FREITAG, 18. MAI 1951

NUMMER 75

Geheimagenten-Beridste

Der deutsche West-Ost-Handel

FDJ-Demonstranten randalieren ...

WASHINGTON. Seit Beginn des Koreakrie­ges hätten westdeutsche Industriewerke kriegs­wichtige Waren im Werte von mehreren Mil­lionen Dollar nach dem kommunistischen China geliefert, behauptete der Sonderbeauftragte der amerikanischen Regierung für die Untersu­chung der westdeutschen Ostexporte, Kenneth Hansen, vor dem Untersuchungsausschuß des Senats für Exportkontrolle. Unter den Lie­ferungen, die nach der Mandschurei gegangen seien, habe sich einvollständiges Kraft­werk" befunden.

Die legalen Exporte der Bundesrepublik nach China betrugen nach Angaben von Han­sen im letzten Vierteljahr 1950 wertmäßig sie­ben Millionen Dollar (29,4 Millionen DM) ge­genüber vier Millionen Dollar in den voran­gegangenen neun Monaten. Der illegale Han­del mit den kommunistisch beherrschten Ge­bieten erreiche jedoch möglicherweise einen Wert von 50 Millionen Dollar jährlich. Ihm seien bei seiner Inspektionsreise durch West­deutschland auch noch höhere Schätzungen bis zu 350 Millionen Dollar (!) genannt worden.

Geheimagenten" hätten ihm anvertraut, daß gewisse Waren sichgerade jetzt auf dem Weg in ihre Häfen befänden. Aus den Akten im Büro des Hohen Kommissars McCloy gehe hervor, daß es in Westdeutschland zahlreiche in kommunistischem Besitz sich befindende und unter kommunistischer Leitung stehende Firmen gebe, deren einzige Aufgabe der Transport von Waren nach dem Osten sei.

Alles ist schlechter

Schumacher attackiert Bonn

BONN. In einer Rede über den Bayerischen Rundfunk beschuldigte der Vorsitzende der SPD, Dr. Schumacher, die Bundesregie­rung, sie habe dienationalistischen und anti­demokratischen Instinkte im deutschen Volk durch eine verfehlte Politik künstlich hochge­päppelt. Notwendig sei einevöllige Umkehr der Wirtschafts-, Steuer- und Sozialpolitik.

Jeder Radikalismus in Deutschland sei heute ein Rechtsradikalismus, der nicht möglich wäre ohne die verfehlte Politik der Regierung. Schumacher verlangte dieAnwendung staat­licher Machtmittel bei den Auseinandersetzun­gen mit dem Rechtsradikalismus.

Besonders scharf griff Schumacher die Poli­tik der Bundesrepublik in der Saarfrage und den Schumanplan an, derdie Legende von der deutschen Gleichberechtigung widerlegt.

Die deutsche Substanz sei weitgehend ver­wirtschaftet worden aus Mangel an Voraus- schau, Planung und Lenkung. Alles sei heute schlechter, als es zu sein brauche. Die außen­politischen Erfolge der Bundesregierung seien nichts weiter alszu spät und unzureichend gewährte Selbstverständlichkeiten, die die Ent­wicklung der Weltkonstellation mit sich ge­bracht hätten.

Spaak kritisiert Ministerrat

Europäisch-amerikanische Herbstsitzung

STRASSBURG. Der Europarat wird in Kürze den britischen Liberalen, Lord L a y t o n, nach Washington entsenden, damit er mit führenden amerikanischen Politikern über die zukünftige Beziehung zwischen dem Europarat und den Vereinigten Staaten und die Teilnahme ameri­kanischer Parlamentarier an der Herbstsit­zung des Europarats berät. Der Präsident der Beratenden Versammlung des Europarats, Paul-Henri Spaak, teilte auf einer Presse­konferenz mit, daß sich die Tagesordnung der gemeinsamen europäisch - amerikanischen Herbstsitzung auf einige Hauptfragen, so die Lage Europas nach Beendigung der Marshall- Planhilfe und den Wiederaufbau der europäi­schen Länder, beschränken werde.

Spaak warf dem Ministerrat vor, das Statut des Europarats durch mangelnde Überweisung entscheidender Fragen an die Beratende Ver­sammlung vernachlässigt zu haben.

