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SCHWÄBISCHES TAGBLATT

13. Juli 194 $

Anleihen bürokratisch verplant und finde nun nicht mehr zu eigene# Leistungsfähigkeit zu­rück.

Viele sehen darin auch den Grund# Eng­lands Haltung in Deutschland und gegen Deutschland: nämlich die deutsche Wett­bewerbsfähigkeit zu demontie­ren. Englands Verhalten gegenüber der deut­schen Uhrenindustrie hat international Besch- tung gefunden, Englands Verdächtigung de# deutschen Exportindustrie mußte zurückgewie-» sen werden, englische Wissenschaftler wie Mac-» dougall scheuten sich nicht, die englische Chance im wesentlichen im Fortfall Deutsch­lands auf dem Weltmarkt zu sehen. In Deutsch­land wächst bis in die Kreise der Sozialdemo­kratie hinein das Mißtrauen gegen englische Wir! schafl.sex-perimente in Deutschland.

Die deutschen Erfahrungen könnten viel­leicht den Engländern zu bedenken geben, daß eine entscheidende Abwendung von der bis­herigen Devisenbewirtschaftung die Wieder­herstellung eines Währungsgleichgewichtes er­leichtern könnte. Damit würde aus einer nicht mehr , erforderlichen Isolierung heraus der Weg zu wirklicher europäischer Zusammenar­beit, damit könnte sich auch das Verhältnis zu Deutschland bessern, denn auch vom eng­lischen Standpunkt aus würde eine aufblü­hende deutsche Wirtschaft gefahrloser erschei­nen. wenn die englische Wirtschaft selbst erst wieder im lebendigen Aufstieg sich befindet. Damit aber auch könnte Großbritannien seine Stellung namentlich im Verhältnis zu den Ländern des äußeren Sterlingblocks kräftigen und dem Pfund unabhängige Weltgeltung ne­ben dem Dollar verschaffen..

Parlamentarier der USA sind schlecht bezahlt

Ehefraaen als Sekretärinnen mitbesehäftigt > GefährlicheScbnltzelesaen

Von G. H. Müller

Größer als der alte Reichstag

BONN. Gegenüber dem Parlamentsgebäude wird gegenwärtig ein Hauptquartier für die Iung als ein Balljunge auf einem Golfplatz".

WASHINGTON, im Juli

Die USA zählen 48 Staaten. Jedenfalls so­lange es den Vereinigten Fahnenfabrikanten nicht gelungen ist, Hawai zum 49. zu rfiachen, worum sie sich unter Einsatz von Zehntäu- senden von Dollars bemühen. 49 Staaten, das würde 49 Sterne in der Flagge bedeuten. Die ganze seitherige Anordnung müßte geändert, d.- h. Millionen neuer Fahnen müßten herge­stellt werden (man hat viel Freude an Flag­gen hierzulande).

Im Augenblick sind es also noch 48; und jeder dieser 48 Staaten hat ein Repräsentan­tenhaus und einen Senat. So will es die ame­rikanische Spielart der Demokratie. Demokra­tie ist nicht billig, wenn man sie richtig be­treiben will. Damit sie nicht gar zu teuer werde, bezahlt Amerika seine Staatsparlamen­tarier schlecht, - so schlecht, daß manche mei­nen, es sei ein Skandal.

Am Rande sei es vermerkt: gelingt dem kleinen Parlamentarier (aus einem Einzel­staat) der Sprung in das große Parlament, den Bundeskongreß in Washington, so stellt er sich finanziell immerhin besser als die höch­sten Staatsbeamten, deren Spitzengehälter et­was über 10 000 Dollar liegen. Solange ihm das aber nicht gelungen ist, ist er in fast al­len Staaten der USA ein Hungerleider falls er nicht von Hause aus begütert ist.

