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Donnerstag, den 30. September 1926

Fernsprecher Nr. 28

100. Jahrgang

MWinW Ir. I in Wrentzev

Jer Mörder m> Gemerrhem mit Notwehr emscholW

Königsberg» 30. Sept. Der Reichsminister für Er­nährung und Landwirtschaft, Dr. Haslinde, sprach am Mitt­woch auf Einladung der Landwirtschaftskammer für die Provinz Ostpreußen. Der Minister wies ans die schwere Lage der Provinz Ostpreußen hin und betonte, daß die Zen­tralstellen im Reich und in Preußen bemüht seien, nach Mög­lichkeit einen Ausgleich zu schaffen. Er erwähnte den vom Reichskabinett in den letzten Tagen beschlossenen Nachtrags­etat von 24 Millionen Mark, außerdem sei ein weiterer Betrag von 8 Millionen Mark zur Erleichterung der Kredit­loge der östlichen Wirtschaft und davon 5 Millionen für die Landwirtschaft ausgeworfen werden. Daneben bleibe die Reichsregierung bemüht, auch auf dem Gebiet der erhöhten Rentabilität der Landwirtschaft ihr Möglichstes mit Rat und Tat zu tun. Der Minister sprach zum Schluß den Wunsch aus, daß Ostpreußen auch in Zukunft unter der Wirkung einer pflegenden und fördernden Fürsorge des Mutterlandes eine gedeihliche Entwicklung nehmen und daß alle diese Maßnahmen getroffen und ausgenommen würden in dem Bewußtsein deutscher Zusammengehörigkeit. In den nächsten Tagen unternimmt der Reichsernährungsminister eine Informationsreise durch Ostpreußen und kehrt am Frei­tag abend nach Berlin zurück.

Die Bluttat i« Germersheim

Die Untersuchung der ruchlosen sranchsischen Mordtal in Germers he im hat folgendes ergeben: In der Nacht zum 27. September, gegen 1 Uhr, gingen vier junge deutsche Arbeiter, die Bier getrunken hatten, jedoch n i ch t betrunken waren, auf dem Heimweg am Ludwjgsto- vorbei. Dort sahen sie einen Zivilisten stehen und fragten sich, was der wohl im Schilde führe. Einer der jungen Leute, Richard Holz- m a n n, näherte sich dem Unbekannten, worauf dieser sofort mit einer Reitpeitsche auf Holzmann einschlug und drei Schüsse abgab, von denen einer Holzmann ins Gesicht traf. Der Verletzte begab sich zum Arzt, die anderen Deut­schen entfernten sich nach der Stadt. Unterwegs trafen sie den Fuhrmann Josef Math es, dem sie den Vorfall er­zählten. Mathes sagte, man müsse feststellen, wer der Täter sei, und sie warteten nun bis der Franzose, der Leutnant Rouzier vom Artillerieregiment 311, kam, zu dem sich inzwischen ein weiterer Franzose gesellt hatte. Die Deutschen folgten den Franzosen, der eine gab dann wieder 6 Schüsse ab, von denen einer den Emil Müller im Rücken tödlich traf; Mathes wurde am Kopf so schwer verletzt, daß er wohl nicht mit dem Leben davonkommen wird.

Der Leutnant Rouzierist in Germersheim wegen sei­nes Herausfordenden Benehmens bekannt, wie auch in die­ser Beziehung das Artillerieregiment 311 sich hervortut. Bei den schmählichen Ueberfällen am Kriegertag in Germers­heim waren Rouzier und seine Leute die eifrigsten, die die- deutschen Fahnen herabgerissen und auf die Deutschen schimpften. Wie dasRheinische Volksblatt" berichtet, ging Müller, nachdem sein Freund Mathes niedergeschossen war, zu dem Leutnant und sagte:Monsieur, du hast meinen Freund erschossen!" Rouzier rief:Egal, du auch kaputt!" und schoß auch Müller nieder, der sofort tot war.

