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MONTAG. 7. M A 1 1 »51

Bemerkungen zum Tage

Allzu ehrgeizig

lh. Aul dem Weg über die Länder hat die Bundesregierung die von der SED inspirierte Volksbefragung über die Remilitarisierung unterbunden, durch einen einstimmigen Be­schluß des Bundeskabinetts wurde dieReichs­front genannte SA der Sozialistischen Reichs­partei unmittelbar verboten. Beide Verbote sind Akte der Notwehr der jungen Demokra­tie, die noch nicht gegen Zugluft gefeit ist und die offenbar auch keine Lust hat, sich wie die Ahne von Weimar infizieren zu lassen. Daß man politischen Glücksrittern, die in den Fußstapfen des größten Bankrotteurs der jün­geren deutschen Geschichte zu wandeln krampfhaft bemüht sind, rechtzeitig den Weg verlegt, werden alle, die seit 1933 mit Be­wußtsein gelebt haben, bejahen. Bei der Ak­tion gegen die Volksbefragung über die Remi­litarisierung jedoch kann die Bundesregierung nicht dieser vorbehaltlosen Zustimmung der Realisten sicher sein. Wenn es auch einleuch­tet, daß die Abneigung der westdeutschen Bevölkerung gegen Krieg und Kommiß von den östlichen Machthabern für ihre propagan­distischen und politischen Zwecke mißbraucht werden sollte, wenn es auch stimmt, daß im Grundgesetz keine Volksbefragung über die Remilitarisierung vorgesehen ist und man den Bundestag nicht einfach auflösen kann, um Ihn wegen der Remilitarisierungsfrage neu zu wählen, so hätten doch auch viele Nichtkom­munisten eine eindeutigere Haltung der Bun­desregierung in dieser Frage begrüßt. Die Ge­spräche zwischen den Generalen auf dem Pe­tersberg und dietheoretische Offerte eines 150 OOO-Mann-Heeres sind keineswegs dazu angetan, erkennen zu lassen, daß der uns zu­geworfene Ball mit der AufschriftRemilita­risierung von uns höchst unwillig aufge­nommen wird. Die Worte, die von der Seite kommen, die zuerst mit dem Spiel begonnen hat, daß nämlich die Bundesregierung mit ih­rer Forderung nach einer taktischen Luftwaffe allzu ehrgeizig sei, sollten in Bonn richtig verstanden werden.

Gefängnis für Stahlschiebung

Gegen Illegalen West-Ost-Handel

BERLIN. In demStahlprozeß vor dem Landgericht Berlin-Moabit wurde am Sams­tag der 45jährige Geschäftsführer der Berliner Zweigstelle der Gesellschaft für Eisen-, Stahl- und Blecherzeugnisse in Düsseldorf, Erich Käding, zu einem Jahr sechs Monaten Ge­fängnis und 50 000 DM Geldstrafe verurteilt. Das Gericht sah als erwiesen an, daß Käding von Januar bis März vorigen Jahres rund 8000 Tonnen Eisen- und Stahlwaren aus der Bun­desrepublik nach Berlin gebracht und gegen Zahlung von 2,2 Millionen DM-West an das deutsch-sowjetische Transportunternehmen De- jutra in der Sowjetzone weitergeleitet habe. Der Staatsanwalt hatte zwei Jahre Gefängnis und eine Geldstrafe von 200 000 DM bean­tragt. In der Urteilsbegründung wird ausge­führt, daß der Angeklagte das Staatsinteresse verletzt und die staatliche Wirtschaftsordnung mißachtet habe

Heuß Unterzeichnete

Blltzgesetz und Neugliederungsgesetz

BONN. Bundespräsident Prof. Theodor Heuß hat die beiden Südweststaatsgesetze unterschrieben: DasBlitzgesetz, das die Le­gislaturperiode der Landtage verlängert, und dasNeugliederungsgesetz, das das Verfah­ren für die Volksabstimmung regelt. Die bei­den Gesetze erscheinen in Kürze im Bundes­gesetzblatt.

Der südbadische Staatspräsident Leo W o h 1 e b versicherte am Samstag in Karls­ruhe auf einer Tagung der altbadischen Be­wegung, daß die Badener den Kampf um die Wiederherstellung des alten Landes Baden niemals aufgeben werden. Es wurde einLan­desverband der Arbeitsgemeinschaften der Ba­dener als eingetragener Verein konstituiert.

