte.

Vom Tage. In einem Haus der Kreuserstraße nahm ein 24 I. a. Mädchen in selbstmörderischer Absicht Phos­phorbrei ein. Die Lebensmüde wurde nach dem Katharinen­hospital übergeführt.

Aus dem Lande

Echterdingen a. 23. Nov. Umgestürztes Post- auto. Das am Sonntag abend von Echterdingen nach Degerloch fällige, gutbesetzte Postauto geriet kurz nach dem Bahnübergang infolge des Regens ins Rutschen und fiel um. Einige Personen wurden verletzt; das Auto wurde be­schädigt.

Plattenhardt a. F., 23. Nov. Ohne Licht. Auf die Hochspannungsleitung in Schlatt wurde wahrscheinlich von Bubenhand ein Draht geworfen, was einen Kurzschluß zur Folge hatte. Dadurch waren die Gemeinden Plattenhardt und Bonlanden außer Strom gesetzt. Infolge der früh ein- setzenden Dunkelheit war es nicht möglich, die Störung noch am Mittwoch zu beseitigen, sodaß die beiden Orte erst am Donnerstag früh wieder Strom bekamen.

Schmiden OA. Waiblingen, 23. Rov. Mißhand­lung von Reichswehrsoldaten. Drei Reichswehr­soldaken, die sich musizierend in einigen hiesigen Wirtschaf­ten aufhielten, wurden in der Nacht auf Sonntag von einigen jungen Burschen hier in vorgerückter Stunde an­dauernd gereizt. Sie zogen sich deshalb von dieser Wirt­schaft zurück, um in 'das Gasthaus zur Krone zu gehen. Als sie nun gegen 12.30 Uhr diese verließen, wurden sie von den vor der «Krone auf sie wartenden etwa 18 Burschen über­fallen und mit Stöcken und Spaten derart geschlagen, daß der eine der Reichswehrsoldaten bewußtlos und mit einem schweren Hieb am Hals und etlichen Messerstichen vom Platz getragen werden mußte. Die anderen beiden Solda­ten konnten sich durch Flucht vor weiteren Mißhandlungen schützen. Der Mißhandelte hak das Bewußtsein bis jetzt nicht wieder erlangt. Die Täter sii d feOnestellt.

Crailsheim, 23. Nov. Gefaßter Briefmarder. In der Nacht auf Samstag wurde auf dem hiesigen Postamt ein Briefträger beim Oeffnen von Briefen ertappt und in Hafk genommen.

Mergentheim. 23. Nov. Q ue l l g r ab u n g en. Die Ausgrabung der Albertquelle ist nun in einer Tiefe von 8.30 Meter bis zum Rotsandstein vorgedrungen und hat damit ihr Ende erreicht. Sobald das entsprechende Ma­terial zur Stelle ist, wird mit der Ausmauerung des 5.50 Meter breiten Quellenschachts begonnen werden. In den letzten Tagen war die Kohlensäureverdunstung unten an der Quelle so stark, daß die Arbeiter zeitweise zur Oberfläche heraufsteigen und.ihren Lungen frische Luft zuführen muß­ten. Mit der Ausschachtung der zweiten Quelle im Kur­garten ist am Dienstag begonnen worden.

Weilheim. OA. Kirchheim, 23. Nov. Einbruch. In der hiesigen Verkaufsstelle des Konsumvereins Kirchheim- Teck und Umgebung wurde in der Nacht zum Sonntag ein Einbruchsdiebstahl verübt. Der Einbrecher, der allem Anschein nach mit den Räumlichkeiten vertraut war, ging Ziemlich gewaltsam vor. Cs ist ihm aber nur ein kleiner Geldbetrag in die Hände gefallen.

Tübingen, 23. Nov. Von der Landesunioersi- t ä >. Bei. der zweiten Immatrikulation wurden 218 Stu­dierende in den Verband der Universität ausgenommen. Soweit sich bis jetzt übersehen läßt, kann im Wintersemester mit einer Besucherzahl von rund 2200 Studierenden ge­rechnet werden.

