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SCHWÄBISCHES TAGBLATT
16. Februar 1948
hebiicn geringer ist als vor dem Kriege, und daran werden auch alle Zwei-, Vier- und Fünfjahrespläne zunächst nicht viel ändern. Die bloße Tatsache, den eisernen Vorhang lüften zu wollen, genügt aber nicht. Die Wiederherstellung von normalen Wirtschaftsbeziehungen zwischen Ost und West setzt neben gutem Willen vor allem die Steigerung der landwirtschaftlichen Erzeugung in Osteuropa voraus, und die Frage, die man in den osteuropäischen Hauptstädten zu prüfen hat, lautet daher: Läßt sich dieses Ziel ohne politische Mäßigung im Innern und ohne Kredithilfe vom Ausland erreichen?
Es gibt in London vorsichtige Optimisten, die glauben, daß man sich — etwa in Warschau, Sofia und Prag — diese Frage bereits vorgelegt hat, bevor man sich anschickte, den Vorhang vorsichtig zu öffnen. Es gibt daneben aber Skeptiker, die darauf hinweisen, daß die maßgebenden Männer in den osteuropäischen Hauptstädten noch immer gute Kommunisten sind, die auch Wirtschaftsverhandlungen und Handelsverträge nur als politische Kampfmittel betrachten: Sie werden die Vorteile, die ihnen aus neu geknüpften Wirtschaftsbeziehungen mit dem Westen erwachsen, dazu benutzen, um den wirtschaftlichen Aufbau im Innern zu beschleunigen und so ihre eigene Macht zu befestigen.
Die Skeptiker hätten recht unter der Voraussetzung, daß die beginnende wirtschaftliche Annäherung Osteuropas an den Westen mit Zustimmung des Kreml gesdr'eht, und daß die Sowjetokraten in den Volksdemokratien Osteuropas nach wie vor unter der strikten Kontrolle des Moskauer Politbüros stehen. Aber hat der Kreml zugestimmt und kontrolliert er noch strikt und unwidersprochen den Raum ostwärts der Linie Stettin—Triest bis zur russischen Grenze? Das ist eine Frage, die sich nicht leicht beantworten läßt.
100 000 Dollar für Kinderhilfe
BADEN-BADEN. Auf der monatlichen Konferenz der Ministerpräsidenten der französischen Zone mit General K o e n i g wurde mit- geteilt. daß die internationale Organisation für Kinderhilfe der französischen Zone einen Kredit von 100 000 Dollar eingeräumt hat, der zum Einkauf von Lebertran, Rohwolle, Leder und Medikamenten verwendet werden soll. Anschließend wurden verschiedene Punkte de3 Planes für die Uebertragung gewisser Vollmachten an die deutschen Behörden erörtert, u. a. die Zurückziehung der Militärverwaltung von den meteorologischen Dienststellen. Weiter wurde über die Verwaltungsschulen in Speyer und Germersheim, über erweiterte Vollmachten der Länderregierungen für die Verteilung der Rohstoffe, über die Lehrerbildungsanstalten und die Auswirkungen der Kopenhagener Rundfunkkonferenz, den Lastenausgleich und die Demontagen gesprochen. Die nächste Konferenz ist am 11. März.
Bevin kommt nach Berlin
BERLIN. Oberbürgermeister Prof. Reuter teilte in der Berliner Stadtverordnetenversammlung mit, daß der britische Außenminister Bevin demnächst nach Berlin kommen werde, was übrigens auch vom Foreign Office bestätigt worden ist, wo man allerdings annimmt, daß Bevin noch den Abschluß der Verhandlungen um den Atlantikpakt abwar- ten wolle. Auch der Londoner Oberbürgermeister hat Reuter versprochen, Berlin zu besuchen. Reuter teilte dann noch mit, daß die Luftbrücke verstärkt werden solle und daß eine Lösung der Berliner Währungsfrage unmittelbar bevorstehe. Außenminister Schuman hat dem Berliner Oberbürgermeister zugesagt, daß die französische Regierung die Frage einer Eingliederung Berlins als zwölftes Land in den westdeutschen Bundesstaat noch einmal überprüfen werde. Der französische Außenminister habe außerdem erklärt: „Die französische Regierung wünscht die Wiederherstellung der Einheit Deutschlands.“
STRASSBURG. Der Straßburger Magistrat erklärte sich bereit, dem Vorschlag des britischen Außenministers Bevin, Straßburg zum ständigen Sitz des Europarates zu wählen, zuzustimmen und hierfür die erforderlichen Vorbereitungen zu treffen.
