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SCHWÄBISCHES F A(j BLATT
15. Juni M 4 j
Moskau lehnt ab
LONDON. Die Sowjetunion hat in zwei gleichlautenden Noten an die Vereinigten Staaten und an England -<!ie Anregung der Westmächte, eine Botschafterkonferenz einzuberufen, um die Friedensvertragsverletzungen durch Ungarn, Rumänien und Bulgarien zu überprüfen, abgelehnt. In der sowjetischen Antwortnote wird erklärt, die Sowjetunion sehe keinen Grund zur Einberufung einer solchen Konferenz. Die drei Staaten hätten sich gegenüber den Anschuldigungen gerechtfertigt. Die amerikanischen und britischen Anklagen seien „ein direkter Versuch, die Friedensverträge zu einer Einmischung in die inneren Angelegenheiten Bulgariens, Ungarns und Rumäniens zu gebrauchen mit dem Bestreben. die Innenpolitik dieser Länder unter Druck zu setzen“.
Deutscher Rat der Europa-Bewegung
WIESBADEN. Am Montag erfolgte in Wiesbaden unter Beteiligung zahlreicher Ehrengäste aus dem In- und Auslande die Gründung des . Deutschen Rates der europäischen Bewegung. Zu seinem Präsidenten wurde der frühere Reithstagspräsident Paul L ö b e einstimmig gewählt. Dem Präsidium gehören außerdem noch u. a. Minister Karl S p i e e ke r, Frau Kultusminister T e u s e h, Frau Dr. Heuß-Knapp und Prof. Karl Schmidan. In das Exekutivkomitee wurden 40 Persönlichkeiten aus Parteien, Gewerkschaften, der Wissenschaft, der Wirtschaft, der Kirchen und der Frauen- und Jungendverbände gewählt. Die Hauptansprachen hielten Duncan Sandy, der ehemalige französische Finanzminister Andre Philip und der Belgier Brugmann, der in seinem Schlußwort dem neu gegründeten Deutschen Rat zurief: „Sorgen Sie dafür, daß Deutschland aufhört, eine fortwährende Frage zu sein.“ In den Referaten von Prof. Schmid, Minister Spiecker und Dr. Kogon, wurde zum Ausdruck gebracht, daß die deutschen Bestrebungen, am Aufbau eines geeinten Europas mitzuarbeiten, aus innerster Ueberzeugung und reinstem Herzen kämen.
In Schlüchtern wurde die zweite Jahrestagung der europäischen Akademie durchgeführt.
Ex-Monsignore Cippico und seine Zeugen
Von unserem Mailänder C.M.-Korrespondenten
ROM, Anfang Juni
Der Prozeß gegen den Ex-Monsignore Edoar- do Prettner-Cippico der noch im Mai stattfinden sollte, ist vertagt worden, da das Gericht die Absicht hat zu überprüfen, ob nicht viele der Zeugen auf die Anklagebank gehören. Cippico ist einer Reihe von Valutaverbrechen angeklagt. Außerdem hat er sich für das Verschwinden einer großen Anzahl ihm an vertrauter Juwelen zu verantworten. Der Angeklagte war lange Zeit im Archiv des Vatikans tätig Nach dem Kriege wandten sich zahlreiche italienische Industrielle an ihn, um durch den Vatikan Valuta-Gutschriften im Ausland gegen Zahlung von Lire zu erhalten.
Cippico sagte bei der Verhandlung: „Mein einziges Ziel war, der italienischen Wirtschaft zu helfen. Ich besorgte den Industriellen im Ausland die Devisen, die sie benötigten, um Rohstoffe einzukaufen“. Er behauptete, daß auch andere Dienststellen des Vatikans so handelten.
Von den Gewinnen finanzierte der ehemalige Geistliche, dessen Fall bei den Wahlen im Frühjahr 1948 ungeheures Aufsehen er
regte, die „Ocean-Film“-Gesellschaft, die sich mit der «Herstellung von Filmstreifen religiösen Inhaltes befassen wollte. Die Summe der verschobenen Devisen ist nicht genau festzustellen, sie wurde seinerzeit mit rund einer Milliarde Lire angegeben. Dies ist möglich, wenn man bedenkt, daß das Gericht u. a. die Fälle der Industriellen Puccini und Rossini behandelt, die je um 148 bzw. 96 Millionen Lire geprellt wurden. Die fraglichen Juwelen wurden allem Anschein nach dem Cippico aus seiner Wohnung in Rom gestohlen, so daß es kaum zu einer Verurteilung deswegen kommen wird.
