Ankara Hauptstadt in der Steppe

Vom Geist der neuen Türkei / Symbol gegen Museum Von unserem Balkan-Korrespondenten Walter W. Krause

Bleiben Sie am Bosporus, dem Tor zur Welt."Wir arbeiten um zu leben, sagen die Ankarer.Dort unten an blauen Wassern ist nicht die Türkei. Dort wuchern Lethargie und Faulheit in kosmopolitischer Atmosphäre. Wie kann freies, imabhängiges Denken und Schaf­fen in einem Museum gedeihen, wo so viele Stüdce an nationale Demütigungen erinnern!

Um diesen Geist der neuen Türkei zu be­greifen, muß man sich auf dem mauerumgür- teten Burgfelsen des alten Angora-Engürü einmal um sich selbst drehen. Orient und Ok­zident wohnen wie friedliche Nachbarn Tür an Tür. Nach Norden wellen sich wie reichbe­stickte Teppiche über erdfarbene Hügel und rotbraune Flächen Tausende weißblau ge­tünchte Lehmhütten, die aus der Erde zu wachsen scheinen, Nadelspit/.e Minarette ste.- hen vor einem hartblauen Himmel, auf erd­gestampften Straßen kribbelt es wie in einem Ameisenhaufen, die Armut ist hier offensicht­lich ständiger Gast im Hause.

Mit dieser Aussicht entschied 1920 Kemal Atatürk, damals noch vor dem Völkerbund einRäuberhauptmann genannt, den Bau der neuen Hauptstadt Ankara. Wo sich heute nach Westen und Süden bis an die horizont- abschließenden Gebirgsketten des Elma-Dagh glänzende Asphaltstraßen, moderne Verwal­tungsviertel, Gartenstädte wie Tschankaya, Yeni Chehir, Kava Klidere und Djebedji er­strecken, war brutale, nackte Steppe. Der Engürü-Sugu wand sich durch fleberbrütende, versumpfte Mulden. Die Istanbuler lachten über die Prospekte der aus den Bunkern Gal- lipolis, den Backöfen der arabischen Wüsten und den eisigen Schützengräben Armeniens gekommenen Kemalisten.

Was den an Glanz und Prunk gewohnten Istanbulern aber fehlte und den Spezialisten an seherischer Planung mangelte, war der Geist dieser Männer, der heute mehr denn je die neue Türkei erfaßt hat Sie zogen in Lehmhäuser, deren hygienische Verhältnisse finsterstes Anatolien waren. Von hier begann ihr Kampf gegen dieGroß-Armenier, die Franzosen, Italiener, Griechen und Engländer, die Istanbul besetzt hielten und deren will­fähriges Werkzeug der Sultan war. Ankara,

ANKARA, im Mai in reiner unbestechlicher Luft war zum Sym­bol der neuen Türkei geworden. Hier war man auch den Tabakbauem Samsuns, den Baumwollpflanzem Smyrnas, den Arbeitern in den Kohlenminen Zonguldaks und den Kupfergruben Erganas und was das wich­tigste war den anatolischen Bauern näher.

Die neue Hauptstadt in der Steppe ist auch heute noch Fragment. Vom Ulusplatz, im West­schatten der Zitadelle, breiten sich strahlen­förmig spiegelnde Straßen in alle Richtungen aus. Nach Süden zieht sich meilenweit der Atatürk Bulvari, an dem moderne Geschäfts­häuser, Botschaften, Banken, Theater, Restau­rants und Kinos liegen. Im Süden stößt die Cumhuriyet Caddesi durch eine wundervolle Parkanlage mit künstlichem See und Mayis-

Stadlon auf das moderne Bahnhofsgebäude, wo noch 1919 die inneranatolische Bahn endete. Weißdorn, Birken, Pappeln und silberglän­zende Platanen haben entgegen aller Voraus­sagungen Wurzeln gefaßt.

