7. Jahrgang
Die ^cjcjiunöc
itummer 87
(Einet — oben tuen?
Von Heinrich Sauerborn
Inspektor Trent sah nachdenklich über seine Gäste. Der breitschultrige Hüne war Hamilton Skinner, der berühmte Boxer. Für nicht minder berühmt galt der Jazzdirigent Irving Darnell. Zwischen ihnen hatte June Ellington Platz genommen, eine berückende Frau mit rotem Kamelienmund, schulterlangen Locken und verführerischen Linien.
„Ich möchte gerne eine Menge über einen gewissen Eddy Thorpe erfahren“, begann der Inspektor. „Er wurde gestern abend in Ihrer Gesellschaft in der BB-Bar gesehen. Wer ist Thorpe? Wo kommt er her? Wer von Ihnen kennt ihn näher?“
Skinner zog seine breiten Schultern hoch. „Und das fragen Sie mich?“ Wenn Thorpe irgendwas auf dem Kerbholz hat — ich halte es mit Pilatus. Ich kenne Thorpe nicht und habe ihn nie gesehen, bevor er gestern in der Bar erschien. Er kam zur Tür herein, erkannte mich und setzte sich an meinen Tisch. Er war leicht beschwipst und wollte wissen, wie es bei meinem nächsten Match um die Chancen meines Gegners bestellt sei. Daneben erkundigte er sich noch Gott weiß nach was allem, ich habs vergessen. Später kamen noch Miß Ellington und Darnell hinzu.“
Trents Blick wechselte zu Darnell über.
„Ich habe genau zweimal mit ihm gesprochen“, knüpfte dieser sogleich an, „beide Male in der BB-Bar. Er scheint sich sehr für atonale Musik zu interessieren, angeblich kann er die Technik Honeggers von der Hindemiths genau unterscheiden. Ohne jeden Anlaß lud er uns drei gestern ein, in seiner Bude ein paar Cocktails mit ihm zu trinken, und wir gingen mit.“
„Und Sie?“ wandte er sich an Schön-June.
„Oh — ich kannte ihn kaum“, erwiderte sie und errötete plötzlich. Sie warf Darnell einen schnellen Blick hin und fuhr fort. „Unser Jazzonkel stellte ihn mir vor. Ich erinnere mich nicht mehr, worüber wir sprachen. Sonst noch was?“
Trent seufzte. „Ja, es dürfte sie vielleicht interessieren, daß Thorpe gestern nacht in seiner Wohnung erschossen wurde“, versetzte er trocken. „Kurz nach zwei Uhr. Und einer von Ihnen ist der Mörder!“
„Erschossen!“ entfuhr es Skinner.
Trent hüstelte. „Ganz recht. Einer von Ih-
Giifrce ©etjeimnis
Im Hause ist irgend etwas los, sogar die Kinder spüren es, und als Peter, der Siebenjährige, ganz unten im Kleiderschrank nagelneue Babywäsche entdeckt und den Vater fragt: „Pappi, was soll denn das?“ da hilft es nun wirklich nichts mehr, und der Vater vertraut ihm das süße Geheimnis an. „Ja, Peter, du wirst eine kleine Schwester bekommen oder einen Bruder. Aber nichts verraten, verstanden?“ Peter ist Feuer und Flamme, und natürlich wird er schweigen wie das Grab, Ehrenwort!
Am nächsten Tag geht er mit der Mutter spazieren und seltsam, sie tut etwas, was sie noch nie getan hat: Sie fragt den Peter, welche Jungen- und Mädchennamen er am schönsten findet. Hermann? Wilhelm? Sieglinde? Dorothee? Max? Ingeborg?
Peter entscheidet sich für Hermann und Ingeborg, aber kaum ist er wieder im Haus, rast er ins Arbeitszimmer des Vaters: „Du, Pappi“, flüstert er, „Mutti muß was gemerkt haben! HansRiebau
nen ist nachher in seine Wohnung zurückgegangen, hat ihn erschossen und ihm den Revolver in die Hand gedrückt, um einen Selbstmord vorzutäuschen. Ulkige Nudel, der Täter. Welcher Selbstmörder schießt sich eine Kugel in die linke Schläfe, wenn er nicht gerade Linkshänder ist?"
