NUMMER 68

SAMSTAG, 5. MAI 1951

Bemerkungen zum Tage

Was nun ?

cz. Mit seinen Aussagen in dem Senatsaus­schuß, der mit der Untersuchung der ameri­kanischen Femost-Politik betraut ist, macht der ehemalige UN-Oberbefehlshaber MacAr- thur nach seinem Triumphzug durch verschie­dene Städte der USA erneut von sich reden. Da die Sitzungen unter Ausschluß der Öffent­lichkeit stattfinden und daher nur zensierte Berichte herausgegeben werden, ist damit zu rechnen, daß Wesentliches verborgen bleibt. Soviel geht jedoch aus dem bisher Veröffent­lichten hervor, daß der General erneut zumin­dest waghalsige Prophezeiungen riskierte, so, wenn er der Sowjetunion die Fähigkeit ab­sprach, einen Angriffskrieg in Femost zu führen. Er hat sich, wie aus den soeben ver­öffentlichten Protokollen seiner Unterredung mit Präsident Truman im vergangenen Herbst hervorgeht, schon einmal getäuscht, als er es für ausgeschlossen hielt, daß Rotchina in Ko­rea eingreifen würde. Es kam aber anders. Schon allein aus diesem Grund ist man auch mißtrauisch gegenüber seinen Behauptungen, daß die Bombardierung der Mandschurei und der Einsatz von Nation alcfainesen eher einen dritten Weltkrieg zu verhüten imstande sei, als wenn man diese Möglichkeiten außer acht lasse. Truman nutzt offensichtlich in seiner Gegenargumentation den prophetischen Fehl­tritt des Generals aus, ohne allerdings damit MacArthurs Vorwurf zu widerlegen, der ame­rikanischen Regierung mangle es an einer klaren politischen Konzeption. Falls der Gene­ral damit recht haben sollte, und manchmal sieht es fa3t danach aus, könnte man das nur aufs tiefste bedauern, da dann die Abbe­rufung MacArthurs nur den einen Erfolg gehabt hätte, daß der Verfechter eines rigoro­sen Vorgehens im Femost fiel und nun über­haupt nur noch Tagespolitik je nach Anfall betrieben würde. Daher erhebt sich die Frage: Was nun?

Wendung zu Adenauer

HF. Die Gegensätze zwischen Adenauer und Schumacher sind größer denn je. Mag gegen­wärtig der Schuman-Plan als der Brennpunkt der Differenzen im Vordergrund stehen, so ist er doch nur einer der Punkte, über die Bun­deskanzler und Oppositionsführer diametral entgegengesetzter Meinung sind.

Eine Kraft, um deren Gewinnung und Mit­arbeit sich beide Seiten bemühen, sind die Ge­werkschaften. Stärke und Einfluß der Gewerk­schaften in der Bundesrepublik sind so groß, daß es von sehr erheblicher Bedeutung ist, wessen Standpunkt der DGB teilt: den der SPD oder den der CDU. Bisher galt es als selbstverständlich, daß vorwiegend zwischen SPD und DGB Übereinstimmung besteht. In der Mehrzahl der Fachgewerkschaften besteht diese Situation auch heute noch. Nun hat es jedoch Bundeskanzler Adenauer verstanden, mit der Führung des DGB ein Verhältnis her­zustellen, das besser ist, als es jemals war. In dem Kompromiß über die Mitbestimmung bei Kohle und Stahl fand dieses neue Verhältnis seine erste Bestätigung, bei der Unterstützung des Schuman-Plans liegt eine neue und sehr wesentliche Festigung. Auch der DGB hat Be­denken gegen den Schuman-Plan, aber er teilt nicht die grundsätzliche und scharfe Ableh­nung, die von der SPD vertreten wird. Der DGB wird an der Verwirklichung des Schu- man-Planes mitarbeiten. Gleichzeitig wird er in dem von der Bundesregierung ins Leben gerufenen Lohn- und Preisausschuß mitarbei­ten, umdie für die Arbeitnehmer akzeptable Lohn- und Preispolitik der Regierung auf eine feste Grundlage zu stellen. Eine Entwicklung, die man zumindest in der Gegenwart begrü­ßen kann.