Der alemannische Raum in fränkischer Zeit
Am Montag setzte der Landeshistoriker der Universität, Prof. Dr. Otto H e r d 1 n g seine Ausführungen über Alemannen und Franken fort. Er umgrenzte zunächst den alemannischen Raum, so wie er sich in merowingischer Zeit herausgebildet hat; zunächst sind die Grenzen noch sehr fließend und werden durch die Dynamik des Stammes in steter Bewegung gehalten: im Osten weit über den Lech hinaus, wovon die Vita des Severinus eine Vorstellung gibt, nördlich der Donau dann Im Ries und dem benachbarten Schwalbfeld, wo dem Stamm in der Hausmeierzeit der fränkische Ordnungswille entgegentritt: das Schwalbfeld, an dem man besonders gut die innere Struktur und das Werden eines fränkischen Gaues studieren kann, wird zum fränkischen Gau. Im Alemannischen gibt es keine Gaunamen auf -feld. Die Südgrenze gibt zu besonders wesentlichen Beobachtungen Anlaß. Dankt die Schweiz auch der alemannischen Volkskolonisation ihre Besiedlung seit der 2. Hälfte des 5. Jahrhunderts, den Vorgang noch früher anzusetzen, besteht kein Anlaß — so werden die wichtigen Stützpunkte Zürich, Ar- bon, Bodmann, doch unmittelbar von den Ostgoten an die Franken übergegangen sein, ohne alemannisches Zwischenspiel. So wurde ihr Gebiet unmittelbares Fiskaliand, was von grundlegender Bedeutung für die mittelalterliche Entwicklung wurde. Im Westen fand das alemannische Vordringen im Elsaß seit Chlodwigs Sieg ein Ende. Uns besonders wichtig ist die Nordgrenze, nicht so sehr politisch, als in ihren Auswirkungen auf Sprache und Siedlung. Der Redner zeigte an Hand einer Skizze den breiten Grenzsaum vom Ellwanger und Murrhardter Forst bis in den Schwarzwald hinein auf. Er wies auf den Zusammenhang von Diözesan- und Stammesgrenze hin, wofür es auch anderwärts Parallelen gibt, und gab die wichtigsten urkundlichen Belege. Von da aus ging er auf das fränkische System der Grafschaften und Zenten und — wieder an Hand einer Kartenskizze — auf die Baren und Huntaren ein, als die alemannischen Organisationsformen, die den fränkischen gleichsam entgegentreten. Die Forschung über diese Probleme, deren Stand kurz charakterisiert wird« i»t noch ganz im Fluß. Angesichts der
Frankreichs Sozialisten zur Deutsch!andsirage
Ein bemerkenswerter Artikel Leon Blums
K. Das sozialistische Hauptorgan, der „Po- pulaire“, veröffentlicht — gewissermaßen als Nachklang zu dem Besuch Prof. Reuters in Paris — einen längeren Auszug aus einem Artikel, den Leon Blum unlängst, und zwar vor seiner Operation, über die Haltung der französischen Sozialisten zur Deutschlandfrage geschrieben hat.