Wurde eine Armee angeboten?

Das Bundespresseamt erklärt: Nur Besprechungenrein technischer Natur

LONDON. Amtliche Kreise der Westmächte in London erklärten am Samstag, die Bundes­republik habe den westlichen Alliierten die Aufstellung einer westdeutschen Armee in Stärke von 150 000 Mann und einer taktischen Luftwaffe mit leichten Bombern und Jägern zur Abwehr einer möglichen sowjetischen Ag­gression vorgeschlagen. Dieses Angebot sei be­reits vor mehreren Wochen als Antwort auf eine westliche Anfrage gemacht worden, wie Westdeutschland am besten bei der Verteidi­gung des Westens helfen könne. Die Fragen, die in diesem Zusammenhang aufgetaucht seien, würden zurzeit in Bonn zwischen deut­schen Vertretern und den stellvertretenden Hohen Kommissaren der drei westlichen Be­satzungsmächte besprochen. In den nächsten Tagen stehe eine neue Besprechung bevor.

Es wird angenommen, daß die Westmächte den Vertretern der Bundesrepublik klar ma­chen werden, ihre Vorschläge besonders hin­sichtlich der Luftwaffe seien in Anbetracht der Versorgungsschwierigkelten des Westens allzu ehrgeizig. Von deutscher Seite sei an­gedeutet worden, die Bundesrepublik könne die Kemtruppe für die vorgeschlagene Armee in Stärke von 50 000 Mann Innerhalb von neun Monaten aufstellen. Dies Kemtruppe solle dann auf 150200 000 Mann erweitert und Ge­neral Eisenhower als Oberbefehlshaber der at­lantischen Streitkräfte unterstellt werden. Nach

Berechnungen der Bonner Regierung könnten die ersten vollausgebildeten deutschen Ver­bände im Sommer 1952 einsatzbereit sein.

Nach diesen Darstellungen soll sich die ge­plante deutsche Armee aus straffen, schlag­kräftigen Panzer- und Panzerschützendivisio­nen mit einer Stärke von je 10 000 Mann zu­sammensetzen. Divisionskommandeure sollen sogenannteGeneralinspekteure sein, die ei­ner zivilen Verwaltungsstelle in Bonn unter­stehen würden. Diese Verwaltungsstelle würde auch für die Aushebung von Rekruten, für Planung u. a. m. verantwortlich sein Die Schaf­fung eines Verteidigungsministeriums sei nicht beabsichtigt; ebenso sei kein neuer General­stab geplant. Pläne für eine neue deutsche Kriegsmarine zur Verteidigung der Küsten seien noch nicht eingereicht worden.

Das Bundespresseamt erklärte zu diesen Meldungen, es handle sich umreine Kombi­nationen. Die Besprechungen zwischen deut­schen und alliierten Sachverständigen auf dem Petersberg seienrein technischer Natur. Es gehe dabei darum,vom Knopf des Infante­risten bis zum Panzer die Möglichkeiten ei­nes deutschen Beitrags theoretisch zu klären, um für eine spätere politische Entscheidung eine technische Grundlage zu schaffen. Poli­tische Gespräche über einen deutschen Ver­teidigungsbeitrag hätten überhaupt noch nicht begonnen.

Seebohm: Füreinfaches Reisen

Tausend Fachleute beim Fremdenverkehrstag in Stuttgart

STUTTGART. Bundesverkehrsminister Dr. Hans Christoph Seebohm setzte sich am Samstag auf dem zweiten Deutschen Fremden­verkehrstag in Stuttgart dafür ein, daß noch mehr Reisemöglichkeiten für arbeitende Men­schen geschaffen werden. An Stelle des vorge­schlagenen BegriffsSozialtouristik empfahl er den NamenDas einfache Reisen, das keine Kollektivreisen, sondern Billigkeit aus- drücken soll. Der Minister begrüßte die Wie­dereinführung der deutschen Paßhoheit und die Aufhebung der Schiffsbaubeschränkung und forderte, daß auch die deutsche Lufthoheit wieder hergestellt werde. Der Presse wurde mitgeteilt, daß die durch den Ausländerbesuch im Bundesgebiet erzielte Deviseneinnahme im

vorigen Jahr rund zwei Millionen DM betra­gen habe. Der Frankfurter Oberbürgermeister Dr. W. Kolb teilte mit, daß in Kürze an der Universität Frankfurt ein Hochschulinstitut für Fremdenverkehr errichtet werde.