Grotewohl zurKur abgereist

Veränderungen in der Sowjetzonenregierung?

BERLIN. Nach einer lakonischen Mitteilung des Amtes für Information der Sowjetzone hat sich der Ministerpräsident der DDR, Otto Grotewohl, am Mittwochzu einer Kur begeben. Die Dauer und der Aufenthaltsort der Kur wurden nicht bekanntgegeben. Wäh­rend seiner Abwesenheit wird der stellver­tretende Ministerpräsident und Generalsekre­tär der SED, Walter Ulbricht, seine Amts­geschäfte führen.

Aus Kreisen der Sowjetzonenregierung ver­lautet dazu, daß Grotewohls Kurantritt in erster Linie aus politischen und erst in zwei­ter Linie aus gesundheitlichen Gründen er­folgt sei. Bereits seit längerer Zeit kursierten Gerüchte über bevorstehende Veränderungen in der Sowjetzonenregierung. Grotewohls Kur wird von Regierungskreisen als ein Sieg der von Walter Ulbricht geführtenradi­kalen kommunistischen Richtung gewertet. Ein Mitglied der Regierung erklärte:Grote­wohls Kur hat zu dem Zeitpunkt begonnen, wo das Aussichtslose seiner Bemühungen um das Zustandekommen eines gesamtdeutschen Gesprächs mit der westdeutschen Bundesre­gierung offen zutage getreten ist.

Politische Persönlichkeiten berichteten, daß die Stellung des Ostzonen-Premiers Grote­wohl bereits seit einigen Wochenerschüttert und mit seiner Ablösung oder Kaltstellung zu rechnen sei.

Morgen wMhlt Nleder?adisen

CDU und DP bilden Wahlgemeinschaft

HANNOVER. Am morgigen Sonntag wird nun auch in Niedersachsen der zweite Land­tag nach dem Kriege gewählt. Viereinhalb Millionen sind wahlberechtigt. Auch diesmal spielte im Wahlkampf die Bundespolitik eine große Rolle.

CDU und DP haben sich zu einer Wahlge­meinschaftNiederdeutsche Union zusam­

mengeschlossen, um mit der SPD, die bei den Landtagswahlen 1947 die meisten Stimmen erhalten konnte, konkurrieren zu können. Bei den Landtagswahlen 1947 erhielten die SPD 43 Prozent, die CDU 20, die DP 18 und die FDP 8, bei den Bundestagswahlen 1949 die SPD 33, die CDU 18, die DP 18, die FDP 7 Prozent der Stimmen.

Der Wahlkampf wurde besonders von der Sozialistischen Reichspartei" (SRP) mit Dr. Fritz Doris und dem ehemaligen General­major Otto Remer an der Spitze, die von der Bundesregierung als neofaschistisch be­zeichnet wurde, mit großem Propagandaauf­wand geführt. Im Gegensatz zu den Landtags­wahlen in Rheinland-Pfalz besteht in dem niedersächsischen Wahlgesetz nicht mehr die Fünf-Prozent-Klausel, die vorschreibt, daß eine Partei wenigstens fünf Prozent aller gül­tigen Stimmen erhalten oder einen Abgeord­neten direkt durchbringen muß, um in den Landtag einziehen zu können. Damit haben auch die Splitterparteien mehr Aussicht auf Erfolg.