Nach der Aussage eines Zeugen hat der Papst nach Bekanntwerden der spekulativen Manöver des ungetreuen Prälaten, der sich des amtlichen Briefpapiers des Staatssekretariates des Vatikans bediente, eine genaue Untersuchung angeordnet. „Zahlreiche Personen“ so sagte der öffentliche Ankläger, der den Antrag auf Vertagung unterstützte, „sind nach Bekanntwerden mit Cippico urplötzlich zu Millionären geworden. Es ist notwendig, daß das Gericht das Verhalten aller Betroffenen nachprüft“.
Berliner Besprechungen ergebnislos
Verhaftungswelle in der Ostzone trifft SED-Führer
BERLIN. Die letzte Sitzung der Wirtschaftsund Finanzsachverständigen der vier Militärregierungen endete am Montagnachmittag. Die Teilnehmer sandten umgehend ihren Außenministern in Paris getrennte Berichte. Alle Anzeichen deuten darauf hin, daß die Sowjets in verschiedenen wichtigen Punkten nicht nachgegeben haben, und daß deshalb keine endgültige Vereinbarung getroffen wurde. Als Folge davon wird die Frage der Wiederaufnahme des ost-west-deutschen Handels von den Außenministern der vier Großmächte aufgegriffen werden müssen.
Nach Aeußerungen unterrichteter Kreise wollten die Sowjets die von ihnen geübte
Nachrichten aus aller Welt
FRANKFURT Dr. Adenauer hatte am Sonntag erklärt, daß der Parlamentarische Rat seit der Verabschiedung des Grundgesetzes nicht mehr bestehe. Der Parteivorstand der SPD in Hannover betonte demgegenüber am Montag, Dr. Adenauer sei weder vom Präsidium noch von einer anderen Körperschaft des Parlamentarischen Rates zu einer solchen Feststellung ermächtigt gewesen. Am Dienstag gab ein französischer Sprecher in Frankfurt bekannt, der Parlamentarische Rat habe am 23 Mai, um 24 Uhr, aufgehört zu existieren.
FRANKFURT. Graf Gerhard von Kanitz, der von 1923 bis 1926 Reichsernährungsminister gewesen war, ist am Montag auf der Autostraße Frankfurt—Wiesbaden zusammen mit seiner Frau tödlich verunglückt. Drei weitere Insassen des Wagens sind schwer verletzt worden.
FRANKFURT. Der ehemalige amerikanische Armeeangehörige Mac Carthy, der auf seine amerikanische Staatsbürgerschaft verzichten und ein Deutscher werden wollte, ist von einem amerikanischen Militärgericht wegen illegaler Einreise in die amerikanische Besatzungszone zu 8 Monaten Gefängnis verurteilt worden, die er in den Vereinigten Staaten verbüßen muß.
BIELEFELD. Der frühere Gauleiter von Düsseldorf, Florian, ist vom Spruchgericht zu sechs Jahren Gefängnis und 20 000 DM Geldstrafe verurteilt worden. 3'/t Jahre der Freiheitsstrafe werden auf die Untersuchungshaft angerechnet.
PARIS. Der französische Diplomat Armand Berard, der im Range eines Gesandten an der französischen Botschaft in Washington tätig ist, soll demnächst dem französischen Hochkommissar in Deutschland, Frangois-Poncet, zugeteilt werden.
PARIS. Die Wochenzeitung „Lettres Frangal- ses“, ihr Direktor Morgan und der Journalist Wurmser, die im Kravchenkoprozeß wegen Verleumdung verurteilt worden waren, haben jetzt gegen das Urteil Berufung eingelegt.
PARIS. Das Blatt der ungarischen Emigranten in Frankreich will aus zuverlässiger Quelle er
fahren haben, daß der ehemalige ungarische Ministerpräsident Graf Bethlen in der Nähe von Moskau, wohin er nach dem Einmarsch der Sowjettruppen nach Budapest verbracht worden ist, gestorben sei. Bethlen war von 1921—31 Ministerpräsident.
PARIS. In Frankreich treten heute sämtliche Staatsangestellten und Beamten in einen 24stün- digen Streik. Auch im Rundfunk herrscht völlige Funkstille.