Die Bezahlung der Parlamentarier in den 48 Staaten beträgt im Durchschnitt 900 Dollar jährlich, oder wie ein Senator es ausdrückte, die Leute, die über Schulen, Straßen, Ge­richtshöfe und Wohlfahrtseinrichtungen ent­scheiden, arbeiten für eine schlechtere Bezah-

Pressevertreter erbaut. Der vorläufige Ple­narsaal des Parlamentes mit einem Fassungs­vermögen von 1000 Personen ist größer als der ehemalige Reichstagssaal.

Der Föderalismus steht in den USA nicht bloß auf dem Papier, sondern ist eine streng über­wachte Realität. Fast die gesamte Gesetz­gebung auf dem Gebiet des bürgerlichen

Hauptquartier Frankfurt mit Nebenstellen

McCloy in Stuttgart und Baden-Baden

STUTTGART. Anläßlich seines Besuchs in Stuttgart traf am Montag der künftige Hohe Kommissar der USA, McCloy, mit Mitgliedern der Landesregierung von Württemberg-Baden zusammen. McCloy äußerte sein Erstaunen über die bereits erzielten Fortschritte im Wie­deraufbau. Die deutschen Teilnehmer, u. a. Ministerpräsident Reinhold Maier und Justiz­minister Josef Beyerle, bezeichneten den Geld­mangel als einen hemmenden Faktor und sprachen ihre Hoffnung aus, daß bald auslän­dische Investierungen in Deutschland zuge­lassen würden.

Auf die Frage, welches die Hauptprobleme Württemberg-Badens seien, wurde ihm ge­antwortet, daß die Wohnungsbaufrage und die Flüchtlingsfrage die größten Sorgen bereite­ten. Ministerpräsident Dr. Maier hat für große Geldmittel auf zwölf bis fünfzehn Jahre zur Finanzierung des deutschen Woh­nungsbaus plädiert.

McCloy wurde bei dieser Gelegenheit eine Denkschrift des früheren Reichsflnanzministers Dr. Hermann Dietrich, die sich mit der Finan­zierung eines deutschen Wohnbauprogramms durch die USA befaßt, übergeben. In der Denkschrift wird die Unterbringung von 10 bis 20 Millionen Vertriebener und Ausgebombter durch die Erstellung von zwei Millionen Klein-

Die Kandidaten der KPD

TÜBINGEN. Als Kandidaten für die Bun­destagswahlen sind von der KPD für Würt- temberg-Hohenzollem aufgestellt worden: Im Wahlkreis Tübingen - Reutlingen Ferdinand Z e e b, MdL., ln Calw - Freudenstadt - Horb Georg Link, in Rottweil - Tuttlingen Paula A c k e r, in Balingen-Hechingen-Sigmaringen- Münsingen Fridolin Reiber, in Ehingen- Saulgau-Biberach Oskar Haas, in Ravens- burg-Wangen-Tettnang Georg B e n n e k. Die Kandidaten für die Landesliste werden erst am Wochenende bestimmt werden.

häusern hervörgehoben. Dafür seien etwa 20 Milliarden DM erforderlich, die am ehesten durch eine deutsch-amerikanische Dachorgani­sation aufgebracht werden könnten.

Der künftige Hohe Kommissar erklärte in ei­ner Sitzung mit Ressortleitern der US-Militär- regierung, daß er Frankfurt zu seinem Haupt­quartier wählen werde, in Berlin und Bonn je­doch Nebenstellen zu unterhalten beabsichtige.

Am Montagnaehmittag traf McCloy in Ba­den-Baden zu einem Besuch bei General Koe- nig ein, am Dienstag früh begab er sich nach Wiesbaden.

Rechtes und des Strafrechtes fällt in die Zu­ständigkeit der Einzelstaaten.

Die Leute, die diese wichtigen Entscheidun­gen zu fällen haben, werden in einigen Staa­ten noch wesentlich schlechter bezahlt, als es aus dem obigen Durchschnitt ersichtlich ist Die ärmsten Parlamentarier hat der Staat New Hampshire. Sie erhalten 200 Dollar für die zweijährige Wahlperiode, d. h. durch­schnittlich knapp einen Dollar pro Sitzungs­tag.