Das äußerste Mittel

Kaiser zur Volksbefragung

BONN. Der Bundesminister für gesamt­deutsche Fragen, Jakob Kaiser, erklärte in einer Rundfunkansprache über den Nordwest­deutschen Rundfunk zu dem Verbot der kom­munistischen Volksbefragung über die Remi­litarisierung, die Bundesregierung sei sich dar­über im klaren, daß Polizeimaßnahmen nur das äußerste Mittel sein können, um gegen verfassungsfeindliche Umtriebe vorzugehen. Wenn sich die Demokratie jedoch einem skru­pellosen Gegner gegenübersehe, dürfe sie auch vor Polizeimaßnahmen nicht zurückschrecken. Kaiser betonte, daß die jetzt verbotene Volks­befragung von der SED und den Dienststellen der Sowjetzone organisiert und finanziert werde

Kleine Weltchronik

BONN. Im Bundesanzeiger wurde am Freitag eineFlugverkehrsordnung für das Gebiet der deutschen Bundesrepublik verkündet, die für alle Flugzeuge, die Innerhalb der Bundesrepu­blik verkehren, verbindliche luftpollzelliche Vor­schriften aufstellt,

KASSEL. Hauptvorstand und Beirat der Ge­werkschaft Gartenbau, Land- und Forstwirtschaft,. haben am Mittwoch beschlossen, sämtliche Lohn­abkommen für Landarbeiter im Bundesgebiet baldmöglichst zu kündigen, um bis zum Beginn der kommenden Getreideernte neue Lohner­höhungen zu erreichen.

HAMBURG. Die norddeutschen Zeitungsver­lage sind wegen der Papierversorgung in großer Sorge. Die Vorräte sind größtenteils erschöpft und wegen Devisenmangels Importe schwer zu beschaffen.

BERLIN. Die Enttrümmerung der Reichstags­ruine in Westberlin wurde am Mittwoch begon­nen. Die Räumarbeiten werden von Arbeitslosen geleistet, die sich freiwillig zur Verfügung ge­stellt haben.

WIEN. Am Freitagfrüh wurde im Internatio­nalen Sektor von Berlin ein amerikanischer Mi­litärpolizist, der sich auf Streife befand, von zwei sotwjetischen Soldaten mit Maschinenpisto­len erschossen. Außerdem wurde ein österreichi­scher Zivilist schwer verwundet. Die russischen Soldaten konnten in den Sowjetsektor entkom­men.

BELGRAD. Der ehemalige Vorsitzende der tschechoslowakischen Sozialdemokraten, Bogumil Lausmann, der im Januar 1950 aus der Tschecho­slowakei in die Bundesrepublik flüchtete und dessen Aufenthalt in den vergangenen Monaten unbekannt war, ist in Belgrad aufgetaucht. Laus­

mann soll als offizieller Gast an den Maifeier­lichkeiten in Belgrad teilgenommen haben.

MOSKAU. Der sowjetische Ministerrat hat am Donnerstag die Ausgabe einer in 20 Jahren rück­zahlbaren 30-Mllliarden-Rubel-Anleihe (etwa 30 Milliarden DM) beschlossen. Die Anleihe soll zur Finanzierung der Entwicklungsarbeiten an den Dnjepr- und Wolgakraftwerken und zum Auf­bau von Stalingrad verwendet werden.

ATHEN. Ministerpräsident Venizelos (Liberal), der stellvertretende Ministerpräsident Papandreu (demokratische Sozialisten) und General Plastl- ras (Führer der Mittelpartei Epek) haben am Donnerstag in einer Besprechung sich dafür ent­schieden, das im März 1950 gewählte griechische Parlament aufzulösen. Die neuen Wahlen sollen am 15. September stattfinden.

TOKIO. In Korea ist vorübergehend eine Kampfpause eingetreten. Seit Dienstag kam es nur lm Ostabschnitt der Front zu anhaltender Gefechtsberührung. Nach Frontberichten haben die Kommunisten sich aus dem unmittelbaren Frontbereich zurückgezogen und bereiten nun­mehr den zweiten Teil ihrer Großoffensive vor.

TOKIO. Im obersten alliierten Hauptquartier in Tokio ist man der Ansicht, daß ein Friedens­vertrag mit Japan etwa im August unterzeichnet wird.

WASHINGTON. Die amerikanische Regierung hat am Donnerstag Vorschriften für die Fest­setzung neuer Höchstpreise für nicht lebenswich­tige Importwaren erlassen. Damit soll der Im­port knapper Waren ausländischer Herkunft in größeren Mengen ermöglicht werden.