WIEN. Gegenwärtig wird gegen eine Bande von Rauschgifthändlern verhandelt, unter denen sich auch der Chefchirurg des Krankenhauses eines Wiener Vororts befindet. Der Arzt, von dem 5 kg Morphium, die nach der Schweiz geschmuggelt werden sollten, stammen, behauptet, Geld gebraucht zu haben, um seine 19jährige Tochter, die auf geheimnisvolle Weise entführt worden war, suchen zu können.
ROM. Im Palazzo Venezia ist am Montag der zweite Weltgesundheitskongreß, der von Delegierten und Beobachtern aus 81 Nationen besucht wird, eröffnet worden.
TIRANA. Wie der albanische Rundfunk mitgeteilt hat, ist das Todesurteil gegen den früheren stellvertretenden Ministerpräsidenten Dodze vollstreckt worden.
MIAMI. Neun Finnen, die den Ozean mit einem 9 m langen Boot überquert und angegeben haben, vor sowjetischer Verfolgung geflohen zu sein, werden von den Einwanderungsbehörden überprüft werden.
FES (Marokko). Ein heftiger Orkan, der mit einem 2stündigen Hagelschlag verbunden war, verwüstete die Stadt Fes. In den Pflanzungen wurden große Schäden angerichtet,
NEW YORK. Die von dem amerikanischen Industriellen Arida bei der britischen Admiralität gekaufte Jacht Hitlers befindet sich zur Zeit auf der Fahrt nach den Vereinigten Staaten.
WASHINGTON. Der amerikanische Senat hat einstimmig die Ernennung John Mac Cloys zum amerikanischen Hochkommissar in Deutschland bestätigt.
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Will Hanns Hebsacker und Dr. Ernst Müller Mitglieder der Redaktion: Gudrun Boden, Dr. ffü heim Gail Dr. Otto Haendle, Dr. Helmut Kleco Joseph Klingelhöfer und Franz Josef Mayer Verlag und Schriftleitung:
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Kontrolle über den gesamten Verkehr zwischen Berlin und den deutschen Westzonen nicht aufgeben. Die Vereinigten Staaten ihrerseits bestanden auf schriftlichen Abmachungen mit den Russen, die die Möglichkeit einer erneuten, von den Sowjets als „legal“ bezeich- neten „Blockade" gänzlich ausschalten würden.
Die Varhaftungsweile, die in der sowjetischen Besatzungszone nach den für die SED ungünstig ausgegangenen Volkskongreßwahlen eingesetzt hat, dauert an. Es sind ihr, vor allem in Sachsen, bereits mehrere maßgebende SED-Leute zum Opfer gefallen. Darunter seit Samstag auch der Oberbürgermeister der Stadt Zwickau, Paul. Müller, der dafür zur Rechenschaft gezogen werden soll, daß in seinem Wahlbezirk besonders schlechte Ergebnisse erzielt wurden, obwohl man sich gerade in dem Bergbaubezirk Zwickau einen guten Erfolg versprochen hatte.
Man ist in Berlin jetzt der Ansicht, daß der Streik der UGO-Eisenbahner mit dem Bekanntwerden des Vermittlungsvorschlages des Generals Howley praktisch beendet sei. Die heutige Urabstimmung wird, so wird bestimmt erwartet, eine große Mehrheit für die Arbeitsaufnahme ergeben.
Nochmals Wilhelmstraßen-Prozeß
NÜRNBERG. Der Generalsekretär der Militärtribunale hat am Montag die Verteidiger des Wilhelmstraßen-Prozesses telegrafisch nach Nürnberg zurückberufen - und sie erneut zu Anwälten der Verurteilten bestellt. Die Wiederberufung erfolgte auf ihre am 10. Mai eingereichten Berichtigungsanträge. Die Richter haben bereits eine Berichtigung des Urteils in Aussicht gestellt, wie sie im Pohl-Prozeß erstmals schon erfolgte. Die Verteidiger des Wilhelmstraßen-Prozesses haben jetzt in einem Protest-Telegramm in Washington Einspruch dagegen erhoben, daß ihnen für ihre neuerlichen Anträge eine nur fünftägige Frist zugebilligt wurde.