Die beiden Männer starrten an Trent vorbei ins Leere. Miß Ellington gähnte unverhohlen und begann in ihrem Handtäschchen zu kramen. Trent betrachtete gedankenverloren ihre langen, verführerischen Beine Welch eine Frau! Es mußte nachgerade eine Gunst sein, von ihr erschossen zu werden, dachte Trent. Er wünschte seufzend, sie wäre nur halb so anziehend, wandte sein Gesicht Darnell zu und sagte:
„Gingen Sie noch einmal zu Thorpe zurück?“
„Ja“, antwortete der Dirigent. „Es war ganz harmlos...“
„Natürlich", nickte Trent spöttisch, „es ist Immer ganz harmlos.“ Darnell rang die Hände.
„Aber so hören Sie doch“, bat er in beschwörendem Ton. „Es ist wirklich ganz einfach- Als ich nach Hause kam, erinnerte ich mich, daß ich mein Zigarettenetui auf Thor- pes Rauchtisch vergessen hatte, nahm also ein Taxi und fuhr nochmals zu Thorpe hin. Auf mein Läuten öffnete er selbst. Ich fand mein Etui, wir tranken stehend noch einen Martini, dann fuhr ich nach Hause.“
„Sie können sich vermutlich nicht mehr entsinnen, ob die Cocktailgläser, die Sie vorher benutzt hatten, noch auf dem Tisch standen?“
„O ja, recht gut“, äußerte Darnell. „Als ich fortging, standen nur noch die beiden Martini-Gläser auf dem Tisch. Die vorher benutzten hatte schon jemand fortgeräumt.“
„Und Sie beide sind sicher gleich nach Hause gegangen?“ wandte sich Trent an Skinner und Schön-June.
„Ich lag Punkt zwei Uhr in der Klappe“, grinste der Boxer, während Miß Ellington gelangweilt nickte.
„Dann begreife ich nicht“, fuhr Trent kopfschüttelnd fort, „wieso Thorpe und Sie, Darnell, auf die ausgefallene Idee kamen, sich die Lippen rot zu färben. Entweder frönten Sie beide diesem femininen Laster, oder“ — sein Blick zielte auf Schön-June und Skinner — „jemand von Ihnen beiden lügt ganz entsetzlich. Auf dem Tisch standen wirklich zwei Cocktailgläser, aber beide wiesen die Spuren von Lippenrot auf.“
Trent sah von einem zum anderen. Miß Ellington prüfte gähnend ihre Lippenkontur; Darnell klimperte eine Jazzmelodie auf seinen Hosenfalten; der Boxer war nahe am Einnicken.
„Vielleicht gibt uns Miß Ellington eine Chance“, äußerte Trent.
„Ich? Wieso ich?“ Schön-June unterbrach die Renovierung ihrer Reize und schaute wütend auf Trent. „Etwa wegen der verchmier- ten Cocktailgläser? Na schön, damit Sie’s wissen, ich bin tatsächlich nochmal zu Thorpe zurückgegangen. Klingt vielleicht komisch, wenn ichs jetzt erst sage, aber es ging mir haargenau wie Mr. Darnell. Ich hatte mein Handtäschchen in seinem Zimmer auf der Couch liegen lassen. Ich ging also zurück und sah eben noch, wie ein Mann aus Thorpes Haustür trat, in ein wartendes Taxi sprang und davonfuhr...“
„Unser Jazzonkel“ bemerkte Trent maliziös.
