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Ar. 105

Mit 1 wo ch, den 7. Mai 1930

Jahrgang 103

Kabinettsberatung über das Ostprogramm

Das Problem der Finanzierung

TU. Berlin» 7. Mat. Das Neichskabinctt beriet am Dienstagnachmittag unter dem Vorsitz des Reichskanzlers Dr. Brüning und in Anwesenheit des Neichsbankpräsi- dcnten Dr. Lnther sehr eingehend de« Entwurf eines Ge­setzes über Hilfsmaßnahmen für die notleidende,, Gebiete im Osten lOsthilfegesctzl. Die Besprechungen werden heute nach­mittag fortgesetzt.

Hierzu wird noch mitgeteilt, das Reichskabinett beabsich­tige jetzt entgegen dem vor kurzem auftauchenden und heute noch allgemein angenommenen Plan nicht nur ein sog. kleines Osthilfeprogramm zu verabschieden, sondern sofort das auf mehrere Jahre berechnete Gesamtprogramm. Die Aufwendungen für ein solches großzügiges Hilfspro­gramm werden auf mindestens 600 Millionen RM. be­rechnet. Einzelne Schätzungen der Kosten für die geplanten finanziellen, kulturellen und Verkehrsmaßnahmen gehen aber noch erheblich über diesen Betrag hinaus. Um ein Sofort» Programm handelt es sich nur insoweit, als zunächst die Finanzierung der im laufenden Jahre erforderlichen Mittel beschlossen werden soll.

Die Teilnahme des Reichsbankprästdenten Dr. Luther an den Dienstagberatungen des Neichskabinetts über die Osthilfe stand, wie die TU. von gut unterrichteter Seite er­fährt, im Zusammenhang mit der Umschuldungsfrage und den damit hervorgerufenen Kreditfragen. Im übrigen hat sich das Retchskabinett am Dienstag im wesentlichen mit den Möglichkeiten der Finanzierung des Sofortprogramms beschäftigt, dem als der ersten und grundlegenden Teilaktion des für eine Reihe von Jahren ins Auge gefaßten Ost- prgramms auch finanziell eine besondere Bedeutung zu­kommt. Bekanntlich sind im Neichshaushalt für das Ost­programm 61,3 Millionen NM. vorgesehen. Weiter sollen der Neichöbesitz in dem freiwerdenden Gebiet im Westen so­wie gewisse Restbeträge der Bank für Jnöustrieovligationen zur Finanzierung herangezogen werden. Die Neichsregie-

rung beabsichtigt nicht, den Reichsbesitz in den noch besetzten Gebieten zu verschleudern. Das hat aber zur Folge» daß die aus diesem Posten flüssig zu machenden Summen nur sehr allmählich einlaufen können. Der hierdurch zu mobili­sierende Betrag zusammen mit den Restbeträgen der Bauk für Jndustrieobligationen wird gleichfalls aus rund 60 Mill. oder etwas mehr geschätzt. Das Sofortprogramm wird noch vor der Sommerpause des Reichstags verabschiedet werde« müsse«. Schmierigkeiten bei den vorbereitenden Kabinetts- beratungcn macht im übrigen noch immer die Frage der Begrenzung des zu erfassenden Ostgebiets. Auch mit Preußen wird man sich noch über Fragen der Durchführung des Programms auseinanderzusetzen haben.

21 Millionen RM. Fehlbetrag in Bayern

TU. München, 7. Mai. In der Dienstags-Sitzung des Bayer. Landtags legte Finanzminister Dr. Schmelzte den Staatshaushalt für 1830 vor. In seiner Rede ging er davon aus, daß mit der Fehlbetragswirtschaft der letzten Jahre gebrochen und der Haushalt bestimmt ausgeglichen werden müsse. Der außerordentliche Haushalt für 1930 weist in Einnahmen und Ausgaben rund 94,73 Millionen Mark auf. Der ordentliche Haushalt zeigt bei 835,6 Millionen Mark Einnahmen einen Fehlbetrag von 21 Millionen. Zur Ab­deckung des Fehlbetrages sollen Einsparungen vorgenommen und «ineSchlachtsteuer" eingeführt werden.

Zur Reichsfinanzpolitik bemerkte der Minister u. a., es gebe niemand, der nicht eine Senkung der Steuern aufs innigste wünschen möchte. Dagegen gebe «S viele, die daran zweifeln, ob schon im Jahre 1931 eine Senkung in dem vom Reichsfinanzminister in Aussicht genommenen Aus­maße tatsächlich möglich sein werde. Bei den Ländern und Gemeinden lägen die Verhältnisse so verschieden, daß weder ein allgemein gleich dringendes Bedürfnis nach einer Sen­kung dieser Steuern anerkannt, noch eine solche Senkung durch einen Eingriff des Reiches ohne Schaffung neuer großer Verschiedenheiten herbeigeführt werden könne.

