NUMMER 73
DIENSTAG, 15. MAI 1 9 5 |
Bemerkungen zum Tage
Bevorstehende Auseinandersetjung
hf. Finanzminister Schäffer hat sich nicht nur durch die Schlüsselstellung seines Ressorts, sondern auch als Persönlichkeit eine starke Stellung im Kabinett erarbeitet. Seine Politik ist in Bonn weit weniger umstritten als die seines Kollegen Erhard. Es wunderte daher kaum jemand, als im Verlauf der Auseinandersetzungen um die notwendigen wirtschaftlichen Maßnahmen Schäffer immer mehr die Finanzpolitik aus der ausschließlichen Abhängigkeit von der Wirtschaftspolitik lösen konnte, die er vielmehr selber beeinflußte, als sich seine Sonderumsatz- und Sparpläne durchzusetzen begannen. Schäffers Wort hat sehr an Gewicht gewonnen und das ist von einiger Bedeutung, wenn die konkrete Auseinandersetzung zwischen Regierung und Bundestag über die Deckung des auf 3,3 Milliarden DM geschätzten Defizits im Haushalt beginnt. Schäffer wird hart sein, auch gegenüber dem Bundestag, wenn dieser neue Aufwendungen beschließt. Er ist entschlossen, das Kabinett zu einem Veto gegen die Beschlüsse des Parlaments zu bringen, wenn „Aufwendungen ohne Deckungsvorschläge zu Gesetzen gemacht werden“. Wirtschaft und Währung stehen nach der Ansicht des Ministers auf dem Spiel, wenn das Parlament lediglich im Sinne der Popularität entscheiden und die Grenzen ignorieren sollte, die von der Lage der Finanzen diktiert werden. In Rhöndorf, wo Anfang Mai Bundeskanzler und Finanzminister konferierten, bestand am Schluß der Gespräche Einmütigkeit darüber, neuen Bewilligungen des Bundestages entgegenzutreten.
Das Parlament steht jedoch vor der Beratung neuer Vorlagen, die lediglich die Ausgabenseite des Budgets belasten. Die Auseinandersetzung ist also unvermeidlich. Welcher Standpunkt sich durchsetzen wird? Trotz des inneren Gehalts der Vorlagen über Erhöhung des Grenzlandfonds, über die Verbilligung des Dieselkraftstoffs für privilegierte Verbraucher, über Wohnungsbauprämien und anderes mehr, wird der Bundestag die Einschränkung seiner Bewilligungsfreiheit respektieren müssen. Wo nichts (oder nicht genug) ist, hatten nicht nur die Kaiser, sondern hat auch der Bundestag sein Bewilligungsrecht verloren; es sei denn, er würde mit neuen Aufwendungen auch neue steuerliche Belastungen beschließen. Wenn das nicht geschieht, wird auch die Überlegung eine Rolle gespielt haben, daß man nur dann mit Erfolg über die Reduzierung der Besatzungskosten verhandeln kann, wenn die letzte Sparsamkeit im eigenen Haushalt bewiesen ist.
Es bleibt bei Todesurteilen
WASHINGTON. Der Oberste Gerichtshof der USA hat am Montag zum zweiten Male das Gesuch der zum Tode verurteilten sieben Landsberger Häftlinge um Revision der Urteile abgelehnt. Damit sind alle den Verurteilten zur Verfügung stehenden Rechtsmittel erschöpft.
Beamte des amerikanischen Hohen Kommissariats in Frankfurt erklärten hierzu, es müsse jetzt damit gerechnet werden, daß die Todesurteile umgehend vollstreckt würden. Die Entscheidung über Zeit und Art der Hinrichtung liege nun wieder beim Hauptquartier der amerikanischen Streitkräfte in Europa.
Die Bundesregierung wird zunächst zu dem Beschluß des Obersten Gerichtshofes der USA nicht Stellung nehmen, sondern zuerst den Eingang der amerikanischen Unterlagen über die Fälle abwarten.
Doch in deutscher Hand
Tübingen. Die Generalstaatsanwaltschaft in Tübingen und die französische Landeskommission für Württemberg-Hohenzollern teilten am Samstag mit, daß der Prozeß gegen den Kommandanten des „Schwarzen Konzentrationslagers“ bei Balingen und dessen Helfer „nach wie vor in deutschen Händen“ sei. Berichte, nach denen der Fall vor einem französischen Militärgericht in Reutlingen verhandelt werden soll, wurden als nicht zutreffend bezeichnet. Ein Sprecher der Generalstaatsanwaltschaft erklärte, daß über den Prozeßbeginn noch keine Entscheidung getroffen sei.