Das junge, neue Leben ist dabei, die letzten Eierschalen abzustreifen.Das Unmögliche muß man zuerst machen, das Mögliche kommt selbst, so ein türkisches Sprichwort, das im neuen Ankara zur Maxime geworden ist. Un­möglich schien der Bau neuer Häuser und Straßen auf anatolischem Sumpfboden das Unmögliche wurde Wirklichkeit. Das Mögliche, die letzten Fetzen Steppe zwischen dem neuen Leben wegzuwischen, ergibt sich von selbst.

Der 43jährige Harun Bayir, Ratgeber des Wirtschaftsministers und vielfacher Absolvent britischer Fakultäten, sagte zu uns:Einst wur­den wir französisch, dann deutsch und jetzt anglo-amerikanisch beeinflußt, warum sollten wir nicht einmal die Welt türkisch beeinflus­sen?

Auch Sowjetunion hat Leicht-Atombombe

Einbau in Fernraketen / Rüstungs vorsprung der USA verringert

dsi ANKARA. Die im Rahmen der ameri­kanischen Budgetpläne bekanntgegebene Kon­struktion von Atom-U-Booten betrifft eine Angelegenheit, die in Fachkreisen längst über­holt ist, nachdem sowohl auf englischer als auch auf russischer Seite ähnliche Konstruk­tionen seit mehr als einem Jahr in Arbeit sind.

Dagegen ist die augenblicklich wichtigste Nachricht auf dem Gebiete des Wettlaufs in bezug auf die Verwendung der Atomspaltung in der Waffenproduktion die Kunde, daß man auf russischer Seite sowohl im Besitz der so­gen. Leichtatombomben ist, als auch über die Atomartillerie verfügt, von der man sich auf amerikanischer Seite strategisch und bewaff­nungsmäßig eine gewisse Überlegenheit ver­sprach.

Die jetzt vorliegenden Informationen über das effektive Vorhandensein von Leichtatom- bömben in Rußland und die Möglichkeit eines Einbaues dieser Leichtatombomben in die Na­sen von V 2 bzw. V-3-Femraketen bestätigt nur die Überlegung amerikanischer Experten, die sich darüber im klaren waren, daß seit sechs Jahren der durch deutsche Experten ver­stärkten russischen Atomindustrie die gleichen

Entwicklungschancen gegeben waren wie den Amerikanern. Es besteht nicht der mindeste Grund, eine Unterlegenheit in der Entwick­lungsmöglichkeit auf seiten der Russen an­zunehmen.

Auf beiden Seiten besteht also heute die Möglichkeit, mit einem leichten Bomber genug Atomsprengmaterial mitzuführen, um eine Stadt zu vernichten, während ein schwerer Bomber auf einem einzigen Flug zwölf bis vierzehn Städte ruinieren könnte. Auch die sehr schnellen Düsenjäger können je eine die­ser leichten Bomben mit sich führen.

Die strategische Luftwaffe der USA verfügt gegenwärtig nur über 200 Flugzeuge des Typs Consolidated B 36, die 17 000 km ohne Zwi­schenlandung zurücklegen können, und über eine nur doppelt so große Anzahl von B 50, die 8000 km im Non-Stop-Flug zu bewältigen vermögen. Der Radius der B 36 ist notwen­dig, um von einer USA-Basis aus wichtige russische Zentren zu bombardieren und zum Ausgangsstützpunkt zurückzukehren.

Die Sowjetluftwaffe verfügt über 1100 Lang­streckenmaschinen, die aber nur 7500 km im Non-Stop-Flug bewältigen können, eine Ko­pie der B 29 Super-Forteress darstellen und imstande sind, jedes Ziel in Europa in den Bereich des Atombombenwurfs russischer Maschinen zu rücken. Diese Feststellungen sind geeignet, eine völlige Revision der mili­tärischen und industriellen sowie waffen­mäßigen Planung in Europa und auch in Amerika zu veranlassen.

