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SCHWÄBISCHES F A(j BLATT

15. Juni M 4 j

Moskau lehnt ab

LONDON. Die Sowjetunion hat in zwei gleichlautenden Noten an die Vereinigten Staaten und an England -<!ie Anregung der Westmächte, eine Botschafterkonferenz einzu­berufen, um die Friedensvertragsverletzungen durch Ungarn, Rumänien und Bulgarien zu überprüfen, abgelehnt. In der sowjetischen Antwortnote wird erklärt, die Sowjetunion sehe keinen Grund zur Einberufung einer sol­chen Konferenz. Die drei Staaten hätten sich gegenüber den Anschuldigungen gerechtfer­tigt. Die amerikanischen und britischen An­klagen seienein direkter Versuch, die Frie­densverträge zu einer Einmischung in die in­neren Angelegenheiten Bulgariens, Ungarns und Rumäniens zu gebrauchen mit dem Be­streben. die Innenpolitik dieser Länder unter Druck zu setzen.

Deutscher Rat der Europa-Bewegung

WIESBADEN. Am Montag erfolgte in Wies­baden unter Beteiligung zahlreicher Ehrengäste aus dem In- und Auslande die Gründung des . Deutschen Rates der europäischen Bewegung. Zu seinem Präsidenten wurde der frühere Reithstagspräsident Paul L ö b e einstimmig ge­wählt. Dem Präsidium gehören außerdem noch u. a. Minister Karl S p i e e ke r, Frau Kultus­minister T e u s e h, Frau Dr. Heuß-Knapp und Prof. Karl Schmidan. In das Exekutiv­komitee wurden 40 Persönlichkeiten aus Par­teien, Gewerkschaften, der Wissenschaft, der Wirtschaft, der Kirchen und der Frauen- und Jungendverbände gewählt. Die Hauptanspra­chen hielten Duncan Sandy, der ehemalige französische Finanzminister Andre Philip und der Belgier Brugmann, der in seinem Schlußwort dem neu gegründeten Deutschen Rat zurief:Sorgen Sie dafür, daß Deutsch­land aufhört, eine fortwährende Frage zu sein. In den Referaten von Prof. Schmid, Mi­nister Spiecker und Dr. Kogon, wurde zum Ausdruck gebracht, daß die deutschen Bestre­bungen, am Aufbau eines geeinten Europas mitzuarbeiten, aus innerster Ueberzeugung und reinstem Herzen kämen.

In Schlüchtern wurde die zweite Jahresta­gung der europäischen Akademie durchge­führt.

Ex-Monsignore Cippico und seine Zeugen

Von unserem Mailänder C.M.-Korrespondenten

ROM, Anfang Juni

Der Prozeß gegen den Ex-Monsignore Edoar- do Prettner-Cippico der noch im Mai statt­finden sollte, ist vertagt worden, da das Ge­richt die Absicht hat zu überprüfen, ob nicht viele der Zeugen auf die Anklagebank ge­hören. Cippico ist einer Reihe von Valuta­verbrechen angeklagt. Außerdem hat er sich für das Verschwinden einer großen Anzahl ihm an vertrauter Juwelen zu verantworten. Der Angeklagte war lange Zeit im Archiv des Vatikans tätig Nach dem Kriege wandten sich zahlreiche italienische Industrielle an ihn, um durch den Vatikan Valuta-Gutschriften im Ausland gegen Zahlung von Lire zu erhalten.

Cippico sagte bei der Verhandlung:Mein einziges Ziel war, der italienischen Wirtschaft zu helfen. Ich besorgte den Industriellen im Ausland die Devisen, die sie benötigten, um Rohstoffe einzukaufen. Er behauptete, daß auch andere Dienststellen des Vatikans so handelten.

Von den Gewinnen finanzierte der ehema­lige Geistliche, dessen Fall bei den Wahlen im Frühjahr 1948 ungeheures Aufsehen er­

regte, dieOcean-Film-Gesellschaft, die sich mit der «Herstellung von Filmstreifen re­ligiösen Inhaltes befassen wollte. Die Summe der verschobenen Devisen ist nicht genau festzustellen, sie wurde seinerzeit mit rund einer Milliarde Lire angegeben. Dies ist mög­lich, wenn man bedenkt, daß das Gericht u. a. die Fälle der Industriellen Puccini und Ros­sini behandelt, die je um 148 bzw. 96 Millio­nen Lire geprellt wurden. Die fraglichen Ju­welen wurden allem Anschein nach dem Cip­pico aus seiner Wohnung in Rom gestohlen, so daß es kaum zu einer Verurteilung des­wegen kommen wird.