Der benachbarte Staat New York ist der großzügigste. Er wirft ein Jahresgehalt von 5000 Dollar aus. In fast allen anderen Staa­ten, darunter so bedeutenden und finanzkräf­tigen wie Michigan oder Pennsylvania, blei­ben die Parlamentarier unter 10 Dollar pro Sitzungstag, d. h. sie verdienen vielfach weni­ger als die ihnen zustehende Sekretärin.

Manche Parlamentarier helfen ihren Finan­zen dadurch etwas auf, daß sie ihre vielfach ungeschulten Frauen als Sekretärinnen be­schäftigen, was der Arbeit nicht immer för­derlich ist. Viele verkaufen am Ende der Sit­zungsperiode für 40 oder 50 Dollar ihr Frei­exemplar der Gesetzestexte, das sie eigent­lich dringend selbst benötigen. Die meisten sind unter diesen Umständen nicht in der Lage, sich ganz der Parlamentsarbeit zu wid­men.

Vielfach wird schlampig gearbeitet, um die Sitzungen schnell zu Ende zu bringen, damit der Verdienstausfall nicht so hoch ist. Und kaum einer hat Zeit, sich auch außerhalb der Sitzungsperiode mit den wichtigsten Fragen so gründlich zu beschäftigen, wie er eigentlich sollte.

Es liegt nahe, daß bestimmte Interessen­gruppen sich diese Situation zunutze machen. Audi wenn es sich nicht um direkte Beste­chung handelt, pflegen dochGefälligkeiten, wie Esseneinladungen, Zurverfügungstellen eines Wagens, eines Zimmers, eine gewisse Wirkung nicht zu verfehlen.Wir haben ei­nen Punkt erreicht, sagte ein Senator,wo ein geschickter Mann gelegentlich mit einem Schnitzelessen den Ausgang, einer Abstim­mung entscheiden kann.

Die allgemein angestrebte Verbesserung die­ser unhaltbaren Situation, in der ein Parla­mentarier entweder persönlich wohlhabend sein muß oder finanzieller Abhängigkeit aus­geliefert ist, wird nicht leicht sein. Nicht nur das Trägheitsmoment steht ihr entgegen, son­dern auch die Tatsache, daß die Bezahlung der Parlamentsmitglieder in der Hälfte aller Staaten durch die Verfassung geregelt ist und deren Abänderung ein sehr kompliziertes Ver­fahren voraussetzt.

Nachrichten aus aller Welt

MÜNCHEN. Die Münchener Berufungskam­mer hielt da 3 erstinstanzliche Urteil gegen den ehemaligen Reichsleiter Max Amann, der zu 10 Jahren Arbeitslager verurteilt worden war, aufrecht und stufte ihn erneut als Hauptschul­digen ein.

HAMBURG. Am Montag wurden von briti­schen Einheiten die größten Heilige (Stapel­laufbahnen) Deutschlands (Blohm & Voß), auf denen u. a. große Schlachtschiffe wie dieBis­marck auf Stapel gelegt worden waren, ge­sprengt.

ROTTERDAM. Am Montag trafen 1444 ame­rikanische und 129 kanadische Studenten ln Rot­terdam ein, die einen Sommer in Europa ver­bringen wollen.

PARIS. Der frühere Vorsitzende der ameri­kanischen Fabrikantenvereinigung, Coonley, er­klärte, die Arbeitslosenziffer der USA werde ln den nächsten Monaten möglicherweise auf 6 Millionen ansteigen. Trotzdem sei er über­zeugt, daß die USA nicht einer wirklichen De­pression entgegengingen, jedoch -eine bedeut­same Umwälzung stattfinden werde.