In diesem Artikel, der schon vor einigen Tagen durch eine internationale Presseagentur verbreitet wurde, erklärt Leon Blum, daß er mit Churchill hinsichtlich der Notwendigkeit einer Einschaltung Deutschlands in die künftige föderative Organisation Europas völlig einer Meinung sei. Er billige auch durchaus die Auffassung Churchills, daß es vor allem das Werk Frankreichs sein müßte, unter das Vergangene einen Strich zu ziehen und durch eine persönliche Geste ein demokratisches und friedfertiges Deutschland wieder in den Kreis der europäischen Völkerfamilie zurückzuführen. Leon Blum betont, daß er auch schon in Buchenwald als Gefangener der Gestapo ähnlich gedacht habe, was einmal aus seinen Aufzeichnungen hervorgehen werde, die er damals in der Deportation gemacht hätte, und ganz auf der Linie dessen lägen, was vor ihm bereits der große französische Sozialistenführers Jean Jaures gtedacht und immer wieder, gepredigt habe, Europa müsse sich endlich zu einer aufrichtigen und rückhaltlosen Zusammenarbeit bekennen.
„Möglichst hohe deutsche Produktion“
„Wie aber“, schreibt Leon Blum, „kann Frankreich die Initiative zu einer Wiederaussöhnung mit Deutschland ergreifen, so lange dieses sich nicht freiwillig und spontan von dem imperialistischen und Nazigift gereinigt hat, eineii, Deutschland gegenüber, dessen wirtschaftliche Macht und Prosperität der Welt als eine neue Bedrohung für den Frieden, erscheinen könnte?“ Leon Blum erinnert an die Haltung der französischen Sozialisten, die sich gegen autoritäre Beschränkungen des Industriepotentials und besonders der Stahlproduktion Deutschlands schon längst gewandt hätten. Gerade vom Marshall-Plan habe man erwartet, daß er mit solchen Methoden aufräume, da er zu seinem Gelingen die Rückkehr Deutschlands zu einer normalen Produktion und selbst einen neuen Höchststand der Produktion zur Voraussetzung habe. Die deutsche Industrie müsse den größtmöglichen Beitrag nicht nur für den Wohlstand und das Wohlergehen des deutschen Volkes, sondern
(Von unserem Pariser Korrespondenten)
auch für das Glück und den Wohlstand ganz Europas leisten. Dieser Wunsch beseele die französischen Sozialisten ohne jeden Hintergedanken zwar, aber nicht ohne mit folgenden zwei Bedingungen verbunden zu sein:
Reparationen aus der laufenden Produktion
1. unter der Voraussetzung, daß das deutsche Volk den durch die Hitlerarmeen mit Krieg überzogenen und ausgeplünderten Ländern „angemessene Reparationen“ zahlt. Das System von Potsdam sei verkehrt, und Fabrikdemontagen könnte man nur bei ausgesprochenen Rüstungsfabriken gutheißen, aber schon nicht mehr bei Industrieanlagen, die auf Friedensproduktion umzustellen seien. Aus der laufenden Produktion müsse man nach dem Grundsatz Reparationen entnehmen, daß alles, was die auf Friedensproduktion umgestellte deutsche Industrie über den normalen deutschen Bedarf hinaus produziere, den Völkern zugute kommen müsse, die das Opfer der hitlerischen Verwüstungen waren und noch heute darunter leiden.
2. müsse Europa und Deutschland selbst davor bewahrt werden, daß sich das „Industriepotential“ Deutschlands jemals wieder in ein „Aggressionspotential“ verwandeln könne. Je mehr man das deutsche Industriepotential heraufsetze, um so notwendiger seien die entsprechenden Garantien. „Diese Garantien", so schreibt Leon Blum wörtlich, „haben wir stets gesucht und suchen sie noch heute in einem System internationaler Kontrolle, in dem auch ein demokratischer deutscher Staat seinen gleichen Platz haben wird.“
Leon Blum bedauert, daß die deutschen Sozialisten und Demokraten in diesem Punkt mit den französischen Sozialisten nicht einer Meinung seien. Er schreibt: „Wenn sie kommen und sagen: Warten wir ab bis Europa organisiert sein wird, denn weshalb will man bis dahin Sondermaßnahmen für Deutschland einführen? Warum diese unterschiedliche Behandlung und die Diskriminationen? Es gibt doch keine gültigen Gründe dafür, daß man jetzt den Gruben und Fabriken des Ruhrgebietes internationale Kontrollmaßnahmen auferlegt, von denen die lothringischen Erzgruben und flandrischen und belgischen Kohlenbecken ausgenommen sind.“ Dann, wenn sie uns. das entgegenhalten, bin ich verpflichtet zu sagen, daß es schon Gründe oder genauer gesagt einen Grund dafür gibt. Und dieser Grund ist so klar und überzeugend und so
Nachrichten aus aller Welt
BADEN-BADEN. Der französische Generalkom- missar für die deutschen und österreichischen- Angelegenheiten, Alain Poher, der zur Inspizierung verschiedener Dienststellen der französischen Militärregierung eine Deutschlandreise angetreten hat, flog am Dienstag nach einer kurzen Unterredung mit General Koenig nach Berlin ab.
