Seite 4 / Nr. 74

SCHWÄBISCHES TAGBLATT

25. Juni 1949

A ls nun aber Gabriela begann, ausführlich * x über ihre Herkunft und ihre Kindheit zu sprechen, unterbrach Wohlfahrt sie und sagte, daß diese Einzelheiten nicht zur Sache gehör­ten. Es gehe hier lediglich um die Vorge­schichte der Tat.

Gabriela schüttelte den Kopf, überlegte und wandte ein, daß sie ihr Tun und ihre Haltung nicht verständlich machen könne, wenn man ihr verbiete, so weit in ihrem Bericht zurück­zugehen. Der Staatsanwalt unterstützte .sie dabei. Zwischen ihm und Wohlfahrt gab es ein langwieriges Hin und Her, bis Wohlfahrt der Zeugin das Wort erteilte und sie auf­forderte, zu sprechen.

Gabriela erzählte, daß ihr Vater in jungen Jahren aus dem Rheinland nach Südamerika verschlagen worden sei. Er entstammte einer Gastwirtsfamilie in Lorch, ging zur See und war Steward auf zahlreichen Schiffen. War­um er sich in Venezuela seßhaft gemacht hatte, wußte sie nicht. In La Guaira, der Hafenstadt von Caracas, eröffnete er einen Gasthof und heiratete eine Eingeborene spa­nischer Abkunft.

Als er starb, war Gabriela neunzehn Jahre alt. Sein Tod traf sie tief, denn ohne ihn war ihre Welt leer. Mit der wirtschaftlichen Lage der Familie nahm es jedoch nach dem Tode des Vaters bald einen Aufschwung. In Ga­brielas Stimme zitterte Ekel, als sie darüber berichtete. Offenbar hatte ihre Mutter aus dem Gasthof eine Hafenkneipe übelster Art gemacht. Ein entfernter Verwandter von ihr unterstützte sie dabei und machte sich zum Herrn der Familie. Die Geschäfte gingen so gut, daß sie bald nach Caracas, der nahe ge­legenen Hauptstadt, übersiedeln konnten. Ein größeres Haus, das bisher ein berüchtigtes Tingeltangel beherbergt hatte, wurde erwor­ben, und Gabrielas Mutter gab dem verlot­terten Unternehmen einen frischen Talmi- glanz. Die Kinder wurden dazu angehalten, beim Geldverdienen mitzuhelfen.

So lagen die Dinge, als sie Borbeck kennen lernte. Er kam mit Geschäftsfreunden in das Tingeltangel und wurde auf Gabriela auf­merksam, weil sie mit einigen Gästen deutsch sprach. Daß er mit ihr in der Sprache ihres Vaters plauderte, daß er Deutscher war und sogar daran dachte, eines Tages in seine Hei­mat zurückzukehren, erweckte in ihr sofort ein tiefes Zugehörigkeitsgefühl. Daß er mehr als zwanzig Jahre älter war, stärkte ihre Neigung zu ihm eher, als daß es sie minderte. Ohne sich recht klar darüber zu werden, gab sie ihm in ihrem Herzen die Stelle ihres ver­storbenen Vaters.

Noch wußte sie keineswegs, wer er war. Seinen Namen, den man natürlich im ganzen Lande kannte, hatte er ihr nicht genannt. Sie hielt ihn bei den ersten Begegnungen für ei­nen der in Caracas lebenden Vertreter deut­scher Firmen.