Hochzeit im Land der Pharaonen

KAIRO. Unter großem Gepränge heiratete König Faruk von Ägypten am Sonntagvor­mittag die bildhübsche 17jährige Narriman S a d e k, ein Mädchen aus bürgerlichem Hause. Die Trauungszeremonie, bei der die Braut nach mohammedanischem Ritus selbst nicht zugegen war, wurde im königlichen Pa­last vollzogen. Von der 800jährigen Zitadelle dröhnten 101 Salven Salut, während moderne Düsenjäger über die mit Flaggen reich ge­schmückte Hauptstadt dahinbrausten. Über die eigentliche Hochzeitszeremonie wartete die kleine Narriman in ihrer Villa in Heliopolis. Sie trug ein Hochzeitskleid aus weißer Seide, das von der Pariser Modeschöpferin Germaine Lecompte entworfen war. Das mit Dia­manten übersäte Hochzeitskleid hat eine fast sieben Meter lange Schleppe. In den dunklen Haaren der Braut glitzerte ein diamantenes Diadem. Um den Hals trug sie ebenfalls einen prächtigen Diamantenschmuck.

Für drei Tage feiert ganz Ägypten. Arme Fellachen erhalten am Spieß gebratenen Ham­mel in öffentlichen Speisungen. An landarme Kleinbauern wird Acker verteilt. Die Kosten der Hochzeit belaufen sich auf rund drei Mil­lionen Dollar. Der König und die Königin ha­ben bereits Hochzeitsgeschenke im Wert von über sechs Millionen Dollar erhalten, darunter eine Kristallvase Präsident T r u m a n s. Die ägyptische Regierung übersandte ein goldenes Kaffeeservice mit sechs Tassen, die mit kost­baren Steinen ausgelegt sind. Das diploma­tische Korps überreichte eine goldene Platte, in die die ägyptische Krone eingraviert ist. Düsseldorfer Studenten schickten einen Krug echten Düsseldorfer Mostrichs. Aus Italien kam das neueste Alfa-Romeo-Modell. Gestern nachmittag erschien die Königin im Palast in Kairo. Hierbei sahen sich die Gatten zum ersten Male nach den Zeremonien. König Faruk hat zum zweiten Male geheiratet. Von seiner ersten Frau, einer Schwester des persischen Schahs, ließ er sich scheiden, weil sie ihm keinen Thronerben schenkte.

Keine Antialkoholiker als Minister

MÜNCHEN. Bayerisches Bier hat seine Tra­dition. Der Maibock des staatlichen Hofbräu­hauses zum Beispiel muß beim Anstich für das Volk vom Ministerpräsidenten und vom Fi­nanzministergeprüft werden.Und wenn der Minister ein Antialkoholiker ist?, wollten neugierige Reporter von Hofbräudirektor Josef Heidinger wissen; worauf dieser prompt ant­wortete:In Bayern wird kein Antialkoholiker Minister. Der Maibock ist das älteste baye­rische Bockbier und wird seit 1614 im Hofbräu ausgeschenkt.

Streik der Staatsdiener

Eine Million Staatsbeamte unzufrieden / Ausstands welle in Italien im Ansteigen Von unserem Mailänder Korrespondenten Carlo Mundt

Bei der sehenswerten GaststättenmesseSpeise und Trank in Reutlingen, die noch bis Dienstag geöffnet ist, ist auch die Schwäbische Verlagsgesellschaft, in der unsere Heimatzeitung erscheint, mit einem repräsentativen Stand vertreten. Die Besucher aus nah und fern haben hier während der Messe Gelegenheit, die neueste Ausgabe ihrer Heimatzeitung zu lesen. Bei der Prämiierung der Ausstellungsstände am Sonntagabend wurde dieser Stand mit einer goldenen Medaille aus­gezeichnet.

ROM, im Mai. Morgen treten über eine Mil­lion Staatsbeamte und -angestellte in einen 24stündigen Streik, der von den drei italieni­schen Gewerkschaften 1 der CGIL (sozialkom­munistisch), UIL (sozialistisch) und CISL (katholisch) beschlossen worden ist. Der Dienst für Eisenbahn, Post und Krankenhäuser ist sichergestellt worden. Falls die Regierung auf diesen Ausstand hin die geldlichen Verbes­serungen für die Kategorien nicht erfüllen sollte, haben die Syndikate einen weiteren Streik über 48 Stunden beschlossen. Mit die­sem Ausstand, durch den Italien zum großen Teil lahmgelegt wird, steigt die Streikwelle im Lande unvermutet wesentlich an.