„Mag sein. Ich konnte ihn im Halbdunkel der Straße nicht erkennen. Möglich, daß Darnell es war. Ich trat ein, alle Türen standen offen. Ich hatte ein blödes Gefühl in der Magengrube. Irgend etwas, sagte ich mir, war hier nicht in Ordnung. Als ich in Thorpes Zimmer kam, mußte ich mich plötzlich an die Wand lehnen: In einer Blutlache asm Boden lag Thorpe, in der rechten Hand den Revolver. Es war ein scheußlicher Anblick, und mir wurde speiübel.“
Trent grinste- „Da fiel Ihr Blick zufällig auf die halbgeleerte Flasche Martini...“
„O ja, ich trank ein Glas voll. Dann holte
Vet gausfölüffel
Von Karl Fuß
Als Cornelia sich verheiratete, sagte der Vater am Hochzeitstag zu ihr: „Hier, liebes Kind, gebe ich dir den Hausschlüssel, den du als erwachsenes Mädchen immer gehabt hast
— nimm ihn in dein neues Leben mit: du sollst immer das Gefühl haben, daß du zu jeder Stunde im Elternhaus ein- und ausgehen kannst wie bisher!“ Die Mutter nickte unter Tränen dazu.
Cornelia lächelte über die sentimentale Anwandlung der Eltern, sie war sehr glücklich als junge Frau und wußte, daß sie jetzt kraft natürlicher Gesetze anderswohin gehörte: in die Arme und in das Haus des Gatten. Aber sie nahm den Schlüssel dankend an — er war immerhin ein Stück Heimat, das man in Ehren zu halten hatte. Und als sie eines Tages unangemeldet die Eltern besuchte, war es ihr doch eine innige Genugtuung, den Schlüssel, ihren Schlüssel aus der Handtasche zu holen, leise die Haustür zu öffnen und plötzlich vor den freudig Überraschten zu stehen.
Als dann Krieg war und ihr Mann Soldat werden mußte, da kam sie oft zu den Eltern
— und sie fand Vaters Geschenk gar nicht
Das öüöfccmaödjcn HIoija
Von Joseph Baur
Auf der Südsee-Insel Wakauri, in Mister Bihardys Hotel „St. Regis“, hatte ich das Vergnügen, mit Herrn Otto Quendli aus Zürich, Wein und Früchte en gros, bekannt zu werden. Er begleitete mich oft, wenn ich unter den Eingeborenen fotografierte, und auf diese Weise lernten wir Aloya kennen.
Aloya war eine besonders auffallende Inselschöne. Ich hielt sie für eine Kreolin. Wenn sie, die leuchtende Hibiskusblüte im üpprig gekräuselten Haar, mit klangvoller Naturstimme Lieder zur Hawaizither sang, erlag auch der nüchternste Geschäftsmann dem einschläfernden Zauber des Südseeparadieses. Herrn Quendli allerdings machte die Sache mehr zu schaffen als mir. Bei ihm war das Herz beteiligt, und ein Herz ist schwerer zufriedenzustellen als eine Kamera. Ich ermunterte ihn, etwas geschehen zu lassen. Und er, der von sich aus nie ein Wort über diese Angelegenheit gesprochen hätte, nahm meine Mitwirkung erfreut und dankbar an.
In einer klaren Mondnacht verließen wir Mister Bihards HoteL Herr Quendli trug eine Flasche Whisky bei sich. Alle Schläfrigkeit des Tags war vergangen, wach war das tönende, duftende, wirre Leben der tropischen Nacht. In dieser Wunderwelt dachte man gar nicht daran, daß es vielleicht zu spät sei für einen Besuch bei einer Dame, oder gar, daß man sich etwa vorher anmelden müsse. In Aloyas Hütte brannte Licht, das war bei Eingeborenen eine Seltenheit und gefiel uns nicht besonders. Herr Quendli wischte sich den Schweiß von der Stirne und blieb ein wenig zurück.
Aloya war nicht allein. Schon von weitem hörten wir sie laut sprechen, ganz entgegen ihrer sonstigen melodisch ruhigen Art. Vorsichtig schlichen wir uns an das Fenster. Verblüfft sahen wir, daß sich Aloya von der Hotelfriseuse die Haare kräuseln ließ. Bisher hatte ich Südseelocken immer für echt gehalten. Aloya hatte einen modernen Schlafanzug an und benahm sich ganz wie eine Dame, lässig und ein wenig müde. Mit der Friseuse unterhielt sie sich in einer Sprache, die mir völlig unbekannt war. Herr Quendli blickte mit staunend aufgerissenen Augen in die
Hütte und nahm mit sichtlich gespitzten Ohren Aloyas Worte auf. Nachtschmetterlinge kletterten über sein kurzgeschorenes Haar. Plötzlich wandte er sich ab und ging davon. Ich folgte ihm kopfschüttelnd.
