NUMMER 38
FREITAG, 6. APRIL 1951
Zweite Lesung endet mit Kompromiß
Mitbestimmungsgesetz in der Fassung der CDU-Fraktion angenommen
Bemerkungen zum Tage
Drückende Fesseln gelöst jk. Mit den neuen Bestimmungen über industrielle Kontrolle ist eines unserer dringendsten Anliegen erfüllt worden. Die Rückgabe eines bedeutenden Teiles unserer wirtschaftlichen Souveränität befriedigt nicht allein unser politisches Gefühl, weil damit die Alliierten ihrem Versprechen, die Deutschen progressiv in die Familie der freien Völker aufzunehmen, die Tat folgen zu lassen sich nun entschlossen haben, sondern auch ihre sachlichen Vorteile sind vielversprechend. Für Devisenbilanz und Beschäftigungslage können die günstigsten Wirkungen von ihr ausgeben, unserem Export neue Möglichkeiten eröffnet werden, und in der Einfuhr bleiben wir auf manchen Gebieten möglicherweise nicht mehr so absolut abhängig wie bisher.
Daß die Alliierten nach der Rückgabe politischer Freiheiten nun auch unsere drückendsten wirtschaftlichen Fesseln gesprengt haben, verdient unbestreitbar unsere Anerkennung. Diese positiven Entscheidungen können für uns nichts an Wert verlieren durch das Wissen, daß die stürmische politische Entwicklung letztlich die Zeit für sich hat reifen lassen; sie können auch nicht durch die Erkenntnis geschmälert werden, daß die größere wirtschaftliche Freizügigkeit einen größeren Leistungsbeitrag zur gemeinsamen Verteidigung des Westsens mit verwirklichen helfen soll, denn wir sind zum Westen entschlossen und empfinden uns ihm zugehörig.
Angesichts dieser befreienden Tat bleibt uns nur eines zu wünschen übrig: daß die neuen Bestimmungen so angewandt und gegebenenfalls ausgebaut werden, daß sie für Wohlfahrt und Macht der westlichen Welt auch wirklich den erstrebtöl Zuwachs bedeuten. Man möge bedenken, daß die Befreiung des Schiffsbaues sich nur dann genügend auswirken kann, wenn genügend Stahl, Eisen und Grobbleche produziert werden. Jede Tonne Stahl aber kostet, vom Erz im Hochofen bis zum fertigen Erzeugnis im Martinofen, an Koks 1,7 Tonnen. An Feinblechen leidet die Automobilindustrie Not, überall mangeln Stahl und Eisen. Und die Benzin- und Gummisynthese ist uns nur insoweit erlaubt, als unsere Kohlenexporte nicht geschmälert werden.
So hält die Kohle also mehr denn je die Schlüsselstellung. Von der Fördersteigerung, nicht zuletzt aber auch von der Revision unserer Exportverpflichtungen, hängt das Ausmaß der Befruchtung ab, die vom befreienden Impuls ausgehen kann.
BONN. Nach mehr als fünfstündiger Beratung nahm der Bundestag am Mittwoch den Gesetzentwurf über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer im Bergbau und in der Eisen- und Stahlindustrie in einer Kompromißfassung der CDU-Fraktion in zweiter Lesung an.
Die sozialdemokratische Fraktion unterstützte den CDU-Vorschlag, während die FDP gegen ihn stimmte. § 6, einer der wichtigsten des Gesetzentwurfes, der sich mit der Wahl der Arbeitnehmervertreter in den Aufsichtsrat befaßt, erhielt die CDU-Fassung. Danach müssen sich unter den fünf Vertretern der Arbeitnehmer ein Arbeiter und ein Angestellter des betreffenden Betriebes befinden. Sie werden durch die Betriebsräte nach Beratung mit den Gewerkschaften der Hauptversammlung als dem Wahlorgan vorgeschlagen. Die drei anderen Mitglieder werden von den gewerkschaftlichen Spitzenorganisationen nach Beratung mit den im Betrieb vertretenen Gewerkschaften der Hauptversammlung vorgeschlagen. Die Hauptversammlung hat den Vorschlägen zuzustimmen. Die FDP hatte gefordert, daß alle Vertreter der Arbeitnehmer Arbeiter oder Angestellte des betreffenden Unternehmens sein müßten.