HOF. Am vergangenen Samstag wurde an der Zonengrenze. 200 m innerhalb der amerikanischen Zone, von einer russischen Patrouille ein Deutscher getötet, ein weiterer schwer verletzt.
FRANKFURT. Auf einem Rheinfrachter, der von Antwerpen kommend nach Basel unterwegs war, konnten 28 Millionen amerikanische Zigaretten beschlagnahmt werden.
KOPENHAGEN. Die von der deutschen Wehrmacht aufgebaute, später mit Flüchtlingen belegte Barackenstadt Oxboel — Dänemarks sechst- größte Stadt —, steht jetzt leer und wird zum Verkauf angeboten.
PRAG. Der Staatspräsident der Tschechoslo-" wakei, Clement Gottwald, erklärte am Montag zum wiederholten Male, daß die Tschechoslowakei ihre Handelsbeziehungen zu den westlichen Ländern zu verstärken wünsche. Seiner Ansicht nach werde es keinen Krieg geben.
ROM. In ganz Italien haben die städtischen Angestellten, nachdem die Verhandlung um eine Aufwertung der Löhne gescheitert war, die Arbeit niedergelegt.
PRAG. Am Montag begann in Prag ein neuer ’ Spionageprozeß gegen sechs Offiziere der tschechoslowakischen Armee, darunter Ist ein General.
WARSCHAU. Das Kominform hält gegenwärtig in Prag oder an einem andern Ort der Tschechoslowakei eine Sitzung ab, wird aus Warschau gemeldet.
MOSKAU. Nach einer Meldung der sowjetischen Nachrichtenagentur Tass ist die amerikanische Journalistin Louise Stroijg in der Sowjetunion wegen Spionageverdacht verhaftet worden. Louise Strong, die in mehreren Büchern ein durchaus günstiges Bild von den Verhältnissen in der Sowjetunion gegeben hatte und als Mitbegründerin der englischsprachigen Zeitung der UdSSR, der „Moscow Daily News“, gilt, soll als „berüchtigte Agentin eines Geheimnachrichtendienstes“ in den nächsten Tagen über die Grenze abgeschoben werden.
MOSKAU. Der Kolchosbauer Safar Gugein aus Aserbaidschan feierte seinen 138. Geburtstag.
NEW YORK. Auf einem Militärflughafen im Staate New York startete ein Doppeldecker bereits, als der Pilot noch von außen den Propeller anwarf. Die unbemannte Maschine gewann schnell an Höhe, kreiste zv/ei Stunden lang, wobei sie in etwa 1000 m Höhe die schwierigsten Figuren flog, um schließlich zu verschwinden. Man nimmt an, daß die Maschine infolge Brennstoffmangels an einem fast unbewohnten Hügel in der Umgebung des Flugplatzes zerschellt ist.
QUITO. Nach einer Rundfunksendung über eine Invasion in Südamerika brach in Quito eine Panik aus. Demonstranten drangen in das Gebäude der Zeitung, die die Sendung organisiert hatte, ein und steckten es in Brand. Dabei kamen mehrere Menschen ums Leben. Der Schaden beläuft sich auf eine halbe Million Dollar.
starken Ueberschichtung von Gauen, Huntaren, Baren gerade in dem Ausschnitt, den die Kartenskizze aufwies, zog Herding den Schluß, daß ein Altersunterschied zwischen diesen Benennungen wahrscheinlich sei, wobei er die Huntaren als jüngere Bildungen im Vergleich zu den Gauen ansprechen möchte. Abschließend wurde die Christianisierung gleichfalls unter dem Gesichtspunkt der inneren Gestaltung des Raumes behandelt. Somit standen die großen Klöster und der mit ihnen verbundene späte Anfang einer planmäßigen fränkischen Mission im Mittelpunkt: St. Gallen, die Reichenau, und Lorsch, verbunden mit einer kurzen Charakteristik der bedeutendsten Gestalten: des Columban und des Pirmin und ihrer Schicksale innerhalb der fränkischen Politik.