Nach der Tat begab sich Leutnant Rouzier in Schutzhaft, er wurde aber von der französischen Behörde alsbald auf freien Fuß gesetzt. Die französische Behörde verlangte, daß die gerichtliche Leichenöffnung Müller durch fr an- , zösische Aerzte vorgenomme» weiche, wogegen der I

VriMr Müllers, der die rechtmäßige Leichenöffnung durch deutsche Aerzte verlangte, Widerspruch erhob. Die deut­schen Behörden fügten sich jedoch der französischen Forde­rung. Ein deutscher Arzt war aber als Beobachter zugegen. Man fand die tödliche Kugel im Rücken stecken, Rouzier hat demnach den Müller von hinten erschossen. Die Unter­suchung gegen Rouzier wird nicht auf Grund von Totschlag, sondernnurKörperverletzung ge­führt natürlich, es handelt sich ja nur um Deutsche.

Indessen auch das ist der Regierung Poincares noch viel zu viel. Die Agentur Havas veröffentlicht alsTelegramm aus Mainz" die halbamtliche Erklärung: Nach denin Mainz eingezogenen Erkundigungen" seien am letzten Sonn­tag mehrfach französische Soldaten von Deutschenheraus­gefordert" worden. In der Nacht um 1 Uhr hätten sechs Deutsche einen Offizier angegriffen und geschlagen. In der Notwehr (!!) habe er einen seiner Angreiferver­wundet", nachdem er einen Schreckschuß abgegeben hatte. Auf dem Heimweg sei er erneut angegriffen worden und dann habe er wieder in derNotwehr" sich verteidigt, wobei ein Deutscher getötet, ein weiterer verwundet wurde.

Es ist kaum zu bezweifeln, daß der Mörder freikommen oder im schlimmsten Fall mit einer sehr gelinden Strafe davonkommen wird, wie es hundertmal im Ruhr- und Rheingebiet der Fall gewesen ist und immer sein wird. Die Schuldigen sind vielmehr, wie immer, die Deutschen, und sie dürfen froh sein, wenn man ihnen nicht wieder mit neuen Sanktionen" kommt. Gut. Wie steht es aber mit den Annäherungsversuchen"? Wenn man darunter bloß versteht, Laß die Deutschen sich bis aufs Hemdent­waffnen", zu allem ja sagen und einige Milliarden Extra- lösegeld neben der Dawesentschädigung zahlen, während der neueFreund" Franzose in seinem Verhalten und in seinen Ansprüchen alles beim alten läßt, dann können wir auf eine solcheAnnäherung" auch verzichten.

Neue Ausschreitungen in Germersheim

Nach den Blättermeldungen erstattete ein Streckenwärter in Germersheim Anzeige, daß in der Nacht auf Dienstag aus einem Auto, das anscheinend von einem Franzosen ge- ' steuert wurde, auf ihn ein Schuß abgegeben worden sei.

Das Artillerie-Regiment 311 soll aus Germersheim weg­oerlegt und durch das Artillerie-Regiment 5i2 aus Mainz ersetzt werden-

Der Leutnant Rouzier soll nach Landau gebracht worden sein. Die Besatzungsbehörde hat die Leiche Müllers noch nicht freigegeben; sie sollte am 29. September beerdigt wer­den. Die Franzosen scheinen eine öffentliche Beerdigung nicht dulden zu wollen.

Nachträglich wird noch folgender Vorfall bekannt. Am Sonntag, abends gegen 10.30 Uhr, wurde ein junger Man« von 17 Jahren auf der Straße von französischen Militärs, die aus einem Haus herauskamen, ohne jeden Grund an­gehalten, in den Hausgang hineingezerrt und von einem Franzosen in Zivil mit der Reitpeitsche bearbeitet unter der Beschuldigung, er hebe einen Franzosen geschlagen. Dann wurde der junge Mann von einer vier Mann starken fran­zösischen Streifwache auf die Wache geschleppt und dabet fortwährend durch Kolbenstöße und Hiebe auf Rücken und Kopf mißhandelt. Als sich die Verlogenhet der Anschuldigung herausgestellt hatte, wurde der übel zugerichtete junge Mama um 12 Uhr aus der Kaserne entlassen.

Berlin, 29. Sept. Die Reichsregierung wartet den Be­richt des stellvertretenden Reichskommissars Grafen Adel­mann ab, ehe sie in der Germersheimer Angelegenheit Schritte unternimmt.

Tagesspiegel

Reichskanzler «. D- Dr. Luther ist in La Paz (Boliviens einAetrosfen und von der Regierung und vom Deutschen Ti uv herzlich empfangen worden.