Nach der Aussage eines Zeugen hat der Papst nach Bekanntwerden der spekulativen Manöver des ungetreuen Prälaten, der sich des amtlichen Briefpapiers des Staatssekreta­riates des Vatikans bediente, eine genaue Un­tersuchung angeordnet.Zahlreiche Personen so sagte der öffentliche Ankläger, der den An­trag auf Vertagung unterstützte,sind nach Bekanntwerden mit Cippico urplötzlich zu Millionären geworden. Es ist notwendig, daß das Gericht das Verhalten aller Betroffenen nachprüft.

Berliner Besprechungen ergebnislos

Verhaftungswelle in der Ostzone trifft SED-Führer

BERLIN. Die letzte Sitzung der Wirtschafts­und Finanzsachverständigen der vier Militär­regierungen endete am Montagnachmittag. Die Teilnehmer sandten umgehend ihren Außen­ministern in Paris getrennte Berichte. Alle Anzeichen deuten darauf hin, daß die Sowjets in verschiedenen wichtigen Punkten nicht nachgegeben haben, und daß deshalb keine endgültige Vereinbarung getroffen wurde. Als Folge davon wird die Frage der Wiederauf­nahme des ost-west-deutschen Handels von den Außenministern der vier Großmächte aufgegriffen werden müssen.

Nach Aeußerungen unterrichteter Kreise wollten die Sowjets die von ihnen geübte

Nachrichten aus aller Welt

FRANKFURT Dr. Adenauer hatte am Sonn­tag erklärt, daß der Parlamentarische Rat seit der Verabschiedung des Grundgesetzes nicht mehr bestehe. Der Parteivorstand der SPD in Hannover betonte demgegenüber am Montag, Dr. Adenauer sei weder vom Präsidium noch von einer anderen Körperschaft des Parlamen­tarischen Rates zu einer solchen Feststellung ermächtigt gewesen. Am Dienstag gab ein fran­zösischer Sprecher in Frankfurt bekannt, der Parlamentarische Rat habe am 23 Mai, um 24 Uhr, aufgehört zu existieren.

FRANKFURT. Graf Gerhard von Kanitz, der von 1923 bis 1926 Reichsernährungsminister ge­wesen war, ist am Montag auf der Autostraße FrankfurtWiesbaden zusammen mit seiner Frau tödlich verunglückt. Drei weitere Insassen des Wagens sind schwer verletzt worden.

FRANKFURT. Der ehemalige amerikanische Armeeangehörige Mac Carthy, der auf seine amerikanische Staatsbürgerschaft verzichten und ein Deutscher werden wollte, ist von einem amerikanischen Militärgericht wegen illegaler Einreise in die amerikanische Besatzungszone zu 8 Monaten Gefängnis verurteilt worden, die er in den Vereinigten Staaten verbüßen muß.

BIELEFELD. Der frühere Gauleiter von Düs­seldorf, Florian, ist vom Spruchgericht zu sechs Jahren Gefängnis und 20 000 DM Geldstrafe ver­urteilt worden. 3'/t Jahre der Freiheitsstrafe werden auf die Untersuchungshaft angerechnet.

PARIS. Der französische Diplomat Armand Berard, der im Range eines Gesandten an der französischen Botschaft in Washington tätig ist, soll demnächst dem französischen Hochkommis­sar in Deutschland, Frangois-Poncet, zugeteilt werden.

PARIS. Die WochenzeitungLettres Frangal- ses, ihr Direktor Morgan und der Journalist Wurmser, die im Kravchenkoprozeß wegen Ver­leumdung verurteilt worden waren, haben jetzt gegen das Urteil Berufung eingelegt.

PARIS. Das Blatt der ungarischen Emigranten in Frankreich will aus zuverlässiger Quelle er­

fahren haben, daß der ehemalige ungarische Ministerpräsident Graf Bethlen in der Nähe von Moskau, wohin er nach dem Einmarsch der So­wjettruppen nach Budapest verbracht worden ist, gestorben sei. Bethlen war von 192131 Mi­nisterpräsident.

PARIS. In Frankreich treten heute sämtliche Staatsangestellten und Beamten in einen 24stün- digen Streik. Auch im Rundfunk herrscht völ­lige Funkstille.