August Halm
Am 1. Februar d. J. sind zwanzig Jahre verflossen, seitdem August Halm gestorben ist Es mag uns Anlaß geben, seiner zu gedenken.
Halm trat als Komponist Musikschriftsteller und Musikerzieher in die große Oeffentlichkeit. Als Musikschriftsteller übte er tiefgreifenden Einfluß aus. Ueber dem Theoretiker wurde der Komponist manchmal vergessen. Er selbst sah seine eigentliche Berufung auf dem Gebiete des musikalischen Schaffens. Neben einer Anzahl von Symphonien und Konzerten hat er Klaviermusik und Kammermusik veröffentlicht (Streichquartette, Streich- und Klavierthos, Duette für Violine und Viola, Soloviolinsonaten und außerdem Theatermusik).
So ziemlich alles hatte der Bärenreiter-Verlag in Kassel übernommen. Als Eisenhower im Frühjahr 1945 einmarschierte, verbrannten sämtliche Auflagen. Dem Bärenreiter-Verlag ist es zu verdanken, daß das Bagatellenheft der Klaviermusik neu gedruckt wurde.
Folgende Bücher von Halm sind erschienen: 1. Von zwei Kulturen der Musik. 2. Die Symphonie Anton Bruckners. 3. Von Grenzen und I,ändern der Musik (alle 3 sind vergriffen). 4. Einführung in die Musik (Deutsche Buchgemeinschaft). 5. Beethoven (Verlag Hesse, Berlin). Die im Verlag Göschen veröffentlichte Harmonielehre stammt aus Halms jungen Jahren.
Zu den Komponisten, denen an wohlgebildeter Musik gelegen war, gehörte auch J. S. Bach. August Halm, einmal befragt, wie wohl Bach kom
poniert haben würde, wenn er jetzt lebte, antwortete: „Er würde ungefähr einen Weg gegangen sein wie ich.“ Es war kein Ausdruck der Eitelkeit, wenn er so sagte. Er wußte sehr gut, wer Bach war und wer er war, und hatte es gar nicht nötig, eitel zu sein. Mit diesem Wort sollte eben eine allgemeine Richtung angegeben werden. Wie er es sich dachte, darüber gab er in anderem Zusammenhang Auskunft. Er empfahl die Fuge und mußte zugleich die Anknüpfung an Bach empfehlen. Aber seit Bach sind zwei Jahrhunderte verflossen. Vieles hat sich indessen ereignet. Das Ereignis der Sonate liegt zwischen Bach und uns. Wer heute eine Fuge komponiert, darf nicht so verfahren, als ob einstweilen nichts geschehen wäre. Er muß die Fracht der Sonate mit sich führen, so dachte Halm. Zur Fracht der Sonate gehört auch die faszinierende Musik. Halm dachte bei seiner Antwort auch an sie. Davon geben manche seiner Fugen Kunde. Ich vermute, daß ich einem Bedürfnis der Freunde und Kenner der Musik Halms entgegenkomme, wenn ich einzelne Beispiele nenne. Zwei Stücke des früheren vierten Klavierhefts seien erwähnt: das Pastorale und die Invention. In dem Mittelstück des Präludiums zu der Pastoralefuge, in dem ausgedehnten Zwischenspiel der zweitletzten Seite der Fuge hat sich Wolfs Seele dem Geist der Fuge vermählt. Die ganze Fuge, die er Invention nennt, ist ein aus den Lustgärten seiner Seele entführter Wolf, der hier zugleich auch in eine neue Größe emporgewachsen ist. Halm wurde einmal vor die Frage gestellt, was wohl daraus geworden wäre, wenn er Wolf als ein Vierzig- und Fünfzigjähriger wieder begegnet wäre. Wolf war so ehrlich, daß ich ihn bekehrt hätte, lautete die Antwort. Dieser Wolf ist in einer Anzahl von Fugen vorhanden, die Halm komponiert hat. Haim kam von Wolf her und hat die Bekehrung bei sich selbst vollzogen. Er hatte sich zu dem Halm bekehrt, der er sein mußte. Halm war zum geistigen Menschen berufen. In Holm waltete der Geist, den wir den Spiritus creator nennen können, der den Leib der Musik, die Form, erschafft.