NEW YORK. Der Adjudant General MacAr­thurs teilte auf einer Pressekonferenz mit, dem General seien für seine Memoiren fünf Millionen Dollar geboten worden.

Labourabgeordnete revoltieren

Shinwell verläßt das Unterhaus

LONDON. Die Labourregierung erlebte in der Nacht zum Donnerstag die bisher größte Revolte von Abgeordneten ihrer Partei, als im Unterhaus über den Regierungsantrag ab­gestimmt wurde, daß Brillen und Gebisse im Rahmen des britischen Gesundheitsdienstes wieder kostenpflichtig sein sollen. Die Regie­rung blieb mit 262:3 Stimmen erfolgreich. An der Abstimmung nahmen jedoch etwa 50 La­bourabgeordnete nicht teil. Die meisten Abge­ordneten der Opposition stimmten gleichfalls nicht ab. Die beabsichtigte Einschränkung des britischen Gesundheitsdienstes hat, wie damals gemeldet, den Rücktritt der Labourminister B e v a n und Wilson zur Folge gehabt.

Zu einer scharfen Auseinandersetzung zwi­schen Verteidigungsminister Shinwell und der Opposition kam es über die Lieferung bri­tischer Waren an die Volksrepublik China. Die Opposition unter Führung Churchills warf der Regierung vor, sie trage durch Warenlieferun­gen an Rotchina zur Erhöhung der britischen Verluste in Korea bei. Die Debatte endete da­mit, daß Shinwell das Haus verließ.

Ministerpräsident Attlee erklärte, Groß­britannien werde in Zukunft nur nochim Einvernehmen mit den USA strategisch wichtige Rohstoffe nach China exportieren.

Oelverstaatlidiung endgültig

Gesetz vom Schah unterzeichnet

TEHERAN. Der Schah von Persien Unter­zeichnete jetzt die Verordnungen zur Ver­staatlichung der Erdölindustrie in Persien, die damit Gesetzeskraft erlangt haben. Sie betref­fen vor allem die Anglo-American-Oil-Com- pany, die mit ihrem Aktienkapital von 500 Millionen Pfund Sterling bei weitem die be­deutendste Erdölgesellschaft Persiens bildete. Anläßlich eines Besuches des britischen und des amerikanischen Botschafters in Teheran bei dem persischen Ministerpräsidenten Mos- s a d e q erklärte dieser, daß das 1933 ge­schlossene Abkommen zwischen der persischen Regierung und der anglo-iranischen ölgegesll- schaft nicht binde, da es unter Drude abge­schlossen worden sei. Die Gesellschaft habe kein Recht, öl an die britische Marine unter Weltmarktpreis zu verkaufen. Das Gesetz zur Verstaatlichung der Erdölindustrie bedeute je­doch keine entschädigungslose Enteignung der bisherigen Konzessionsinhaber. Politische Be­obachter in Teheran sind der Auffassung, daß die Anglo-Iranian mit der Unterzeichnung der Verstaatlichungsdekrete ihr Todesurteil erhal­ten hat

Keine übertriebene Loyalität

Wohiebs Kampf gegen das Blitzgesetz

FREIBURG. Die südbadische Regierung will das sogenannte Blitzgesetz über die Verlänge­rung der Legislaturperiode in Südbaden und Württemberg-Höhenzollern und das Bundes­gesetz über die Neugliederung Südwestdeutsch­lands vor das Bundesverfassungsgericht brin­gen. Wenn der Bund bis Ende dieser Wo e ho - nicht über die Verkündung des Blitzgesetzes entschieden hat, will die südbadische Regierung den durch Landesgesetz vorgesehenen Volks­entscheid über die Verlängerung der ersten Landtagsperiode auf den 20. Mai ansetzen.