WIEN. Gegenwärtig wird gegen eine Bande von Rauschgifthändlern verhandelt, unter denen sich auch der Chefchirurg des Krankenhauses eines Wiener Vororts befindet. Der Arzt, von dem 5 kg Morphium, die nach der Schweiz ge­schmuggelt werden sollten, stammen, behauptet, Geld gebraucht zu haben, um seine 19jährige Tochter, die auf geheimnisvolle Weise entführt worden war, suchen zu können.

ROM. Im Palazzo Venezia ist am Montag der zweite Weltgesundheitskongreß, der von Dele­gierten und Beobachtern aus 81 Nationen be­sucht wird, eröffnet worden.

TIRANA. Wie der albanische Rundfunk mit­geteilt hat, ist das Todesurteil gegen den frühe­ren stellvertretenden Ministerpräsidenten Dodze vollstreckt worden.

MIAMI. Neun Finnen, die den Ozean mit einem 9 m langen Boot überquert und angege­ben haben, vor sowjetischer Verfolgung geflohen zu sein, werden von den Einwanderungsbehör­den überprüft werden.

FES (Marokko). Ein heftiger Orkan, der mit einem 2stündigen Hagelschlag verbunden war, verwüstete die Stadt Fes. In den Pflanzungen wurden große Schäden angerichtet,

NEW YORK. Die von dem amerikanischen In­dustriellen Arida bei der britischen Admirali­tät gekaufte Jacht Hitlers befindet sich zur Zeit auf der Fahrt nach den Vereinigten Staaten.

WASHINGTON. Der amerikanische Senat hat einstimmig die Ernennung John Mac Cloys zum amerikanischen Hochkommissar in Deutschland bestätigt.

Herausgeber und ChefrtJ ikteure:

Will Hanns Hebsacker und Dr. Ernst Müller Mitglieder der Redaktion: Gudrun Boden, Dr. ffü heim Gail Dr. Otto Haendle, Dr. Helmut Kleco Joseph Klingelhöfer und Franz Josef Mayer Verlag und Schriftleitung:

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Kontrolle über den gesamten Verkehr zwi­schen Berlin und den deutschen Westzonen nicht aufgeben. Die Vereinigten Staaten ihrer­seits bestanden auf schriftlichen Abmachun­gen mit den Russen, die die Möglichkeit einer erneuten, von den Sowjets alslegal bezeich- netenBlockade" gänzlich ausschalten würden.

Die Varhaftungsweile, die in der sowjeti­schen Besatzungszone nach den für die SED ungünstig ausgegangenen Volkskongreßwahlen eingesetzt hat, dauert an. Es sind ihr, vor allem in Sachsen, bereits mehrere maßgeben­de SED-Leute zum Opfer gefallen. Darunter seit Samstag auch der Oberbürgermeister der Stadt Zwickau, Paul. Müller, der dafür zur Rechenschaft gezogen werden soll, daß in sei­nem Wahlbezirk besonders schlechte Ergeb­nisse erzielt wurden, obwohl man sich gerade in dem Bergbaubezirk Zwickau einen guten Erfolg versprochen hatte.

Man ist in Berlin jetzt der Ansicht, daß der Streik der UGO-Eisenbahner mit dem Be­kanntwerden des Vermittlungsvorschlages des Generals Howley praktisch beendet sei. Die heutige Urabstimmung wird, so wird be­stimmt erwartet, eine große Mehrheit für die Arbeitsaufnahme ergeben.

Nochmals Wilhelmstraßen-Prozeß

NÜRNBERG. Der Generalsekretär der Mili­tärtribunale hat am Montag die Verteidiger des Wilhelmstraßen-Prozesses telegrafisch nach Nürnberg zurückberufen - und sie erneut zu Anwälten der Verurteilten bestellt. Die Wie­derberufung erfolgte auf ihre am 10. Mai eingereichten Berichtigungsanträge. Die Rich­ter haben bereits eine Berichtigung des Urteils in Aussicht gestellt, wie sie im Pohl-Prozeß erstmals schon erfolgte. Die Verteidiger des Wilhelmstraßen-Prozesses haben jetzt in einem Protest-Telegramm in Washington Einspruch dagegen erhoben, daß ihnen für ihre neuer­lichen Anträge eine nur fünftägige Frist zuge­billigt wurde.