Parlament und Budget
Rechtzeitige Verabschiedung des Haushalts ein Kernproblem der Demokratie
Von unserem Bonner Mitarbeiter Horst Flügge
Im englischen Unterhaus hat die Regierung ihren Haushaltplan für 1951/52 vorgelegt. Auch in anderen Ländern gehört es zu den Selbstverständlichkeiten der parlamentarischen Demokratie, den Haushalt der Regierung mit Beginn des Finanzjahres zur Diskussion zu stellen. Die Bestimmung und die Kontrolle des Regierungsbudgets ist ja das gewichtigste aller Mittel zur Kontrolle der Regierung durch das Parlament. Am Anfang des Finanzjahres sollen die Fraktionen der Regierung und die der Opposition mit der Festlegung des Haushalts, seiner Ausgaben und Einnahmen, die künftige Politik der Regierung bestimmen, wie es den Funktionen einer Vertretung des Volkes entspricht. Ein Parlament, das die Kontrolle der Regierung durch das Budget ganz oder teilweise vernachlässigt, schwächt seine Stellung gegenüber der Regierung und erfüllt nicht eine seiner wichtigsten, wenn nicht d i e wichtigste Aufgabe.
Die Bundesrepublik, deren Verfassung dem Kabinett ohnehin eine kaum zu erschütternde Stellung gegenüber dem Parlament gegeben hat, hat diese Selbstverständlichkeiten noch nicht übernommen. Es ist April 1951 und das „Gesetz über die Feststellung des Bundeshaushaltplanes für das Rechnungsjahr 1950“ ist noch nicht verabschiedet. Das Finanzjahr ging am 31. März zu Ende Der Haushaltplan für das laufende Finanzjahr ist natürlich noch gar nicht in Sicht. Im vorigen Jahr legte ihn die Regierung mit Datum vom 31. Oktober vor. Sie brauchte also etwas länger als dann der Bundestag für seine Beratung und bevorstehende Verabschiedung. Das Parlament hat gegen die zu späten Termine bisher keinen energischen Widerstand gezeigt. Es hat sich damit abgefunden, die Bewilligungen und die grundsätzlichen Debatten der Regierungspolitik „nachträglich“ vorzunehmen. Daß im Laufe des Finanzjahres der Haushaltausschuß des Bundestages eine begrenzte Kontrolle der Ausgaben der Regierung ausübte, ändert daran nichts. Das Plenum des Bundestages muß mit dem Haushaltplan über die Politik der Regie
rung urteilen. Nachträglich hat das wenig Sinn und verpflichtet zumindest die Fraktionen der Regierungskoalition zu reinen Bestätigungen, gerade dort, wo sie zu bestimmen hätten. Ein Haushaltplan mit seinen unzähligen Posten und Ziffern ist doch nichts anderes als ein Regierungsprogramm, über das ein verantwortungsvolles Parlament vor dem Anlaufen mit „ja“ oder „nein“ befinden muß. Mit dem Budget stellt die Regierung nicht nur ihre Ausgaben, sondern ihre ganze Politik dem Urteil der Volksvertreter. Der Bundestag hat in den letzten Wochen dieses Urteils in den Einzelberatungen des Gesamthaushalts mit so viel Verantwortungsbewußtsein gesucht und einzelne Haushaltsdebatten standen auf so hohem parlamentarischen Niveau, daß es schwer ist, Verständnis aufzubringen, wenn das immer mehr in seine Aufgaben hineinwachsende Parlament nicht die Einsicht in die Tat umsetzt, dieses Urteil rechtzeitig zu suchen.