Staatspräsident W o h 1 e b, der diese Schritte seiner Regierung auf einer Pressekonferenz ankündigte, fügte hinzu, daß sich an der badi­schen Auffassung von der Verfassungswidrig­keit des Blitzgesetzes nichts geändert habe. Den geplanten Volksentscheid begründete er mit den Worten:Wir können uns der badi­schen Verfassung gegenüber nicht länger auf eine übertriebene Loyalität gegenüber dem Bund berufen. Seine Regierung wolle errei­chen, daß in Nordbaden mindestens 50,1 Pro­zent zugunsten der Wiederherstellung Altba­dens stimmten.

A

Der verschlossene MUND

Roman von Doris Eidce

^ Alle Rechte ¥ erlegtheut Reutlingen

Bei ihnen hätte das kalte Wasser nichts ge­nützt, das hatten sie in der ersten Freimarkts­nacht ausprobiert. Vielleicht hat es nur darum so gegossen, als Du mich nach Hause brach­test, weü der liebe Gott es ebenfalls mit die­sem Experiment versuchen wollte; wir aber gingen im strömenden Regen langsam Arm in Arm, als schienen alle Sterne über uns, und Du darfst Detlev nie erzählen, daß sich seine Mutter sogar mit Dir auf eine Bank gesetzt hat man bedenke: im Oktober, mitten in einem Regenguß! Ganz normal ist so etwas sicher nicht.

Tante Emmchen nimmt es mir noch heute übel, daß ich sie mitten in der Nacht aus dem Schlaf aufschreckte, nachdem sie sich zuvor über mein ungewohnt langes Ausbleiben die größten Sorgen gemacht hatte. Naß wie eine Katze stand ich plötzlich in ihrem geheiligten, altjüngferlichen Schlafgemacht und das Was­ser rann in Bächen an mir herunter und bil­dete kleine dunkle Seen auf dem guten Tep­pich. Aber was wollte ich denn machen? Kann ein Mädchen mit einer solchen Seligkeit im Herzen stumm zu Bett gehen? Nein, einer Menschenseele mußte ich es doch sagen, mein großes unfaßbares Glück.

Die Reaktion war erschütternd. Tante Emmchen hatten keinen Beaujolais getrunken, und es war schon lange her, seit sie verliebt

gewesen. Sie war eine alte, vornehme Bre­mer Partrizierin und fand mein herrliches Erlebnis einfach unanständig, ja, sie erkun­digte sich auf die jubelnde Meldung von mei­ner Verlobung hin mit ernüchternder Trok- kenheit, wieviel Alkohol Ich eigentlich an die­sem Abend getrunken hatte. Mein ganzes Glück war in ihren Augen nichts anderes als ein kleiner, skandalöser Schwips. Ich habe Tante Emmchen dieses mangelnde Mitgefühl nie verziehen, obwohl es ungerecht Ist. Wahr­scheinlich hätte ich mich an ihrer Stelle eben­so kategorisch geweigert, diese sonderbare Mär zu glauben.

Und doch war sie wahr. Ach Niels, wann werden wir wieder zusammen über den Frei­markt gehen und die arme Andry einen Part­ner aus Fleisch und Blut haben, der das ganze süße Spiel noch einmal mit ihr spielt? So allein war es gespenstisch, und mich fror bis ins Herz hinein, so als hätte ich Dich für im­mer ziehen lassen in dieses geheimnisvolle, große Land.

Detlev gedeiht und setzt sich schon auf. Wir beide warten auf Dich.

In Liebe Deine Andry.

Merck starrte so lange auf diese Unter­schrift, bis sie vor seinen Augen verschwamm. Er hatte Andry diese ihre Geschichte oft er­zählen hören, alle ihre gemeinsamen Freunde kannten sie, aber er wurde nie müde, ihr zu­zuhören, und sie wußte das, darum hatte sie sich der Mühe unterzogen, dies alles für ihn aufzuschreiben. Es war wie ein Geschenk und sollte auch eines sein, obwohl sie es nicht erwähnte. Andry hatte immer solche Einfälle. Sie war die geborene Freudebringerin.

Mit behustsamen Händen griff Merck zum zweiten Brief.

Bremen, den 27. Oktober 1929 Mein lieber Niels!

