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Mittwoch, den 24. November 1926
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109. Jahrgang
Der Beleidigungsprozeß Stresemanns
PtN'-'i-, LZ. Nov. Jin wetteren Verlauf der Verhand- lung in der Klage gegen Rechtsanwalt Dr. Müller wegen der Beleidigung de:- Reiche Ministers Dr. Stresemann erklärt Dr. Müller, bei den Schiebungen der Evaporator Aknengesellschasr habe cs sich nicht nur um Schrott, sondern um Wagenladungen von Kriegsmaterial gehandelt, das von der Evaporator A.-G- um lächerlich geringen Preis in Deutschland ausoekaust und mit Riesengewinn nach Palen, Tschechoslowakin und Italien verkauft wurde. Stresemann sei an der Gesellschaft beteiligt gewesen und habe in ungesetzlicher Weise in das gegen die Direktoren der berüchtigten Gesellschaft, Paul und David Lit- w i n, eino-'-'ln? Trraiverfahren eingegriffen, so daß sie mit geri" 'ldstrafen davonkamen.
Bei der Beweisaufnahme wird eine Reihe von Akten verlesen. Daraus ergibt sich, daß im Sommer 1920 29 Eisenbahnwagen „Schrott" der Evaporator A.-G., für die Tschechoslowakei bestimmt, an der Grenze beschlagnahmt worden sind. Dr. Stresemann wandte sich als Aufsichtsratsmitglied der Gesellschaft in einem Schreiben an den damaligen Reichswirtschaftsminister Dr. Scholz, der ein Parteifreund Stresemanns ist, mit der Bitte, zu prüfen, ob die Beschlagnahme gerechtfertigt sei. Die zuständigen Stellen bestätigten aber die Beschlagnahme, und gegen die Direktoren Paul und David Litwin wurde ein Strafverfahren eingsleitet. Sie wurden freigesprochen, in der Berufungsverhandlung jedoch zu einer geringfügigen Geldstrafe verurteilt. Das beschlagnahmte Schrott war kein Alteisen, sondern vollkommen gebrauchsfähige Munition.
Hierauf wird das Protokoll der kommissarischen Verne h m u n g D r. Stresemanns verlesen., Stresemann erklärt, er habe gewußt, daß die beiden Litwin Juden seien, das habe ihn aber nicht im geringsten abhalten können, -geschäftlichen Varkehr mit ihnen .zu -Lie. Evaporator
Ä.G. sei ein ernsthaftes Unternehmen gewesen. Dr. Schacht fei Vorsiäenüer des Äussichtsraks gewesen. Cr lStressmann)
Sie VeWeblllis des SMderglmes an de Wendel
Die französische Presse und auch die elsaß-lothringischen Franzosenblätter, die sonst eifrig jede Kleinigkeit aus dem Saargebiet behandeln, schweigen sich über die — sehr auf Wahrscheinlichkeit gegründete — in der Oeffentlichkeit ausgesprochene Vermutung aus, daß nämlich die französische Regierung plane, die Kohlengruben des Saargebiets der französischen Firma de Wendel durchVerpachtungodersonstwieindieHände zu spielen. Nur sachte bereitet das Straßburger „Journal d'Msace et de Lorraine" seine Leser auf die Angelegenheit vor, indem es berichtet, die Kommunistische Partei in Deutschland werde im Reichstag dagegen Einspruch erheben, daß die Reichsregierung sich mit einem Verkauf der Saarbergwerke „teils an de Wendel und teils an Röchling (dem deutschen saarländischen Großindustriellen) einverstanden erkläre". Nach einigen Tagen meldete das Blatt weiter, es sei in keiner Weise davon die Rede, die „staatlichen" Bergwerke zu verkaufen, weder an Röchling noch an de Wandel, nicht einmal an Deutschland. Das seien bloße Gerüchte, die auf folgende Weise entstanden sein müssen: „Eine lothringische Bergwerksgesellschcrft baut einen Schacht ab in unmittelbarer Nähe der Saargrenzc. Ein Kohlenflöz dieses Bergwerks setzt sich unterirdisch auf saarländisches Gebiet fort. Man (d. h. die französische Regierung) hat sich gefragt, ob nicht eine Vereinbarung getroffen werden könne über den Abbau dieses Flözes durch die betreffende Gesellschaft. Das ist alles."
habe nicht in das Strafverfahren eingegriffen. Er habe persönlich Stellung genommen, weil er die Beschlagnahme nicht für gerechtfertigt gehalten habe.