Ihre Mutter jedoch, die die Augen und die Ohren überall hatte, kam rasch dahinter, wer der Caballero war, der ihrer Tochter soviel Aufmerksamkeit bewies. Sie witterte ein gro­ßes Geschäft, stellte sich aber zunächst un­wissend und ahnungslos und wartete auf den rechten Augenblick. An eine Heirat dachte Borbeck nicht. Gabrielas Mutter verstieg sich auch nicht zu dieser Hoffnung. Ihre wäre es wohl am liebsten gewesen, er hätte Gabriela zu seiner Geliebten gemacht und dafür ent­weder freiwillig oder nach sanften Erpressun­gen gehörig Geld hergegeben. Gabriela hatte sich als so kostbar erwiesen, daß sie sie nur ungern ganz und gar einem andern üb erlas­sen hätte. Sie wartete also darauf, daß Bor­beck endlich den Kopf verlor. In Caracas konnte man leicht einen netten Skandal an­fachen, wenn ein Mann der bevorzugten Stän­de es wagte, die Ehre eines jungen Mädchens anzutasten.

Er tat schließlich das einfachste, was er tun konnte: er verständigte sich mit der Mut­ter. sagte ihr klipp und klar, daß er sie durch­schaue und bereit sei, ihr stillschweigendes Einverständnis gut zu bezahlen. Sie trieb den Preis in die Höhe, indem sie so tat, als be­leidige er aufs schändlichste ihre mütterli­chen Gefühle. Darauf legte er noch einiges zu und ersteigerte also gewissermaßen Gabriela. Schließlich erhielt er die Erlaubnis, sie unter dem Vorwand, ihr in seinem Hause Arbeit zu geben, ganz zu sich zu nehmen.

Sie wurden handelseinig. Borbeck bezahlte, und Gabriela erfuhr von ihrer Mutter, daß der deutsche Caballero sich nun endlich zu erkennen gegeben habe. Er sei ein großer und reicher Mann und erweise ihr die be­sondere Ehre, ihr in seinem Hause eine Be­schäftigung zu geben.

Gabriela war sofort einverstanden und folgte Borbeck. Als sie endlich gewahr wurde, was hinter dieser überraschenden Veränderung steckte, sträubte sie sich mit aller Leiden­schaft. Borbeck versuchte, ihr Vernunft ein­zureden und ihr klar zu machen, welche Vor­teile auf sie warteten. Sie war ihrer Mut­ter endgültig ledig, der schmierigen Umge­bung des Tingeltangels entronnen und konnte nun für alle Zeiten ein Leben ganz nach ih­rem Gefallen führen. Als sie immer noch un­zugänglich blieb, setzte er ihr auseinander, daß sie sich fügen müsse. Er erzählte ihr nüchtern von dem Geschäft, das er ihretwe­gen mit ihrer Mutter abgeschlossen hatte. Sie war verkauft und bezahlt worden.

Die Wirkung auf Gabriela war anders, als er erwartet hatte. Vor Scham und Ekel er­litt sie einen Zusammenbruch und unternahm einen Selbstmordversuch, der kläglich miß­glückte. Ihm erklärte sie danach, daß sie in seinem Hause lieber wie eine Gefangene le­ben und verhungern würde, als sich ihm aus- zuliefem. Er bequemte sich dazu, mit ihr zu verhandeln. S ! e verlangte die Heirat. Nach ihren Anschauungen gab es nur diesen Aus­weg. Ihr verzweifelter Widerstand entsprang ja keineswegs einer Abneigung gegen ihn, sondern sie sträubte sich dagegen, wie ein Tier verhökert worden zu sein und genau so mißachtet zu werden wie die Mädchen im Tingeltangel ihrer Mutter.

Borbeck bezahlte schließlich den Preis, den sie forderte. Er hatte eingesehen, daß es kein anderes Mittel gab, sie zu gewinnen, und da

10. Fortsetzung COPYRIGHT BY VERLAGSHAUS REUTLINGEN OERTEL & SPÖREB

DER ANGEKLAGTE SCHWEIGT... i

er sie haben wollte, blieb ihm keine Wahl. Im vierzehnten Jahre ihrer Ehe, als Bor­becks Gesundheitszustand immer schwan­kender wurde, entschloß er sich endlich, Amerika zu verlassen. Sie traten die Reise über das Meer an...