Bürgermeisterkonferenz in der Schweiz
BERN. Auf dem Bürgenstock am Vierwaldstätter See tag«! zurzeit französische und deutsche Bürgermeister, um gemeinsam interessierende Fragen zu beraten. Die deutschen Vertreter wiesen vor allem auf das dringende Problem der deutschen Jugend hin, die man nicht allein, isoliert, den Versuchungen des Nationalismus und des Kommunismus gegenüberstellen dürfe. Der Vorsitzende des schweizerischen Städteverbands, C o 11 i e r, hat den Bürgermeistern die Wünsche und Grüße der schweizerischen Kollegen überbracht.
Flüchtlingswahlkreise?
P. In letzter Zeit wird die Frage erneut lebhaft diskutiert, ob es nicht zweckmäßig wäre für die Wahlen zum Bundestag besonder« Flüchtlingswahlkreise zu bilden, um auf diese Weise eine direkte Vertretung der Interessen der Flüchtlinge im Bundesparlament zu erreichen. Ein Vorschlag von CDU-Seite ging dahin, in jedem Land Wahlbezirke für Heimatvertriebene zu bilden, in denen die Kandidaten, die selbst Flüchtlinge sind, von den Parteien nominiert werden. Der Gedanke, auf diesem Weg, eine der Zahl der Flüchtlinge entsprechende Zahl von Abgeordneten ins Parlament zu bringen, hat ohne Zweifel auf den ersten Blick etwas Bestechendes, gleich, in welcher Form er verwirklicht würde. Denn darüber, daß die Millionen Deutsche, die ihre Heimat verloren haben und die unter außerordentlich schwierigen Verhältnissen sich wieder eine Existenz aufbauen müssen, ein besonderes Anrecht auf eine ihrer Zahl entsprechende Vertretung ihrer Anliegen, Nöte und Interessen haben, dürfte es eigentlich keine Meinungsverschiedenheiten geben. Ein- wände, eine getrennte Abstimmung der Flüchtlinge bereite außerordentliche, technische Schwierigkeiten, haben kein Gewicht, denn diese Schwierigkeiten könnten auf jeden Fall überwunden werden.
Wohl aber scheint uns eine getrennte WahJ aus allgemein politischen Gesichtspunkten nicht nur unzweckmäßig, sondern untauglich das Problem zu lösen. Der Flüchtlingsmini- ster in Niedersachsen, Pastor Heinrich Abertz. hat in der Hamburger Zeitung „Die Welt“ zu der Frage Stellung genommen und dabei auf einen Gesichtspunkt hingewiesen, der besondere Beachtung verdient. Er stellt fest, daß in einem Augenblick, in dem wenigstens für Westdeutschland das erste Mal nach dem Zusammenbruch eine gemeinsame Willensaktion durchgeführt werde und eine gemeinsame Vertretung der Deutschen in diesem Raum zustande kommen soll, es vollkommen unmöglich sei, aus politischen Gründen, die weit über die Flüchtlingsfrage hinausgehen, zwei getrennte Wahlen durchzuführen. „Dies würde die Demonstration eines Risses bedeuten, der zwar unheilvoll genug ist, den zu überwinden aber die erste und vernünftigste Aufgabe des Parlaments sein wird, das als erstes überhaupt die Möglichkeit dazu hat“ In der Tat: es gibt keine dringlichere Aui- gabe, als diesen Riß zu überwinden und alles zu tun, um den Unterschied zwischen den Heimatvertriebenen und den Alteingesessenen, zwischen Neubürgem und Altbürgem, zu beseitigen — auch äußerlich.
Eine Zeitschrift schrieb vor kurzem von den „zwei Nationen, über die sich kein gemeinsamer Himmel mehr wölbt.“'Die Bildung vw Flüchtlingswahlkreisen würde den bedauerlichen Tatbestand dieses Risses nur noch mein in Erscheinung treten lassen, ohne daß durdi eine getrennte Wahl die Sicherheit geboten wäre, auf diesem Weg eine bessere Vertretung der Flüchtlingsinteressen zu erreichen. Behandeln die Parteien selbst die Sache der Heimatvertriebenen nicht als ihr eigenes und dringliches Anliegen, dann hilft auch eine getrennte Wahl nicht. Dann wird der Riß nur noch tiefer. Eine Wahl Im Zeichen des Vorhandenseins von zweierlei Staatsbürgern: käme darin nicht nur zum Ausdruck, daß die Sache der Flüchtlinge eine Interessenangelegenheit einer Gruppe, eines Teils nicht aber eine solche des ganzen Volkes wäre?