Der Verteidiger, Rechtsanwalt Nietsch, stellt darauf eine Reihe von Beweisanträgen. Zahlreiche Akten sollen herangezogen werden, um zu beweisen, daß die Evaporator Ä.G. in geschäftlichen Kreisen, insbesondere auch bei den Ministerien, als hervm "ndes Glied des Rings derjenigen Firmen bekannt sei, die .... f f e n si ch t l i ch e m Schaden des Reichs und im Zusammenwirken mit Vertretern der Verbandsmächte in großen Mengen Heeresgut an sich gebracht und unter Verletzung gesetzlicher Bestimmungen an das Ausland verschoben habe, und zwar zum großen Teil während der oberschlesischen Wirren an das feindliche Polen. Ferner soll eine Änzahl von Zeugen über die Person Litwins vernommen werden. Ein weiterer Beweisantrag bezieht sich auf das Verhalten Stresemanns in der Sicherheitspaktfragc.
Aus eine Frage des Vorsitzenden erklärt der Vertreter Stresemanns, Rechtsanwalr Dr. Kun z. er hatte es für ausgeschlossen, daß Dr. Stresemann zur Verhandlung persönlich erscheinen werde. Das Gericht zieht sich hieraus zur Beratung zurück.
Nach etwa einstündiger Beratung verkündet der Vorsitzende, Amtsgerichtsrat Dr. Goldberg: Es wird beschlossen, eine Anzahl von Zeugen zu vernehmen und die Akten heranzuziehen, die in dem ersten Beweisantrag der Verteidigung genannt werden und dis Tätigkeit der Evaporator A.G. beireffen. Ferner wird die Vernehmung des Direktors Dr. Müller (Zehlendorf) beschlossen, der sich über die «Persönlichkeit Litwins äußern soll. Außerdem soll Reichsminister Dr. Stresemann noch einmal vernommen werden. Da Reichsminister des Aeußeren Dr. Stresemann nicht zur Verfügung steht und auch in den nächsten vier Tagen nicht zur Verfügung stehen wird, muß die Verhandlung auf unbestimmte Zeit vertagt werden. Die nächste Gerichtssitzung soll in Berlin sein, voraussichtlich aber nicht mehr in diesem Jahr.
Das ist alles, und es genügt. Jene „lothringische Bergwerksgesellschaft" ist die Gesellschaft „Saar und Mosel", die de Wendel gehört. Diese Gesellschaft will mit dem Abbau ihrer Flöze nicht an der Grenze aufhören, wo ihre Gerechtsame zu Ende sind, sondern sie will ins Saargebiet hinübergreifen. Daß die Vereinbarung de Wendels mit der französischen Regierung nicht zustandegekommen sei oder nicht zustandekommen werde, wird in dem Straßburger Blatt mit keinem Wort gesagt. Daher hat die Frage: Was geht im Saarbergbau vor? durch das verlogene Gerede des Straßburger Regierungssprachrohrs nichts von ihrer Dringlichkeit verloren.
Der Leiter der Röchlingschen Eisen- und Stahlwerke in Völklingen, Kommerzienrat Dr. Hermann Röchling, erklärt in der Presse, es sei eine freie Erfindung, daß die Firma Röchling irgendwie mit einem Kauf oder Verpachtung der Saargruben in Beziehung stehe. Davon würde die Firma schön aus nationalen Gesichtspunkten abgehcrlten werden, denn die Gruben gehören dem preußischen und dem bayerischen Staat und müssen an diese deutschen Staaten zurückgegeben werden. Schon aus diesem Grund würde die Firma niemals mit der französischen Regierung über Verpachtung usw. unterhandeln. — Cs handelt sich demnach ausschließlich um de Wendel, und die Firma Röchling ist in der Angelegenheit von der anderen Seite nur zum Zweck der Verschleierung genannt worden. -
Nk. 275 Segrünäet 1826
TiKgesspiegel
Der ZerneraschÄfklichen Sitzung des Auswärtigen «ad des HanLeispvlitischcn Ausschusses des Reichstags am 23. November wohnte Reiche-minister Dr. Stresemann nicht an.