Sie kamen nach Berlin, das Borbeck als vier- oder fünfjähriger Junge kurz vor der Auswanderung mit seinen Eltern zuletzt ge­sehen hatte. Angeblich erinnerte er sich noch genau daran. Aber es stellte sich heraus, daß er die Stadt nicht wiedererkannte. Sie be­geisterte ihn jedoch schon auf der Fahrt zum Hotel und versetzte ihn in einen Wiederse­hensrausch, der ihn sogar seine Krankheit vergessen ließ. Er feierte diesen Tag mit zahl­losen Gläsern echt pommerschen Korns und ließ sich noch steifen Grog auf sein Zimmer bringen, weil sich gegen. Abend Schüttelfröste einstellten.

Dies war Gabrielas erster Schritt in das Land des Wunders. Nichts hatte sich erfüllt. Sie hatte den Aufenthaltsort gewechselt, nichts sonst. Sie war enttäuscht, nervös, noch im­mer von hungriger Erwartung erfüllt und von dem starrsinnigen Trotz besessen, daß sich jetzt und hier etwas Besonderes ereignen würde.

ln dieser empfänglichen und unruhevollen Stimmung begegnete sie Lönne und Hartung.

v ön den ersten Tagen gab sie ungefähr die gleiche Schilderung wie Lönne. Behut­sam und unmerklich schaltete sich Wohl­

ihm zu Kopfe steigen. Er braucht Aufsicht und eine strenge Hand.

Fanden Sie es nicht verdächtig, daß der Angeklagte Sie in dieser Form vor Hartung warnte?

Damals noch nicht Ich vertraute Herrn von Lönne ja völlig. Ich hatte keine Ahnung, daß Hartung ihm im Weg war.

Lönne lächelte ein wenig, als sie. das sagte, und betrachtete sie fast voHer Mitleid, je­denfalls ohne Vorwurf.

Was sagen Sie dazu, Angeklagter? rief Wohlfahrt ihn auf.Stimmt es, was wir von der Zeugin hören?

Es stimmt, daß ich sie vor Hartung ge­warnt habe. Ihren Mann übrigens auch. Da­zu hielt ich mich für verpflichtet. Ich habe aber nicht etwa verlangt, daß er Hartung wieder wegschicken solle. Ich. hielt es nur für gefährlich, ihm allzu freie Hand zu lassen. Aber die Schlußfolgerungen, die die Zeugin aus meinen Warnungen zieht, sind falsch. Im Wege stand mir Hartung nicht. Wohlfahrt wandte sich wieder an Gabriela: Hatten Sie jemals Grund, die Warnungen des Angeklagten für berechtigt zu halten? Von meinem Mann habe ich keine Klagen über ihn gehört, und ich selber hatte auch nie einen Grund dazu. Seine eigenen Angelegen­heiten kümmerten mich nicht. Wie er lebte, ging mich nichts an. Auch mein Mann fragte nicht danach.

Wohlfahrt blätterte in den Akten und stellte

Ihre Flucht zu Lönne bedeutete, daß sie bereit war, sich, ihm preiszugeben

fahrt mit unverfänglich klingenden Fragen ein, als die Rede auf Altenlinden kam.

Wann bemerkten Sie denn etwa, fragte Wohlfahrt,daß der Angeklagte sich Ihnen zu nähern versuchte und sich um Ihre Gunst bemühte?

Gabriela zögerte und senkte den Kopf. Ihre Fingerspitzen tasteten wieder suchend über den Zeugentisch. Dann blickte sie flüchtig zu Lönne hin.Sie hätten ebenso gut fragen kön­nen, Herr Vorsitzender, antwortete sie schließ­lich mit leiser, aber sehr fester Stimme,wann ich mich Herrn von Lönne zu nähern ver­suchte.

Damit wollen Sie sagen, daß Sie ihm ent­gegenkamen?