Die Abrüstungsfrage erneut vertagt

Einberufung des Abrüstungsausschusses nicht vor Ende Oktober

TU. Genf, 7. Mai. Der Präsident des Abrüstungsaus­schusses des Völkerbundes, Ser Pariser holländische Gesandte London, hatte eine Reihe von Privatbesprechungen mit den Vertretern Englands, Frankreichs und den maßgeben­den Persönlichkeiten des Völkerbundssckretartats über die Einberufung des Abrüstungsausschusses. Franzüsischerscits will man die Tagung des Ausschusses bis nach der Septembervollversammlung des Völkerbundes ver­schieben, wofür das Völkerbundssekretariat entsprechende Vorschläge machen soll.

London sucht nun für eine« Vorschlag, den Ausschuß zum 20. Oktober einzuberufen, d'e Zustimmung der Mächte z« gewinne«.

Ein Zusammentritt des Abrüstungsausschusses noch in die­sem Sommer ist jedoch nach der gegenwärtigen Lage der Ab- rüstungsfrage möglich und unbedingt notwendig, da die Londoner Flottenkonferenz die bisher als Hindernis für die Wetterführung der Genfer Abrüstungsaröeiten erklärte Secabrüstungsfrage so weit bereinigt hat, daß jetzt die Lanö- abrüstungsfrage praktisch in Angriff genommen werden könnte.

AuS den Besprechungen Londons mit den Vertretern Englands, Frankreichs und Italiens, ferner mit dem tsche­choslowakischen Außenminister Benesch und dem amerikani­sch?« Gesandten Wilson hat sich nun ergeben, daß jetzt eine Verschiebung der Tagung des Abrüstungsaus­schusses auf den Oktober oder November als feststehend angcsrh^

wird. Präsident Laudon beabsichtigt, im Hinblick auf die gro­ßen Gegensätze in dieser Frage die endgültige Entscheidung der September-Vollversammlung des Völkerbunds zu über­lassen, jedoch dürfte die Abrüstungsfrage auf der in der nächsten Woche beginnenden Tagung des Bölkerbundsrats eine größere Nolle spielen. Als M'nnd für die an sich sach­lich keineswegs begründete Verschiebung der Tagung wird angegeben, daß die psychologische Lage für eine Tagung ge­genwärtig nicht geeignet «nd die technische« Vorbereitungen noch n'cht hinreichend durchgesührt seien. Ferner müsse das Ergebnis der in London beschlossenen französisch-italieni­schen Flotten- und Sicherheitsverhandlungen abgewartet werden.

Bet derartigen Verhandlungen zeigt sich immer wieder aufs neue, daß das Völkervundssekretariat ausschließlich ei» Werkzeug der Politik der Alliierten ist, das

rücksichtslos gegen die Interessen Deutschlands gebraucht wird. Ter deutsche Standpunkt, daß jetzt eine wei­tere Verzögerung in den Abrüstungsarbeiten des Völker­

bundes völlig unbegründet und unverantwortlich fei, hat keine Berücksichtigung gefunden. Man kann unter diesen Umständen erwarten, daß auf der Vollversammlung im Sep­tember die bisherigen Arbeiten des Völkerbundes auf dem Gebiet der Abrüstung endlich der notwendigen Kritik unter­worfen werden. In neutralen Kreisen verstärkt sich der Eindruck, daß nur durch ein gemeinsames Vorgehen der an der Abrüstungsfrage wirklich interessierten Mächte eine Aenderung in der bisherigen Haltung des Völkerbundes in der Abrüstungsfrage erzielt werden kann.

Um die Reparalionsanleihe

TU. Paris, 7. Mai. Die Vertreter der Finanzministerien der Gläubigerstaaten und des deutschen Finanzministeriums setzten am Dienstag ihre Aussprache über die Auflegung der Aounganleihe fort. In zahlreichen Punkten foll bereits eine Einigung zustande gekommen sein. Die Vertreter der Gläubigermächte unterhielten sich mit den Vankenvertretern über den Abschluß des Trustvertrags zwischen der BIZ. und den einzelnen Mächten sowie über die endgültige Errichtung der BIZ. selbst. Man rechnet in Konferenzkreisen damit, daß nach der für die nächsten Tage zu erwartenden italieni­schen und englischen Ratifizierung des Haager Abkommens die Bank bis zum 16. Mai ihre Tätigkeit aufnehmen kann.

Trlbutvorschüffe auch a« Italien?

Nach einer Meldung desBerner Bund" soll die ita­lienische Negierung mit ausländischen Banken, u. a. auch mit schweizerischen, wegen Bevorschussung der nächsten fünf Jahresleistungen Deutschlands auf Grund des Joungabkom- mens verhandeln.

Kommunistenkundqebung in Berlin

TU. Berlin, 7. Mai. Die Kommunisten veranstalteten am Dienstagnachmittag aus Anlaß das Jahrestages des Verbots des Not-Frontkämpferbundes eine Demonstration auf dem Vülowplatz im Norden Berlins. Während die Kund­gebung ruhig verlief, kam es beim Anmarsch der Züge zu kleineren Zwischenfällen. 22 Demonstranten sind, wie vom Polizeipräsidium mitgeteilt wird, wegen verbotenen Waffen- tragens bezw. Tragens der verbotenen Rotfrontkämpfer­uniform zwangSgestellt worden. Ferner wurden 2 Fahnen beschlagnahmt. Am Koppenplatz wurde ein Polizeioberleut­nant von etwa 20 Notfrontkämpfern tn Uniform, die aus einem Lokal kamen, angegriffen und zu Boden geschlagen. Er trug leichte Verletzungen im Gesicht und am Hinterkopf davon. Die Täter konnten entkommen.