Tübingen. 23. Nov. Vortrag. Am Montag, den 29. November hält Professor Dr. H o e tz s ch - Berlin, M. d. R., im Festsaal der Neuen Aula einen Vortrag über das Thema:Die Lage im Osten (Deutscklands Stellung zu Rußland und Polen) im Rahmen der Weltpolitik".

Ulm» 23. Nov. Große Verluste. Wie derDonau­wacht" aus Augsburg mitgeteilt wird, hat die Firma Thor­mann- und Stiefel-AG. in Augsburg beim Bau des Neckar­kraftwerkes Reutlingen Verluste erlitten, die mehrere 100 000 Mark betragen sollen. Gemeinsam mit ihr soll eine Stutt­garter Firma, die mit der Firma Thormann und Stiefel bei Ausführung dev ist Frage kommenden Arbeit in einer Arbeitsgemeinschaft stand, ähnliche Verluste erlitten haben. Die Gesamtverluste beider Firmen sollen sich auf rund 600 000 -<l beziffern. Die Verluste seien angeblich nur zum kleineren Teil auf falsche Kalkulation, zum größeren Teil dagegen auf die Mangelhaftigkeit der Ausschreibungsbedin­gungen zurückzusühren.

Jsny, 23. Nov. Ausgrabung. In Großholzleute bei Jsny wurde ein Durchgangslager eines römischen Kastells mit einer gut erhaltenen Wasserleitung aus­gegraben

Vom Oberland. 23. Nov. Sturmschäden. Der in der Nacht zum Sonntag tobende Südweststurm richtete ziem­lich großen Schaden an. So wurden in Tettnang von den Dächern zahlreiche Ziegelplatten herabgerissen: außer­dem wurde im elektrischen Leitungsnetz die Stromzufuhr

dadurch unterbrochen, daß verschiedene Masten umgerissen wurden und so einzelne Stellen in der Umgebung der Stadt in der Frühe ohne Licht waren. Die Monteure der O.E.W. hatten den ganzen Tag zu tun, die Schäden zu beheben. Die auf der Höhe von St. Christi na gelegene Scheuer des Johs. Hecht riß der Föhnsturm nieder. Die in der Scheuer befindliche Frucht konnte geborgen werden, doch ist der Schaden bedeutend. Die schweizerischen Vorberge am Bodensee sind weit herab mit Neuschnee bedeckt. Auch der Pfänderstock ist zu zwei Dritteln in sein weißes Winter­gewand gehüllt.

Aus Stadt und Land

Nagold, 24. Noocnrber 1926.

Eine feine Seele bedrückt es, sich jenianden zum Dank verpflichtet zu wissen, eine grobe, jemanden zu Dank verpflichtet zu sein. Nietzsche

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Dieustuachrichteu.

Auf Grund der am 8. November 1926 und den folgenden Tagen adgehaltenen II. Dienstprüfung für kath. Volksschullehrer sind zur Anstellung auf ständigen Lehrstellen für befähigt er­klärt worden: At brecht, Karl von Möhringen OA. Horb, Kasper, Josek von Wangen z. Zt. in Gündringen, Rafz, Lorenz von Altheim OA. Horb, Wetzet, Innozenz von Rohr- dorf OA. Horb.

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5 Bortrag des Evang. Bolksbundes.