Sie nickte.Ich glaube, wir sprachen zum erstenmal mehr als das Notwendigste mitein­ander, als wir nach Altenlinden fuhren. Wir wollten das Gut besichtigen. Mein Mann kam dort auf den Einfall, im Schloß zu übernach­ten ...

Das haben wir schon von dem Angeklag­ten gehört.

Mein Mann hatte mich mitten in der Nacht geweckt und mir gesagt, daß er das Gut kau­fen wolle. Ich antwortete ihm nur, daß er tun möge, was er für richtig halte. Am an­deren Morgen traf ich beim Frühstück Herrn von Lönne, und wir verabredeten, einen Rundgang zu machen.

Meinem Mann begegneten wir nicht. Wir trafen ihn erst im Schloß, und er sagte uns, daß .er wahr&hd. des ganzen Vormittags bei dem Verwalter gewesen sei. Als er das Gut dann kaufte, war ich von ganzem Herzen froh darüber.

Bald darauf kam dann Hartung als Sekre­tär ihres Gatten nach Altenlinden, nicht wahr? Wie ist es eigentlich dazu gekommen?

Genau kann ich das nicht sagen. Ich selber war davon überrascht. Daß Hartung meinem Mann gefiel, hatte ich bemerkt. Eines Tages damals wohnten wir noch in Berlin sagte er mir, daß er Hartung engagiert habe. Wie das zustande gekommen ist, weiß ich nicht. Ich fragte auch nicht danach.

Hat der Angeklagte sich Ihnen gegen­über einmal dazu geäußert? War es ihm lieb oder unlieb, daß Hartung zu Ihnen kam?

Ich glaube, er drückte sich nur allgemein aus und sagte ungefähr, wir sollten vor Har­tung auf der Hut sein. Das viele Geld könne

fest, daß in Altenlinden Buchprüfungen vor­genommen worden waren. Es hatten sich keine Unstimmigkeiten dabei ergeben.

Wir können also annehmen, sagte Wohl­fahrt,daß es bestimmt nicht Geldverlegen­heiten gewesen sind, die ihn in den Tod ge­trieben haben.

Er hat keinen Selbstmord begangen! rief Gabriela überzeugt.

Wohlfahrt winkte beruhigend ab.Darauf kommen wir später noch zu sprechen, Frau Borbeck. Jetzt möchten wir von Ihnen hören, wie die Dinge in Altenlinden sich weiter ent­wickelten. Anfänglich kam ja Lönne sehr häu­fig aus Berlin zu Ihnen hinüber. Sie machten auch die Bekanntschaft seines Bruders. Die Besuche des Angeklagten aber brachen eines Tages ganz plötzlich ab. Wie kam das?

Alle im Saal bemerkten, daß lönne eine heftige Bewegung des Widerwillens und der Unruhe machte, als wolle er Gabrielas weitere Aussagen verhindern. Wohlfahrt warf ihm einen warnenden Blick zu, und auch Henius wandte sich mit einer beschwichtigenden Geste zu ihm um.

Gabriela gab zu, daß sich zwischen Schön­buch und Altenlinden bald ein nachbarlicher Verkehr entwickelte. Ihr Mann allerdings nahm kaum daran teil, sondern ging den Lon­nes am liebsten aus dem Wege. Einen Grund vermochte Gabriela dafür nicht anzugeben. Gesellig war er nie gewesen. Neuen Bekannt­schaften gegenüber war sein erstes Gefühl Mißtrauen; sein zweites sehr häufig Lange­weile, Geringschätzung oder gar Verachtung.

Vielleicht mißfiel es Borbeck auch, daß sie Lönne zu verunglimpfen suchten. Auch Ga­briela gegenüber taten sie das, hatten aber zu­nächst damit keinen Erfolg.Ich war töricht genug, erklärte sie heute,ihnen nicht zu glauben. Es wollte mir nicht in den Kopf, daß Herr von Lönne meinem Mann und mir Freundschaft heuchelte, fast jeden Sonntag zu uns kam, manchmal auch seinen Sohn mit­brachte, sich unbefangen glücklich stellte und bei alledem nur an seinen Vorteil und an seine Pläne dachte, an den Tod meines Mannes und daran, daß Altenlinden eines Tages mir gehö­ren würde.