BERN. Die Schweizer Nationalbank beschäf­tigt sich gegenwärtig mit der Frage, ob es zweckmäßig sein könnte, als Gegenmaßnahme gegen den ständig in die Schweiz fließenden Goldstrom, der zu einem Fallen der Zinssätze

und erhöhtem Notenumlauf geführt habe, Bar­rengold und Münzen in begrenztem Umfang zum Verkauf anzubieten.

ATHEN. In einem Bericht des griechischen Generalstabs über die Operationen des ersten Halbjahrs 1949 werden die Verluste der Auf­ständischen auf 19 140 Mann, darunter 7980 Tote, geschätzt. Die Regierungstruppen hätten dem­gegenüber nur 4977 Mann, darunter 1109 Ge­fallene, eingebüßt. Als Hauptnachschubbasis der Aufständischen wird Bulgarien bezeichnet.

WASHINGTON Nach Angaben von Flotten­sachverständigen der USA verfügt die Sowjet­union über 250 bis 300 supermoderne U-Boote.

NEW YORK. Um den sowjetischen Versuchen, die russich-sprachigen Sendungen zu stören, ent­gegenzuwirken, hat dieStimme Amerikas einen Morse-Nachrichtendlenst für Rußland ein­gerichtet.

REGINA. Der Führer der sog.schwarzen Front, Otto Strasser, hat sich jetzt zum sech- stenmal bei der kanadischen Regierung um Paß und Ausreisegenehmigung beworben. Strasser will sich, falls er wieder einen abschlägigen Be­scheid erhält, an die UN wenden. Nach wie vor hat er die Absicht, 'n Deutschland eine poli­tische Bewegung mit dem NamenLiga für Deutschlands Erneuerung zu gründen.

Ein Brief des Justizministeriums

TÜBINGEN. Im Aufträge des Justizmini­steriums hat sich Generalstaatsanwalt Nell- mann an den Intendanten von Radio Stutt­gart gewandt, um Einspruch zu erheben gegen die bereits mehrfach erwähnte Sondersendung zum Grafeneck-Prozeß. In dem Schreibe? wird die Ansicht vertreten, daß die Scheu zum Gegenstand der Kritik der öffentliche» Meinung gemacht zu werden, in allen Bevöl­kerungsteilen überaus groß sei. Wenn dem Richter, Laienrichter oder Berufsrichterin dieser Weise zu diesem Zeitpunkt gesagt wird, was man von ihm erwartet, dann wird ihm damit auch gesagt, was er an Kritik zu er­warten hat, wenn sein Urteil nicht dem ent­spricht, was der Sprecher oder Schreiber ver­langt. Damit aber wird, bewußt oder unbe­wußt, ist hier unerheblich, die richterliche Un­abhängigkeit, die Ihnen sicher ebenso am Herzen liegt, wie die Freiheit der Meinungs­äußerung, ganz empfindlich angegriffen. . . Ich bitte, sich auch einmal zu vergegenwärti­gen, was geschehen würde, wenn die Justiz­verwaltung unmittelbar oder, was wesentlich wirksamer wäre, auf dem lautverstärkenden Umweg über Presse und Rundfunk Einfluß auf die Richter in einem schwebenden Prozeß zu nehmen suchen würde. Ein Sturm der Ent­rüstung wäre mit Recht die Folge.

ln dem Schreiben wird dann weiter darauf hingewiesen, daß Mostar an dem über Wodien sich hinziehenden Prozeß nur während einiger Sitzungen teilgenommen hat, daß es sich hier aber nicht um ein Schauspiel handelt, bei dem es mancher sich Zutrauen mag, im 5. Akt erst zu erscheinen und sich dort ein Urteil zu bil­den.