Während es 1940 nur 755 342 italienische Staatsbeamte gab, sind sie heute auf 1 077 240 gestiegen, die den Staat jährlich 723 Milliar­den Lire kosten. Vor einiger Zeit waren be­reits die Angehörigen der Magistratur in Streik getreten, sie trugen einen klaren Sieg davon. Ihnen folgten die Mittelschullehrer und kurz darauf die Universitätsprofessoren. Eine Verlautbarung des außerordentlichen Mini­

sterrates hatte schon yor einiger Zeit zum Ausdruck gebracht, daß bisher niemals 50 Prozent der Einnahmen für die Verwaltung ausgegeben worden seien, daß durch einen weiteren Notendruck die Preise in die Höhe getrieben würden, jede Aussicht auf Preisstop dahin sei und schließlich alle Staatsreserven nur für ein Ziel geopfert Werden müßten. Der Staat hat sich aber bereit erklärt, die soge­nanntegleitende Leiter des Zuschusses zum Gehalt, die sich nach dem Lebensindex rich­tet, gelten zu lassen.

Da Italien auch an die Wiederbewaffnung denken muß und durch die Regionalregierun­gen der Beamtenapparat aufgeschwemmt wird, ist die Lage fast hoffnungslos. Es steht fest, daß die Regierung den Staatsbeamten und -angestellten nicht nachgeben kann, ohne den Haushalt über den Haufen zu werfen. Inzwischen haben auch die Straßenbahner und die Metallarbeiter einen Generalstreik durchgeführt Nur die Kommunalwahlen, die demnächst stattfinden, hindern andere Grup­pen, in den Ausstand zu treten.

Der Gelehrte einer Epoche

Zum 100. Geburtstag Adolf von Hamacks

Sich eines Gelehrten zu erinnern, der, wie keiner mehr seither ln den Reihen der evange­lischen Theologen, noch wußte, was wissenschaft­lich-kritische theologische Arbeit heißen muß und einmal geheißen hat, steht auch einer Tages­zeitung an. Harnack, der heute vor 100 Jahren geboren wurde, umriß eine Epoche, die jetzt in Trümmern zu liegen scheint. Sie ist nur un­scharf, sogar irreführend mit dem Begrifflibe­ral gekennzeichnet. Sie müßte eigentlich die Epoche der unvoreingenommenen, freien For­schung genannt werden. Sie sah Spannungen, wo man heute primitive existentielle Nöte hin­ausschreit, sie blühte in der Geborgenheit staat­licher Anerkenntnis, wo sie heute wenigstens die evangelische Theologie sich einen schwinden­den Einfluß auf das öffentliche Leben mit Schein­autorität erkämpfen muß, sie erlaubte sich gegen die große Bruderkirche Roms das freie kritische Wort und den freien evangelischen Standpunkt, wo heute die fortschrittlichen Geister von der Una Sancta reden und der gemeinsamen christ­lichen Kampffront gegen den organisierten Un­glauben.

Harnack war ihr Symbolum, ihr das Weitläu­fige und das Wissenschaftliche universal beherr­schender Wortführer, aber auch ihr Glaubender, der sich der Tradition gegenüber als demütiger Gläubiger empfand und wußte, daß die christ­liche Religion von heute anders ist als zu des Athanasius, des Augustin und zu Luthers Zeiten. Harnack redete in den Formeln seiner Epoche: er unterschied für sich und seine Forschung ehr­lich und ritterlich den Kern von der Schale, das j Wesen vom Akzidenz, und seine Kirche, deren theologischer Diener er war, stimmte ihm im Grundsatz zu. Mehr denn je erkennen auch wir, die wir durch die Barthsche Theologie hindurch­gegangen sind, wo die Größe der Hamackschen Position zu suchen ist: in der personalen Fröm­migkeit, die kein sacriflcium intellectus begeht, ich keinem Diktum beugt, das wissenschaftlich anfechtbar ist, sich dem Christlichen da ver­pflichtet fühlt in engelhafter Keuschheit, wo es lebbar ist und von einer noch lebendigen Gemein­de, die nicht immer eine kirchliche Gemeinde sein muß, aufgenommen und verwirklicht wer­den kann.