Aber darauf wurden Sie von dem Ehe­paar Lönne und von Hartung aufmerksam ge­macht?

Hauptsächlich von den Lonnes, weniger von Hartung."

Später aber bekehrten Sie sich doch dazu? Wie kam das?

Gabriela antwortete:Herr von Lönne sel­ber öffnete mir durch sein Verhalten die Au­gen.

Er verriet sich?

Lonnes Unruhe nahm za Er hatte beide Hände fest um die Brüstung der Anklagebank gelegt, und mehrmals schien es, als wolle er Gabriela unterbrechen. Sie selber wurde von seiner Nervosität angesteckt und geriet ins Stammeln. Es war nicht zu erkennen, ob Lon­nes Gegenwart sie verwirrte oder ob die Selbstentblösung sie peinigte, zu der sie vor aller Oeffentlichkeit gezwungen war. Wohl­fahrt sagte ihr einige beruhigende Worte.

Gabriela erklärte, daß sie Lönne geliebt habe, und dieses Gefühl habe im Laufe der Zeit so sehr Besitz von ihr ergriffen, daß es ihr gleichgültig geworden sei, ob ihr Mannes bemerke oder nicht. Borbeck kümmerte sich ohnehin kaum um sie. Fühlte er sich wohl, so bot ihm Altenlinden genug Beschäftigung und Abwechslung. Diesem Neuen gab er sich hin wie ein Junge, dem ein neues Spielzeug ge­schenkt worden ist. In seinen Fiebertagen, die ihn stärker. mitnahmen als früher, verkroch er sich wie ein krankes Tier. Er trank mehr als sonst, und auch gegen diese Ausschweifun­gen erlahmte seine Widerstandskraft. Seine Zechgefährten waren der Verwalter von Al­tenlinden und der alte Schäfer, der ihn in seinen letzten Lebenstagen pflegte.

Gabriela gestand, daß seine Nähe ihr von Tag zu Tag unerträglicher geworden sei. Sie verabscheute und fürchetete seinen Anblick. Immer dringender riet sie ihm, Aerzte hinzu- 'zuziehen; er lehnte es ab. Sie verlangte, er solle das maßlose Trinken aufgeben; er fuhr sie grob an und verbat es sich, von ihr wie ein Säugling behandelt zu werden.

Zu einem ernstlichen Zusammenstoß zwi­schen ihr und ihrem Manne kam es in einer Nacht auf einen Sonntag. Am Nachmittag, zu­vor war Lönne diesmal ohne seinen Jun­gen aus Berlin herübergekommen. In seiner Gesellschaft hatte sie den Nachmittag und den Abend verbracht. Sie waren unten am See ge­wesen, waren zum Schönbucher Ufer hinüber­geschwommen, und Lönne hatte ihr zum er­stenmal von seiner Ehe mit Irene erzählt. Aber in seinen Worten hatte die Tote nicht trennend zwischen ihnen gestanden. Niemals hatte Gabriela sich ihm so nahe gefühlt wie an diesem Tag. Sie litt unter seiner Zurück­haltung, hinter der sie doch seine Liebe zu spüren glaubte, und war überzeugt, daß ihre Ehe ihm eine ebenso quälende Last war.

Sie speisten allein zu Abend. Hartung war drüben auf Schönbuch und kam zurück, als sie noch bei Tisch saßen, meldete sich aber nicht bei ihnen. Sie blieben weiter allein. Borbeck: war entweder im Dorf, wo er einige Freund­schaften geschlossen hatte, oder beim Verwal­ter.