Fortsetzung von Seite 1

28jähriger Zugehörigkeit mit einer Partei zu brechen, ist mir sicherlich nicht leicht gefal­len. Nach reiflicher Erwägung mußte ich je­doch zu dem Entschluß kommen, daß es in der KPD keinerlei freie Meinungsäußerung mehr gibt, daß auf Grund der neuesten orga­nisatorischen Maßnahmen (Partei neuen Typus) ein übler Gesinnungsterror auf die Mitglieder ausgeübt wird und daß dies nur noch mit dem Sammelbegriff brutale Diktatur bezeichnet werden kann. Wer nicht mit blindem Gehor­sam und fanatischem Glauben die Thesen, welche auf dem geheimnisvollen Parteitag, der

irgendwo tagte, beschlossen wurden, durch­führt, wird unweigerlich als Opportunist, als Titoist und zuletzt als Agent einer imperiali­stischen Macht bezeichnet. Für einen recht- denkenden und aufrechten Sozialisten gibt es in einer solchen Partei keinen Platz mehr. Die große Anfrage verschiedener SPD-Ab- geordneter, ob es zutreffe, daß die ausrei­chende Versorgung mit Baustoffen für Bau­vorhaben im Rahmen des sozialen Wohnungs­baus durch die zwangsweise bevorzugte Be­lieferung von Besatzungsaufträgen gefährdet sei, beantwortete für das Wirtschaftsministe- rium Ministerialdirigent M o s t h a f :

Sozialer Wohnungsbau gesichert

Auswirkungen der Besatzungsbauten noch nicht zu übersehen

Die beteiligten Ministerien hätten schon vor längerer Zeit gemeinsam mit Vertretern der öffentlichen und privaten Bauherrn geprüft, ob für die in diesem Jahr zu erwartenden Bau­vorhaben Baustoffe und Kapazität des Bau­gewerbes ausreichten. Eine genaue Berechnung sei jedoch nicht möglich, da zwar der Umfang des sozialen Wohnungsbaus und anderer öf­fentlicher Bauten, nicht aber Zahl und Größe der übrigen Wohnungs- und Industriebauten, der landwirtschaftlichen und anderer Bauvor­haben sich annähernd schätzen ließen. Zudem würden Baustoffe mit den Nachbargebieten ausgetauscht und müsse Baumaterial teilweise von dort bezogen werden.

Im letzten Jahr seien Baustoffindustrie und Baumarkt im allgemeinen in der Lage ge­wesen, den ihnen gestellten Aufgaben nachzu­kommen, während in diesem Jahr ein wesent­licher Mangel an Baueisen herrsche. Ebenso sei die Lage auf dem Bauholzmarkt zurzeit et­was gespannt. Dagegen sei der wegen der ein­geschränkten Kohlenzufuhr erwartete Ausfall an Zement und Ziegeleiprodukten erfreulicher­weise nicht in dem erwarteten Ausmaß einge­treten. Eine Reihe von Bauherren hätten sich schon mit den nötigen Baustoffen eingedeckt.

Nach der Entwicklung auf dem Kapital­markt müsse nun aber angenommen werden, daß in diesem Jahr nicht wesentlich mehr ge­baut werde als im Vorjahr, ja es lägen An­zeichen dafür vor, daß die nicht öffentlich finanzierte Bautätigkeit etwas geringer sein werde.

Über das Ausmaß der Besatzungsbauten

könne noch nichts Bestimmtes gesagt werden. Man müsse aber damit rechnen, daß ein Teil der vorhandenen Baustoffe und der Baukapa­zitäten für diese Arbeiten zur Verfügung ge­stellt werden müssen. Vorläufig lägen aber keine Anzeichen dafür vor, daß der soziale Wohnungsbau durch Bauten der Besatzungs­mächte beeinträchtigt oder erheblich gestört werde. Die bisher angeforderten Verpflich­tungsscheine zur bevorzugten Belieferung von Baustoffen an die Besatzungsmacht hätten sich in Grenzen gehalten. Es könnten jedoch auch Besatzungsbauten außerhalb des Landes sich auf dem Baumarkt auswirken, wenn größere Mengen von Baustoffen aus dem Lande abge­zogen würden oder der Bezug von gewissen Baumaterialien sich dadurch erschweren würde.