Alliierte drängen auf Wohnungsbau

FRANKFURT. Die Alliierten haben kürzlich dem bizonalen Verwaltungsrat ein Memoran­dum über die Intensivierung des Wohnungs-, baus überreicht, welches die Errichtung von jährlich 100 000 Wohnungen mit einem Kosten­aufwand von 858 Millionen DM vorschlägt, ein Betrag, an dem sich die Doppelzone aus ihrem laufenden Haushalt mit 500 000 DM beteiligen müßte.

Dazu hat nun der Hauptreferent für die Bauaktion der Bizone, Dr. Josef Franke, am Montag erklärt, eine Verwirklichung dieses Plans würde entweder die Einführung neuer oder die Abtretung alter Steuern von den Ländern auf die Bizone bzw. den Bund not­wendig machen. Mit der empfohlenen Erhö­hung der Neubaumieten um 25 Prozent seien die Gewerkschaften und die Mie­terverbände wahrscheinlich nicht einverstan­den. Doch man trage sich mit dem Gedanken, die Neubauwohnungen ganz oder teilweise von der Wohnungszwangsbewirtschaftung zu befreien. Im Investitionsprogramm des ERP für das Jahr 1949/50 seien 1,55 Milliarden DM für den Wohnungsbau vorgesehen.

Anpassung an die Steuerkraft

FRANKFURT. Der sogenannteEllwanger Kreis, dem prominente westdeutsche CDU' CSU-Politiker angehören, kam über das Wo­chenende in Ellwangen zu einer Aussprache zusammen. U. a. waren zugegen: Staatsprä­sident Dr. Müller, Justizminister Dr, B e y e r 1 e, Ministerpräsident Dr. Hans Ehard (Bayern), Finanzminister Dr. Hil­pert (Hessen) und der Schriftsteller Dr. Eu­gen Kogon. Diskutiert wurden das Arbeits­losenproblem und das ThemaEuropaunion.

In einer Verlautbarung wurde die Notwen­digkeit unterstrichen, dem Europa-Einigungs­werk volle Aufmerksamkeit zu widmen und mehr als bisher auch die christlichen Kräfte hierfür einzusetzen. Die Konsolidierung der deutschen Verhältnisse erscheint den Teil­nehmern nur möglich bei einer Verteilung der Kriegsfolgelasten auf mehr als eine Genera­tion und Anpassung der Besatzungskosten an die wirkliche deutsche Steuerkraft.

Herausgeber: Will Hanns Hebsacker, Dr. Ernst Müller und Karl Klm

Mitglieder der Redaktion; Gudrun Boden, Dr. WI J' beim Gail Dr. Otto Haendle, Dr. Helmut Rlecz»- Joseph Klingelhöfer und Franz Josef Mayer

Eine Legende / von wuheim von schoiz

Zum 75. Geburtstag des Dichters am 15. Juli

Man erzählt von einem der frühchristlichen Heiligen, daß er seinen Tod überlebt habe.

Sein Name ist mir entfallen seine durch­leuchtete ewige Wesenheit steht deutlich, geisterfüllte, gefühlte Gestalt, vor mir. Sie ist mehr als der Namensschall, in dem wir noch heut, wie die Magier des Mittelalters, irrend die hingeschwundenen Persönlichkeiten erhal­ten und eingefangen wähnen.

Der Heilige hatte einen göttlichen Auftrag in seinem Herzen empfangen ohne ihm er­kennbaren Sinn, wie alle göttlichen Aufträge sind; denn auch die göttlichen Geheiße, durch die wir nachträglich irgend einen uns erfreu­lichen irdischen Zweck erfüllt sehen, haben diesen Zweck nicht erstrebt und müssen in der Weite unseres Schauens sinnlos bleiben, wenn sie sollen göttlich gewesen sein.

Der Heilige erschaute plötzlich in seinem in­neren Lichte eine Stelle mitten in dem wilden Walde, an dessen felsigem Rande seine Klaüs- nerhöhle lag: eine Schlange bannte dort mit ihrem Blick einen kleinen Vogel, der sich vor dem Auge der ein wenig über den Boden auf- gerichteteh Kriecherin auf seinem niedrigen Staudenzweiglein nicht mehr rühren konnte und angsterfüllt den züngelnden Rachen lang­sam auf sich zu größer werden sah.