Die strittige Frage, wer den elften Mann des Aufsichtsrates wählen soll, wurde ebenfalls im Sinne des CDU-Vorschlages entschieden. Danach wird der elfte Mann auf Vorschlag der übrigen Aufsichtsratsmitglieder gewählt. Der Vorschlag wird mit Mehrheit beschlossen. bedarf jedoch der Zustimmung von mindestens je drei Vertretern der Arbeitnehmer und der Arbeitgeber. Kommt ein Vorschlag in dieser Form nicht zustande, so wird ein Vermittlungsausschuß aus je zwei Vertretern der Arbeitgeber und Arbeitnehmer angerufen.
Der Gesetzentwurf soll nur auf Unternehmen mit mehr als 1000 Arbeitnehmern Anwendung finden. Bei Gesellschaften mit einem Nennkapital von über 20 Millionen DM kann durch Satzung bestimmt werden, daß der Aufsichtsrat aus 15 Mitgliedern besteht Die Wahlbestimmungen finden dann entsprechend Anwendung.
Bundeskanzler Dr. Adenauer drückte seine Befriedigung über den Verlauf der Mitbestimmungsdebatte aus. „Das in zweiter Le
sung verabschiedete Gesetz über das Mitbestimmungsrecht soll dem sozialen Frieden in der Bundesrepublik dienen“, sagte der Bundeskanzler. Es sei daher für die endgültige Verabschiedung eine breite Mehrheit im Parlament notwendig.
Der Bundestag erledigte nach der Annahme des Mitbestimmungsgesetzes noch einen Gesetzentwurf über die „Übernahme von Sicherheitsleistungen und Gewährleistungen zur Förderung der deutschen Wirtschaft“ sowie einen Entwurf eines „Gesetzes zur Vermeidung von Härten in der knappschaftlichen Rentenversicherung“. Beidesmal wurde an die zuständigen Ausschüsse überwiesen. Es erfolgte dann die zweite Lesung des Haushaltes des Bundespostministeriums, bei der dem Postminister Hans Schuberth eine Anforderung für den Neubau eines Bundespostministeriums in Höhe von 7 bis 8 Millionen DM vorgeworfen wurde.
Die dritte Lesung des Gesetzentwurfs über das Mitbestimmungsrecht ist mit Rücksicht auf die Reise des Bundeskanzlers nach Paris schon auf kommenden Dienstag festgesetzt worden, da Dr. Adenauer wegen der Bedeutung des Gesetzes der Bundestagssitzung beiwohnen will.
Falkenhausenbesuoh abuesagt
Verstimmung über den Ex-Generai BONN. Ein Empfang des ehemaligen Generals Alexander von Falkenhausen bei Bundeskanzler Adenauer sei „zurzeit nicht vorgesehen“, hat das Bundespresseamt am Mittwoch mitgeteilt. Vorige Woche wurde offiziell angekündigt, daß der Bundeskanzler Mitte dieser Woche Falkenhausen empfangen werde. Es verlautet, daß der Bundeskanzler die „aus persönlicher Verbitterung gefallene Äußerung“ Falkenhausens bei seiner Rückkehr nach Deutschland mißbillige. Der General gab bei einem Presseinterview Erklärungen ab, nach denen die Belgier Spaak und Pierlot 1940 zur Zusammenarbeit mit Deutschland bereit gewesen seien. In Regierungskreisen glaubt man, daß durch die „besonnene Beendigung“ des Falkenhausen-Prozesses die letzten Hindernisse für eine deutsch-belgische Verständigung aus dem Wege geräumt worden seien.
Kleine Weltchronik
Versteifter Widerstand
38. Breitengrad in breiter Front überschritten
TQKIO. Der Vormarsch der UN-Truppen auf nordkoreanisches Gebiet — starke Verbände alliierter Truppen sind am Donnerstag auf 60 km breiter rront über den 38. Breitengrad vorgedrungen — stieß auf eine versteifte kommunistische Abwehr. An der Mittelfront nahmen amerikanische Einheiten die ersten. Ortschaften auf nordkoreanischem Gebiet ein.
