SAMSTAG, 17. FEBRUAR 1951
NUMMER 27
Vergangenheit ausgelöscht
Stettin soll polnische
E.E.M. Auf der Mittelpromenade des Paradeplatzes in Stettin fällt die kleine Gruppe sowjetischer Offiziere in dem starken Verkehr nicht auf. Seitdem die neuen polnischen Herren sich der ganzen Stadt bemächtigten und seither Jahr um Jahr ihre Grenzpfähle auf dem westlichen Oderufer um einige Kilometer vorrückten, ist der Paradeplatz ein Torso geblieben. Der neue Name erinnert an die Herren in Moskau und an die völkerrechtlich fragwürdige Existenz des polnischen „Szczecin“. Auf seiner Ostseite steht kaum noch ein Haus. Die sowjetische Mission, die sich zwischen abgerissen aussehenden polnischen Arbeitern und müden Hausfrauen, die auf dem Markt an der Grünen Schanze unter dem abgebrannten Rathaus um etwas Frischgemüse und ein Stück Butter gefeilscht haben, hindurch bewegt, begutachtet sorgfältig die Baulücken zwischen dem Berliner Tor und dem ehemaligen Kaffee Ponath.
Den Paradeplatz — jetzt „Platz der Roten Armee“ — soll in den nächsten Jahren ein Mammutdenkmal für die Rote Armee zieren. Ein leiser Wink von Moskau ließ Warschau •in Hundertmillionen-Zloty-Wettbewerb aus- »chreiben. Um dieses Denkmal werden sich, so heißt es in der polnischen Presse, ein Theater, ein Konzertsaal, einige große Kinos und Unterhaltungssäle, mehrere Gaststätten und sogar ein Zirkus gruppieren. Polen drückt mehr und mehr der pommerschen Landeshauptstadt den Stempel artfremden Slawentums auf. Das offenbart sich im Stadtzentrum, wo dem Besucher auf Schritt und Tritt gestikulierende Händler, polnische Provinzler und russische Soldaten begegnen.
Die russische Besatzungstruppe setzt sich, wie uns erklärt wurde, hauptsächlich aus „Stalinschülern“ und jungen Soldaten zusammen, die eine besondere militärische Ausbildung und politische Schulung genossen haben. Was aber besonders auffällt, sind die vielen Transparente, die nicht wie vor einem Jahr zum Wiederaufbau auffordem, sondern die den urslawischen Charakter der Stadt her- ausstellen sollen. „Stettin die polnische Oberstadt“ heißt es hier; dort: „Hafenarbeiter, Deine ganze Kraft dem polnischen Oderha-
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Der Professor der evangelischen Theologie, D. Dr. Helmut Thie licke, wurde für das kommende Rektoratsjahr zum Rektor der Lan- desuniversität Tübingen gewählt.
Metropole werden
fen“. Stalinbilder und große Plakate sind in den Genossenschaftsläden der „Aleja Wojska Polskiego“, der heutigen Hauptgeschäftsgegend, zu sehen.
Es ist in den vergangenen Jahren viel gearbeitet worden, und seit Herbst 1950 läuft die Maschine auf Hochtouren. Ganze Stadtviertel und Straßenzüge wurden eingeebnet. Während die Altstadt in Trümmern liegt und zum größten Teil planiert wurde — nur das alte Schloß schaut über die kahle Fläche —, erstrahlt das Zentrum abends und nachts in hellem Lichterglanz. Die Polen vergaßen nicht, alles zu beseitigen, was in der Stadt an die deutsche Vergangenheit erinnerte.
Stettin hat im Laufe seiner an Belagerungen und Zerstörungen reichen Geschichte oft gelitten. Heute findet man in der Stadt keine deutschen Inschriften an Straßen und Gebäuden mehr. Die gepflegten Anlagen des Hauptfriedhofs, der oft mit Hamburgs berühmten Ohlsdorfer Friedhof verglichen wurde, sind verfallen, viele tausend Grabsteine umgestürzt oder fortgeschleppt. Auf dem Markt an der Grünen Schanze kauderwelschen Zigeuner, in der Mühlenstraße am Westendsee schuf die Stadtverwaltung ein eigenes Judenviertel und nördlich des Arndtplatzes, in der Quistorpschen Villa, hat sich der russische Stadtkommandant niedergelassen.