Dr. Reinhold Maier, Ministerpräsident von Württemberg-Baden, wies in seiner Begrü­ßungsansprache darauf hin, daß erin einem Dilemma stehe, da er als Regierungschef von Nordwürttemberg-Nordbaden einerseits kein Württemberger, andererseits kein Badener sei, sondern sich in einer Übergangsentwicklung befinde. Dr. Maier gab einen Überblick über die Schönheiten vor allem des nordbadischen Gebietes. An der Tagung nahmen rund 1000 Fachleute des Fremdenverkehrs teil.

Kleine Weltchronik

FRANKFURT. Der neue Sommerfahrplan der Bundesbahn, der am 20. Mai in Kraft tritt, bringt neue Verbindungen im internationalen Verkehr, kürzeren Reisezeiten und einen Ausbau des zu­schlagfreien Städteschnellverkehrs. Neuheiten sind derRhein-Gold-Expreß" und derTauern­expreß.

BONN. Der deutsche Bauernverband wandte sich am Samstag in Bonn gegen einen Beschluß der Landarbeitergewerkschaft, alle geltenden Lohnabkommen zu kündigen. Vor wenigen Wo­chen seien erst Lohnerhöhungen zugestanden worden als ausdrückliche Vorleistung auf künf­tige Mehreinnahmen aus den Getreide- und Zuk- kerrübenpreiserhöhungen und aus einer in Aus­sicht genommenen Milchpreiserhöhung.

DÜSSELDORF. Die Landesregierung von Nord­rhein-Westfalen ist durch die zuständigen Land­tagsausschüsse ermächtigt worden, von sich aus die Beamtengehälter im Lande um 20 Prozent zu erhöhen, falls der Bund nicht bis Ende Mai eine ausreichende Erhöhung auf Bundesebene be­schließt. Auch die Versorgungsbezüge und die Kinderzuschläge sollen in Nordrhein-Westfalen erhöht werden.

KÖLN. Die kürzlich von ehemaligen alten Mitgliedern der SPD gegründeteUnabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands (USPD) hat gestern in Köln ihr zwölf Punkte umfassen­des Programm veröffentlicht. Die Partei will eine reine Arbeiterpartei sein. Sie fordert eine

umfassende Sozialisierung aller Unternehmen, einschließlich der Staatsbetriebe. Jeder Arbeiter soll monatlich mindestens 500 DM verdienen sowie in den Genuß einer hohen Jahresdividende kommen. Vorschläge für die Verwirklichung die­ser Forderungen sind im Programm nicht ent­halten.

ROM. Der persische Botschafter in Rom er­klärte am Freitag, die persische Regierung be­absichtige, in der Erdölindustrie neben britischen Fachleuten auch deutsche, amerikanische, schwei­zerische und italienische Spezialisten zu beschäf­tigen. Der Beschluß zur Verstaatlichung der Erd­ölindustrie in Persien bedeute nicht eine pro­sowjetische Haltung.

DUBLIN. Die Neuwahlen des irischen Par­lamentes, das Ende vergangener Woche aufgelöst wurde, sollen am 30. Mal stattfinden. Allgemein wird erwartet, daß die Parteien, die das Kabinett Costello unterstützen, den Wahlkampf ge­meinsam führen werden, da sie nur so Aussicht haben, die Opposition Eamon de Valerae zu schlagen. Trotzdem rechnet man mit einer Rück­kehr de Valeras in die Regierung.

SCHANGHAI. Die sowjetische Nachrichten­agentur Tass bestätigte am Sonntag, daß der Oberbefehlshaber der französischen Luftstreit­kräfte in Ostasien, Generäl Hartemann, in Indochina mit seinem Flugzeug von Aufständi­schen abgeschossen worden sei und den Tod ge­funden habe.

Maschinen nach dem Osten

GENF. Die westeuropäischen Länder haben der Sowjetunion und den Ostblockstaaten im Jahre 1950 zweimal soviel Maschinen geliefert wie 1948, geht aus einem von der Wirtschaftkommission der Vereinten Nationen für Europa veröffentlich­ten Bericht hervor. Im gleichen Zeitraum gingen die Maschinenexporte der USA in die europä­ischen Ostblockstaaten um 93 Prozent zurück.