Nach der heutigen Lage werde die Durch­führung des geplanten sozialen Wohnungsbaus voraussichtlich ohne erhebliche Störungen mög­lich sein.

Eine große Anfrage der CDU an das Staats­ministerium, sämtliche Kindergärten steuer­lich gleichmäßig zu behandeln, was vor allem die kirchlichen Kindergärten betrifft, wurde von Abg. Schneider (CDU) begründet und von Ministerialrat Vowinkel beantwortet, der sagte, daß die Befürwortung dieses An­trags an die zuständigen Stellen weitergeleitet werde.

Die Schießübungen der französischen Be­satzungstruppen in dem Gebiet Kniebis- Schliffkopf wurde noch einmal vor dem Ple­num behandelt .Abg. Bäßler (CDU) wies nachdrücklich auf die Schäden hin, die infolge

Kleine Weltdironik

KASSEL. Die Sozialistische Reichspartei will auf Grund ihres Erfolgs bei den Landtagswahlen in Niedersachsen nunmehr eineVeranstaltungs­kampagne in Hessen starten. In nordrhein­westfälischen Kreisen wurde am. Dienstag die Deutschnationale Volksparteials älteste Rechts­partei nach dem ersten Weltkrieg wiederge­gründet. Sie will vor allem bei den alten Mit­gliedern des Stahlhelms, des Kyffhäuserbundes, der Bismarck-Jugend sowie bei den ehemaligen Berufssoldaten und Kriegegeschädigten werben.

HANNOVER. In Niedersachsen haben die Ver­handlungen über die Bildung einer neuen Regie­rung begonnen. Die als wahrscheinlich ange­sehene Koalition SPD/BHE/Zentrum würde mit 89 von 158 Sitzen eine arbeitsfähige Mehrheit im Parlament haben.

FRANKFURT/ODER. Die Große Strafkammer verurteilte einen Polizeirat und zwei Volkspo­lizisten aus Neuruppin wegen gemeinschaftli­chen Raubmords zu je 25 Jahren Zuchthaus. Sie erschossen einen verhaftetenWirtschaftsver­brecher während des Transports und warfen die Leiche in den Zermützelsee.

THIONVILLE. Der Thronprätendent von Por­tugal, Herzog Duarte Nuno von Braganza, und seine Gattin verunglückten am Mittwoch in der Nähe von Diedenhofen (Lothringen) und wurden beide schwer verletzt. Der Zustand des Herzogs wird von den Ärzten als bedenklich bezeichnet. Die beiden hatten an der Hochzeit Ottos von Habsburg in Nancy teilgenommen.

ROM. Der italienische Senat bewilligte am Mittwochabend zusätzliche Militärkredite in Höhe von 250 Milliarden Lire, mit denen die italieni­schen Streitkräfte auf die im Friedensvertrag vorgesehene Höchststärke gebracht werden sol­len.

MOSKAU. Zurzeit halten sich etwa 400 KPD- Mitglieder und Mitglieder kommunistischer Tarn­organisationen aus der Bundesrepublik in der Sowjetunion auf, darunter auch eine FDJ-Gruppe, die als offizielle Delegation behandelt wird, geht aus einer Meldung der sowjetischen Nachrich­tenagentur Tass hervor.

LAGOS (Nigeria). Bei dem bereits gemeldeten Kinobrand in Kano im nördlichen Nigerien ka­men nach letzten Meldungen insgesamt 317 Per­sonen ums Leben. 57 befinden sich noch in Le­bensgefahr.

DACCA. Bei einem Tornado in Ostpakistan sind über 300 Personen ums Leben gekommen und mindestens 1200 verletzt worden.

WASHINGTON. Der amerikanische Senat nahm einstimmig eine Vorlage an, die die Lieferung von zwei Millionen Tonnen Lebensmittel an das von einer Hungersnot heimgesuchte Indien vor­sieht.

NEW YORK. Die ersten Verbände der ameri­kanischen vierten Infanteriedivision, die die Streitkräfte der USA in Deutschland verstärken sollen, werden noch dieses Wochenende auf drei Truppentransportern nach Deutschland einge­schifft.