Heute ist Stettin eine vom Kriege schwer gezeichnete, trotz emsiger Bautätigkeit immer noch zu 40 Prozent zerstörte Stadt mit ungefähr 200 000 polnischen Einwohnern und einem kleinen Rest Deutscher, der nicht mehr deutsch zu sprechen wagt, eine Stadt ohne
„Für Neutralismus sind die Italiener, die den Politikern nicht trauen“, schreibt der „Europeo“, der sich mit dieser Geisteshaltung auseinandersetzt, die für Italien immer mehr an Gewicht gewinnt. Die große Zeitschrift gibt zu, daß in Italien verschiedene Männer diese Art Hinhaltungspolitik vertreten könnten. Einmal der Linkssozialist Nenni, der sich aber pro forma vom Kommunismus lösen müsse, um nicht in den Verdacht zu kommen, eine „russische Neutralität“ zu vertreten. Dann der Ministerpräsident des Sieges von 1918, V. E. Orlando, der kürzlich im Senat eine erstaunliche Rede hielt und klar zu verstehen gab, daß er die „anrüchigen europäischen Völker verachte“, und unter dem Beifall der Linken mit dem Ruf schloß: „Italien ist tot, es lebe Italien!“
Als weiterer Konkurrent kommt Francesco Saverio Nitrti in Frage, der sich bisher weder mit dem Westen noch dem Osten kompromittierte, und zuletzt sei nicht der Qualunquisten- führer Giannini, vergessen, dessen Bewegung sich vor- allen Dingen auf die Müdigkeit der Massen stützte „Besser dem Stärkeren lächeln, als seine Rache erleiden“, das ist das Motto der. Neutialisten der großen Masse. Nenni selbst gab Ende 1950 den Italienern zu verstehen, daß die Russen bewaffnet seien und daß die unbewaffneten Amerikaner sicher nicht verhindern können, daß der Krieg auf italienisches Gebiet getragen werde. Die große Masse der Italiener ist ohne Zweifel neutralistisch, ohne daß sie deswegen zu solchen publizistischen Mitteln greift wie in Frankreich. Im Gegensatz zum lateinischen Schwesterstaat ist der italienische Neutralismus weder literarisch noch wissenschaftlich unterbaut. Man empfindet ihn hierzulande nur als die Politik der Ehrenmänner, die sich aus dem Gezänk der anderen heraushalten wollen.
Denkmäler, eine Stadt, in der fast nichts mehr an die 700jährige Vergangenheit erinnert.
Seit dem vergangenen Sommer wird im „Hennecke-Tempo“ gearbeitet und trotzdem herrscht ein beispielloser Wohnungsmangel. Männer und Frauen leisten die gleiche schwere Arbeit. Das ist so in der Enttrümmerung auf den Baustellen, an den elektrischen Zehn- Tonnen-Kränen im Hafen und in den Werkstätten und Fabriken am Fließband. Etwa 10 000 Menschen, darunter 4000 Spezialisten, arbeiten in der Vulkan-Werft, die pro Woche ein U-Boot mit Walther-Turbinen und 10 Torpedorohren baut. Derselbe U-Boot-Typ wird auch in Wismar und Warnemünde hergestellt, doch ist das Tempo hier langsamer als in Stettin.
Es ist alles sehr teuer in dieser ehemals deutschen Hafenstadt. Ein Arbeiter, der im Monatsdurchschnitt 15 000 Zloty verdient, muß für einen Anzug 45 000 Zloty und für ein Pfund Butter 400—5f0 Zloty bezahlen. Die Läden in den Hauptgeschäftsstraßen — das sind heute die ehemalige Falkenwalder- und die Hohenzollemstraße — zeigen auch nicht mehr den gewohnten Überfluß. Nach der erst kürzlich durchgeführten polnischen Währungsreform ist nicht nur das Geld, sondern auch die Ware knapp geworden. Die Folge ist, daß der Schwarze Markt floriert.