Was ist das nur mit mir, daß ich heute, an unserem Siebenundzwanzigsten nicht den Mut hatte, über den Freimarkt zu gehen? Jetzt, da es Abend ist, und ich das Versäumte nicht mehr nachholen kann, drückt es mich wie eine Schuld. Vielleicht bin ich nicht gegangen, um mir nicht wehzutun? Nach anderthalb Jahren Trennung, mit wund gewartetem Herzen ha­ben selbst diese Erinnerungen ihre fröhliche Leuchtkraft verloren. O, sie werden aufer­stehen, gewiß, aber ich allein habe nicht mehr die Kraft, sie heraufzubeschw.ören. Dazu muß ich Deine Hand in der meinen halten.

Die Arbeitslosigkeit verschlimmert sich ste­tig. Marys Mann ist gekündigt worden und Elsbeth hat den größten Teil ihrer Wohnung vermietet, da Alfred vergeblich nach einer neuen Stellung sucht, Georg Kerr ist Reisen­der in Rasierapparaten und ißt sich nur selten satt. Sie haben es schwer, die meisten, und sie beneiden mich, weü mir der Geldbrief­träger jeden Monat die Banküberweisung bringt. Sie sehen nur meine Sorgenlosigkeit und nicht meine heimlichen Tränen. Manchmal verfluche ich dieses Geld, wenn es kommt. Niels, ich habe nicht gewußt, wie bitter lang ein Jahr sein kann, drei Jahre aber sind, wenn sie vor einem liegen, eine unabsehbare Ewigkeit. Manchmal will es mir jetzt schei­nen, als seien wir nicht bei Verstand gewesen, als wir das furchtbare Opfer dieser Trennung für tragbar hielten. Ich bin mein Leben lang nie neidisch gewesen, jetzt aber geht es über meine Kraft, zwei Liebende Arm in Arm zu sehen. Ich ertrage es einfach nicht, daß sie alles haben und ich nichts. Ich weiß wohl, daß das nicht edel ist. aber ich will jetzt weder

großmütig noch tapfer scheinen, sondern genau so verzagt, wie ich es in Wirklichkeit bin.

Niels, als ich vor einem Jahr unsere Ge­schichte für Dich zu Papier brachte, damit Du Dich an ihr freuen könntest, so oft Du woll­test, da war ich noch ein anderer Mensch als heute, da konnte ich noch lachen, singen und glücklich sein, weil ich genau wußte, daß der böse Traum dieser Jahre einmal zu Ende gehen und Du wieder vor mir stehen würdest. Heute, Niels, ist meine Phantasie zu kraft­los, um sich das vorzustellen. Du bist fort, seit achtzehn Monaten fort, und eine grau­same Stimme flüstert mir ein, daß Du für im­mer fortbleiben konntest.

Von Zeit zu Zeit kommt ein Brief, an dem ich mich zu wärmen versuche, ohne daß mir das gelingt. Ich weiß, Du bist kein Freund von großen Worten, ich kenne Dich doch, Du bist ein Bremer, kühl, beherrscht, und Deine warme Stimme, Deine guten Augen können diese Kühle jetzt aus der Entfernung nicht mildem. Immer überfliege ich Deine Briefe erst nach einem heißen Liebeswort, einem Bekenntnis jenseits Deines kühlen Maßes und ich finde es nicht. In all diesen Monaten hast Du mir kein einziges Mal ge­sagt, daß Du Dich nach mir sehnst, so wie ein Mann sich sehnen soll nach der Frau, die er liebt. Du schreibst mir wie ein Bruder, liebevoll und mit großer Güte, aber wie ein Liebender schreibst Du mir nie. Warum?

Ich könnte Deine Briefe alle so, wie sie sind, unseren Freunden vorlesen, und daß das möglich wäre, empfinde ich als Mangel. Ha­ben wir uns schon nichts mehr zu sagen, das für keines andern Menschen Ohr bestimmt wäre, als nur für uns allein?

(Fortsetzung folgt)

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aus leichten, englisch gemusterten Stoffen. Taillierte Formen mit Ringsgurt, besonder »reiswert.

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