Gegen elf trennte sich Gabriela von Lönne. Sie suchten ihre Zimmer auf. Kurz nach zwölf, als sie sich schon zur Ruhe begeben hatte, hörte sie, wie Nitschke, der alte Schäfer, ihren Mann nach Hause brachte. Beide waren schwer betrunken. Sie stolperten die Treppe hinauf, polterten über den Flur und nahmen dann wortreichen Abschied voneinander. Gabriela hoffte, Borbeck werde wie gewöhnlich gleich sein Schlafzimmer aufsuchen, aber unerwartet trat er bei ihr ein, setzte sich auf den Rand ihres Bettes und lachte, als sie sich vor ihm zurückzog.

Sie fragte ihn, ob er sich seines Zustandes nicht schäme. Er ekele sie an. Ob er nicht we­nigstens an seine Gesundheit denken wolle, wenn er schon auf sie keine Rücksicht nehme?

Er haßte diese Ermahnungen, und sie wuß­te das, fragte aber nicht mehr danach, was er hören mochte und was nicht. Da sie nicht aufhörte, schrie er sie an, er wolle auf die Art verrecken, die ihm Spaß mache, und wer dabei nicht Zusehen wolle, möge sich davon­machen. Er vermisse keinen. Ihr Gefasel habe er satt. Wenn sie sichs nicht verkneifen kön­ne, solle sie sich davonscheren, wann, wohin und mit wem sie wolle. Seinetwegen könne sie zum Teufel gehen.

Gerade diese letzten Worte waren ihr ein Schlag ins Gesicht. Sie meinte, er wisse von ihrer Neigung zu Lönne oder ahne sie min­destens. Es sah ihm jedoch ähnlich, daß er bisher mit keiner kleinsten Andeutung da­von gesprochen, sondern schweigend zuge­sehen hatte.

Er erhob sich von ihrem Bettrand, kam schwankend und wankend auf die Füße und taumelte hinüber in sein Zimmer. Sie blieb entsetzt zurück, von verzweifelten Entschlüs­sen hin und her geworfen. Jedes polternde Geräusch, jeder Laut, der aus seinem Zimmer kam, steigerte ihren Ekel, ihren würgenden Abscheu, ihre Entschlossenheit, dem allem ein Ende zu machen auf der Stelle und ohne zu zögern, ehe wieder die feigen Bedenken und die entwürdigende Fügsamkeit Macht über sie gewannen.

Sie sprang aus dem Bett auf, warf einen Morgenmantel über und lief so, nur halb be­kleidet, und mit fliegendem Herzen hinüber zu Lönne. Sein Zimmer lag auf demselben Flur, aber auf der andern Seite des Treppen­aufganges, wo auch Hartung wohnte.

Er hatte wach gelegen wie sie, denn er hatte ihren Mann gleichfalls kommen hören und öffnete sofort, als sie mit den Fingerspitzen leise an seine Tür pochte.

Gabriela sah niemand an, als sie von den Vorgängen dieser Nacht erzählte. Es wagte auch keiner, sie anzusehen. Wenn sie, er­schöpft von ihrem gehetzten Sprechen, zu­weilen einige Sekunden schwieg, hörte man nichts als ihren raschen Atem.

Wohlfahrt gönnte ihr eine kurze Ruhe­pause, versagte es sich, sie zum Weiterspre­chen aufzufordern, und wartete geduldig.

Ihre Flucht zu Lönne bedeutete, daß sie bereit war, sich ihm preiszugeben. Sie über­antwortete sich ihm völlig, unterwarf sich ihm, bekannte sich zu ihrer Liebe, zerstörte alle Brücken hinter sich, um ihm anzuge­hören. Er sollte sie mit sich fortnehmen, ir­gendwohin. Es war ihr gleichgültig, was dar­aus geschah. Nur nicht mehr hierbleiben!

Lönne wies sie ab. (Fortsetzung folgt)