In eine? Unterredung mit dem belgischen Ainanzmimster Franram über eine gememssme Festigung, des Franken er­klärte Psincare lautWcllm", in Frankreich fei die öffent­liche Meinung sin: die Festigung noch nicht so reif wie in Belgien, und da Frankreich zurzeit auf ausländische An­leihen zu diesem Zweck nicht rechnen könne» so lange die ausländischen Schulden Frankreichs nicht geregelt seren, so könne Frankreich jetzt noch zur Frankenfsflignng schreiten.

Der italienische Prinz Hmnbert wird demnächst in Be­gleitung des Ministers A'edeczoni, des Staatssekretärs Grandi und des Generals Babslio nach Bukarest abreifen, um dem rumänischen Königspaar die Einladung zu einem Besuch in Rom zu Überbringer,.

D»r * man sche Erstminister Averesc« erklärte Presse- ve» ec -r er:ue rumänisch-italienische Vertrag erkenne sh r ^ ^ e KinNrrle>b:'n«ü Deßarsdiens i- Rm mc-niei! an.

' Sven Hsdm Md der Völkerbund

Unter den vielen Gegenständen, die der Völkerbund in feiner siebten, am letzten Samstag geschlossenen, Vollver­sammlung zu behandeln hatte, war auch die Prüfung der Jahresberichte der Mandatsmächte und dabei beson­ders die Frage, ob die Eingeborenen der Mandatsgebiete an den Völkerbund Bittschriften richten dürfen und wie solche Bittschriften zu behandeln seien, ob sie unmittelbar an das Sekretariat in Genf vorgelegt werden dürfen, oder ob sie vielmehr durch die Regierungen der Mandatsmächte vermittelt werden müßten man kann sich denken, mit - welchem Erfolg oder ob unter gewissen Umständen die Mandatskommission Beschwerdeführer aus jenen Völkern persönlich empfangen dürfe?

Der letztere Vorschlag, den die Kommission vortrug, brachte die französischen und englischen Vertreter ganz aus dem Häuschen. Ja, der Franzose de Jo uvenel meinte sogar, die Kommission habe die Schuld an der Verlängerung der syrischen Unruhen, weil sie die dortigen Beschwerde-, führer angehört hätte. Und so wurde, im Gegensatz zu der Mandatskommission, an der seitherigen Uebung festgehalten: die Eingeborenen haben zu schweigen.

Wie stimmt dos aber zu dem ganzen Mandats- system überhaupt? Die Völkerbundssatzung (Art. 22) stellt den großen Grundsatz aus:Das Wohlergehen und die Entwicklung dieser Völker bildet eine heilige Aufgabe der Zivilisatio n." Deutsch­land habe, diese Aufgabe schnöde vernachlässigt, habe viel­mehr die Eingeborenen grausam unterdrückt, willkürliche Beitreibungen vorgenommen, die Eingeborenen zur Zwangs­arbeit und zum Militärdienst angehalten, kurz auf dem Ge­biet der kolonialen Zivilisation gänzlich versagt.

Genau das Gegenteil ist wahr. Und dies bekundet der große schwedische Forscher Sven Hedin in einem Auf­ruf, der in diesen Tagen seine Runde unter allen Völkern der Erde antritt.

Der Mandatsweg sei nur ein Schachzug der Entente gewesen, um die deutschen Kolonien ohne Entschädigung wegzunehmen. Diese Kolonien seien ebensoviel wert gewesen, wie die Staatsschulden ganz Europas. Allein die Gebiete, die England bekam, seien auf 20 Milliarden Mark ge­schätzt worden. Das Anklagematerial gegen Deutschland, das unter Lloyd Georges Leitung gesammelt und ge­druckt wurde, seiein Meisterstück der Lüge und Verdrehung". Nicht Deutschland, nein Frankreich habe Kamerun und Togo militarisiert, und der Völkerbund habe ausdrücklich seinen Segen dazu gegeben, also zu etwas, das er selbst nicht lange vorher als schwersten Vorwurf gegen Deutschland gebrandmarkt habe.

Die Deutschen haben ein Uebermaß an Kraft und Kenntnis an koloniale Unternehmungen aufgebracht. Darum blühten ihre Besitzungen. Jetzt verfallen sie in jeder Beziehung, da die Mandats st aaten schon vorher mit Kolonien übersättigt waren und nicht noch mehr Land ver­dauen können. Am 30. Juli 1923 nennt die Londoner Times" das ehemalige Deutsch-Ostafrika bereits einPara­dies der Bürokraten", wo die Mandatsverwaltung nichts anderes sei als eine Organisation zur Aufbringung der Steuern, während der Zustand der Kolonien betrübend sei. Die deutschen Plantagen sind wieder zur Wildnis gewor­den, die Steuern sind zu hoch, die Eingeborenen haben die ^E^stmöglichkeiten verloren, der Gesundheitszustand wird schlechter, man hat kein Geld und keine Zeit, man kann e i n s a ch dieKolonien nicht so vorbildlichver­walten, wie die Deutschen es getan haben."