Anfang 1950 hat die polnische Regierung einen Plan aus der Schublade gezogen, nach dem Stettin innerhalb von 25 Jahren eine moderne Halbmillionenstadt werden soll. Es tut der polnischen Propaganda, die um diesen beabsichtigten Neuaufbau und Ausbau der Stadt getrieben wird, keinen Abbruch, daß diese Pläne aus der deutschen Zeit stammen. Mancher Pole wird aber nicht so recht an die 25 Jahre glauben, und hält Stettin . für eine empfindliche Druckstelle der westöstlichen Spannung, über deren Entwicklung das letzte Wort noch nicht gesprochen ist.
Man darf nicht vergessen, daß das Neutralseinwollen geographisch bedingt ist Deutschland und Frankreich sind von Osten her leicht antastbar, beide öffentliche Meinungen neigen daher zur Neutralität. England fühlt sich auf der Insel unangreifbar Es lehnt diese politische Form des Heraushaltens ab. Italien fühlt sich durch die Alpen etwas geschützt und ist lau neutralistisch.
Die franken Zusicherungen de Gaspefis Eisen- hower gegenüber, daß Italien seine atlantische Pflicht tun werde, bedeuten nicht, daß die große Partei der Christlichen Demokraten einheitlich hinter dem Premier steht. „Die Bauern meiner Region sind so weit, zu erklären, daß Rußland besser als der Krieg sei“, sagte zum Staunen der Kammer der christlich-demokratische Abgeordnete Musaino, während sein Kollege Tonengo mit Mühe davon abgehalten werden konnte, eine Entschließung einzubrin- gen, einen Nichtangriffspakt mit der UdSSR abzuschließen.
Der Kammerpräsident Gronchi wollte Außenminister Sforza, Finanzminister Pella und Verteidigungsminister Pacciardi entfernt sehen. Gronchi hielt de Gasperi vor allen Dingen vor, daß er sich London und Washington zu sehr ausgeliefert habe und daß u. a. Italien bei der Eingliederung Westdeutschlands in das europäische System nichts zu sagen habe. Dieser katholische Politiker, der für eine scharfe Aufrüstung, aber für eine möglichst reibungslose Politik gegenüber den Russen eintritt, ist auch der Befürworter eines deutsch-'italie- nisch-französischen Heeres ohne ein amerikanisches Oberkommando. Als die Kammer die Entschließung Giavi (PSU) annahm, unterstrich sie damit, daß alles getan werden müsse, um den Frieden in der Welt zu erhalten. Denn die öffentliche Meinung besteht vor allen Din-
Unser Kommentar
Ernst nehmen
cz. Seitdem die Möglichkeit einer Viererkonferenz sich am weltpolitischen Horizont abzeichnet, wird kein politisches Thema mehr abgehandelt, ohne daß nicht darauf Bezug genommen würde. Ob man an der Riviera die italienisch-französische Zusammenarbeit fördern will, oder in Paris sich mit einer möglichen Europa-Armee befaßt, in Frankfurt oder Istanbul die amerikanischen Diplomaten oder in Babelsberg Exponenten Moskaus beraten, überall werden Erwägungen angestellt, die — bei Wahrung der eigenen Interessen — zumindest der Sicherung einer Atempause im »kalten Krieg“, der oft schon nahe daran war, in einen „heißen“ umzuschlagen, dienen. Daneben nimmt die Aufrüstung ihren Fortgang. Leichte Verschiebungen in der Diktion, so etwa in den Äußerungen über die westlichen Pläne für die deutsche Aufrüstung, sind nur als taktische Manöver zu werten, zumal, ja in diesem Falle die Realisierung, gleichgültig wie die Entwicklung weiter geht, noch eine geraume Zeit in Anspruch nehmen würde. Wenn es so weit kommt!