Nach Meldungen aus London wird die vorgesehene Erklärung über die Ziele und Grundsätze der 14 auf der UN-Seite in Korea kämpfenden Staaten in den Hauptstädten der drei westlichen Großmächte weiter sorgfältig ausgearbeitet. London prüft gegenwärtig den amerikanischen Entwurf für diese Erklärung, wobei festgestellt wird, daß diese Erklärung nicht auf unbestimmte Zeit hinausgeschoben werden dürfe.
Italienische Sozialisten vereint
ROM. Die beiden antikommunistischen sozialistischen Parteien Italiens, die linke Gruppe unter Leitung von Giuseppe R o m i t a und die rechte Gruppe unter Leitung von Giuseppe S a r a g a t, beschlossen am Mittwochmorgen, sich zur „Vereinigten sozialistischen Arbeiterpartei Italiens“ (TSULI) zusammenzuschließen. Die Konstituierung soll am 1. Mai erfolgen.
TÜBINGEN. Im Versorgungskrankenhaus Nagold Ist der Landesgruppenleiter Südwest der Vereinigung der Opfer des Stalinismus, Rudi Backofen, ehemals Landespropagandaleiter der Ostzonen-LDP, an einer Embolie am 2. April gestorben.
STUTTGART. Ministerpräsident Dr. Maier teilte dem Landtag am Mittwoch mit, daß in Württemberg-Baden keine Verfehlungen bei der Entschädigung politisch Verfolgter festgestellt worden seien.
WIESBADEN. Der amerikanische Minister für die Luftstreitkräfte, Finletter, ist am Mittwochabend überraschend aus Washington in Wiesbaden eingetroffen, um mit dem Oberbefehlshaber der amerikanischen Luftstreitkräfte in Europa, Norstad, Besprechungen zu führen.
FRANKFURT. Das Sekretariat des KPD-Vor- standes in Frankfurt bezeichnete die Warnung der Bundesregierung, verfassungsfeindliche Organisationen nicht zu unterstützen, als einen „erneuten Bruch des Grundgesetzes“. Die KPD werde, wenn notwendig, für den Frieden und die Rettung der Nationen kein Opfer scheuen. Sie handle genau so legal wie die anderen Organisationen, die ihre Mitglieder zum Kampf gegen die Remilitarisierung aufriefen.
FRANKFURT. Der amerikanische Hohe Kommissar McCloy befindet sich gegenwärtig auf einer Urlaubsreise in Griechenland.
HAMBURG. Im norddeutschen Küstengebiet stehen über 100 000 ha zum Teil besten Ackerlandes auf Grund außergewöhnlich hoher Niederschläge im März unter Wasser. Es muß damit gerechnet werden, daß große Teile der Wintersaaten vernichtet sind.
KIEL. 15 jugendliche kommunistische Demonstranten, die am Dienstag nach zweitägiger „Be
setzung“ Helgolands von der Polizei wieder auf das Festland gebracht worden waren, werden sich vor einem britischen Gericht zu verantworten haben. Die Demonstranten — unter ihnen vier Mädchen — hatten sich auf dem ehemaligen Flakturm der Insel verbarrikadiert.
KOPENHAGEN. Bei den Wahlen für das dänische Oberhaus konnten die Sozialdemokraten bei geringfügigen Stimmverlusten ihre Stellung als stärkste Partei halten.
SALZBURG. Zwischen Antisemiten, Juden und österreichischer Volkspolizei kam es am Mittwochabend in Salzburg zu einer schweren Schlägerei bei Demonstrationen gegen den Veit-Har- lan-Film „Unsterbliche Geliebte". 26 Personen wurden verletzt, 10 davon schwer. An der Straßenschlacht waren 1200 Personen beteiligt.
PRAG. In der Tschechoslowakei wird nach einem Kabinettsbeschluß eine neue Lohnpolitik In die Wege geleitet, die darauf abzielt, die in der Industrie ausgezahlten Lohnsummen von der Planerfüllung abhängig zu machen
ROM. Der Erzbischof von Warschau und Primas von Polen, Stefan Wyszynski, ist am Mittwochabend in Rom eingetroffen.
TEHERAN. Zum neuen persischen Außenminister ist Abdullah Entezam, bisher Gesandter Persiens bei der alliierten Hohen Kommission ln Deutschland, ernannt worden. Entezam war bis vor kurzem Generalkonsul in Stuttgart.