Die größten Steigerungen in der Maschinenaus­fuhr nach Osteuropa erzielten die Bundesrepu­blik, Großbritannien und die Beneluxstaaten. Eine ähnliche Entwicklung wurde auch in ande­ren Empfängerstaaten der Europahilfe beobach­tet, doch betrugen die westeuropäischen Maschi­nenexporte nach dem Osten nur 5 Prozent der Gesamtausfuhr, da gleichzeitig die Exporte nach andern Ländern erheblich gestiegen sind. Nach den Kominformländern führten die in der OEEC zusammengeschlossenen Länder 1950 Maschinen, Transoortmittel und Kraftwagen im Wert von 232,3 Millionen Dollar aus. Das sind 117,6 Millio­nen Dollar mehr als 1948. Westdeutschlands Ma­schinenexporte nach den Kominformländern nah­men von 1948 bis 1950 um fast das 20fache zu und erreichten 1950 einen Wert von 29,7 Millionen Dollar. Allerdings blieben sie damit immer noch um fast 80 Prozent hinter den entsprechenden Vorkriegsexporten zurück.

Wie Beamte der UNO-Wirtschaftskommission darlegten, bereitet die Zukunft der westeuropä­ischen Maschinenindustrie infolge des Mangels an wichtigen Rohstoffen große Sorge. Nach An­sicht der ECA muß Europa seine Ausfuhr im Ma­schinenbau erhöhen und daher die Industrialisie­rung vorantreiben, um die notwendigen Einfuh­ren bezahlen zu können. Andererseits wird die Produktion der europäischen Maschinenindustrie und damit die Ausfuhr eingeschränkt werden müssen, wenn es nicht gelingt, die Rohstofffrage zu lösen.

Spareinlagen gingen weiter zurück

FRANKFURT. Die seit Dezember vergangenen Jahres rückläufige Entwicklung der Spareinla­gen hat sich nach Mitteilung der Arbeitsgemein­schaft der Sparkassen- und Giroverbände auch im März in starkem Umfang fortgesetzt. Der Auszahlungsüberschuß, der sich im Februar auf 5,4 Mill. DM belief, erhöhte sich im März auf 13,7 Mill. DM. In den gleichen Monaten des Vor­jahres war ein Einzahlungsüberschuß von 80,5 Mill. bzw. 77,5 Mill. DM erzielt worden. Als Vor­aussetzung für eine Förderung des Sparwillens wird von den Sparkassen die Stabilisierung des Lohn- und Preisgefüges angesehen. Der Gedanke, die Leistungsfähigkeit des Kapitalmarktes durch den Staat und damit durch den Steuerzahler zu ersetzen, wird als Dauerlösung abgelehnt.

30 Prozent mehr produziert als 1938

WASHINGTON. Nach einer Mitteilung der Marshallplanverwaltung lag die westeuropäische Industrieproduktion in dem am 31. März abge­laufenen Jahr um 30 Prozent über der Erzeugung von 1938. Insgesamt hat sich die Produktion im Vergleich zum Vorjahr um II Prozent erhöht. Einen Teil dieser erfolgreichen Entwicklung führt die ECA auf die Marshallplanhilfe zurück. Die Bundesrepublik überschrilt.nack -de r Aufstellu ng in diesem Jahr erstmals ihre VorkriegsprodüK- tion und erreichte im November mit einem In­dex von 114 einen neuen Nachkriegsrekord.

Die ersten Erfolge

PARIS. Die Maßnahmen der Bundesregierung zur Behebung der Zahlungsbilanzkrise gegen­über der EZU beginnen Früchte zu tragen. Nach­dem die deutsche Zahlungsbilanz mit der EZU schon im März einen Überschuß von etwa 13 Mil­lionen Dollar aufwies, ist nach einer Mitteilung der OEEC im April ein Überschuß von 30 Mil­lionen Dollar erzielt worden. Noch im Februar hatte die Zahlungsbilanz mit der EZU mit einem Rekorddefizit von 58 Millionen Dollar abgeschlos­sen. Die günstige Entwicklung ermöglicht der Bundesregierung die beschleunigte Rückzahlung des Überbrückungskredites, den ihr die EZU ein­geräumt hatte,

Griechenlandhandel wird forciert

HAMBURG. Am Samstag wurde der Griechen­landausschuß des Nah- und Mittelost-Vereins in Hamburg gegründet. In dem Ausschuß sind all* am Handel mit Griechenland interessierten Wirt­schaftszweige der Bundesrepublik vertreten, Zu seinen Aufgaben gehört vor allem die Förderung der Außenhandelsbeziehungen und die Beratung bei kommenden Wirtschaftsverhandlungen zwi­schen den beiden Ländern.