In diesem Frühjahr soll hier im Pfleghof ein Hausmusikabend stattflnden, bei dem Präludium und Fuge in f-moll für Streichorchester und das Klaviertrio in C-dur von Halm aufgeführt werden. Th. Karl Schmid
Typisch für Schacht
LUDWIGSBURG. Die Zentralspruchkammer von Nord Württemberg hat am Montag das erste Urteil gegen Hjalmar Schacht, das auf acht Jahre Arbeitslager lautet, wieder als rechtskräftig erklärt. Die Kammer begründete die Aufhebung des Freispruchs damit, daß jetzt Beweismaterial zur Verfügung stehe, das bei der ersten Berufungsverhandlung nicht greifbar gewesen sei.
Schacht, der die Ludwigsburger Verhandlung ignoriert und sich geweigert hatte, zu erscheinen, bezeichnete im Gespräch mit einem Korrespondenten der AP an seinem nieder- sächsischen Wohnort nahe Hamburg das Urteil als „unsinnig“. Er sei in Niedersachsen wahlberechtigt und habe mit Ludwigsburg gar nichts zu tun.
Da es keinen deutschen Einheitsstaat gebe, werde er es wohl vermeiden können, die acht Jahre Arbeitslager abzubüßen. Wenn Ludwigsbürg ihn verurteilt habe, sei das ungefähr das gleiche, wie wenn ein Einwohner der USA von einem mexikanischen Gericht verurteilt würde.
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ez. Es wäre schon viel gewonnen, wenn der Zynismus des Kommentars, den Schacht anläßlich seiner neuerlichen Verurteilung gab, einige davon heilen würde, in dieser mehr als zwiespältigen Figur unter den deutschen Politikern des Verhängnisses immer noch einen Unschuldigen zu sehen. Dieser Ehrgeizigste aller Ehrgeizigen, der doch im Grunde bei aller Expertenklugheit immer wieder an seinem Geltungstrieb scheiterte, vor 1933 und hinterher — seine „Abrechnung mit Hitler“ hat ihn zwar schon genügend bloßgestellt — schlägt nun Kapital aus den Folgen der durch das NS- Regime verursachten Katastrophe, dem er zumindest so lange treu gedient hat, als es ihn akzeptierte.
Gott sei Dank, gibt es kein Deutschland mehr, denkt Schacht. Wie gut für ihn, der seinen Teil dazu beigetragen hat. Und wie bezeichnend, daß er sich derartige Aeußerungen erlaubt. Vielleicht reiht er seinen Vergleich noch nachträglich unter die Gedichte und Sprüche ein, die er an seine Gesinnungsgenossen zu verteilen pflegt. Sicher steigt dann bei Drucklegung die Auflage.
eindringlich, daß ich einige Scham empfinde, ihn hier noch einmal auszusprechen.“
„Keine Zerstückelung Deutschland“
Leon Blum wendet sich gegen eine „rückschrittliche Politik“, die wie zur Zeit des Westfälischen Friedens Deutschland zerstük- keln möchte — mit dem Hintergedanken, wenn nicht einer territorialen Annektion, dann doch eines politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Protektorats über die verschiedenen deutschen kleinen Staaten. Der Föderalismus dürfe nicht das vernünftige Maß überschreiten, da er sonst mit der politischen und wirtschaftlichen Einheit eines Staates nicht mehr zu vereinbaren sei. Als erste und lange allein auf weiter Flur hätten die französischen Sozialisten diese Haltung vertreten und würden nach wie vor für eine wohlverstandene deutsche Föderation eintreten.
