SCHWÄBISCHES
TAGBLATT
MITTWOCH, 15. JUNI 1949 Ü B ER P A R TEI LI CH E Z E IT U NG Fü R W ÜRTTEMBERG UND HOHENZOLLERN 5. Jahrgang / nummer 70
Vertagung bis Herbst unvermeidlidi Gerecht und sauber
TRIEST. Im Freistaat Triest sind am Sonn tag /Wahlen durchgeführt worden, bei denen sich rund 86 Prozent der Wahlberechtigten beteiligten. Von den 60 Sitzen haben die italienischen Parteien, die für eine Rückkehr Triests zu Italien eintreten, 40 Sitze erringen können, davon allein 25 die christlichen Demokraten. Die Wahlen haben das erwartete Resultat gehabt. Bemerkenswert ist höchstens, daß die Partei der Tito-Kommunisten praktisch vom politischen Schauplatz verschwunden ist.
Abschnürung Titos
WARSCHAU. Am Montagabend ging in der Nähe von Breslau eine dreitägige Kominform- Konferenz, die sich mit der Ausarbeitung eines Planes zur wirtschaftlichen Abschnürung Jugoslawiens vom Osten als Gegenmaßnahme gegen das „verräterische Abschwenken Marschall Titos von der Kominformlinie“ beschäftigte, zu Ende. Die Beschlüsse der Konferenz sollen in Kürze in allen Hauptstädten der Kominform- länder veröffentlicht werden.
Einigung der Außenminister über Oesterreich-Vertrag wahrscheinlich
PARIS. Am Dienstag ist der Außenministerrat um 16.30 Uhr wiederum zu einer Sitzung zusammengetreten, die bei Redaktionsschluß noch nicht abgeschlossen gewesen ist, in der aber aller Wahrscheinlichkeit nach die endgültige Entscheidung darüber gefallen ist daß sich die Außenminister am Donnerstag vertagen werden. Offenbar haben sie sich bereits über das Wochenende darüber geeinigt, daß sie im September zu einer neuen Konferenz in den Vereinigten Staaten zusammentreten wollen. Bis dahin sollen sich die Außenministerstellvertreter mit den Problemen der Einheit Deutschlands und der Vorbereitung eines Friedensvertrages mit Deutschland befassen.
In diesen Abmachungen glaubt man immerhin einen Erfolg der Konferenz sehen zu können, da dadurch der Kontakt zwischen den vier Großmächten gewahrt bleiben und die
„Kraft unserer obersten Gewalt“
Militärgouverneure entscheiden für Länderchefs gegen den Parlamentarischen Rat
WIESBADEN. Die Antwort der Militärgouverneure auf die in unserer letzten Ausgabe veröffentlichte Anfrage der Länderchefs, ob der Parlamentarische Rat oder die Minister-. Präsidenten in letzter Instanz für die Abfassung des Wahlgesetzes zuständig seien, hat, wie Südena erfährt, folgenden Wortlaut:
1. In unserem Schreiben vom 1. Juni (veröffentlicht im „Schwäbischen Tagblatt“ vom 4. Juni. Die Red.) haben wir... Sie ermächtigt, das vom Parlamentarischen Rat angenommene Wahlgesetz in der entsprechend dem Inhalt dieses Schreibens abgeänderten Fassung zu verkünden ...
2— Wir haben Ihnen in unserem Schreiben vom 12. Mai mit dem Ihnen unsere Genehmigung des Grundgesetzes vermittelt wurde, mitgeteilt, daß wir Ihnen in Kürze Anweisungen für die Durchführung des Wahlgesetzes übermitteln würden, das damals von. uns noch geprüft wurde. (Die Vorbehalte der Militärgouverneure zum Grundgesetz, wie sie in deren gleichzeitigem Schreiben an den Ratspräsidenten Dr.- Adenauer formuliert waren, sind im „Schwäbischen Tagblatt“ vom 14. Mai veröffentlicht worden. Die Red.) Es ist daher unsere wohlüberlegte Auffassung, daß die nachfolgende Ratifizierung des Grundgesetzes durch die Länderregierungen in der vollen Erkenntnis durchgeführt worden ist, daß das vom Parlamentarischen Rat beschlossene Wahlgesetz von den Militärgouverneuren noch erwogen wurde und von ihnen abgeändert werden konnte. Wir haben nunmehr kundgegeben, daß wir dieses Wahlgesetz, vorbehaltlich bestimmter, von uns selbst geforderter und gewisser weiterer von den Ministerpräsidenten einstimmig vorgeschlagener Aen- derungen, genehmigen werden. Wir haben die gegenüber der Verfassungsmäßigkeit des in
dieses Thema gesprochen worden ist. Haben sich die CDU-Politiker in dieser Frage eine ähnliche Rückendeckung verschaffen wollen, wie zuvor die Leitung der SPD, die sich bei der kritischen Entscheidung, ob sie die Forderung der Militärgouverneure nach einer föderalistischeren Gestaltung des Grundgesetzes ohne Gefährdung des ganzen westdeutschen Staates übergehen könnte, offenbar auf ermutigende Informationen Morrisons gestützt hat?