Der badische Landtag wühlte die Landtagspräsidenten Dr. Baumgartner (Itr.)'und Msier-Heidelberg (Soz.) wieder. Zum Staatspräsidenten soll Dr. Köhler (Z'cr.) wiedergewählt werden.
Der Pariser .Maiin" schlägt vor, daß die Räumung des besetzten Gebiets etwas früher begonnen werden könne, dafür müßte Deutschland einer dauernden Ueberwachung zusammen. (i)
Nach Londoner Blättern wird Lhamberlcün eine Zusammenkunft mit Briand und Mussolini, etwa in Locarno, habe«, um in dem gespannten Verhältnis Frankreichs zu Italien zu vermitteln.
Ueber ganz Irland wurde der Ausnahmezustand verhängt wegen zahlreicher Angriffe der Sinnfeiner gegen Polizei und Militär.
Die große Mehrheit der kanadischen Eisenbahner hat sich in dem Lohnstreit für den Streik ausgesprochen.
Musiolim Wer die römische Frage
Nicht als ob Mussolini sie „lösen", d. h. dem Papst den Kirchenstaat wieder zurückerstatten würde. Denn für Mussolini gidts nur eine Passion auf Erden: Rom. Sie war von jeher und ist ihm heute noch Mutter und Geliebte. Dieses eine Wort, Rom, schrieb er immer wieder, von seinem zehnten bis zum sechzehnten Jahr, mit begeisterter Bewundemmg hin (Balte, Mussolinis Lebensgeschichte: „Vom Maurer züm Diktator"). Niemals würde er Rom mit «'«er anderen Macht auf Erden teilen. Niemals!
Und doch besteht die „Römische Frage" in der Rückgabe Äes Kirchenstaats. Vielleicht- daß Mussolini irgendwo anders dem Papst ein souveränes Gebiet einräumen: viel-' leicht auch, daß er die demütigenden Bestimmungen des verhaßten „Garantiegesetzes vom 13. Mai 1871" aufheben würde. Jedenfalls liest man heute nicht selten, daß Italien Hort vor der Lösung der „Römischen Frage" stehe. Aber das hat man schon oft gesagt. Wir glauben nicht, daß es schon so weit ist.
Dennoch steht — darüber ist kein Zweifel — Mussolini freundlich zur Kirche, freundlicher denn jeder italienische Staatsmann feit 1871.
Wohl ist er der Sohn einer der Kirche treu ergebenen Mutter, die ihm auch den ersten Unterricht erteilt hat. Auch hat er seine eigentliche Schulbildung in dem Institut der frommen Salesianer empfangen. Aber sein Vater Alessondro Mussolini, ein ehrsamer Schmied, war Sozialist und Sozia- listensichrer. Bald trat dann auch sein Sohn, der seinen Vater schwärmerisch verehrte, in dessen Fußtapfen ein. In Lausanne, wo er als Maurer arbeitete, und in Genf, wv er die fürchtbar.sten Nöte eines hungernden Arbeiters bis an den Non'r d'r Verzweiflung durchkämpfte, war er Sozialist, erbitrercer Sozialist, daneben begeisterter Änhänger eines Nietzsche und dessen Lehre vom „Uebermsnschen". Mussolini war als Jüngling und jüngerer Mann ein ausgesprochener Religionsgegner, und auch heute ist der 43- jährige Duce ein abgesagter Feind jeder kirchlichen Formel, ein Gegner des politisierenden Klerus. Und dennoch weiß er die Segnungen zu würdigen, die Italien der christlichen Religion verdankt. „Er hatte die Tiefe und die Erhebung kennen gelernt, die Mack,t des katholischen, universalen, römischen Reichs, dessen Bürger Christus ist. wie sich auch Paulus als dessen Bürger bekannte, „eine Macht nationaler Einheit und allumfassender Ausdehnung, die nicht mehr übergangen werden kann." (Balte).
So erklären wir uns Mussolinis Stellung zu allen anti- üerikalen Vereinigungen, vor ollem zur internationalen Freimaurerei, dis er vom Grund seines Herzens verabscheute.