Der französische Sozialistenführer schließt seine Betrachtungen mit den Worten: „Zweimal ist es uns gelungen, dem republikanischen Frankreich verständlich zu machen, was es an Natürlichem und Gerechtfertigtem in den Gefühlen des deutschen Volkes gibt. Heute ist es Sache unserer deutschen Kameraden und Freunde, dem demokratischen und sozialistischen Deutschland begreiflich zu machen, was in den Gefühlen des französischen Volkes natürlich und gerechtfertigt ist.“
Herausgeber und Chefredakteure; W. H. Hebsacker, Dr Ernst Müller und Alfred Schwenger Mitglieder dei Redaktion. Gudrun Buden. Dr. Wilhelm Gail Dr. Otto Haendle, Dr. Helmut Kiecza. Joseph Klingelhöfer und Franz Josef Mayer
Verlag und Schriftleitung* Tübingen Uhlandstrade i Monatlicher Bezugspreis einschi. Trägerlohn 2.* DM. durch die Post 2.27 Einzelverkaufspreis 20 Pt
Erscheinungsrage. Montag. Mittwoch- Samstag Unverlangte Manuskripte werden nur bei Portobeilage zurückgegeben
Helmut Käutner verurteilt
In München fand jetzt der Prozeß des Jesuitenpaters Max Gritschneder gegen den Filmproduzenten Helmut Käutner statt. Käutner wurde wegen Beleidigung Gritschneders zu einer Strafe von 300 DM verurteilt, da er den Pater als Dieb und Lügner bezeichnet hat. Gritschneder, der sich im Auftrag der kirchlichen Stelle „Bild und Film“ als Volontär im Filmatelier Geiselgasteig aufhielt, hatte sich das Drehbuch des Films „Der Apfel ist ab“, um das daraufhin eine heftige Diskussion entbrannte, angeeignet und Abschriften davon weitergeleitet. Das Gericht stellte fest, daß Pater Gritschneder sich mit der Aneignung und Weiterverbreitung des Drehbuches einer Verletzung des Urheberrechtes schuldig gemacht hat. Käutner wird nun gegen sein Urteil Berufung einlegen und seinerseits Klage gegen den Jesuitenpater erheben. Das Streitobjekt, der Film „Der Apfel ist ab“, ist inzwischen längst fertiggestellt und läuft mit Erfolg in den Kinos Westdeutschlands.
_65 000 Aerzte in der Bizone
In einem Aufruf an alle Medizinstudenten, Abiturienten und deren Eltern warnt der Sozialminister Dr. Amelunxen in seiner Eigenschaft als Leiter des Gesundheitswesens in Nordrhein-Westfalen vor der Ergreifung des Medizinstudiums. Zur Begründung wird angeführt, daß im Jahre 1936 in Deutschland bei einer Gesamt- bevqlkerung von 67 Millionen 55 259 Aerzte tätig waren, während im Jahre 1948 die Bizone bei einer Einwohnerzahl Äm 43 Mill. 65 000 Aerzte zählte. 36 000 Aerzte sind zur Kassenpraxis zugelassen, 10 000 bis 15 000 sind in anderen ärztlichen Berufen tätig, mehrere tausend arbeiten ohne jegliche Bezahlung und 2000 sind arbeitslos ohne Aussicht auf eine Anstellung. In einigen Jahren wird Westdeutschland mehr als 80 000 Aerzte haben. _
Hans Albers, der im November vergangenen Jahres bei Uelzen einen Autounfall erlitt, hat jetzt eine Schadenersatzforderung von 400000 DM wegen Verdienstausfall angemeldet. Für die ihn damals begleitende Schauspielerin Hansi Burg wird der Schaden auf 15 000 DM beziffert.
Wertvolle Frühausgaben der Werke Charles Dickens fielen in Toronto einem Brande zum Opfer.