Die Militärgouverneure sind bei dem Streit über das Wahlgesetz im ganzen sehr formal und sehr korrekt verfahren. Aber unbeschadet aller Sympathien für das Mehrheitswahlsystem erhebt sich die Frage, ob die junge Bundesrepublik Deutschland nicht in Mißkredit gerät, wenn ihre maßgebenden Politiker auch in Fällen, wo es nicht notwendig, d. h. nicht durch das Besatzungsstatut oder andere Anordnungen der Alliierten vorgeschrieben ist, die deutsche und die demokratische Ebene der Auseinandersetzungen verlassen, um mit Hilfe der fremden, in diesem Bereich diktierenden „obersten Gewalt“ ihre Meinung als Deutsche gegen Deutsche, bzw. als Partei gegen Partei durchzusetzen (Die Red.).
internationalen Spannungen herabgemindert werden könnten. Das eigentliche Ergebnis der Konferenz wird dagegen lediglich in einem begrenzten Handelsabkommen für Berlin bestehen, das den Ost-West-Handel fördert, einen festen Wechselkurs für die West- und Ostmark schafft und den Westmächten freien Zugang nach Berlin zusichert.
In bezug auf den Friedensvertrag mit Oesterreich glaubt man noch im letzten Augenblick zu einer Verständigung kommen zu können. Die Russen haben sich einverstanden erklärt, 150 Millionen Dollar in ehemaligem deutschem Eigentum in Oesterreich zu erhalten und damit auf jegliche Reparationsforderung gegen Oesterreich zu verzichten. Wy- schinski soll auch bereit sein, die Gebietsansprüche der Jugoslawen nicht weiter zu unterstützen, sowie einer raschen Zurückziehung der Besatzungstruppen zuzustimmen.
Den Montag, an dem keine Sitzung der vier Außenminister stattfand, hat Staatssekretär Acheson zu Besprechungen mit den amerikanischen Botschaftern in Moskau, London und Belgrad benützt, Außenminister Schu- m a n erledigte Arbeiten, die mit der Außenministerkonferenz nicht in Zusammenhang stehen, und Außenminister B e v i n empfing den jugoslawischen Botschafter in Paris, R i s t i c, um mit ihm über den geplanten britisch-jugoslawischen Handelsvertrag zu sprechen. *
In amerikanischen Kreisen wird mitgeteilt, daß bisher keine Informationen über eine Deutschlandreise Aehesons vorliegen. Der Außenminister soll zwar eine Einladung der Stadt Stuttgart erhalten haben, um dort nach Beendigung der Pariser Konferenz eine Rede zu halten. Acheson habe aber wegen Zeitmangels abgelehnt. Aus der Sonntagssitzung soll noch eine etwas bissige Bemerkung. Ache- sens nachgetragen werden. Er machte sie zu den verschiedenen Vorschlägen Wysehinskis, die- in dem Antrag auf Zurückziehung der Besatzungstruppen gipfelten. Acheson meinte, die Vorschläge Wysehinskis seien voller Propropaganda „wie ein Hund voller Flöhe, aber“, fügte Acheson hinzu, „in Wirklichkeit gibt es nur Flöhe und keinen Hund.“
Belgische Truppen eingesetzt
Widerstand gegen Demontagearbeiten löste militärische Aktion aus
DÜSSELDORF. Am Montag haben mit Panzerwagen und Maschinengewehren ausgerüstete belgische Truppen ein zu demontierendes Werk in Bergkamen besetzt, nachdem deutsche Arbeiter einen Demontagetrupp am Betreten des Werkes gehindert hatten. (Belgische Truppen stellen in diesem Gebiet die militärische Besatzung.) Damit haben die britischen Militärbehörden ihre Drohung, im Falle eines Widerstandes gegen die angeordnete Demontage
dieser Weise abgeänderten Wahlgesetzes ge- . Truppen einzusetzen, wahrgemacht.
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äußerten Zweifel erwogen und /urückgewie- sen.