A -

Der verschlossene MUND

Roman von Doris Eicke

i ® ä/ie Redite ¥erlagthaut Reutlingen

Darüber denke ich so viel nach, und zuwei­len fließt mir der Mund über. Ich weiß, daß das nicht recht ist, Niels, Du würdest es nie­mals tun, Du würdest Dich nie bei Dritten über mich beklagen. Du bist viel stärker als ich, die ich Aussprache und Widerhall brauche. Die Strafe blieb denn auch nicht aus. Ein paar nichtssagende Worte, ein verlegenes Auf- dieseitestehen war alles, was ich erntete. Ich sah ihnen dennoch an, was sie dachten und nicht zu sagen wagten: Niels wird zu trösten wissen.

Ich weiß, dieser Gedanke ist primitiv und häßlich und trifft wahrscheinlich nicht zu. Seit ich ihn in Elsbeths und Marys Augen las, steht etwas zwischen uns. Sie sollen nicht so klein von Dir denken. Aber auch ich, Niels, denke zuweilen kleinmütig.

Ach Niels, ich fühle es, daß dieser Brief Dich traurig macht. Wie aber könnte ich Dich fröhlich stimmen, da ich es doch selbst nicht bin? Meine Stimmung am heutigen Sieben­undzwanzigsten hat nichts mit dem frohen Übermut unseres Sichflndens gemein, eher noch mit dem Tag darauf, als ich in den Rats­stuben so lange vergeblich auf Dich wartete. Weißt Du es noch? Du hattest eine Veran­staltung im Rathaus von fünf bis sechs und wolltest Dich anschließend mit mir treffen. In meiner Ungeduld, Dich wiederzusehen, war Ich natürlich schon viel früher da und ver­wünschte die schleichenden Minuten, die mich noch von dem Glück dieses Wiedersehens trennten. In all meiner Erwartung war ich doch ein wenig zaghaft, denn kaum aus dem kurzen Schlaf erwacht, wollte es auch mir

ganz unglaubwürdig scheinen, daß ich gestern am späten Nachmittag ahnungslos auf den Freimarkt gegangen und in der Nacht als Braut eines Mannes zurückgekehrt war, von dessen Existenz ich vor vierundzwanzig Stunden noch keine Ahnung hatte. Ich kann es nicht anders ausdrücken, als daß mein ganzes Sein nach Deiner Gegenwart schrie als der einzig möglichen Bestätigung meines unwahrscheinlichen Erlebens.

Wenn Ich an diese Stunde Zurückdenke, will sie mir noch heute als eine der größten De­mütigungen meines Lebens erscheinen. Es wurde sechs Uhr, viertel nach sechs, halb sieben, dreiviertel sieben und Du kamst nicht. Niels, noch heute fühle ich die fürch­terliche Scham, die diese Tatsache mir be­reitete, auf meinen Wangen brennen, und wenn ich dennoch sitzen blieb, so tat ich dies ohne Hoffnung und einfach nur, weil mir die Kraft fehlte, aufzustehen. Im Jammer dieser Enttäuschung sank mein ganzes wunderbares Erlebnis urplötzlich und mit stechender Grau­samkeit auf die Stufe eines Fastnachts­scherzes herab. Alles, was ich so gläubig auf­genommen, so ehrlich erwidert hatte, Du mein­test es also nicht ernst.

Das ist die Strafe, die verdiente Strafe für so viel Leichtsinn, für eine so blinde, impul­sive Zuneigung, sagte ich mir selber. Ich wurde immer kleiner auf meinem Stuhl und fühlte mich so vernichtet, als hätte ich in der letzten Nacht etwas Unwürdiges und Unver­zeihliches begangen, und tausend ungeweinta Tränen brannten in meinen Augen.