Er saß nicht weit von der Hütte im Gras und trank schon wieder aus der Whiskyflasche. Meine Frage, ob er diese seltsame Sprache kenne, löste ein lautloses Gelächter aus. Und ob, sagte er dann, er werde doch Schwy- zer Dütsch verstehen. Die Hotelfriseuse sei Schweizerin.
So. Ja, aber Aloya? Wieso verstehe die Schweizerisch und was habe sie gesagt?
Herr Quendli kämpfte mit einem neuen Lachanfall. Dann machte er mir klar, daß Aloya, wie er dem Gespräch zweifelsfrei entnommen habe, aus Zürich stamme und von Mister Bihardy für gute Dollars als Südseemädchen engagiert sei. Sie sei freilich mit ihrer Tätigkeit recht unzufrieden, aber ein Kontrakt binde sie noch für längere Zeit.
Ich muß sagen, ich war sehr enttäuscht. Herr Quendli dagegen schien aufs angenehmste überrascht und plötzlich von allem Lie- besschmerz genesen. Lachend nahm er seine halbgeleerte Flasche und ging kühnen Schrittes voran in Aloyas Hütte.
Ich hörte ihn drinnen vergnügte Worte sagen, die ich wieder nicht verstand. Es folgte ein Augenblick Stille und dann ertönte lautes, dreistimmiges Gelächter. Betrübt dachte ich an meine schönen Aufnahmen, und daß hier wahrscheinlich alle Südseemädchen von Mister Bihardy engagiert waren. Langsam ging ich zurück ins Hotel. Dort trank auch ich einen Whisky.
Mit dem nächsten Schiff sagte ich Wakauri Lebewohl. Auch Herr Quendli war an Bord. Aber nicht mehr allein. Er reiste jetzt in Begleitung einer eleganten, tiefgebräunten jungen Dame, die ihr schwarzes glattes Haar sehr apart trug: Fräulein Aloysia, alias Aloya, genannt Loisi.
Herr Quendli hatte sie von ihrem gehaßten Kontrakt losgekauft und ihr einen weit besseren dafür geboten. Ich nehme an, daß er auf einem Schweizer Standesamt unterzeichnet wurde.
mehr sentimental. Wie beglückend war das Bewußtsein, jederzeit den Schlüssel zum Haus — und zum Herzen der Eltern zu haben. Der geliebte Mann war ja fort, würde er je wiederkehren?
Nein, er kehrte nicht wieder. Als sie die Nachricht von seinem Soldatentod erreichte, fiel trostloe Einsamkeit über ihr Herz. Die erste Linderung verspürte sie, als sie ihre Trauer zu den Eltern trug und mit ihrem Schlüssel das Haus öffnete. Nein: sie war doch nicht ganz verlassen, solange dieses Stückchen Eisen ihr noch eine Zuflucht aufschloß.
Sie nahm ihr Schicksal tapfer auf sich wie so viele Frauen. Unerträglich fast wurde es ihr nur, als sie eines Tages wieder die Eltern aufsuchen wollte und mit dem Schlüssel in der Hand vor Ruinen stand. Das Tor dazu war noch da, aber es klaffte weit offen. Unter den Trümmern lagen die Eltern. Vom Heim ihrer Kinder- und Jungmädchenjahre war ihr nur der alte Schlüssel geblieben.
Auch das Haus, in dem sie selber wohnte, wurde bald darauf durch die Kriegsfurie zerstört; mit knapper Not entging sie dem Tode.
Sie hätte den Schlüssel nun wegwerfen können, aber sie bewahrte ihn sorglich auf und trägt ihn seitdem immer bei sich. Er erscheint ihr wie ein Unterpfand kommenden Glücks. Das unansehnliche Stück Metall hat die tiefsten Kräfte ihres Geistes und ihrer Seele geweckt — sie wird nicht nachlassen, bis sie eines Tages wieder ein eigenes Heim hat, hinter dem sie die Tür zuschließen kann. Und der alte Schlüssel muß dann dazu passen. ..