Eine Auswirkung ist allerdings nicht zu übersehen: Im deutschen Lager ist eine gewisse Verwirrung eingetreten, die den Reden der maßgeblichen deutschen Politiker deutlich zu entnehmen ist. Die Außenseiter, die seit je sich gegen die vorbehaltlose Auslieferung an einen der Weltblöcke wandten und befürworteten. Gespräche mit der anderen Seite — in unserem Falle mit der Ostzone — diplomatisch zu verhandeln, also verschärfende Schroffheiten zu vermeiden, haben an Gewicht gewonnen. Wenn der emstzunehmende ehemalige Bundesinnenminister Dr. Heinemann dieser Tage in Heidelberg erklärte, man solle die Chance, daß auf der Viererkonferenz der Frieden gerettet werden könne, ernst nehmen, so tut man gut daran, das nicht zu überhören. Heinemann leuchtet die Bonner Ablehnung des Neutralitätgedankens wie die der SPD nicht ein. Man kann ihm hier insofern beioflichten, als —■ bei allen Bedenken — diese Möglichkeit nicht von vomeherein als absurd bezeichnet werden sollte, wie dies bereits mehrfach geschehen ist.
Nicht oft genug sollte darauf hingewiesen werden, daß es ln dem weltbeherrschenden West-Ost-Konflikt unsere Position völlig falsch eintaxieren hieße, wenn wir glaubten, mitbestimmen zu können. Bestünde die Gefahr, daß einer der Kontrahenten den Teil Deutschland, den er beherrscht, dem anderen ausliefem würde, hätten Proteste gegen die Neutralitätsthese einen begrenzten S>nn. So aber geraten wir nur einmal mehr in den Verdacht, noch in alten Denkschemen zu verharren und den Anschluß an ein Lager anderen möglichen, der Erhaltung des Friedens zugewandten Möglichkeiten vorzuziehen, in der Hoffnung, auf der politischen Weltbühne wieder eine bedeutsame Rolle zu spielen. Im jetzigen Zeitpunkt liegt abqr doch unsere Chance gerade in der Drittrangigkeit unserer Position, wcbei wir nicht vergessen wollen, daß das NS-Bedürfnis, weltmächtig zu werden, diese Drittrangigkeit herbeiführte.
Der Friedenswillen des deutschen Volkes ist so mächtig, daß in seinem Sinne jede Möglichkeit, die neues Elend verhindern könnte, ernst genommen zu werden verdient.
gen darauf, daß alles unternommen wird, um einen dritten Weltkrieg zu verhindern.
De Gasperi sieht sich dem nach außen oft nicht fühlbaren Druck der vielseitigsten neutralistischen Strömungen ausgesetzt, die bisher nicht große Bedeutung haben, aber im Falle einer Verschärfung der internationalen Lage ernst werden können. Obwohl feststeht, daß diese Neutralisten auch 1915 und 1940 sehr stark waren und Italien trotzdem in die beiden Weltkriege ging. Ein großer Teil der Italiener aber hält es für notwendig, daß Italien seinen Atlantikabmachungen treu bleibt, „um zu verhindern, daß das Land das dritte Mal nach 1915 und 1943 bezichtigt wird, vertragsbrüchig zu sein“, wie ein junger italienischer Politiker erklärte.
Italien im Zweifel
öffentliche Meinung neigt zur Neutralität / Dennoch für Atlantikpakt
Von unserem Mailänder C. M.-Korrespondenten
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Helmut Thieücke bei Karl Barth
Der für das kommende Rektoratsjahr der Universität Tübingen neugewählte Rektor. Prof. Helmut Thieücke charakterisiert sich und seine weltoffene Art, Theologie zu treiben, mit den nachstehenden Bemerkungen zu einer Schweizerreise ausgezeichnet.