Daß der Bundestag hier die Dinge nach dem Zeitplan des Kabinetts laufen läßt, muß um so mehr überraschen, als es in allen Parteien nicht an Stimmen fehlt, die von der Notwendigkeit einer stärkeren Initiative des Parlaments gegenüber der Regierung sprechen. Der Haushalt gibt nicht nur die Chance für diese Initiative, sondern er fordert sie, wenn wir eine parlamentarische Demokratie werden wollen. Gewiß, es gibt auf seiten der Regierung wie auf der des Parlaments gewichtige Gründe dafür, daß der Haushalt für 1949 im März 1950 und der Haushalt für 1950 im April 1951 verabschiedet wird. Die Regierung kann auf viele Faktoren hinweisen, die es ihr unmöglich machen, bereits im April den jeweiligen Haushaltplan vorzulegen und das Parlament kann erklären, am Beispiel des letzten Haushaltplanes sei ein Modell für alle künftigen Budgets geschaffen worden. Doch beide Stellungnahmen sind keine Rechtfertigung für alle bisherigen Termine bei der Einbringung, Beratung und Verabschiedung des Bundeshaushalts. Es geht um ein Kernproblem der Demokratie, um die Stellung des Parlaments!
Kleine Weltchronik
BONN. Auf Grund einer Durchführungsverordnung zum Alliierten Gesetz Nr. 22 ist Deutschland die Herstellung und der Gebrauch von Geiger-Zählern, die zum Feststellen radioaktiver Strahlungen verwendet werden, wieder gestattet. Ebenso dürfen wieder gewisse Elektroden, Chemikalien und Metalle, die mit der Atomenergie in Verbindung stehen, produziert werden.
BONN. Am vergangenen Wochenende überreichten der neue belgische Botschafter Muuls und der neue norwegische Gesandte Danielsen ihre Beglaubigungsschreiben Bundespräsident Prof. Heuß. — Die spanische Regierung gab die Errichtung einer Botschaft in Bonn bekannt und hat gleichzeitig ihren bisherigen diplomatischen Vertreter Aguirre zum Botschafter ernannt.
LONDON. Der Atlantische Rat wird voraussichtlich im Juli oder August über die Aufnahme Griechenlands und der Türkei als Vollmitglieder in den Atlantikpakt beraten. Beide Länder, die bisher dem Atlantikpakt nur als assoziierte Mitglieder angehören, haben in den letzten Monaten wiederholt um ihre Aufnahme als Vollmitglieder ersucht.
LONDON. Der wegen Atomspionage zu 14 Jahren Zuchthaus verurteilte Dr. Klaus Fuchs wird nach Meldungen britischer Zeitungen möglicherweise in Kürze aus der Haft entlassen, um wieder für die Atomforschung in Großbritannien tätig sein zu können.
WARSCHAU. Die polnische Regierung hat die USA davon unterrichtet, daß der amerikanische Staatsbürger, Bischof Padewski, nach viermona- tiger Inhaftierung in einem polnischen Gefängnis gestorben ist. Padewski, der Prälat der polnischen nationalen Kirche in den USA, war am 19. Januar von der polnischen Sicherheitspolizei wegen angeblicher Devisenvergehen verhaftet worden. — Der 84jährige Erzbischof von Krakau, Kardinal Sapieha, ist schwer erkrankt.
BELGRAD.. Die jugoslawische Sicherheitspolizei verhaftete in der Nacht zum Montag mehrere Mitglieder der tschechoslowakischen Botschaft unter Spionageverdacht.
KAIRO. Das ägyptische Kabinett hat beschlossen, den Kriegszusttnd mit Deutschland zu beenden.
JERUSALEM. Israel und Syrien haben sich am Montag bereit erklärt, die notwendigen Schritte zur Wiederherstellung der Ordnung und zur Sicherung des Friedens im umstrittenen Grenzgebiet einzuleiten. Der politische Ausschuß der Arabischen Liga befaßt sich zurzeit gleichfalls mit dem Grenzstreik.
LAGOS (Nigeria). Am Sonntag kamen bei einem Großfeuer in einem vollbesetzten Lichtspieltheater über 100 Personen ums Leben. 300 erlitten erhebliche Verletzungen.
SYDNEY. Von 41000 Australiern im Alter von 18 Jahren, die sich nach dem Gesetz bis Montagabend für den Wehrdienst registrieren lassen mußten, hatten sich bis Sonntag nur 14 000 gemeldet.
NEW YORK. Der Oberste Gerichtshof des Staates New York hat am Montag dem Antrag der in den USA lebenden Baronin Margot v. Opel auf Trennung von ihrem Mann, dem ehemaligen deutschen „Automobilkönig“ Fritz von Opel, stattgegeben. Für Frau von Opel wurde ein jährlicher Unterhaltsbeltrag von 60 000 Dollar festgesetzt; außerdem macht sie Ansprüche auf die vier Millionen Dollar der Vermögenswerte ihres früheren Mannes in den USA, die gegenwärtig vom amerikanischen Amt für Feindvermögen verwaltet werden, geltend. Der 52- jährige Fritz von Opel hält sich gegenwärtig in der Schweiz auf. Die Ehe war 1929 geschlossen worden und ist jetzt auf Grund „grausamer und unmenschlicher Behandlung und mangelnder Unterstützung“ geschieden worden.