Neun Monate nach der Wahl des jetzigen Papstes Pius XI. kam Mussolini ans Ruder, und bald nach seinem Regierungsantritt erklärte er: „In Rom können zwei Gewalten nebeneinander bestehen, ohne daß sie sich gegenseitig z» schmälern brauchen: das Haupt des Katholizismus und der König des großen Italiens." Sein Unterrichtsminister Gentile führte den Religionsunterricht wieder in den Schulen ein. An den Wänden der Schulzimmer erschien wieder das Kreuz. Selbst im Kolosseum wurde es wieder crufgerichtet. Die Einkommensverhältnisse der Geistlichen wurden verbessert. Der kaiholischen Heidenmission den ftoliemschei, Missionsansialten und religiösen Ordensgesellschaften wurden staatliche Mittel zur Verfügung gestellt.
9?Gmte staatlich-kirchliche Gesetzgebung erfuhr ein« Mündliche Reform und dies unter Mitwirkung kirchlicher Würdenträger. Auck Mussolini ließ sogar seinen Freund Farin acci, den Generalsekretär der Faszistischen Partei, müen, dieser den Kardinalstaatssekrctär Gasparri
persönlich angegriffen hatte.
Noch mehr: Mussolini ließ die Heuer verstorbene Schwester Äes Papstes Pius X. auf Staatskosten beisetzen; er setzte unter den neuerlichen Aufruf zur Errichtung eines Nationaldenkmals für den hl. Franziskus von Assissi als erster seinen Namen, und bei der Jubelfeier am 4. Oktober in Assis,'i vräsentierte das Militär. Und bier war es, daß der päpst
liche Kardinallegat Merry del Val, dem von der Regier»»« ein Sonderzug zur Verfügung gestellt wurde und zu dessen Ehren die Feldartillerie 21 Schüsse löste, beim Empfang auf dem Rathaus dem Unterrichtsminister Fedcle gegenüber ausdrücklich Mussolinis gedachte, „der heute die Zügel der italienischen Regierung in Händen hält, der in klarer Erkenntnis der Wirklichkeit der Dinge es will, daß dis Religion geachtet, geehrt und ausgeübt wird, der, sichtbar von Gott geschützt, weise das Leben der Nation erhöht und ihr Ansehen in der ganzen Welt gemehrt bat."
Mussolini hat für Heuer, aus Rücksicht aus die Gefühle des Papstes, die alljährlich übliche Feier ain 20. September zur Erinnerung an den Einmarsch der italienischen Truppen durch die Bresche der Porta Pia untersagt. Gewiß ein weites Entgegenkommen gegen die Kurie! Aber die „Römische Frage" ist damit noch lange nicht gelöst! Das Hot auch der Papst wiederholt ausgesprochen.
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Wer nicht wirbt, der verdirbt!
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Neuestes vom Lage
Stresemann übec die Zeilungssrage Berlin, 23. Nov. Im Reichst«gsousschuß für Auswärtiges erklärte Reichsminister Dr. Stresemann bezüglich des Verhältnisses der Reichskanzlei und des Auswärtigen Ämls zur „Deutschen Allgemeinen Zeitung": Das Verlagsunternehmen der D. A. Z., das im August 1923 von der preußischen Regierung erworben wurde, sei im April 1926 auf die Reichsregieruna übergegangen bis auf einen kleineren Anteil, der sich in Privatbesitz befand. Die Ausgaben für das Blatt werden aus den etatrechtlichen Verfügungsgeldern des Reichskanzlers und des Reichsaußen- irrinisters gedeckt. Ueber die redaktionelle Haltung des Blatts seien Verabredungen getroffen, di« der allgemeinen Richtung des Blatts entsprechen. — Die Angaben des Berliner Tageblatts werden also von Dr. Stresemann im wesentlichen bestätigt.
Streik und Aussperrung in Thüringen Gera, 23. Nov. 3n den Betrieben von Echulenburg und Bißler in Gera-Zwötzen und E. Engländer AG. in Berga wird seit einiger Zeit gestreikt. Der sächsisch-thüringische Webereivcrband hat nun beschlossen, sämtliche Betriebe in Dero und Greiz zu scbließcn, sal.': in den vorgenannten Be-