Der Heilige, den lange schon Siechtum auf sein Lager von dürren Blättern geworfen hatte, erschrak, als sei der kleine Vogel sein Herz. Er wollte, dem wortlosen Geheiß fol­gend, sich erheben, als die Stimme der mensch­lichen Vernunft -- die von den Lastern und Leidenschaften noch bis zuletzt sich mit hin­eingedrängt in die Abtötung des Irdischen ihn zu beruhigen begann und sprach: es sei s'nnlos. wenn er einmal den Vorgang, daß die Schlange einen kleinen Vogel bannt und frißt, was sich viele Hunderte von Malen täglich al­lein hier in diesem Felsenwald begeben möge, aufhalten wolle.

Damit hatte die Vernunft den halb aufge­

richteten Oberleib des Heiligen in die rascheln­den Blätter zurückgedrückt. Indessen kam der Auftrag aus der Tiefe der Seele stärker und hob den Leib von neuem empor und drängte die Füße vom Lager dem Boden zu. Jetzt mel­deten sich Ermattung und Kraftlosigkeit des Leibes wie innenhängende, mit aus dem Lie­gen erhobene schwere Gewichte, schwankten in ihrer Aufhängung und ließen den Leib des Heiligen wieder zurückgezogen werden auf seine Ruhestatt.

Da riß der Befehl, den der Heilige, immer das Vögelchen und die Schlange vor sich se­hend, an seinen Widersachern als göttlich er­kannte und nicht mehr bezweifeln durfte, ihn zum dritten Male hoch und stellte ihn vor sein Lager auf die Füße.

Noch ein Gegner stand auf und wollte den Heiligen hindern zu tun, was ihm befohlen. Das war der Tod des Heiligen, der ihm als das Wissen in die Seele trat, daß in seinem langen Siechtum dieser Augenblick als sein letzter gewachsen und herangereift war. Be­gann ihn im Fieberfrost zu schütteln und ihm den Blick zu verdunkeln.

Schon aber war der Heilige aus dem sterb­lichen Menschen von Staub so sehr das un­irdische Gefäß eines göttlichen Willens gewor­den, daß seine sterbende, gestorbene und herz­schlaglose Hülle, mit den gebrochenen Augen, auszuschreiten begann. Sie ging frei, wie seit mondenlanger Zeit nicht, denn kein Schmerz und keine Schwäche war mehr in ihr; gijig mit sich streckenden Sehnen wie in der Ju­gendzeit, als der büßende Heilige ein Krieger und Verführer war. Der Fuß trat Gestrüpp und Domen nieder. Die wachsgelben Hände packten Zweige und dicke Aeste, bogen und brachen sie, daß der knackende Gang des Hei­ligen durch den Urwald war wie das Hin­durchbrechen eines Löwen, der sich Bahn schafft, oder eines Sturms, der sich seinen Weg durch krachende Aeste und stürzende Stämme frei macht.

So kahl er an die Lichtung, wo die Schlange eben den Vogel verschlingen wollte, griff die

Schlange unter dem züngelnden Kopf, zer­drückte sie dort zur Dünne eines schlaffen Dar­mes und schleuderte sie tot ins Dickicht, in­dessen der kleine Vogel befreit fortflog.

Dann stürzte die eben noch aufgerichtete und schreitende Hülle des Heiligen, in ihrem Gewand, das sie wie ein graues Bahrtuch überdeckte, verwest, zu Staub geworden, in sich zusammen; der Totenschädel, in den ein Augenblick den Kopf des Heiligen verwandelt hatte, rollte in das Dickicht, in da 3 der Schlan­genleib geflogen war Die kurze Zeitspanne, die der Heilige durch die Gewalt seines mit göttlichem Auftrag erfüllten Willens, wiewohl ohne Herzschlag, seinen Tod überlebt, hatte die Zerstörung, die sonst Monde oder Jahre braucht, in dem Leichnam vollendet.