Sdiienenausfuhr gestoppt
Über 300 Güterwagen zurückgeschickt
FRANKFURT. Die Bundesregierung hat; nach einer Mitteilung der amerikanischen Ho-i hen Kommission -die Ausfuhr von 1150 Tonnen Eisenbahnschienen nach Ungarn unter-i sagt. 75 mit Schienen beladene Güterwagen wurden an der deutsch-tschechischen Grenzübergangsstelle Furth im Wald zurückgehalten. Weitere 250 Waggons mit nahezu 3000 Tonnen Schienen 4 sind in Nürnberg und Osnabrück angehalten und an den Exporteur zurückgeschickt worden.
In alliierten Kreisen wird angenommen, daß diese Maßnahme auf Grund der im amerikanischen Kongreß laut gewordenen Kritik an der Ausfuhr strategischen Materials aus Westdeutschland in die Länder hinter dem Eisernen Vorhang ergriffen wurde.
Schumacher rechnet
Keine Koalitionspläne
BONN. Der SPD-Vorsitzende Dr. Kurt Schumacher nahm am Montag ausführlich zu Problemen der Innen- und Außenpolitik Stellung. Schumacher erklärte, die Sozialdemokraten würden nach den Erfahrungen der letzten Landtagswahlen aus Bundestagswahlen mit großem Vorsprung als stärkste Partei hervorgehen. Die Zusammensetzung eines neuen Bundestages rechnete Schumacher folgendermaßen vor: die SPD wäre mit rund 150—155 Abgeordneten vertreten, die CDU/CSU mit knapp 100, die FDP mit 52—56, die Deutsche Partei mit 8—10, die WAV würde verschwinden und der BHE etwa 35 Sitze bekommen. Dr. Schumacher wiederholte, daß seine Partei auf keinen Fall bereit sei, die Basis der bestehenden Bonner Koalition zu verbreitern: Der Wirtschaftspolitik der Bundesregierung schob der SPD -Vorsitzende die Schuld an dem Neofaschismus in Deutschland zu.
50. und 51. Sftjung
Gromyko macht weitere Einwände
PARIS. Auf der 50. Sitzung der Außenministerstellvertreter am Samstag erhob der Sowjetdelegierte Gromyko weitere Einwände gegen die letzten westlichen Vorschläge für eine Tagesordnung der Außenministerkonferenz. Zumindest eine der von den Westmächten abgelehnten Hauptforderungen der Sowjetunion müsse in die Tagesordnung aufgenommen werden. Wenn er die westlichen Tagesordnungsvorschläge annehme, so bedeute dies, daß über zwei wichtige Fragen — Rüstung und deutsche Entmilitarisierung — keine Einigung besteht.
In der 51. Sitzung am Montag legte Gromyko eine schriftliche Erklärung zur deutschen Entmilitarisierung vor.
100 000 im portugiesischen Lourdes
COVA DA IRIA. Über 100 000 Pilger sind über Pfingsten bei Fatima, dem portugiesischen Lourdes, zusammengeströmt, um für die Bekehrung der Kommunisten zu beten. Vor 34 Jahren erschien an dieser Stelle in der Einöde von Estremadura die heilige Jungfrau drei armen portugiesischen Kinderlein und trug ihnen auf, für die Bekehrung Rußlands zu beten. Der 13. Mai und der 13. Oktober wurden zu Wallfahrtstagen für die Pilger, die seitdem zu Tausenden aus allen Teilen der Welt nach Fatima kommen, um Heilung von ihren seelischen und körperlichen Leiden zu finden und um für die Bekehrung der Bolschewisten und die Erlösung der Welt zu beten. Über 15 000 Krücken, Rollstühle und andere Zeichen des Gebrechens schmücken als Beweis wunderbarer Heilungen den großen Dom, der in dem Bergtal errichtet wurde. In der Schar der Gläubigen bei der großen Prozession sah man die Exkönige von Italien und Rumänien, Umberto und Carol.