Am Sonntag Abend behandelte Pfarrer St übler von Wart vor zahlreichen Zuhörern die Frage: .Wos wartet auf ans?" Es sei eine Frage, die jeden denkenden Menschen be­schäftigen müsse. Denn einen Sinn bekommt das Diesseits nur im Blick auf ein Jenseits. Daher so manche Bemühungen der Menschen, den Schbier zu lüften, der uns das Jensens ver­hüllt. Wenn die Toten nicht auferstehen, so sind wir die elen­desten unter allen Krtüturen. Angesichts des Ernstes der Emig- keit'müssen aber alle Fragen der Neugierde vergehen. Anders, ganz anders (totalster aliter) als menschliche Gedanken und Phantasie sich das ausmalte, wird das Leden im Jeweils sein. Gewiß ist nur, daß dies zeilliche Leben mit dem Naturprozeß des Todes seinen Abschluß findet. Beweisen kann man das Jenseits nicht : aber Beispiele der Erfahrungen z.B. an Sterbe­betten, zeigen, daß hinter allem Leiblichen sich Geistiges abspielt. Wo kommt die Seele hin nach dem Abscheiden? Das Sterben ist ein Gericht. Erst durch Jesus sind auch die Pforten der Totenwelt geöffnet und rin Lichtschimmer dringt in das Dunkel. Em Zwischenzustand ist anzunehmen, in dem die Seelen bis zum Tage des Gerichts verharren, in Erwartung des Himmels oder der Hölle. Wer im Glauben gestorben, wird durch die Gnade gerecht (.solo kicke") ohne zur Reinigung eines Feg- feuers zu bedürfen. Es liegt kein ausdrücklicher Befehl Jesu vor, für die Toten zu beten, als ob man für sie noch etwas tun könnte; aber es ist ein Bedürfnis der Liebe, dies zu tun. Unsere Toten sind in Gottes Hand und könneir nicht zitiert und ihrer ewigen Ruhe gestört werden. Daß im Jenseits noch Bekehrung möglich sein kann, ändert nichts am Ernst der Ent­scheidungsstunde des Todes. Am Tag des Gerichts wird Gott sie Scheidung vollziehen. Die Freude der Seligen wird sein, Gott zu schauen von Angesicht zu Angesicht und in seiner Ge­meinschaft zu stehen. Ob es eine ewige Verdammnis gibt, oder ob Jesu Liebe siegt und schließlich alles wieder zurecht gebracht wird, daß der ursprüngliche Plan Gottes mit der Schöpfung in Erscheinung tritt? alles Fragen, wohl des Nachdenkens wert, aber nicht restlos zu lösen oder gar zu beweisen Heils­notwendig ist nur zu wissen, daß Großes auf uns wartet und mit Ernst die Gnadenzeit zu nützen.

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ep. Wachstum der evang. Arbeitervereine. Die Be­wegung der evang. Arbeitervereine ist in einem günstigen Fortgang begriffen. Am 1. Oktober 1925 betrug die Zahl der in dem Eesamtverband zusammengeschlossenen Organi­sationen 667 mit 93 397 Mitgliedern und 21 Berufs­arbeitern. Daneben steht eine aufblübende Arbeitcrinnen- bewegung, die zurzeit 117 Vereine mit 8 500 Mitgliedern umfaßt. Die er-ang. Arbeiterpresse zählt 12 Blätter.

Wanderersürsc-.gs io Württemberg und Baden. In Baden, da? ebenso wie Württemberg von einem starken Wandererstrem d>'".'b»oc.en wird, ward:» im Lauf der- lebten K-'- " ---ewm. Diese

Die Stellung K. Th. Schunds in der modernen Musik.

In Verfolg unseres Berichtes über die SO. Geburts­tags,eier K. Th. Schmid's und den früheren Ausführungen über die Bedeutung des Komponisten gehen uns nunmehr noch einige grundsätzliche Bemerkungen üb r die gegenwär­tige musikulifche Lage, insbesondere über die Elellung K. Th. Schunds in der modernen Musik zu, denen wir nach­stehend gerne Raum gewähren.

Unter dem gewaltigen Einfluß Richard Wagners war die Musik Programmusik geworden. Nachdem die Ausdrucksmittel der Fuge, Sonate und Symphonie erschöpft schienen, wollte man Schilderungen geben, wollte mit der Musik der Darstel­lung menschlicher Zustände und Vorgänge dienen. Damit war streng genommen die Musik außermusikalischen Zwecken unter­geordnet worden und hatte in ihrer Selbständigkeit, ihrem Eigenwert und ihrer Eigengesetzlichkeit Einbuße erlitten. Es kam hinzu, daß der technische Geist des Zeitalters die Steige­rung der musikalischen Ausdrucksmittel begünstigte und diese bei manchem Epigonen zum Selbstzweck zu werden drohten.