Prompte Reaktion

cz. Mit Befriedigung vernehmen wir, daß der französische Polizeioffizier, der für die Exeku­tion von 20 vietnamesischen Geiseln eine Vergeltungsmaßnahme für die Tötung eines Franzosen verantwortlich war, vom Chef der französischen Polizei in Indochina seine» Amtes enthoben und verhaftet wurde. Ein ge­meinsamer französisch-vietnamesischer Aus­schuß soll die Vorfälle klären.

Derartige Repressalien pflegt man seit den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen mit To­des-, zumindest mit hohen Zuchthausstrafen zu ahnden. Bedauerlicherweise wurden der­artige völkerrechtswidrige Handlungen, die zu den Kapitalverbrechen des NS-Regimes zähl­ten, in der Nachkriegszeit verschiedentlich im Einflußbereich des demokratischen Westens praktiziert, insbesondere in Korea, wo jedoch ebenso prompt eingegriffen wurde, wie dies jetzt in Indochina geschehen ist.

Für den deutschen Leser ist diese Reaktion besonders bedeutungsvoll angesichts der Tat­sache, daß heute noch in Frankreich Prozesse gegen Deutsche laufen, die sich dasselbe zu­schulden kommen ließen, was jetzt in Indo­china geschehen ist. Es gibt nur eine Demo­kratie, die für alle gelten muß.

dieser Schießübungen im Gebiet Freudenstadt verursacht und in die Millionen gehen würden. Die wirtschaftliche Entwicklung Freudenstadts als Kurstadt sei dadurch, sowie durch die Belegung der Hotels durch französische Trup­peneinheiten in Frage gestellt. In seiner Ant­wort betonte Ministerialrat Dr. Eschen­burg, daß die Staatsregierung sich weiterhin bemühe, hier Abhilfe zu schaffen. Auf Vor­schlag von Abg. Bäßler wurde eine Entschlie­ßung gefaßt, in der der Landtag die Staats­regierung ersucht, bei den maßgebenden Stel­len für eine Verlegung des in Freudenstadt stationierten Jäger-Bataillons einzutreten und die Sperrung der Schwarzwald-Hochstraße im Interesse einer gesunden Entwicklung Freu­denstadts und der Beeinträchtigung des gan­zen Verkehrs aufzuheben.

Am Schluß genehmigte der Landtag ein Ge­setz über die Feststellung eines Nachtrags zum Staatshaushaltsgesetz für das Rechnungsjahr 1950 sowie ein Gesetz über den Abschluß eines Staatsvertrags zwischen Württemberg-Baden und Württemberg-Hohenzollern über die Er­richtung eines gemeinsamen Landesversor­gungsamtes in Stuttgart.

Für Volksabstimmung im September

STUTTGART. Das Württemberg - badisch» Kabinett sprach sich am Mittwoch dafür aus, die Volksabstimmung über die staatliche Neu­gliederung in Südwestdeutschland am 16. Sep­tember dieses Jahres durchzuführen. Dies ist der letztmögliche Termin, den das Bundes­gesetz über die Neugliederung festgelegt hat. Ministerpräsident Maier hält einen früheren Termin wegen der Ernte und der Eerienreisen nicht für günstig. Wie verlautet, ist auch Sttd- baden für einen späten Abstimmungstermin. während Württemberg-Hohenzollern für Juli sein soll. Die Klage Südbadens gegen das Bun­desgesetz beim Bundesverfassungsgericht wird nach Auffassung Dr. Maiers die Abstimmung nicht aufschieben.

Neues Aktenmaterial für Fall Kalbfell

REUTLINGEN. Der Reutlinger Oberbürger­meister Oskar Kalbfell wurde wie in einem Teil unserer Auflage schon berichtet jetzt benachrichtigt, daß die vom Landgerichts­präsident Teufel geführten Untersuchungen zum Fall derReutlinger Geiselerschießungen* nunmehr abgeschlossen und die Akten dem In­nenministerium überwiesen worden seien. Da» Innenministerium hat nun auf Grund der Dienst­strafordnung ein Verfahren vor der Dienststraf­kammer durchzuführen, das auf Wunsch de» Oberbürgermeisters öffentlich stattflnden wird. Wie verlautet, enthält das Aktenmaterial einen neuen umfangreichen und aufsehenerregenden Brief des französischen Capitaines R o u c h 6 , dessen Inhalt geeignet sein soll, die Angelegen­heit eindeutig zu klären.