Bürgermeisterkonferenz in der Schweiz

BERN. Auf dem Bürgenstock am Vierwald­stätter See tag«! zurzeit französische und deut­sche Bürgermeister, um gemeinsam interessie­rende Fragen zu beraten. Die deutschen Ver­treter wiesen vor allem auf das dringende Problem der deutschen Jugend hin, die man nicht allein, isoliert, den Versuchungen des Na­tionalismus und des Kommunismus gegenüber­stellen dürfe. Der Vorsitzende des schweizeri­schen Städteverbands, C o 11 i e r, hat den Bür­germeistern die Wünsche und Grüße der schweizerischen Kollegen überbracht.

Flüchtlingswahlkreise?

P. In letzter Zeit wird die Frage erneut leb­haft diskutiert, ob es nicht zweckmäßig wäre für die Wahlen zum Bundestag besonder« Flüchtlingswahlkreise zu bilden, um auf diese Weise eine direkte Vertretung der Interessen der Flüchtlinge im Bundesparlament zu er­reichen. Ein Vorschlag von CDU-Seite ging dahin, in jedem Land Wahlbezirke für Hei­matvertriebene zu bilden, in denen die Kan­didaten, die selbst Flüchtlinge sind, von den Parteien nominiert werden. Der Gedanke, auf diesem Weg, eine der Zahl der Flüchtlinge entsprechende Zahl von Abgeordneten ins Parlament zu bringen, hat ohne Zweifel auf den ersten Blick etwas Bestechendes, gleich, in welcher Form er verwirklicht würde. Denn darüber, daß die Millionen Deutsche, die ihre Heimat verloren haben und die unter außerordentlich schwierigen Verhältnissen sich wieder eine Existenz aufbauen müssen, ein besonderes Anrecht auf eine ihrer Zahl entsprechende Vertretung ihrer Anliegen, Nöte und Interessen haben, dürfte es eigentlich keine Meinungsverschiedenheiten geben. Ein- wände, eine getrennte Abstimmung der Flüchtlinge bereite außerordentliche, techni­sche Schwierigkeiten, haben kein Gewicht, denn diese Schwierigkeiten könnten auf jeden Fall überwunden werden.

Wohl aber scheint uns eine getrennte WahJ aus allgemein politischen Gesichtspunkten nicht nur unzweckmäßig, sondern untauglich das Problem zu lösen. Der Flüchtlingsmini- ster in Niedersachsen, Pastor Heinrich Abertz. hat in der Hamburger ZeitungDie Welt zu der Frage Stellung genommen und dabei auf einen Gesichtspunkt hingewiesen, der beson­dere Beachtung verdient. Er stellt fest, daß in einem Augenblick, in dem wenigstens für Westdeutschland das erste Mal nach dem Zu­sammenbruch eine gemeinsame Willensaktion durchgeführt werde und eine gemeinsame Vertretung der Deutschen in diesem Raum zustande kommen soll, es vollkommen un­möglich sei, aus politischen Gründen, die weit über die Flüchtlingsfrage hinausgehen, zwei getrennte Wahlen durchzuführen.Dies würde die Demonstration eines Risses be­deuten, der zwar unheilvoll genug ist, den zu überwinden aber die erste und vernünftigste Aufgabe des Parlaments sein wird, das als erstes überhaupt die Möglichkeit dazu hat In der Tat: es gibt keine dringlichere Aui- gabe, als diesen Riß zu überwinden und al­les zu tun, um den Unterschied zwischen den Heimatvertriebenen und den Alteingesesse­nen, zwischen Neubürgem und Altbürgem, zu beseitigen auch äußerlich.

Eine Zeitschrift schrieb vor kurzem von den zwei Nationen, über die sich kein gemein­samer Himmel mehr wölbt.'Die Bildung vw Flüchtlingswahlkreisen würde den bedauer­lichen Tatbestand dieses Risses nur noch mein in Erscheinung treten lassen, ohne daß durdi eine getrennte Wahl die Sicherheit geboten wäre, auf diesem Weg eine bessere Vertre­tung der Flüchtlingsinteressen zu erreichen. Behandeln die Parteien selbst die Sache der Heimatvertriebenen nicht als ihr eigenes und dringliches Anliegen, dann hilft auch eine ge­trennte Wahl nicht. Dann wird der Riß nur noch tiefer. Eine Wahl Im Zeichen des Vor­handenseins von zweierlei Staatsbürgern: käme darin nicht nur zum Ausdruck, daß die Sache der Flüchtlinge eine Interessenange­legenheit einer Gruppe, eines Teils nicht aber eine solche des ganzen Volkes wäre?