Das Kirchliche brauchte Harnack nicht zu ver­teidigen, weil es noch unerschüttert in seiner Epoche stand, dagegen durfte er sich erlauben, das Superstitiöse, das Zeremonielle, das Abstrakte abzulehirien, in das die Verfechter einer starren Theologie die Kirche hineinzumanövrieren beab­sichtigten.

Harnacks Hauptwerk, das Bleibendste seiner wahrhaft glänzenden schriftstellerischen Arbeit, ist das dreibändigeLehrbuch der Dogmenge­schichte mit seinen nahezu 3000 Seiten. In drei Auflagen hat er es immer wieder im Laufe von 25 Jahren verbessert, auf den neuesten For­schungsstand gebracht und sich zu den im ersten Entwurf gebildeten forscherlichen Grundsätzen bekannt. Schon seine nächsten Schüler und sogar sein schwäbischer Nachfolger Karl Holl versuch­ten ihren Meister fortzubilden, während sie ihn im Grunde bereits nicht mehr verstanden und da unter dem Zeichen der Wissenschaftlichkeit eng wurden, wo er noch weit und universal war.

Weil indessen sein Lehrbuch ein Kulturbuch ist, wird es alle seine Verbesserer überleben, denn es steht in Parallele etwa zu den höchsten evangelischen Zeugnissen des wilhelminischen Reiches: zu DehiosGeschichte der deutschen Kunst, zu der Malerei etwa eines Max Lieber­mann und der Frömmigkeit eines Albert Schweit­zer. Wie die Stiche von Dürer oder Bismarcks Gedanken und Erinnerungen" gehört die Har- nacksche Dogmengeschichte in jede Bibliothek eines Deutschen, der weiß, warum er auch ein lutherischer Christ ist. Nicht wegen seiner ein­zelnen Thesen, die dem Autor von der Fachkritik oft und oft bestritten wurden nebenbei gesagt, ich halte sie für richtig, sondern wegen des Geistes, der in ihnen waltet und wegen der Sprache, die hier geschrieben wird, einer luciden Sprache, die das Allgemeine im Besonderen er­faßt und das Besondere in das Allgemeine zu erheben versteht, die von Geschichtlichkeit gesät­tigt ist, eben weil sie von Gelehrsamkeit über­strömt, die darstellt, entwickelt, umgreift, was wesentlich in der Geschichte der christlichen Glaubenssätze ist, und von einem so großartigen Epochenempfinden gelenkt wird, das nur Meister der Geschichtsschreibung haben.

Harnack hat den spröden Stoff, der in den wichtigsten Abschnitten eich mit einer sehr fremdartigen Philosophie paart, in das Deutsch der Menschen des 20. Jahrhunderts übertragen,

wie einstens ein Livius die römische Geschichte in das Latein der Augustuszeit übersetzt hat. Darum zähle ich ihn zu den Großen, die jeder gut tut, so oft wie möglich zu lesen, um daran zu lernen, auf welche wissenschaftliche Höhe sich in Harnack der wilhelmische Geist ge­schwungen hat. Wie lange werden wir brauchen, bis wir im Reich der Geisteswissenschaft wieder etwas Ähnliches erhalten werden? In der Kir­chengeschichte, das darf von einem Württember- ger mit Stolz hinzugefügt werden, besitzen wir das im Hamack-Geiste geschriebene Werk Karl Müllers. Karl Haldenwang