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Der verschlossene MUND

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Roman von Doris Licke

Alle Hechte Vcriagsluius Reutlingen

Immer, wenn Andrea an ihren geheimen Plan dachte, befiel sie ein wildes Herzklopfen und sie entsetzte sich ob ihres frevlerischen Mutes. Diese Befriedigung einer unedlen Rach­sucht konnte sie ihre ganze Ehe kosten. Ging sie ohne Niels Wissen und Zustimmung ins Ausland, so konnte ein geschickter Anwalt daraus leicht ein böswilliges Verlassen von Mann und Kind konstruieren.

Andreas Gefühle gingen auf und ab wie eine Schaukel; das einzig Bleibende war im tiefen Inneren ein tröstliches Wissen, daß sie dieses Ungeheuerliche doch nicht zustande bringen würde, und daß es am Planen und Wägen genug sein müsse.

In diesem Zusammenhang schien ihr des Direktors Warnung wie die Entscheidung einer höheren Gewalt. Bolla ein von der Polizei be­schatteter Spitzbube? Diese Lösung war brutal, aber heilsam.

Andrea fühlte sich müde. Der Spätdienst, den sie jeden zweiten Abend machen mußte, war meist langweilig, es war selten mehr etwas los. Gegen halb zehn kam ein Gespräch für sie aus der Stadt, als aber die Zentrale umgeschaltet und sie ihren Namen genannt hatte, erfolgte keine Antwort. Sie hatte den­noch das bestimmte Gefühlt, daß eine Verbin­dung vorhanden sei, einmal hörte sie einen tiefen, keuchenden Atemzug und gleich darauf war die Leitung weder tot. Erstaunt und un­angenehm berührt nahm sie ihre Arbeit wie­der auf.

Hätte sie bei der Hotelzentrale angefragt, so hätte sie eine merkwürdige Auskunft bekom­men. Ein Herr hatte aus der Stadt angerufen

und folgendes Gespräch mit der Telefonistin geführt:

Ist Frau Andrea Merck nicht im Hause? Doch, sie hat Spätdienst und ist im Sekre- trariat.

Aber die Fenster des Sekretariats sind dunkel.

Jetzt, um halb zehn Uhr? Ausgeschlossen. Ich versichere Ihnen

Das wäre gegen die Vorschrift.

Die Fenster gehen doch auf die Bahnhofseite hinaus, wenn ich mich recht besinne?

Im Gegenteil. Sie haben sich geirrt. Es ist das zweithinterste Fenster nach der Straße zu. Darum also. Können Sie mich dann bitte mit Frau Merck verbinden?

Bitte sehr, sofort.

Komischer Kauz dachte die Telefo­nistin kopfschüttelnd, doch hatte sie keine Zeit, sich weiter um diese Verbindung zu kümmern, denn Signor Bolla auf Nr. 17 verlangte in gereiztem Ton sofort den Direktor zu sprechen, und sie mußte ihn telefonisch im ganzen Hotel suchen. Das kurze Gespräch zwischen den beiden Herren verlief ziemlich dramatisch. Eine halbe Stunde später erhielt sie den Auf­trag, das Gepäck von Nummer 17 herunterholen zu lassen und auf 10.30 Uhr eine Taxe zu bestellen. Sie gab diese Neuigkeit sofort pflicht­gemäß ans Sekretariat weiter, doch war Frau Merck anscheinend bereits durch den Direktor informiert.

Ich bin schon bei der Rechnung, danke! sagte sie eilig.

So kam es, daß Andrea an diesem Abend zum zweitenmal eine Rechnung für Signor Bolla ausschrieb, diesmal für die laufende Woche. In wenigen Minuten waren alle, die vielleicht in Aktion zu treten hatten, alar­miert: Der Portier stand unauffällig am Aus­gang beim Gepäck des so stürmisch ausziehen­den Gastes, und der stämmige Hausdiener be­hielt von der Portierloge aus die Szene im Auge. Der Empfangschef, der sich bereits zu­rückgezogen hatte, war mobilisiert worden, um

Signor Bolla ins Sekretariat zu geleiten. Frau Merck war hier die einzig richtige Person, um das besänftigende öl auf die wilden Wogen zu gießen. Bolla war Romane, er würde es in Gegenwart einer reizvollen Frau zu keiner tur­bulenten Szene kommen lassen.