„mijloci) tDafcfyeti jidj i>od)? w
Von Ferdinand Silbereisen
Lord Asburn, welcher wegen seines Reichtums, aber auch gleichzeitig wegen seines Geizes bekannt war, wohnte einmal einem von der Fürstin Metternich geleiteten Wohl- tigkeitsfest in Wien bei
„Wollen Sie bitte diese goldene Zigarettendose kaufen?“ fragte die Fürstin mit einladendem Lächeln den Lord.
Er schüttelte ablehnend den Kopf. „Ich rauche gar nicht“, erwiderte er.
„Dann vielleicht diesen Federhalter aus Silber und Ebenholz?“ schlug die Fürstin vor.
„Danke vielmals. Meine Korrespondenz erledigt mein Sekretär!“
„Aber dann doch wohl eine Bonbonniere gefällig?“
„Bedauere, Süßigkeiten verderben die Zähne!“
Da nahm die ratlose Fürstin einen Karton Seife in die Hand und fragte mit maliziösem Lächeln: „Mylord waschen sich doch wohl?“
Jetzt mußte der in die Enge getriebene alte Geizkragen wohl oder übel seinen Geldbeutel ziehen.
ich mein Täschchen von der Couch und lief wie gehetzt davon.“
Trent hatte sich zurückgelehnt und sah zufrieden auf Schön-June. „Danke, Miß Ellington“, sagte er verbindlich, „das war eine sehr offenherzige Art, uns zur Lösung des Rätsels zu verhelfen.“
„Was soll das heißen?" fuhr die Frau auf.
„Daß ich jetzt weiß, wer Thorpe ermordet hat“, erklärte Trent.
„Ich wußte es eigentlich schon in den ersten zwei Minuten, nachdem Sie hierherkamen.“
„Na, und — wer war’s?“ fragte Schön-June sichtlich irritiert.
„Sie, Miß Ellington!“ erwiderte Trent. „Ihre Geschichte von der Handtasche klingt durchaus plausibel, und Sie brauchen jetzt nur noch zu gestehen, daß Sie statt des einen Cocktails deren zwei tranken, den einen, den Thorpe Ihnen kredenzte — den zweiten, nachdem Sie ihn erschossen hatten. Es war Thorpes Glas, das er sich für sich selbst noch eingeschenkt hatte. Da Sie sehr freigebig mit Ihrem Lippenstift umgehen, waren die Spuren davon auf beiden Gläsern zu sehen!“
„Aber das ist ja Wahnsinn!“ rief Schön- June schrill. „Ich sagte Ihnen doch, daß Thorpe bereits tot war, als ich zurückkam. Ebensogut kann Darnell ihn erschossen haben. Und er hat ihn erschossen, ganz sicher.“
„O nein, er hat ihn sicher nicht erschossen“, erwiderte Trent bekümmert. „Thorpe lebte noch, als unser Jazzonkel ihn verließ, und er war auch nicht tot, als Sie, Miß Ellington eintrafen. Der Taxichauffeur ist Zeuge, daß Thorpe selbst die Haustür hinter Darnell schloß — während Sie draußen im Dunkeln standen und warteten, bis Darnell
im Auto davonfuhr_“ Trent kicherte. „Die
Sache ist doch wirklich einfach: Bis zu dieser Minute hat die Öffentlichkeit noch nichts über den Mord erfahren, niemand, die Polizei ausgenommen, weiß davon — folglich konnte bis zu Ihrem Eintritt in dieses Zimmer nur der Mörder von Thorpes Ende wissen. Und Sie allein, Miß Ellington, wußten davon, als Sie herkamen.“
Schön-June verzog spöttisch den roten Kamelienmund. „Was Sie nicht sagen! Und woher wissen Sie, daß ich es wußte?“
„Aus dem kleinen Fehler, der Ihnen unterlief“, erwiderte Trent bedauernd, „als Sie eingangs auf meine Frage nach Thorpe in der Vergangenheitsform reagierten. Ohne ihr Wissen um Thorpes Schicksal vorzeitig preiszugeben, antworteten Sie prompt: „Ich kannte ihn kaum!“
Trent seufzte. Es fiel ihm immer wieder schwer, eine reizvolle Mörderin zu überführen.