Daher ordnen wir nunmehr kraft unserer obersten Gewalt an, daß das Wahlgesetz in der durch unser Schreiben vom' 1- Juni abgeänderten Fassung in Durchführung des Art. 137 Abs. 2 des Grundgesetzes angewendet wird.
3. Dementsprechend wiederholen wir Ihnen unsere Ermächtigung vom 1. Juni, das vom Parlamentarischen Rat beschlossene Wahlgesetz mit den in unserem Schreiben vom 1. Juni angegebenen Aenderungen zu verkünden.“
Der zweite Absatz des Artikels 137 der letzen ,in Bonn angenommenen Fassung des Grundgesetzes bestimmt, daß für die Wahl des ersten Bundestags „das vom Parlamentarischen Rat zu beschließende Wahlgesetz“ gel- I® S °U- Wenn die Militärgouverneure in ihrem
Die von der Arbeiterschaft errichteten Barrikaden auf der Zufahrtstraße zu dem Werk wurde von der belgischen Einheif mit Hilfe von Panzerwagen entfernt, nachdem die Bevölkerung sich auch durch vorgehaltene Pistolen und Maschinengewehre nicht dazu zwingen ließ, die Hindernisse wegzuräumen. Widerstand wurde von seiten der Arbeiter keiner geleistet und das Werk sofort geräumt. Die belgischen Truppen — etwa 1000 Mann — besetzten die ganzen Anlagen. Am Montagnachmittag kamen dann die Demontagearbeiten in vier Werken in Gang.
Bei den Dortmunder Paraffinwerken hinderten etwa 100 Arbeiter eine Demontagekolonne daran, die Fahrzeuge, auf denen sie vorgefahren wurde, zu verlassen. Daraufhin weigerte sich der Großteil der Demontagearbeiter am Abbau teilzunehmen.
Bei den Treifstoffwerken in Wanne-Eickel nahm eine 20 Mann starke Kolonne die Abbrucharbeiten im Zeitlupentempo auf.
Der britische Zivilgouverneur für Nordrhein- Westfalen, Generalmajor Bishop, erklärte, er sei froh, daß die Anweisungen seiner Regierung bisher „ohne Anwendung physischer Gewalt oder den Einsatz von Schußwaffen“ hätten durchgeführt werden können. Entgegen den Behauptungen deutscher Gewerkschaftsführer hätten sich bei der Anwerbung von Arbeitskräften für die Demontage bisher noch keine Schwierigkeiten ergeben. Die Arbeiter, die in einem Dortmunder Werk die Flucht ergriffen hätten, würden wegen Nichtbefolgung von Anordnungen der Militärregierung vor ein Gericht gestellt.
Der Krieg im Aether geht weiter
WASHINGTON. Nach einer Mitteilung des stellvertretenden amerikanischen Staatssekretären an“ den "Präsidenten" des^Pariamen- tärs Allen erwägen die USA und Großbritan-
tarischen Rates, in dem sie seinerzeit ihre Zu- nien zurzeit neue Maßnahmen, um den Stö- ‘ im u m , ung zum Grundgesetz ausdrückten, ihre rungen ihrer Rundfunksendungen für die So-
t or * 3e halte zum Wahlgesetz ebenso deutlich ,°™ ulier t haben — da uns nicht der Wort- aut, sondern nur eine Inhaltsangabe vorliegt, nnen wir diese Frage nicht entscheiden — ie in ihrem Schreiben vom 12. Mai an die Ministerpräsidenten, dann ist die Auffassung rtafi Vertreter des Parlamentarischen Rates, u ^uur der Rat selbst eine Aenderung des ’ ‘ nne, nicht gerecht-
Ministerpräsiden-
wjetunion zu begegnen. Die seit sechs Wochen andauernde russische Störkampagne verhindere erfolgreich den Empfang der meisten der Sendungen der „Stimme Amerikas“ und der britischen Sendungen.
„Zwölf Sekunden nach dem Wechsel der Wellenlänge für eine der nach der UdSSR W„M™- «auai eine A eriuerung ues ausgestrahlten Sendungen konnte der sowje-
wahig esetzes vornehmen könne, nicht gerecht- tische Störsender bereits seine Arbeit wieder ten g „ Man kann also de « Ministerpräsiden- aufnehmen“, führte Allen aus, um zu bewei- D* a° llends «andern sie nochmals ausdrück- se £> .wie prompt die sowjetischen Tedimker die Militärgouverneure auf die Ansicht arbeiten. Ein Protestschritt bei der sowjeti-
(j„„ p —'- «im icuguuverneure aui cue Ansi
uT entarisc hen Rates aufmerksam ge- wiHÜ’ naben, gewiß nicht eines verfassungswidrigen Vorgehens zeihen.