Niels, wie gut weiß ich das alles noch, mei­nen grenzenlosen Jammer, meinen erniedrig­ten Stolz, mein körperliches Unvermögen, aufzustehen und die Stätte dieser entsetzlichen Demütigung zu verlassen. Ich war so tief un­glücklich, daß ich nicht mehr die Kraft zur Freude hatte, als Du dann plötzlich vor mir standest und Dich, erschrocken über meine geisterhafte Blässe, über mich beugtest. Niels,

am Ende wird es jetzt wieder so sein, wenn Du endlich, endlich wiederkommst, daß mein Herz sich leersehnte und sich nicht mehr freuen kann. Diesmal wird kein schuldbe­wußter, vergeßlicher Kellner mit einem ver­sehentlich auf der Zentralheizung liegen ge­bliebenen, zu Dörrgemüse vertrockneten Blu­menstrauß als rettender Engel auftauchen, kein Briefchen wird bitten, eine Stunde län­ger auf Dich zu warten, weil die Besprechung im Rathaus verschoben sei, und nichts wird sich in einem befreiten Gelächter endlich lösen wie damals.

Detlev kann jetzt schonPapa sagen, da aber niemand da ist, der sich in seiner Vor­stellung mit diesem Wort verbindet, nennt er einfach jedes männliche Wesen so. Neulich marschierte eine Kompagnie Soldaten an uns vorüber, und er schrie mit solcher Begeiste­rung und AusdauerPapa!" in ihre Kolonne hinein, daß die Männer schon anfingen, un­zarte Witze zu reißen, und ich schämte mich sehr.

Manchmal schaue ich den Kleinen an und denke: Er ist ein Stück von Niels, aber dieser Gedanke tröstet mich nicht. Detlev ist herzig, aber er ist ein kleines, von meiner Fürsorge abhängiges Kind, und ich sehne mich nach meinem Mann.

Verzeih mir diesen Brief, Niels, und wenn Du kannst, tröste Deine verzagte

Andry.

Merck legte sich in seinem Bett zurück und schloß die Augen. Zum erstenmal spürte er ganz die Wandlung, die zwischen diesen bei­den Briefen lag, die heitere Kraft des ersten und die wilde Sehnsucht des zweiten Schrei­bens. Damals, als es eintraf, hatte es ihn schmerzlich getroffen mit seinem zum ersten Male klar formulierten Vorwurf, Er wußte selbst, daß seinen Briefen die innige Wärme fehlte, obwohl er an sich ein guter Brief­schreiber war. Es gab kehle Möglichkeit, Andry dieses Rätsel zu lösen. Konnte er ihr

denn erklären, daß er bei allem, was er schrieb, das grinsende Gesicht des unvermeid­lichen Zensors vor sich sah, das ihm, dem zurückhaltenden, beherrschten Hanseaten je­des Liebeswort in die Feder zurückdrängte? Ein solches Unterfangen wäre zwecklos gewe­sen, denn eine solche Erklärung hätte Andry doch nie erreicht. Die Tatsache allein, daß er ihr keine Silbe über seine Tätigkeit schrei­ben durfte, machte seine Briefe farblos und dürftig. So hatte sie nicht den mindesten An­teil an seinem jetzigen Leben, er schwebte für sie irgendwo in einem Vakuum. Ihre Vorstel­lungen über seinen Einsatz waren genau so hundertprozentig falsch, wie seine eigenen es gewesen waren, aber auch diesen Irrtum konnte er nicht berichtigen. Die kleinste An­deutung hätte genügt, den Briefverloren gehen zu lassen. Seufzend und mit Überwin­dung griff Merck zu dem letzten Brief. Er war nur kurz, aber der wichtigste von allen:

Bremen, den 27. Oktober 1930

Lieber Niels!

Zum dritten Male, seit Du fort bist, jährt sich der Siebenundzwanzigste, dieser einst festliche Tag, der nichts von allem hielt, was er versprach. Ich bin des Wartens müde und habe lange nach einem Ausweg gesonnen, der diesem schrecklichen Vegetieren, das man Le­ben nennt, ein Ende machen könnte; nicht dem Leben selbst natürlich, nur seiner au­genblicklichen, unerträglichen Form. Detlev Ist jetzt zwei Jahre und sechs Monate alt, ein kräftiges gesundes Kind, ich bringe ihn morgen zu Deiner Mutter, schließe unsere Wohnung zu und nehme wieder eine Stellung als Hotelsekretärin an.

Niels versteh mich um Gottes willen! Ich kann nicht mehr. Meine vier Wände stürzen auf mich herunter, und ich verliere den Ver­stand, wenn ich wie bisher Stunden damit verbringe, sie anzustarren. Mein kleine* Hauswesen ist schnell gemacht, und wenn id| noch so Ordnung halte! (Fort*. foUH