Der freie Nachmittag
Von Ruth von Ostau
Am Mittwoch hat Schwester Beate Ausgang, Es ist der einzige Lichtblick der Woche, denn Schwester Beate hat einen schweren Dienst bei einer alten Dame, die herzkrank und sehr boshaft ist und sie von früh bis-abends mit Nichtigkeiten quält. Am Mittwochmorgen ist es stets besonders schlimm, dam dann weiß die Patientin, daß sie am Nachmittag kein Quälobjekt hat und mit ihrer Nichte vorlieb nehmen muß, die sich nichts gefallen läßt.
Heute ist wieder Mittwoch, und obwohl sich die alte Dame ganz besonders widerwärtig benimmt, verliert Schwester Beate nicht die Geduld, sondern bleibt in unanfechtbar guter Stimmung. Es ist ein strahlender Tag, auf ihrem Bett liegt ausgebreitet ein neues Kleid, und im Kino hofft sie einen jungen Mann mit blauem Schlips zu treffen, den sie in der vorigen. Woche flüchtig kennen gelernt und der sie gefragt hat, ob sie am kommenden Mittwoch wieder die Nachmittagsvorstellung besuchen würde. Sie hat ja gesagt, und deshalb geht ihr vielleicht alles so schnell von der Hand. Sie singt und lächelt, als die Alte schimpft, sie richtet das Bett, das Essen, die Medizinen und legt Bücher und Zeitungen griffbereit auf den Nachttisch.
Endlich ist sie fertig und kann in ihre winzige Kammer verschwinden, die Haube von dem befreiten Haar nehmen und die strenge Schwesterntracht mit weicher, neuer, heller Seide vertauschen. Sie sieht in den Spiegel und ist glücklich, dann tritt sie ans Fenster und blickt auf die besonnte Straße, auf der sie in den nächsten Minuten mit eiligen Schritten der Freiheit entgegenlaufen wird. Plötzlich läutet die Hausglocke. Beate beugt sich über das Fensterbrett und erkennt das kleine Mädchen, das die Nichte der alten Dame herüberzuschicken pflegt, wenn sie ihre Vertretung absagt, sie erkennt sogar den Brief, den das Kind in der Hand hält.
Schwester Beate schließt die Augen und hält sich die Ohren zu, sie will nichts sehen und nichts hören und sich durch nichts, gar nichts zurückhalten lassen. Sie hätte ja ebensogut schon aus dem Hause sein können und weder Kind noch Brief bemerkt haben; die Nichte hafte eher Bescheid geben müssen, sie hätte.. Beate nimmt die Hände von den Ohren. Läutet es noch? Nein! Ist die Alte aus ihrem Mittagsschlaf aufgewacht? Nein. Hastig holt Beate Handtasche und Mantel aus dem Schrank und schlüpft auf den Gang. Im Türbriefkasten blinkt etwas Weißes, sie geht schnell daran vorbei. Das Kind wird der Mutter sagen, daß niemand aufgemacht hat, also liegt keine Gefahr vor, daß die Alte allein bleibt.
Nicht mehr daran denken, sondern' genießen, sich freuen, den ganzen trüben Altweiberspuk hinter sich werfen und jung und erwartungsvoll sein, alles zudecken mit dem Glücksgefühl der Freiheit, alles betäuben, auch diesen kleinen, schwarzen Wurm, der irgendwo verborgen sitzt und nagen will.
Sie stürzt aus der Wohnung wie aus einem Gefängnis. Treppe, Sonne, Straße, noch eine und noch eine Straße, ein Platz und dann das bunte Kinoplakat, unter dem der junge Mann mit dem blauen Schlips steht und sie anlächelt. Erst als sie neben ihm sitzt und es dunkel wird, ist sie ganz losgelöst, weniger durch den Film, als durch seine Nähe, die erregend und beruhigend zugleich ist und sie mit einem süßen und zärtlichen Rausch ausfüllt. Manchmal lehnt sie sich ganz zurück und sieht ihn von der Seite an, er ist jung wie sie und hat helles Haar und einen lustigen Mund. „Gefällt es Ihnen?“ sagt er und berührt ihren. Arm, der auf der Lehne liegt. „Ja, sehr!“ antwortet sie und ist glücklich.