Der Dichter Christian Morgenstern

Zu seinem 80. Geburtstag

Am 6. Mai 1871 ist Christian Morgenstern als Sohn des Landschaftsmalers Carl Ernst Morgen­stern in München geboren, am 31. März 1914 schon ist er seiner schweren Lungenkrankheit erlegen. Dazwischen war ein an Leiden, doch auch an inneren Freuden reiches Leben, entstand vor allem ein eigenartig zweipoliges dichterisches Werk. Morgenstern, den aus den Breslauer Jah­ren seines Vaters eine lebenslange Freundschaft mit Friedrich Kayßler verband, ist zunächst durch seine grotesken, oft sprühend übermütigen Gedichte in den BändenIn Phantas Schloß" (1895) undHoratius Travestitus (1897) bekannt geworden. Diese eine Komponente seines Schaf­fens hat sich dann in denGalgenliedern" von 1905 und demPalmström" des Jahres 1910 weiter entwickelt und verfeinert. Das Spiel mit der Sprache läßt Immer wieder hinter dem schein­baren Unsinn echten Tiefsinn aufwachsen, durch- schimmem. Artistik und Weisheit verbinden sich hier oft nicht nur bezaubernd, sondern auch be­zwingend.

Aus den GedichtbändenEinkehr" (1910),Ich und du (1911),Wir fanden einen Pfad (1914) und dem erst aus dem Nachlaß herausgegebenen TagebuchStufen spricht dann eine ergreifende Weltfrömmigkeit. Dem Dichter, der als junger Mensch Schopenhauer erlebt hatte, den dann Nietzsche, Lagarde und zuletzt Steiner stark be­einflußten, wurde als reifem Menschen das Johan­nesevangelium zur entscheidenden geistigen Be­gegnung. Im Werk dieses in und gerade durch all sein Leiden gütigen Dichters klingt in unserer

Zeit noch ein echter metaphysischer Ton auf. Natur und Geist durchdringen eich bei Morgen­stern. Immer mehr entrücken ihm seine letzten Lebens- und Schaffensjahre. Im Gottesschoß zu ruhen, das ist sein Trost. Ein Trost,so groß, daß alles Schöpfungsleid ein Seufzer bloß vor deiner Ewigkeit! H. D.

Kulturelle Nachrichten

Die Akademie der Wissenschaften und der Literatur in Mainz wählte auf ihrer zweiten Jahrestagung folgende Gelehrte und Schriftsteller zu korrespondierenden Mitgliedern der Akademie: Henry Vallois, Paris, (Anatomie); Adolph Smekal, Graz, (Experimentalphysik); Tilly Edinger, Cambridge, (Paläontologie); Mar­tin Almagro-Basch, Barcelona, (Vorgeschichte); K. Gronbach, Kopenhagen (asiatische Sprachen); H. Delgado, Lima (Psychologie); Andre Piganiol, Paris, (alte Geschichte); und die Schriftsteller Andr4 Malraux, Jean Cocteau, Jules Supervielle und Leopold Ziegler, Überlingen, dessen Wahl bereits am Montag, dem siebzigsten Geburtstag des Kultur- und Geschichtsphilosophen, bekannt­gegeben wurde. Zu Ehrenmitgliedern der Main­zer Akademie wurden Luigi Lombardo, Rom, (Elektrotechnik) und Gaetano de Santis, Rom, (alte Geschichte) gewählt. Der Akademie wurde auch das erste Jahrbuch der Akademie der Wis­senschaften und der Literatur für das Berichts­jahr 1950 vorgelegt.

Der Kölner Germanist Richard A1 e w y n wurde auf der Delegiertenversammlung des In­ternationalen Studentenbundes (IJJF), Sektion Deutschland, in Bonn zum Präsidenten gewählt.

Der seit 1938 in den USA lebende 75jährige österreichische Feuilletonist Alfred Polgar hat jden von der Stadt Wien in diesem Jahre zum ersten Male verliehenen Preis für Publizistik erhalten.

Der Hebeltag 1951 am 20. Mai in Lörrach soll wieder ein internationaler Treffpunkt der Alemannen im Dreiländereck werden. In diesem Jahr werden auch zum ersten Male Vertreter aus dem Elsaß erwartet.

Das Stuttgarter Kunsthaus Fischinger veranstaltet zurzeit eine AusstellungKinder­zeichnungen der ersten Jahre. In der Schel- lingstraße in Stuttgart wurde vom Württ. Kunst­verein eine Ausstellung des Malers Emil Nolde eröffnet.