HANOI. Die französischen. Streitkräfte in Indochina haben nordöstlich von Hanoi drei der in der Vorwoche verloren gegangenen sieben Befestigungen zurückerorbert.
PEKING. Die chinesischen Kommunisten ordneten am Dienstag die verstärkte und noch „unbarmherzigere“ Säuberung der Volksrepublik China von „gegenrevolutionären Elementen an.
Jahresiag des Atlantikpakies
Truinan: Europa wurde stärker
LONDON. Zum zweiten Jahrestag der Unterzeichnung des Atlantikpaktes haben am Mittwoch zahlreiche Staatsmänner Erklärungen veröffentlicht. Rund 400 Millionen Menschen arbeiteten in den zwölf Ländern der Atlantikpaktorganisation, meinte Charles Spofford, der amerikanische Vorsitzende des Rates der Außenministerstellvertreter der Organisation. Das kommende Jahr werde di» Zeit des Übergangs aus dem Stadium der Planung in das Stadium der Ausführung sein. Präsident Truman erklärte,die ermutigendste und hervorstechendste Tatsache der Gegenwart sei, daß „Europa stärker und in einer besseren Position zur Selbstverteidigung" sich befinde als vor einem Jahr.
Positivere Beurteilung
Das argentinische Atomexperiment
WASHINGTON. Während die ersten amerikanischen Reaktionen auf die Bekanntgabe des argentinischen Atomergieexperiments durch Präsident Peron sehr skeptisch waren, scheint sich jetzt eine positivere Beurteilung der Versuche des Atomforschers Prof. Roland Richter anzubahnen. Ein Sachverständiger der amerikanischen Regierung erklärte am Montag, auch in den USA sei es bereits gelungen, Temperaturen von mehreren Millionen Grad Celsius zu erzeugen.
Unbegründete Bedenken
Dr. Gebhard Müller zum „Blitzgesetz“
STUTTGART. Staatspräsident Dr. Gebhard Müller erklärte in einem Rundfunkinterview, er halte die verfassungsrechtlichen Bedenken des Bundesjustizministers gegen die Verlängerung der Arbeitsperioden der Landtage von Württemberg-Hohenzollem und Südbaden für völlig „unbegründet“. Er sei über die schwankende Haltung der Bimdesregierung erstaunt, nachdem der Bundesinnenminister ex-st vor kurzem vor dem Vermittlungsausschuß im Namen der Bundesregierung erklärt habe, daß gegen eine Verlängerung der Legislaturperiode beider Landtage (sog. „Blitzgesetz“) keine verfassungsrechtlichen Bedenken bestünden. Er sehe den kommenden Beratungen des Bundestages über die Südweststaatfrage sehr zuversichtlich entgegen, da er glaube, daß die Bildung eines lebensfähigen südwestdeutschen Staates zwar verzögert, aber nicht mehr aufgehalten werden könne.
Der Rechtsaüschuß des Bundesrats hat am Mittwoch in Baden-Baden mit 6:4 Stimmen bei zwei Enthaltungen beschlossen, dem Bundesratsplenum vorzuschlagen, gegen das „Blitzgesetz“ ein Veto einzulegen, falls der Bundestag dieses Gesetz beschließen sollte. In der Sitzung erklärte Staatssekretär Strauß vom Bundesjustizministerium, das Blitzgesetz widerspreche auch in seiner neuen Fassung dem Grundgesetz. Gleichzeitig deutete er an, es müsse damit gerechnet werden, daß die Bundesregierung, falls das Gesetz trotzdem beschlossen würde, dem Bundespräsidenten empfehlen werde, das Gesetz gemäß Artikel 82 des Grundgesetzes nicht zu vollziehen.
Lohnkämpte gehen weiter
öffentliche Dienste unzufrieden
HAMBURG. Der Kampf der Gewerkschaften um eine Angleichung der Löhne und Gehälter an die erhöhten Lebenshaltungskosten geht überall weiter. Höhere Löhne in der eisenverarbeitenden Industrie wurden besonders in Bayern, Württemberg-Baden und Rheinland-Pfalz gefordert. In Nordrhein-Westfalen und Württemberg-Baden griff auch die Unzufriedenheit der Arbeiter und Angestellten des öffentlichen Dienstes weiter um sich. Aus Protest gegen das Scheitern der Lohnverharid- lungen mit der Metallindustrie von Rheinland- Pfalz legten 2000 Arbeiter in Zweibrücken für zwei Stunden die Arbeit nieder.