Regendeit im WaWe
Von Friedrich Schnack
Eines Tages befiel Schwermut den Wald. Die Bäume winkten nicht mehr mit lächelnden Blattblicken aus Gründen und Dämmerungen, sie machten ernste Schattengebärden, abweisend entflohen die krummen Wurzeln. In trübe Seelenstimmung tauchten die Fichten, unwirsch starrten die Kiefern, die Tannen versteiften sich in düsterer Verhaltenheit, Schwärze überfloß die Wacholderbüsche, selbt die sanften Lärchen waren von schwerem Gedankendunkel durchtränkt. Alle Bäume lauschten empor in die dumpfe Stille des Himmels.
Plötzlich setzten sich Wolken in die Wipfel. Der Weg durch den Wald verlöschte. Die Mooskissen verloren ihren Goldglanz. Die Käfer verschwanden, in ihre Astnester und Baumhöhlen huschten die Vögel. Das Getier suchte seinen Unterschlupf bei den Wurzeln, den pelzigen Flechtenmähnen und in den Ge- röllöchern, denn die Wolken hoch oben in den Wipfeln schmetterten durch das Gezweig vereinzelte dicke Tropfen, die aufplatzten wie saftige Beeren aus einer Regentraube.
Die Windstimme begann eifrig zu flüstern, redete auf die Zweige ein, die Tannenwedel, auf die Blätter, die sich schüttelten. Aufregende Gespräche, unwillige Windworte durchsummten das Gehölz. Ein fremder Geist war hereingekommen und wühlte die Seele des Waldes auf. Die Baumgesichter empfingen ihn mit gerunzelten Brauen, starren Stirnen, ungemütlichen Mienen. Das Gebüsch sträubte und bückte sich, indessen eine Handvoll Trommeltropfen darüber hinsprühte. Die kleinen Waldblumen aber duckten sich tief unter die Faltengewänder des Dickichts.
Von allen Seiten schossen jetzt Zuglüfte in den Wald. Pfeifend rannten sie von den Hügel und rissen die Waldtüren und Blättervorhänge auf. Sie hasteten über die Lichtungen, und die Rehe gingen ihnen mit wilden Sätzen aus dem Weg. Sie stampften über das Heidelbeerkraut, preschten durch das Dschungel der Farne, die gleich einer grünen Vogelschar auf dem Waldboden mit Schwingen schlugen, und rollten strudelnd abwärts.
Wasserschnüre stürzten vom Himmel, mit Regenseilen wollten die Wolken den Wald fesseln. Es brummte gereizt, stieß mit rissigen Muskeln und Fäusten derb um sich. Die bejahrten Bäume schalten in den Aufruhr, vor Zorn grollten die Eichen. Mancher Baum war ein Krieger und erprobt in vielen
Sturmkämpfen: er hieb in die Zuglüfte und warf die Regenschnüre triefend aus seinem
Astwerk. Sturm- und Windhömer erklan
gen. Das Laub schäumte und zischte.
Sebastian war in das Haus geflüchtet und schaute durch die Scheiben. Der Wind stürmte übers Dach und ratterte in den Schindeln. Aus den Wolkenlüften brandeten Gießbäche und plätscherten über Wurzeln, Steine und Grasbüschel. Der fleischige Leib des Waldes, getroffen von den Peitschenhieben und Faustschlägen des Sturmes, ächzte. Aufgespießt
hing der tote, graue Himmel in den Baumspitzen und auf den Astpflanzen, aus tausend Löchern wurden Wasserstürze gespien.
(Entnommen dem Roman „Sebastian im Wald' von Friedr. Schnack, dessen Geschichte eines jungen Mädchens „Der erfrorene Engel wie auch die Gedichtsammlung „Die Lebensjahre kürzlich in fast bibliophiler Aufmachung im selverlag zu München und Kempten erschiener.