Man hatte mir für den Sommer ein Freisemester geschenkt, das ich vor allem zur Arbeit *m zweiten Bande der „Ethik“ verwenden wollte. Aber die Korrekturen des ersten Bandes mit seinen 740 großen Seiten waren so ungeheuerlich, daß man daneben doch zu keiner ruhigen eigenen Arbeit kam. Und so entschloß Ich mich kurzweg, eine Reihe von Aufträgen für auswärtige und ausländische Gastvorlesungen anzunehmen. Zuerst hielt ich •inen Teil der Nihilismus-Vorlesung, die jetzt gerade im Reichl-Verlag als Buch erschienen ist, auf einer ökumenischen Studentenkonfe- renz in Chäteau des Bos9ey bei Genf vor Vertretern vor genau 20 Nationen. Es war für Mich erstaunlich zu sehen, wie das, was ich zunächst als spezifisch deutsches Problem empfand, eigentlich von allen als eigene Vrage bezeichnet wurde. Von geradezu unwahrscheinlicher Virtuosität waren die Übersetzungskünstler, auch wenn sie über meine manchmal etwas ausgefallene Vokalbulatur in diskreter Weise entrüstet sein konnten, nichtsdestoweniger aber auch damit fertig wurden.
Besonders schön für mich war bei diesem Schweizer Aufenthalt eine ziemlich lange Aus- brache mit Karl Barth, die nach all den Jah- ren der Distanz sehr notwendig war. Ich merkte einmal wieder, wie vieles ganz anders wirkt, wem es mit der viva vox gesprochen wie auch manche Härte und manches verschroben oder sogar bös Erscheinende plötz- üch verändert ist, wenn man den Humor da- mnter sieht, wenn man die lustig zwinkernden Äuglein und auch den manchmal jungen- «aften Schelm bemerkt, den dieser große
Mann sich bewahrt hat. Ich habe jedenfalls in glücklicher und guter Stimmung, die durch imwahrscheinlich gute Zigarren noch gehoben wurde, seine Schwelle verlassen, auch wenn ich nach wie vor in vielem anders denken muß. Mit meinem Gastgeber, einem alten würdigen Basler Herrn, habe ich auch einmal Barths Dogmatik-Vorlesung besucht. Unsere Tübinger Kollegs sind zahlenmäßig zwar größer, dafür aber war die Vielzahl der hier vertretenen Nationen geradezu verblüffend (ich glaube 17). Mein väterlicher Freund, der etwas harthörig ist, hatte in der Erwartung, seinen großen Mitbürger einmal in so unmittelbarer Nähe zu hören, seinen besten amerikanischen Hörapparat mitgenommen. Barth sprach im Zusammenhänge der Ethik über die Begriffe: Ehe. Liebe, Liebelei, Flirt und erotischen Tanz. Natürlich war ein solches Thema geeignet, nicht nur seinen guten Tiefsinn, sondern auch seinen Scharm zu entfalten. Bereits beim Begriff „Liebe“ merkte ich, daß mein Gastfreund seinen Hörapparat langsam von der Brust wegzuhalten begann, um dann im Zuge des Crescendos der andern Begriffe ihn weiter und weiter und schließlich mit vorgestrecktem Arme dem Katheder entgegenzuhalten, um ja keinen Laut dieser Offenbarung zu versäumen. Leider versagte der Apparat beim „erotischen Tanz“, obwohl gerade dieses Kapitel — begreiflicherweise — mit allen möglichen Pikanterien gewürzt war. Ich sah ihn wild auf den Apparat trommeln, und wenigstens die theologische Schlußanwendung diese Begriffs hat er wohl wieder mitgekriegt!
Humanist isdie KaihoHzität
Erinnerung in H erman lief eie Was der schwäbische Geist zur deutschen und europäischen Bildung beigetragen hat, ist fast ausschließlich auf protestantischem Boden erwachsen. Die württembergischen Klosterschulen und das Tübinger Stift sind deutsche Kulturpotenzen ersten Ranges. Demge
genüber liegt der katholische Anteil am schwäbisch-deutschen Geistesleben im Schatten. Schlesien, Österreich und das Rheinland haben der deutschen Kultur mehr katholisch genährte Bildungselemente zugeführt als der Südwesten. Auch die beiden großen Alemannen, Hebel und Thoma. waren Protestanten. Die Tübinger katholische Theologenschule kann an weitreichendem kulturellem Einfluß mit der liberalen protestantischen Schule von Baur und Strauß bis zu Weizsäcker und Schrempf nicht verglichen werden.