Big loddy: 1
Der Kaufherr aus GUI HIN A
Alle Hechte Prometheus - Vertag üröbemell bei München
„Du hast, so scheint mir. etwas vergessen, James“, sagte er, „welche Fenster waren im Hause geöffnet, wo konnten die Schlüssel also einem Spießgesellen zugeworfen werden?“
Der Captüin lächelte mitleidig. „Das war eine meiner ersten Sorgen, Tom, ich habe unauffällig festgestellt, daß heute nacht im ersten Stock zwei Fenster offen standen, in John Alvis Schlafzimmer, denn der Kranke behauptete frische Luft zu brauchen, und in Tommys Schlafraum ist, wie Du sehen wirst, der Fensterflügel immer noch nicht geschlossen. Damit also kommen wir nicht weiter.“ „Wir kommen weiter, verlaß Dich drauf. Warum hat Alvis seine Pflegerin in die entferntere Ecke des Zimmers verwiesen? Warum Schläft er bei diesem Nebel mit offenem Fenster?“
„Das tat ja anscheinend auch Tommy Har- per!“
„Gut. wenn Harper wirklich der Mann war, 4er die Schlüssel auf die Straße warf, dann hatte er doch ein schlechtes Gewissen, und ein schlechtes Gewissen veranlaßt jedermann, vorsichtig zu sein. Tommy hätte sicher nicht vergessen, den verräterischen Fensterflügel Wieder zu schließen. Da aber trotzdem das Fenster offen steht, schließe ich daraus, daß ein Dritter es wieder geöffnet hat, damit wir es bemerken sollten! Derselbe Mann, der die Schlüssel aus Tommys Anzug nahm und dafür {üe Papiere mit dem Grünqg Drachen dorthin Weckte!“
„Und wer kann dieser Dritte sein?“
„Ich sage nicht, daß es John Alvis war, aber er könnte es gewesen sein! Man muß feststel
len, ob das sagenhafte Geschäft, um dessent- willen Tommy die Unmasse Geld in den Tresor legte, nicht auf John Alvis’ Veranlassung gestartet wurde. Konntest Du darüber etwas erfahren, James?“
„Ich konnte, lieber Tom. Auch hier stehen Aussage gegen Aussage. Während Harper behauptet, in geschäftlichen Dingen unerfahren zu sein wie ein Kind bei der Taufe, und daher nur in allen Dingen dem Rate des älteren Alvis gefolgt zu sein, will dieser überhaupt kein Wort von dem Riesengeschäft gesprochen und durch den Diebstahl zum ersten Male von der Sache gehört haben."
„Das ist bezeichnend genug. Hat man die Gegenfirma festgestellt, die angeblich das große Bargeschäft mit den Schiffen tätigen wollte?"