fran»x r - es L s ^ ek * festi daß die Länderchefs der Sehe 2? 1 u e . n Zone > als sie sich mit ihrem Wun- im Qi!?™ ®i ner Abänderung des Wahlgesetzes Schier^ 6 , des Mehrheitswahlsystems auf der denton gen ° ader Konferenz der Ministerpräsi- ten riov, V< i. m i' duni nicht durchsetzen konn- Sou’vJf 11 bestehenden Vorbehalt der Militär- suverneure zum Wah i gesetz benutzten, um StanH„ U appellieren in der Hoffnung, so ihren ten tu«' vielleicht doch noch durchzuset- vor'au«^, '' erm utung liegt nahe, daß bei den oder ^Begangenen Pariser Besuchen des einen anderen dieser Länderchefs schon über
sehen Regierung sei, da er keinen Erfolg verspreche, nicht vorgesehen.
„Skandalöse“ Wahlkampferöffnung
WIEN. Eine Meldung des Wiener Korrespondenten der „New York Times“, nach der zwischen Minister a. D. Raab als Vertreter der Oesterreichischen Volkspartei (ÖVP) und einigen ehemaligen SA- und SS-Führern Verhandlungen über die Stimmabgabe ehemaliger Nationalsozialisten für die ÖVP geführt wurden, hat zu einem der größten politischen Skandale der österreichischen Nachkriegszeit geführt. Raab stellte bei einem Interview fest, einwandfreie Einstellung zum österreichischen Gedanken und Ablehnung des Nationalsozia
lismus seien Voraussetzung bei den Besprechungen gewesen. Die Behauptung der „New York Times“,“ daß die ehemaligen Nationalsozialisten bis zu 25 Nationalratsmandate, Entfernung des Justizimnisters und einen ihnen genehmen Bundeskanzler gefordert hätten, wies Raab zurück.
In Wiener politischen Kreisen weist man darauf hin, daß der Vertreter der „New York Times“ wenige Tage vor Erscheinen der Meldung eine längere Unterredung mit dem österreichischen Innenminister Helmer (Sozialist) hatte. Man fragte sich, ob es notwendig gewesen sei, den Wahlkampf mit einem Skandal zu eröffnen.
Staatspräsident Graf (ÖVP) bezeichnete das Verhalten der Sozialisten, die diese Aktion gegen die ÖVP lanciert hätten, als Versuch, die nichtmarxistische Front zu spalten. Dies sei jedoch ebenso mißlungen wie die Absicht, die ehemaligen Nationalsozialisten für die SPÖ selbst zu gewinnen.
Verfahren gegen Schacht eingestellt
STUTTGART. Die Zentralberufungskammer hat am Montag das dritte Berufungsverfahren gegen den ehemaligen Reichsbankpräsidenten Dr. Schacht eingestellt. Dr. Schwammberger, der den nicht anwesenden Dr. Schacht vertrat, hat in der Verhandlung die Zulässigkeit des neuen Berufungsverfahrens angefochten. Die Spruchkammer wird die Akten des Falles Schacht an das Befreiungsministerium in Niedersachsen senden, da Schacht jetzt in Blek- kede bei Lüneburg in der britischen Zone lebt.
Von Friedrich Rothe Unter der Ueberschrift „Auch der Staat muß anständig handeln“ hat Kirchenpräsident Pfarrer D. D. Hans As m u s s e n an den Oberdirektor des Verwaltungsrats Dr. Hermann Pünder einen offenen Brief gerichtet, in dem er ausführt, wie wenig die heutigen Maßnahmen der Behörden mit der unantastbaren Würde des Staates vereinbar seien. „Uns bewegt die Sorge, so schreibt er, „daß das Vertrauen zwischen Staat und Staatsbürger schwindet. Das Bewußtsein, dem Staat moralisch verpflichtet zu sein, nimmt ab.“
Der Kirchenpräsident weist darauf hin, daß diese Erscheinung zwar auch in dem Verfall religiöser und moralischer Substanz seinen Grund habe, aber daß auch der Staat und sein Apparat nicht freizusprechen seien. Man habe den Eindruck, daß viele Maßnahmen nicht von dem Willen einer souveränen Gerechtigkeit gegenüber dem Bürger, als vielmehr von dem Streben beherrscht seien, die Zwecke des Staates und seines Apparates zu verfolgen, die gar zu leicht ohne hinlänglichen Grund sich als das Interesse der Allgemeinheit ausgeben. In den Jahren seit 1945 sei im Interesse der Zweckmäßigkeit Treu und Glauben von seiten des Apparates nicht immer gewahrt worden.