Von hier aus die Musik wieder zu sich selbst, d. h. zu einer Beschränkung auf rein musikalische Zwecke geführt zu haben, ist das Verdienst vor allem Anton Bruckners. Mit ihm in derselben Richtung wirkten und kämpften auch August Halm und sein jüngerer Freund Karl Theodor Schmid. Die Genanpten begannen, die reine musikalische Form wieder zu pflegen, die ihnen in der Gestalt der Symphonie, Fuge und Sonate keineswegs so überholt und tot schien, als es die öffent­lich meinenden Zeitgenossen wahr haben wollten.

Eine Gegenüberstellung dieser drei Komponisten unter­einander läßt nun die Gestalt Bruckners nicht nur ihrer über­ragenden Größe, sondern auch ihrer besonderen Geistigkeit wegen in Kontrast zu Halm und Schmid treten: Bruckner ist katho­lischer Mensch in des Wortes höchstem Sinne. Die Mütter­lichkeit der katholischen Geisteswelt ist der Nährboden, ohne den seine einzigartige Musik nicht gedacht werden könnte. Eine fast mittelalterliche Größe und Geschlossenheit ruht über seinem Werk, eine Bodenständigkeit seelischer Art, die nur eine wirk­liche religiöse Gemeinschaft gewähren kann und die der Protestant mitunter schmerzlich vermiß, und vermissen läßt. An Bruckner

gemessen wirkt die Musik der Protestanten Halm und Schmid problematisch.

Gemeinsam ist allen aber das hohe Ethos, das ihre Werke trägt. Nur Persönlichkeiten, die sich ihrer 'Musik unbe­dingt verpflichtet fühlen, deren Leben im unermüdlichen Dienst dieser hohen und strengen Herrin sein Ziel sieht, konnten solche Werke schaffen.

Schmid schrieb Präludien, Fugen und Sonaten, knüpfte also in der Form an Bach und Beethoven an. Eine solche Anknüpfung kann nicht Nachahmung sein, sondern ist Aner­kennung einer objektiv gültigen zeitlosen musikalischen Forin. Nicht alte Schläuche sollten mit neuem Wein gefüllt, nicht leere Behälter, aus einer Mischung von Pietät und in­nerer Armut gewissermaßen, beibehalten werden, sondern musi­kalischen Gesetzen sollte Genüge getan werden, Gesetzen geistiger, nicht naturwissenschaftlicher Art, Gesetzen, die eher verpflichtende Normen als unentrinnbare kau'ale Notwendigkeiten genannt werden können. Denn als eine solche Norm empfindet Schmid die musikalische Form. Sie ist ihm mehr noch lebendige Kraft als nur verpflichtendes Gewissen.

Schmids Fugen zeichnen sich denen Halms gegenüber durch größere innere Bewegtheit, durch stärkeres sinnliches Feuer aus. Wie Halm verwendet auch er neuzeitliche musikalische Ams- druckSmittel, so daß seine Fugen, verglichen mit denen Bach's, sich durch stärkere chromatische Geladenheil deutlich unterschei­den. Sie stellen Werke dar, die in strenger Schulung an den Klassikern herangereifl dock ganz zu unserer suchenden Zeit ge hören, ganz getragen sind von einem um moderne Kultur ringenden Geist.

Die Bearbeitungen alter Volkslieder für Mannerchor zeigen uns, wie sehr Schmid trotz aller Isolierung und Komplrzterung des schaffenden Gebildeten Kind des deutschen Volkes ge­blieben ist. Die übrigen Männerchöre pflegen in bewußtem Gegensatz zu dem herrschenden Stil eine ausgesprochen männ- d. h. heroische Musik.

In dem hohen Ethos, in der Erkennung der strengen musikalischen Form und der starken, durchaus modernen Vita­lität dürfen wir also zusammenfaffend die Merkmale sehen, die Musik Karl Theodor Schmids in besonderer Weise charakte risieren und den Platz des Komvonisten unter den Musikern der Gegenwart bestimmen. Dr. 2.