Beate sieht auf die Leinwand, ohne recht folgen zu wollen. Es ist ihr ganz gleichgültig, was sich da abspielt, am liebsten würde sie die Augen schließen. Aber das tut sie dann doch wieder nicht, sondern nimmt Bild und
Handlung nur eben gerade wahr. Ein Mädchen in Gefahr, ein Mann, der um sie kämpft, eine kranke alte Dame, die im Bett liegt und nach Luft ringt, was war das?... Auf einmal muß Beate ganz scharf hinsehen. Ein altes, verfallendes Gesicht, kraftlose Hände, die ins Leere greifen, ein zerwühltes Bett, Kissen auf der Erde, verfließende Medizin, ein Mund, der schreien will und zu schwach ist, ein dürftiger Leib, der sich bäumt... Beate faßt nach ihrer Tasche. „Ich muß fort“, flüstert sie,
„meine Patientin _“ „Aber der Film ist
doch gleich zu Ende“, flüsterte der jungeMann zurück, „warten Sie doch..„Ruhe!“ zischt jemand von hinten, aber Beate ist schon aufgestanden und drängt sich an der Reihe leise aufgrollender Zuschauer zu dem Friesvorhang, hinter dem sie die Tür aufstößt.
Wie gejagt verläßt sie das leere Treppenhaus, überquert Platz und Straßen ohne Rücksicht auf Verkehr und Passanten, immer nur die alten Hände, den Mund, die Kissen vor Augen und den erstickten Schrei im Ohr. Endlich ist sie da, kaum daß sie aufschließen ■kann, so bebt sie plötzlich am ganzen Leibe. Und dann steht sie atemlos vor der Tür des Krankenzimmers und kann vor eigenem Herzklopfen erst nichts hören, aber dann... Das ist die Stimme der Nichte, das ist die Alte, sie sprechen, sie lachen, die Alte hustet. Beate lehnt sich an den Türpfosten, das kühle Holz tut gut und gibt nicht nach wie ihre Knie, die wie aus Watte sind.
Ganz leise schleicht sich Beate wieder davon, müde und ohne Eile. Im Vorübergehen nimmt sie den Brief aus dem Kasten, öffnet ihn auf der Treppe und liest ihn im Hinuntergehen. „Sagen Sie bitte meiner Tante, daß ich etwas später als sonst komme“, steht darin, „Sie brauchen aber nicht darauf zu warten.“
Beate geht wieder zum Kino zurück, obwohl die -nächste Vorstellung schon angefangen und sich der Besucherschwarm der ersten längst verlaufen hat. An der Kasse steht nur noch der Portier und ein junger Mann, der zerstreut
Feldblumen
Feldblumen hab ich heut gepflückt,
. Kornblau und wilde Wicken, und dir damit den Tisch geschmückt — sieh, wie sie lächelnd nicken!
An allen Blumen hat der Tau des frühen Tags gehangen, und über alle ist das Blau des Himmels hingegangen.
Nun bringen sie dir sammetweich des Sommers bunten Schimmer, ein Stück von Erd- und Himmelreich hellblühend in dein Zimmer!
WILLI LINDNER
iHmtmiinnHiiimitttmitmiimmiMiiniiiiiiMiiMiniiiiiiiiiiMiimiKminii
die Plakate studiert. Er trägt auch eins 1 blauen Schlips, aber es ist ein anderer juriä® Mann, den Beate nicht kennt und der jetej unruhig an ihr vorbei die Straße hinab sie« 1 und plötzlich ein hellgekleidetes, winkend« Wesen entdeckt, das auf ihn zuläuft verschwinden im nächsten Augenblick J® Eingang zu den Kinoräumen. Beate geht lang* sam weiter. _
Das Kaiser-Wilhelm-Institut fjk Chemie, das bisher in Tailfingen untergebracn war, soll demnächst nach Mainz verlegt wera®- Das Institut für Physik verbleibt mit zwei lungen in Hechingen, während andere Abteil« gen nach Göttingen übersiedeln.
Der Direktor der Württ. Landesbibliothek, Df- Wilh. Hoffmann, übergab am Samstag den ßen Lesesaal der Landesbibliothek in Stuttgaj seiner Bestimmung. Die Bibliothek birgt b®“ wieder rund 150 000 Bücher, über 400 000 Bano sind noch an verschiedene Stellen des Lano verlagert.
Die Leitung der Salzburger Festspiele hat sidj durch den tragischen Tod der Kammersäng“ Maria Cebotari gezwungen gesehen, Kammersängerin Jarmila Novotna für die tien, die für die nunmehr Verstorbene vorg®
sehen waren, zu verpflichten.