Andrea verbiß ein Lachen, als Signor Bolla hereinkomplimentiert wurde, denn der wütende Italiener kam ihr vor wie ein Schnauzer, des­sen Fell sich vor Empörung sträubte. Seine dichten schwarzen Augenbrauen standen wie drohende Spieße in wilden Büscheln über den funkelnden Augen. Sobald er sich aber mit Andrea allein sah, mäßigte er seinen Zorn, immerhin konnte man die Gebärde, mit der er ihr das Objekt seines Zornes, die doppelte Rechnung hinwarf, nicht gerade freundlich nennen.

Haben Sie das veranlaßt, Signora?

Nein, erwiderte Andrea mit ihrer sanf­testen Stimme und lächelte ihn an,nur aus­geschrieben.

Und warum? bellte er böse.

Es ist eine Gepflogenheit unseres Hotels, Rechnungen, die Mitte der nächsten Woche noch nicht beglichen sind, noch einmal vor­zulegen.

So? Er schaute sie ironisch an. Das Aus­maß an Glauben, das er ihr schenkte, war sichtlich bescheiden.In Italien kennen wir derart barbarische Sitten nicht.

Sie sind im deutschen Norden, Signor Bolla, lächelte Andrea, Verzeihung heiseheild.

Ich glaube Ihnen trotzdem nicht. Da steckt etwas anderes dahinter. Warum diese plötz­liche Angst um Ihr Geld? Sehe ich wie ein Zechpreller aus?

Natürlich nicht, aber Vorschrift ist Vor­schrift.

Werden Sie selig damit! sagte er böse. Die neue Rechnung haben Sie auch schon fertig, wie ich sehe? Tüchtig, Signorina, tüch­tig! Wann darf ich Sie in Nervi erwarten?

Gar nicht. Andrea setzte eine bekümmerte Miene auf.Mein Mann erlaubt es nicht!

sagte sie fast flüsternd, als sei es ein Geheim­nis zwischen Signor Bolla und ihr.

Wirklich? Ich denke, der ist in Rußland? Woher wissen Sie das? entfuhr es ihr überrascht.

Von Signor Syamken natürlich.

Ach so, dann hat er Ihnen aber zweifel­los auch gesagt, daß er im April zurück­kommt?

Allerdings, aber Sie wußten das bereits, als wir miteinander verhandelten. Ich dachte, Sie wollten ihm durchbrennen, sagte er trocken.

Andrea wurde so glühend rot, daß er plötz­lich seinen Zorn vergaß und schmunzelte.

Kommen Sie nach Nervi, Signora! Sie werden es nicht bereuen.

Ich kann nicht. Und außerdem: mein Ita­lienisch ist miserabel.

Macht nichts. Nervi ist international, und Sie werden das Fehlende schnell lernen. Seien Sie nicht spießbürgerlich. Eine solche Chance bietet sich Ihnen so leicht nicht wie­der: ein eleganter Kurort, ein erstklassiges Hotel mit internationalem Publikum, gutes Salär, kurze Arbeitszeit und einen netten Chef! Er zählte alle diese Vorzüge an seinen kurzen, dicken Fingern auf und schnalzte mit der Zunge, als seien es lauter Lecker­bissen, besonders der letztere.

Andrea mußte wider Willen lachen.

Ich werde Ihnen meinen Entschluß schrift­lich mitteilen.

Unsinn, Sie werden sich jetzt entschließen und mir Ihr Wort geben, dann lasse ich Ih­nen das Reisegeld da und Sie unterschreiben mir eine Quittung. Capito?

Signor Bolla, Sie haben eine Art aber ich lasse mich nicht derart überrumpeln. Haben Sie Hemmungen? Lassen Sie diesen Merck doch laufen. Wer eine so schöne, junge Frau drei Jahre sitzen läßt, verdient es nicht besser. Sie brauchen Liebe

Signor Bolla! sagte Andrea steif.

(Fortsetzung folgt)

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