TEHERAN. Der persische Ministerpräsident Mossadeq brach am Sonntag vor Aufregung und Erschöpfung im persischen Parlament zusammen, nachdem er erklärt hatte, er werde so lange im Parlament sich aufhalten, bis das Verstaatlichungsprogramm für die Ölindustrie durchge- fuhrt sei.
Der oerschlosserie MUND
10 ]
Roman von Doris ticke'
Alle Redite Pertaß$haus Heuthnßen
„Sage das nicht, Will! Nichts ist sinnlos, auch dieses nicht. Sprich nicht so unbedachte Worte, die — wären sie wahr — mich zur Verzweiflung treiben müßten. Diese Trennung war eine Prüfung, an der wir uns bewähren mußten. Zerbricht unsere Ehe daran, so war ihr Kern nicht echt, und dies hätte sich früher oder später doch gezeigt und hätte durchlitten werden müssen. Aber ich glaube das nicht. So wie ich an diesen Jahren innerlich gewachsen bin und heute weit von dem Punkt stehe, an dem ich sie begann, so werden sie auch Andry gereift haben, so daß wir nun unsere Probleme von einer höheren Warte aus anpacken, durchsprechen und eines dem andern helfen können. Wir haben uns einmal in wenigen Stunden gefunden, so stark war unsere gegenseitige Anziehungskraft. Ich hoffe und glaube, daß davon noch genug übrig sein wird, auch diesen Abgrund zu überbrücken.“
„Nun ja“, gab Syamken zögernd und wider Willen ergriffen zu, „es spielen da wohl noch Faktoren mit hinein, die ein Außenstehender nicht überblichen kann. Aber um so mehr solltest Du Dich erholen, bevor Du Andry vor die Augen trittst.“
„Du meinst, ich könnte sonst leicht Mitleid statt Liebe erwecken?“ fragte Merck mit schmerzlichem Spott.
Syamken zuckte die Achseln.
„Ich kann mir Andrea in der Rolle einer Krankenpflegerin schlecht vorstellen.“
„Du hättest sie sehen sollen, wie sie Detlev betreute, als er ganz klein war. Ich glaube, in Jeder Frau liegen verborgene Quellen, bereit
aufzubrechen, wenn die Notwendigkeit es erfordert.“
„Nun, Du mußt das besser wissen als ich.“
„Vielleicht — obwohl es mir scheinen will, als hättest Du Andrea in diesen drei Jahren eingehend studiert.“
„Ich habe oft in Bremen zu tun, und schließlich war es meine Pflicht, mich um sie zu kümmern, sie hatte eine Ablenkung bitter nötig.“
„Pflicht“, wiederholte Merck etwas gereizt, „das ist ein neues Wort bei Dir, Will. Ich höre es heute schon zum zweiten Male und wieder im Zusammenhang mit Andry. Ich glaube, dieses gewichtige Wort würde ihr in Verbindung mit ihrer Person nicht gefallen. Es kann doch kein solches Muß für Dich gewesen sein, Dich um eine schöne junge Frau wie Andry zu kümmern, oder Du müßtest Dich sehr geändert Haben.“
„Natürlich tat ich es gern.“
„Eben“, sagte Merck, plötzlich wieder einsilbig werdend.
Eine fühlbare Pause entstand. Wieder wollte es Niels scheinen, als sei da etwas unter der Oberfläche, das mit Worten nicht zu nennen, dem Gefühl aber wahrnehmbar sei.
Ganz im Gegensatz zu ihm selber war Syamken von früher Jugend an im Umgang mit Frauen gewandt gewesen, und seine galanten Abenteuer hatten sich förmlich überstürzt und waren oft zeitgemäß schwer alle unterzubringen gewesen. So gut er aber auch mit Frauen umzugehen verstand, in seiner Ehe bewährte sich dieses Talent nicht. Die junge Gräfin Ulriche, die sich so heftig in ihn verliebt hatte, daß sie ihm ihr Krönlein opferte, kam mit ihm als Ehemann nicht auf ihre Kosten. Wenn sie geglaubt hatte, ihn leicht beherrschen zu können, hatte sie ihn verkannt, und so war ihre Ehe von Anfang an ein verbissener Kampf um die Vorherrschaft gewesen. Niels kannte sie gut, da er dabei gewesen war, als Will und die junge Komtesse sich kennengelernt hatten.