^"En Hedin geht in seinem Aufruf hauptsächlich »E bstandpunkt aus. Die Rückgabe der Kolonien sei

kein Geschenk, sondern eine einfache Pflicht, ein gegebenes Versprechen zu erfüllen. Ja, der Engländer Dawson er­klärt den Erwerb der deutschen Koloniendie schimpflichste Handlung, die lemals im Namen der britischen Krone, der Regierung und des Volks begangen worden" sei.

sie hatten auch darauf Hinweisen können, daß Kolonien für Deutschland einfach eine Lebensnotwen­digkeit seien. Wenn wir sie zurückfordern, so tun wir es nicht, wie unlängst eine amerikanische Zeitung törichterweise bemerkt bat. aus Weltberrs-baftsaelüllen. ion-

dem weil wirein Volk ohne Raum" sind, weil wir mit unfern 63 Millionen Einwohnern auf */»? der Fläche der Vereinigten Staaten zusammengedrängt sind, da zu leben haben und nicht nur das, sondern unter den Daweslasten zu leisten haben, was noch von keinem Volk je verlangt worden ist. Sie aber, unsere ehemaligen Feinde, wollen, wie die neulichen Verhandlungen in Genf gezeigt haben, diesen Raub, den sie unter der häuchlerischen Maske eines Mandats" an sich gerissen haben, nicht mehr herausgeben, ihn vielmehr in einen dauernden Kolonialbesitz umwandeln. Verträgt sich so etwas mit unserem von ihnen so eifrig betriebenen Eintritt in den Völkerbund?

V. tt.

Neuestes vom Tage

Me Verhaftung von Metz und Goldmann Berlin, 29. Sept. Die Verhaftung des bisher unbekannten Dr. Dietz in Elberfeld, der früher Vertreter derVergisch- Märkischen Zeitung" gewesen sein soll, und des Dr. Gold- mann in Wartenburg (Ostpreußen) erfolgte wegen Ver­rats militärischer Geheimnisse. Bei einer Haussuchung wegen des angeblichen Putsches des Justiz­rats El, des Vorsitzenden des Alldeutschen Verbands, wurden Schriftstücke gefunden, aus denen hervorgeht, daß Dietz und Goldmann in, Jahr 1922 fremden Staaten eine

von Gotdmann ausgearbeitcre Tabelle Mr Sie Flugoayn oer Artillerie in Verbindung mit der Pulvermischung und der Länge der Geschützrohre zum Kauf angeboten haben. Der Verkauf kam jedoch nicht zustande, weil die militärischen Sachverständigen des betreffenden Staats erklärten, diese Tatsachen seien ihnen schon bekannt. Die Verhaftung erfolgte auf Befelst des Oberreichsanwalts. Die Verhafteten werde« nach Leimig überführt.

Me Vesahungsverminderung

Frankfurt a. Bl., 29. Sept. Die Berliner Meldung, daß etwa 6000 Franzosen aus dem besetzten Gebiet zurückgezogen werden sollen, entspricht nach Wagners Südwestd. Nach­richtendienst nicht den Taffachen. Von der Besatzung werden nur etwa 2600 oder höchstens 3000 Mann zurückgezogen,

und zwar soll dies im Lauf der nächsten Woche durchgeführt sein. Ein Teil der Truppen werde nach Frankreich zurück- »ebracht, während es sich bei den andern nur um eine Ler» fchiebung handle. Es sei beabsichtigt, das rechtsrheinische Gebietsoweit als möglich" noch im Lauf dieses Jahrs zu räumen.

Fafzistifche Ausschreitungen in Süd-Tirol

B«rlin, 29. Sept. Nach einer Meldung des .Vorwärts" haben am Sonntag abend 800 Faschisten aus Mittelitalien in der Südiiroler Stadt Sterzing schwere Ausschrei­tungen verübt. Sie zechten in den Wirtshäusern die ganze