Der freie Nachmittag

Von Ruth von Ostau

Am Mittwoch hat Schwester Beate Ausgang, Es ist der einzige Lichtblick der Woche, denn Schwester Beate hat einen schweren Dienst bei einer alten Dame, die herzkrank und sehr boshaft ist und sie von früh bis-abends mit Nichtigkeiten quält. Am Mittwochmorgen ist es stets besonders schlimm, dam dann weiß die Patientin, daß sie am Nachmittag kein Quälobjekt hat und mit ihrer Nichte vorlieb nehmen muß, die sich nichts gefallen läßt.

Heute ist wieder Mittwoch, und obwohl sich die alte Dame ganz besonders widerwärtig be­nimmt, verliert Schwester Beate nicht die Geduld, sondern bleibt in unanfechtbar guter Stimmung. Es ist ein strahlender Tag, auf ihrem Bett liegt ausgebreitet ein neues Kleid, und im Kino hofft sie einen jungen Mann mit blauem Schlips zu treffen, den sie in der vorigen. Woche flüchtig kennen gelernt und der sie gefragt hat, ob sie am kommenden Mittwoch wieder die Nachmittagsvorstellung besuchen würde. Sie hat ja gesagt, und des­halb geht ihr vielleicht alles so schnell von der Hand. Sie singt und lächelt, als die Alte schimpft, sie richtet das Bett, das Essen, die Medizinen und legt Bücher und Zeitungen griffbereit auf den Nachttisch.

Endlich ist sie fertig und kann in ihre win­zige Kammer verschwinden, die Haube von dem befreiten Haar nehmen und die strenge Schwesterntracht mit weicher, neuer, heller Seide vertauschen. Sie sieht in den Spiegel und ist glücklich, dann tritt sie ans Fenster und blickt auf die besonnte Straße, auf der sie in den nächsten Minuten mit eiligen Schritten der Freiheit entgegenlaufen wird. Plötzlich läutet die Hausglocke. Beate beugt sich über das Fensterbrett und erkennt das kleine Mädchen, das die Nichte der alten Dame herüberzuschicken pflegt, wenn sie ihre Vertretung absagt, sie erkennt sogar den Brief, den das Kind in der Hand hält.

Schwester Beate schließt die Augen und hält sich die Ohren zu, sie will nichts sehen und nichts hören und sich durch nichts, gar nichts zurückhalten lassen. Sie hätte ja ebensogut schon aus dem Hause sein können und weder Kind noch Brief bemerkt haben; die Nichte hafte eher Bescheid geben müssen, sie hätte.. Beate nimmt die Hände von den Ohren. Läu­tet es noch? Nein! Ist die Alte aus ihrem Mittagsschlaf aufgewacht? Nein. Hastig holt Beate Handtasche und Mantel aus dem Schrank und schlüpft auf den Gang. Im Tür­briefkasten blinkt etwas Weißes, sie geht schnell daran vorbei. Das Kind wird der Mut­ter sagen, daß niemand aufgemacht hat, also liegt keine Gefahr vor, daß die Alte allein bleibt.

Nicht mehr daran denken, sondern' genießen, sich freuen, den ganzen trüben Altweiberspuk hinter sich werfen und jung und erwartungsvoll sein, alles zudecken mit dem Glücksgefühl der Freiheit, alles betäuben, auch diesen klei­nen, schwarzen Wurm, der irgendwo verbor­gen sitzt und nagen will.

Sie stürzt aus der Wohnung wie aus einem Gefängnis. Treppe, Sonne, Straße, noch eine und noch eine Straße, ein Platz und dann das bunte Kinoplakat, unter dem der junge Mann mit dem blauen Schlips steht und sie an­lächelt. Erst als sie neben ihm sitzt und es dunkel wird, ist sie ganz losgelöst, weniger durch den Film, als durch seine Nähe, die er­regend und beruhigend zugleich ist und sie mit einem süßen und zärtlichen Rausch aus­füllt. Manchmal lehnt sie sich ganz zurück und sieht ihn von der Seite an, er ist jung wie sie und hat helles Haar und einen lusti­gen Mund.Gefällt es Ihnen? sagt er und berührt ihren. Arm, der auf der Lehne liegt. Ja, sehr! antwortet sie und ist glücklich.