Doch hat gerade der schwäbische Boden Versuche entstehen lassen, auch die katholische Tradition für das,deutsche Bildungsleben fruchtbar werden zu lassen. Romano Guardini, der das Katholische im Raum der deutschen Sprache neu lebendig gemacht hat, hat in Tübingen die Luft schwäbisch-katholischer Überlieferung geatmet. Seine Freunde Josef Weiger, Philipp Funk und Herman Hefele, drei Schwaben, haben jeder, dem Hochlandkreis um Karl Muth zugehörig, weitwirkende Beiträge zum geistigen Leben der Gegenwart geleistet. Der eigenwilligste unter ihnen, der die latente Spannung zwischen katholischem Bewußtsein und protestantisch-liberaler Bildung am schmerzlichsten als sein persönliches Problem empfunden hat, war der 1936 verstorbene Herman Hefele. Sein Lebenswerk ist ein Versuch, diese Spannung zu lösen
In einer weitzerstreuten, heute teilsweise verschollenen Reihe von Büchern und Aufsätzen hat Herman Hefele seine Konzeption eines katholischen Humanismus und einer humanistischen Katholizität niedergelegt: über Dante und Goethe, über das Wesen der Dichtung und über Schillers geistige Entwicklung, über Macchiavelli und Herder, über württem- bergische Politik unter Friedrich I. und die Geschichte der alten Reichsarchive. Er hat, Historiker von Beruf, eine klassische Übersetzung der Bekenntnisse des Heiligen Augustin geschaffen, Lebenszeugnisse der italieni
schen Renaissance ins Deutsche übertragen, einige Novellen und zwei Operntexte geschrieben. Ist eine Einheit in diesem nach vielen Seiten glänzenden Werk?
Man kann, in einem zugespitzten Sinne, sagen. daß Herman Hefele in allem, was er schrieb, römischer Katholik war,mit einer ausschließlichen Betonung des Römischen, die seine Eigenart, seine geistige Entdeckung und vielleicht ein Stück schwäbischer Eigenwilligkeit war. Das Römische war ihm eine der großen Verwirklichungen des Menschlichen in der Menschheit: des Sinnes für Ordnung und Maß, für das Bürgersein und die Würde des Gesetzes, das .jedem das Seine" gibt.
Das Römische war ihm am Gegensatz zum Germanischen aufgegangen. „Kein Volk Europas“, sagt Hefele von den Deutschen, „hat das Schweifende, Unbestimmte, Unseßhafte der Urzeit so tief im Blut und Wesen beibehalten wie das deutsche. Noch immer scheint es, Volk ohne Tradition und ohne Ziel, aus dem Unberechenbar Unendlichen zu kommen und in das unberechenbar Unendliche zu stoßen“. Gerade deshalb wurzelt aber die Sehnsucht nach dem Römischen tief im deutschen Geist „In jeder deutschen Seele“, so heißt es in jenem Aufsatz, „gibt es ein Stückchen Land, das Rom heißt. Unnötig zu fragen, woher es kommt und warum es ist. Wir alle tragen Rom in uns. Und im deutschen Charakter vollzieht sich täglich und zeitlos, was sich im Raum der Geschichte als deutsches Schicksal vollzogen und vollzieht: der Kampf um Rom, das Ringen eines in sich offenen und unvollendeten Wesens um geschlossene und vollendete Gestalt.“ Und an anderer Stelle: „Nur für das deutsche Wesen ist Rom eine Schicksalsfrage geworden. Durch die deutsche Seele zieht noch heute wie durch das deutsche Land der alte Limes, und unter dem gleichen Himmel und im gleichen Raum lebt neben der deutschen die römische Wirklichkeit.“ Klassische Sätze, die auf eine wenig bedachte ' ahr- heit hinweisen! Waldemar rvurti
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