Sie war schön wie eine alte Miniatur, geistreich und vermögend, und so gab es nichts, was Will daran hätte hindern können, ihr seine kostbare Freiheit zu opfern. Ihre Herrschaft und erbarmungslose Spottlust, mit denen sie seine männliche Eitelkeit fortgesetzt verwundete, waren erst später zutage getreten — zu spät. Im ersten Jahr ihrer Ehe gebar sie ihm einen Sohn und benutzte seither das Kind als Vorwand, um den größten Teil des Jahres mit ihm auf dem Gut ihrer Mutter zuzubringen. Von der Perspektive einer Dreizimmerwohnung aus. — mochten die Räume noch so riesig sein. — erschien ihr das Leben nicht lebenswert. Will ließ sie ziehen und dachte selten an sie. Auch bei ihm fehlte jede innere Notwendigkeit, den Buchstaben dieses Ehevertrags zu erfüllen. Geschieden schien er jedoch bis heute nicht zu sein. Sicher war es für eine junge, einsame Frau wie Andry nicht ungefährlich, sich von einem Mann wie Syamken trösten zu lassen. Das Telefon schlug an, und Will griff, froh über die Unterbrechung, zum Hörer.
„Hallo, Andrea!“ sagte er mit einem Erstaunen, dessen Echtheit Merck gefühlsmäßig in Zweifel zog. Er war bei Nennung dieses Namens vom Stuhl aufgesprungen, doch winkte ihm Syamken ungeduldig ab. „Was verschafft mir die seltene Ehre dieses Anrufs?“ fragte er lächelnd in den Hörer hinein, mit jener etwas billigen Galanterie, die sich bei Männern, die viel mit einer bestimmten Klasse von Frauen zu tun haben, leicht herausbildet, worauf Andrea anscheinend eine Frage stellte, die Syamken kurz verneinte.
Niels Merck grub sich die Nägel tief ins schmerzende Fleisch, ohne es eigentlich zu merken. Er kam sich vor wie in einem Narrenhaus. Dort, am anderen Ende der Leitung war Andry mit Syamken verbunden, seine Frau, die er seit fast drei Jahren nicht mehr gesehen hatte, und sie wußte nichts davon, daß er nur wenige MeW vom Apparat entfernt stand und
den leisen Widerhall ihrer Stimme hörte. Nichts hinderte ihn daran, Will den Hörer aus der Hand zu reißen, sich erkennen zu geben und die erlösenden Worte zu sprechen: „Ich bin heimgekehrt!“ Die Versuchung war nur kurz und wurde abgewürgt, kaum daß sie aufgekeimt war. Er wollte die ersten Worte mit Andry nicht in Gegenwart eines Dritten sprechen.
Syamken lauschte aufmerksam in den Hörer hinein und sagte hin und wieder ein paar unbestimmte Worte: „Ja, ich habe es gelesen — schon möglich — so wird es sein." Merck ließ kein Auge von ihm. Wenn irgend etwas zwischen ihm und Andry nicht stimmte, würde er sich jetzt vielleicht verraten. Halb schämte er sich seines Mißtrauens, halb redete er sich ein, daß es bei einem Mann wie Syamken begreiflich sei. Plötzlich fiel sein Name.
„Ich finde es nicht weiter verwunderlich. Du kannst nicht erwarten, daß Niels die Korrespondenz einseitig über Monate hinweg fortführt. Da Deine Antwort so hartnäckig ausblieb, wird er die Lust verloren haben.“
„Hast Du denn irgendeine Gewähr dafür, daß dieser Brief auch wirklich angekommen ist? Du solltest neben Deinem beleidigten Stolz auch die Stimme der Vernunft hören.“
Hierauf sprach wieder Andry, lange und zuerst sehr erregt, später ruhiger. Plötzlich wurde das Gespräch unterbrochen. Syamken legte den Hörer auf.
„Das Fernamt hat uns unterbrochen.“ Er warf einen forschenden Blick auf Niels und holte dann aus einer kleinen Hausbar zwei Gläser und eine Flasche Henessy heraus. „Trink einen auf den Schrecken, alter Freund und Kupferstecher!“
Merck drehte das Glas nachdenklich in seinen mageren Händen, dann leerte er es mit einem Zug und gleich darauf noch einmal. Syamken wunderte sich, daß er nichts fragte. Auf einmal stand er auf. (Fortsetzung folgt)