Diq Andächtigen, die seine Höhle aufzu­suchen, in ihrer Nähe zu beten pflegten und die Wohnstatt ihres Verehrten für immer leer fanden, glaubten ihn zu Gott, zu Christus und zur Mutter Maria aufgestiegen und wurden noch inbrünstiger in ihrer Frömmigkeit.

War das der Sinn des göttlichen Auftrags, der den Heiligen den Anbetern entschwinden ließ, daß er nicht in der letzten Gebrechlich­keit des irdischen Leibes gesehen werden sollte?

Sollte ihm der Wunsch, den er nie vor sich selber auszusprechen gewagt und der doch in ihm war seit seiner Kriegerzeit, erfüllt wer­den; daß sein Leib, ohne die Menschen durch Verwesung und Zerstörung mit Grauen zu er­füllen, im Augenblick des Todes schon, reiner Staub und fleischlose Knochen, zurückfiel an die Erde und die Natur?

Wollte Gott mit solchem Hinüberleben eines Heiligen über den Tod sich selbst die Gewiß­heit geben und bezeugen, daß er d'e Gebun­denheit, in der er seine Schöpfung hielt, frei­willig halte und nur die Hand auszustrecken brauche, sie aufzuheben und zu verwandeln?

Kann eines von diesen Sinn eines göttlichen Auftrags sein? Nicht einer! Nicht irgendeines, das ein Mensch sich ersinnen oder, wenn es ihm eingeflößt wurde, verstehen könnte.

Kulturelle Nachrichten

Ernst Walter M i t u 1 s k i, der früher a® Städtetheater Tübingen-Reutlingen mitwidde» wird bei der Aufführung desUr-Götz anlau- lieh der 200. Wiederkehr von Goethes Geburts­tag in Frankfurt a. M. die Rolle des Götz von Berlichingen übernehmen.

Zum Rektor der Heidelberger Universität flk das Studienjahr 1949/50 ist Prof. Dr. Fren­denberg, der Direktor des Chemischen In­stitutes der Universität Heidelberg, gewani worden.

Einer Anzahl Studierender, die an deutsche Universitäten immatrikuliert sind, werden pendien zum Besuch französischer Universität im Wintersemester 1949/50 gewährt. Die A wähl erfolgt nach Wertung der französisch Sprachkenntnisse..

Zum Rektor der Technischen Tlochsdvu Karlsruhe ist für das kommende Jahr rr Paul Günther wiedergewählt worden.

Die Richard-Wagner-Gedenkstätte in Bay­reuth, die zurzeit wieder instandgesetzt w soll am 22. Juli der Oeffentlichkeit übergene

Das öffentliche Auftreten der Schauspielen® Kristina Söderbaum in Braunschweig Göttingen mußte abgesagt werden, da die lizei der Ansicht war, daß hierdurch o ' heit und Ordnung bedroht würden. Auße lagen zahlreiche Proteste aus allen Kreise Bevölkerung vor. j

Heinrich Mann, der Bruder von T f> 4 Mann, ist von dem Präsidenten der »D®? . Verwaltung für Volksbildung der t)' ^

aufgefordert worden, nach Berlin zuruexz

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Der österreichische Regisseur G. W. f will die Ereignisse, die sich in B er11 ,., v^. April 1945 imFührerbunker abgespien ben, verfilmen. ,. ö yt

Das Komitee der Biennale ln Venen ^ den neuen deutschen FilmMädchen .g. Gittern für die diesjährigen Festspiele fordert. . eine m

Ein neuer Luther-Film, der nacn _j srg Manuskript des schwedischen Pastors Frostensen gedreht werden soll, ist 1 rika in Vorbereitung.