Beate sieht auf die Leinwand, ohne recht folgen zu wollen. Es ist ihr ganz gleichgültig, was sich da abspielt, am liebsten würde sie die Augen schließen. Aber das tut sie dann doch wieder nicht, sondern nimmt Bild und

Handlung nur eben gerade wahr. Ein Mäd­chen in Gefahr, ein Mann, der um sie kämpft, eine kranke alte Dame, die im Bett liegt und nach Luft ringt, was war das?... Auf ein­mal muß Beate ganz scharf hinsehen. Ein al­tes, verfallendes Gesicht, kraftlose Hände, die ins Leere greifen, ein zerwühltes Bett, Kissen auf der Erde, verfließende Medizin, ein Mund, der schreien will und zu schwach ist, ein dürftiger Leib, der sich bäumt... Beate faßt nach ihrer Tasche.Ich muß fort, flüstert sie,

meine Patientin _Aber der Film ist

doch gleich zu Ende, flüsterte der jungeMann zurück,warten Sie doch..Ruhe! zischt jemand von hinten, aber Beate ist schon auf­gestanden und drängt sich an der Reihe leise aufgrollender Zuschauer zu dem Friesvorhang, hinter dem sie die Tür aufstößt.

Wie gejagt verläßt sie das leere Treppen­haus, überquert Platz und Straßen ohne Rück­sicht auf Verkehr und Passanten, immer nur die alten Hände, den Mund, die Kissen vor Augen und den erstickten Schrei im Ohr. End­lich ist sie da, kaum daß sie aufschließen kann, so bebt sie plötzlich am ganzen Leibe. Und dann steht sie atemlos vor der Tür des Krankenzimmers und kann vor eigenem Herz­klopfen erst nichts hören, aber dann... Das ist die Stimme der Nichte, das ist die Alte, sie sprechen, sie lachen, die Alte hustet. Beate lehnt sich an den Türpfosten, das kühle Holz tut gut und gibt nicht nach wie ihre Knie, die wie aus Watte sind.

Ganz leise schleicht sich Beate wieder da­von, müde und ohne Eile. Im Vorübergehen nimmt sie den Brief aus dem Kasten, öffnet ihn auf der Treppe und liest ihn im Hinunter­gehen.Sagen Sie bitte meiner Tante, daß ich etwas später als sonst komme, steht darin, Sie brauchen aber nicht darauf zu warten.

Beate geht wieder zum Kino zurück, obwohl die -nächste Vorstellung schon angefangen und sich der Besucherschwarm der ersten längst verlaufen hat. An der Kasse steht nur noch der Portier und ein junger Mann, der zerstreut

Feldblumen

Feldblumen hab ich heut gepflückt,

. Kornblau und wilde Wicken, und dir damit den Tisch geschmückt sieh, wie sie lächelnd nicken!

An allen Blumen hat der Tau des frühen Tags gehangen, und über alle ist das Blau des Himmels hingegangen.

Nun bringen sie dir sammetweich des Sommers bunten Schimmer, ein Stück von Erd- und Himmelreich hellblühend in dein Zimmer!

WILLI LINDNER

iHmtmiinnHiiimitttmitmiimmiMiiniiiiiiMiiMiniiiiiiiiiiMiimiKminii

die Plakate studiert. Er trägt auch eins 1 blauen Schlips, aber es ist ein anderer juriä® Mann, den Beate nicht kennt und der jetej unruhig an ihr vorbei die Straße hinab sie« 1 und plötzlich ein hellgekleidetes, winkend« Wesen entdeckt, das auf ihn zuläuft verschwinden im nächsten Augenblick J® Eingang zu den Kinoräumen. Beate geht lang* sam weiter. _

Das Kaiser-Wilhelm-Institut fjk Chemie, das bisher in Tailfingen untergebracn war, soll demnächst nach Mainz verlegt wera®- Das Institut für Physik verbleibt mit zwei lungen in Hechingen, während andere Abteil« gen nach Göttingen übersiedeln.

Der Direktor der Württ. Landesbibliothek, Df- Wilh. Hoffmann, übergab am Samstag den ßen Lesesaal der Landesbibliothek in Stuttgaj seiner Bestimmung. Die Bibliothek birgt b® wieder rund 150 000 Bücher, über 400 000 Bano sind noch an verschiedene Stellen des Lano verlagert.

Die Leitung der Salzburger Festspiele hat sidj durch den tragischen Tod der Kammersäng Maria Cebotari gezwungen gesehen, Kammersängerin Jarmila Novotna für die tien, die für die nunmehr Verstorbene vorg®

sehen waren, zu verpflichten.