Zur Begründung seiner allgemeinen Feststellungen führt Asmussen eine Reihe von Beispielen an. U. a. macht er den Behörden den Vorwurf, daß sie die Nachteile der Währungsreform mit allen Mitteln von sich auf einzelne Staatsbürger ab wälzten, daß Verwaltungsstellen ein einmal gegebenes Wort nicht innehalten, daß es Fälle gegeben habe, in denen der Staat aus der Entnazifizierung ein Geschäft gemacht habe, die peinlich an den alten Ablaßhandel erinnerte, daß öffentliche Anwälte allgemein zu Denunziationen aufgefor- dert haben, daß meist der Erhalt von Lebensmittelkarten von der Meldung beim Arbeitsamt oder vom Ausfüllen von Fragebogen abhängig gemacht würden: „Grobe Korruption habe ich absichtlich aus dem Spiel gelassen.“ Der Kirchenpräsident zieht daraus die Folgerungen: „Staat und Verwaltung müßten umdenken von der Zweckmäßigkeit zur Gerechtigkeit und Würde des Staates. Es muß mit der Würde des Staates unvereinbar sein, wenn ein Beamter oder Angestellter ein im Dienst gegebenes Wort nicht hält, wenn staatliche Verpflichtungen nicht erfüllt werden, wenn die Gebote wirtschaftlicher Anständigkeit nicht peinlich beachtet werden.“
Kirchenpräsident Asmussen hat mit diesen Fragen ein Problem angeschnitten, das ohne Zweifel seit langem alle aufs tiefste bewegt, die sich der verpflichtenden Aufgaben bewußt sind, vor die die Demokratie gestellt ist. In seiner Antwort zeigt Dr. Pünder die Gründe auf, die seiner Ansicht nach für diese betrüblichen Erscheinungen maßgebend sind, ohne die Feststellungen Asmussens in Abrede zu stellen, wenn er auch, wie er sagt, in manchem „den Pessimismus nicht teilt“. Er führt sie vor allem darauf zurück, daß auch der Staat, der 1945 geschaffen wurde, seine Verkörperung in schwachen Menschen finde, die ebenso wie jeder andere Staatsbürger durch die Jahre des Elends und der Not hatten gehen müssen. Manches Auge müsse in dieser Zeit des Zwielichts zugedrückt werden. „Damals nach dem Zusammenbruch waren Stäatsautorität und Staatsbewußtsein gleichermaßen geschwunden ... Militärbehörden und Besatzungsmächte regierten und verwalteten Deutschland. Sie waren befangen in der Vorstellung, ein vom Nazigeist völlig zerfressenes Volk vor sich zu haben. Der unglückliche und irrige Begriff der Kollektivschuld wurde geprägt, dem unzählige Personen ohne persönliche Schuld zum Opfer fielen ... Die Wirrnis des Jahres 1945 war wirklich keine gute Grundlage für die Wiedererweckung eines gesunden Staatsbewußtseins ...“
Dr. Pünder schließt seine Antwort: „Wir müssen uns darüber im klaren sein, daß wir nicht etwa nur zerstörte Häuser und Fabriken, sondern unseren gesamten Staat neu bauen müssen. Dazu gehört, daß wir einen Beamtenapparat schaffen, der auf bewährten Traditionen aufbauend seine Aufgabe in fortschrittlichem Geist erfüllt. Die Beachtung des Rechts und die Ausschaltung jeder Willkür müssen dabei unbedingt gewährleistet sein.“ Es bedarf keines besonderen Hinweises, daß wir mit den von Asmussen und Pünder gekennzeichneten Problemen vor einer außerordentlich wichtigen, für die Zukunft unseres Staates geradezu lebenswichtigen Aufgabe stehen. Wenn es nicht gelingt, die Ideale der Gerechtigkeit, die Grundsätze der Sauberkeit, des Anstandes, von Treu und Glauben in allen Bereichen unseres staatlichen, wirtschaftlichen und kulturellen Lebens zu verwirklichen, und allen Staatsbürgern das Bewußtsein zu geben, daß der Staat ein wirklicher Hüter einer solchen Ordnung ist, dann wird er die Achtung und Liebe nicht finden, die die Voraussetzung für seine Dauerhaftigkeit und Entwicklungsmöglichkeit bilden.
Natürlich kann die notwendige Wandlung in einem Staate, der in allen Dingen vor fast unüberwindbaren Notzuständen steht, nicht von heute auf morgen herbeigeführt werden. Aber man sollte wenigstens das Gefühl haben, daß in den verantwortlichen Kreisen auch tatsächlich alles getan wird, eine Besserung herbeizuführen.