„Man hat. Und Du folgerst richtig, sie existiert nicht. Tommy hat also entweder auch hier ganz plump geschwindelt oder man hat ihn hereingelegt. Es war eine abgekartete Sache, daß der unerfahrene Junge die Riesensumme ins Haus holen sollte, um beraubt zu werden. Vorausgesetzt, daß er ein unerfahrener Junge ist!“
„Ich stelle fest, James, daß wir vom Motiv her gesehen, bisher nur einen einzigen Menschen gefunden haben, der Grund zu den Verla re chöh gehabt haben könnte: John Alvis. Man hat ihn um die väterliche Firma geprellt, seine heimliche Verlobte ist heute mit einem anderen versprochen, mit einem Mann aus derselben Familie, die sein Vermögen besitzt. Hat er nicht Grund zu einem Rachefeldzug?“
„Er mag Grund haben, aber hatte er auch die Möglichkeit?“
„Denke daran: John Alvis war anwesend, als Tschai-Fu verschwand, der Zettel, der uns abschrecken sollte, fand sich, nachdem John Alvis den Wagen verlassen hatte, die anderen Zettel tauchten zum Teil unter Umständen auf, die sich nur erklären lassen, wenn John Alvis sie selbst ausgelegt hat. Denk nur an
die Botschaften, die auf seinem Kopfkissen lagen! Als Harry Harper starb, ging das Licht neben John Alvis aus, quer über den Tisch weg wurde Harper im Dunkeln erstochen.“
„Und wo versteckte der bewegungsunfähige Krüppel in wenigen Minuten das Dolchmesser?“
„Das weiß ich noch nicht, aber ich entsinne mich, daß er es war, der schon vorher von dem bevorstehenden Mord als von einer sicheren Tatsache sprach, denn er war der einzige, der das wissen konnte.“
„Du gehst zu weit, Tom, Deine Phantasie reißt Dich wieder einmal fort. Ich wende ein, daß es nicht üblich ist, daß Verbrecher, die ein ganzes Netz von Untaten spinnen, selbst zur Polizei gehen, um ihre Hilfe heranzuholen. Ich entgegne Dir, daß es John Alvis war, der nicht nur unser Augenmerk auf die beginnenden Verwicklungen lenkte, sondern der auch dafür sorgte, daß bei der Mordszene nicht weniger als drei Polizeileute anwesend waren; Alvis — wenn er es wäre, der den Diebstahl arrangiert hätte — würde sien m diesem Fall wohl kaum einen Sergeanten ins Zimmer und eine Pflegerin neben das Bett setzen. All das hätte er einfacher haben können.“
Big Toddy schien für einen Augenblick geschlagen, aber ein Bück aus den langbewimperten Augen der Tänzerin feuerte seinen. Eifer wieder an. Er schob mit einer Geste die Einwände des Captains fort. „Für mich handelt es sich darum, festzustellen, ob es John Alvis möglich war, unbemerkt sein Zimmer zu verlassen. Darüber müssen wirMiBHoover befragen.“
Sie erhoben sich, der Captain schien ein wenig unwillig, Miß Lissy schwankte zwischen Zweifel und freudiger Erregung, denn sie ahnte, daß sich Tommys Lage bessern könnte. Als sie auf den Flur traten, huschte Alvis im Schlafrock an ihnen vorbei und verschwand im Badezimmer.
Tom bückte Grlffins triumphierend an. aber der winkte nur ab. „Unsinn“, meinte er, „niemand hat behauptet, daß John Alvis so krank und hilflos wäre, nicht den Weg dorthin zu finden.“
„Vielleicht“, flüsterte Big Toddy, „hat er sich auch letzte Nacht stark genug gefühlt, diesen Weg allein zu machen?“
9. Kapitel
Die Chinesenleiche
Ein Anruf von Inspektor Curtis bat den Captain, zum Yard zu kommen. Man verabschiedete sich, Fräulein Lissy ging mit geringen Hoffnungen zum Theater, während die beiden Freunde in Toms Wagen davonfuhrm.
Bei Inspektor Curtis fanden sie einen Fremden vor. Der Mensch sah aus wie eine Ratte. Er war klein und von einer abschreckenden Häßlichkeit. Seine Haare spielten auf eine seltsame Welse zwischen Rot und Schwarz, das Gesicht hatte die Farbe schmutzigen Le- ders und einen unverkennbar mongolischen Schnitt. Die Kleider wären fleckig und verschlampt; kragenlos und unrasiert war er gerade das, was man bei Razzien an den finstersten Stellen der Weltstädte aufzuscheuchen pflegte.
„Mr. Smith“, stellte Curtis beiläufig vor, „ein Mitarbeiter aus Poplar, der uns schon manchen Wink gegeben hat.“
„Er hat etwas aufgestöbert?“ fiel der Cap- tain interessiert ein, „Sie haben ihn doch auf die Spur der zwölf Chinks gesetzt?“
„Ja, ich glaube, er hat uns einen Tip zu geben. Vor allem wissen wir nun einwandfrei, daß es sich bei den Zwölfen um eine zusammengehörige Gruppe von Auswanderern handelt, die von einer Londoner Jutefirma als Verlader engagiert wurden und auch tatsächlich im East-India-Dock beschäftigt sind. Aber vielleicht kann Mr. Smith berichten.“
(Fortsetzung folgt)