Tages-Spiegel

Das Neichskabinctt hat gestern «nter Hinznziehnng deS Reichsbankpräsidenten das Ostprogramm berate«, das noch diese« Sommer vor de« Reichstag komme« foll.

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Im Haushaltsausschuß des Reichstages wurde mit der Be« ratnng des Wehretats begonnen.

Der bayerische Staatshaushalt schließt mit einem «ugedeck» ten Fehlbetrag von 21,8 Millionen ab, der durch Gebühren, erhöhuug »nd eine Schlachtstener anSgcgliche« werde« soll.

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Der Sächsische Landtag wählte gestern de« Präsidenten des sächsische« Staatsrechnungshoses, Dr. Schics, znm Mini­sterpräsidenten.

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Die Behandlung der Abrüstnngsfrage im Völkerbund ist ans Betreibe« der Großmächte, besonders Frankreichs, erneut vertagt worden. Der Abrüstungsausschuß wird nicht vor Ende Oktober einbernfen werde«.

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Eine Erdbebenkatastrophe i« der indischen Provinz Birma hat nach de« letzte» Nachrichten etwa 1109 Tote gefordert.

Der Wehrelat im Haushallsausschuß

TU. Berlin, 7. Mai. Der Haushaltsausschuß des Reichs­tags begann am Dienstag die Beratung des Haushalts deS Reichswehrministeriums. Der Berichterstatter Abg. Stück- len (Soz.) wies darauf hin, daß der Haushalt einen Reichs- zuschuh von 602 Millionen beanspruche. Umfangreichere Er­sparnisse seien beim Wehretat nur möglich, wenn man von dem Grundsatz abgehe, die Möglichkeiten des Versailler Ver­trages auszuschöpfen, und wenn man besonders bas unge­sunde Verhältnis zwischen Infanterie und Kavallerie da­durch ändere, daß mehrere Regimenter Kavallerie abgeschafft würden. Auskunft verlangte der Redner besonders über die Tätigkeit der Nationalsozialisten im Offizterkorps.

Im Verlaufe der Aussprache

forderte« die Sozialdemokraten Auskunft über angeb­liche geheime Rüstungen.

Wenn der Reichswehrminister die Gerüchte nicht widerlegen könnte oder wolle, würden die Sozialdemokraten genötigt sein, im Plenum vom Reichskanzler Aufklärung zu verlan­gen. Auch der Zentrumsabgeordnete Dr. Köhler erklärte, daß seine Partei eine klare Auskunft darüber vom Relchs- wehrminister erwarte.

Reichswehrminister Groener erklärte, daß das Ministe­rium bei der Aufstellung des Haushalts mit ganz intensiver Kritik an sich selbst vorgegangen sei. Der Reichsfparkom- mtffar habe wiederholt anerkannt, - er vom Reichswehr- Ministerium bei feiner Tätigkeit tn bester Weise unterstützt worden sei. Alle angeführten Dinge seien von der Gesamt­regierung gebilligt worden. Es sei nicht so, als ob der Reichswehrminister eine Sonderpolttik führen könne ober geführt hätte. Bei alle« Maßnahme«, die außenpolitische Wirkungen haben könnte«, sei der Reichswchrminister von der Zustimmung des Außenministers abhängig. Die sozial­demokratischen Redner könnten vom früheren Reichskanzler erfahren, daß es tatsächlich so gehanbhabt worden sei. Der Reichswehrminister betonte dann,

er werde allen Versuche», de« Gehorsam in der Reichs­wehr z« untergrabe«, rücksichtslos eutgegentrete». Einen Zwang zur Beförderung eines bestimmten Prozent­satzes der Mannschaften zu Offizieren müsse er absolut ab­lehnen. Dagegen sei man eifrig bestrebt, durch Herausbeben bewährter Menschen aus den Mannschaften und Unteroffi­zieren dem Osfizierkorpö frisches Blut zuzuführen. Die Klagen über unmenschliche Behandlung der Soldaten seien nicht begründet. Die Herbstmanöver habe man beibehalten müssen, um in der Truppenführung auf der Höhe zu blei­ben. Bet der Beschaffung von Waffen und Munition sei Sparsamkeit schlecht angebracht.

Der Minister antwortete dann tn vertraulichen Aus­führungen auf die Fragen der Sozialdemokraten und des Zentrums wegen angeblicher geheimer Rüstungen. Er be­tonte dabei nochmals, daß er immer im Einverständnis mit dem Reichsaußenminister und dem Reichskanzler, also auch mit dem früheren Reichskanzler Müller, gehandelt habe.

Er habe den Wunsch, daß zwischen dem Ofsizierkorps des neuen Heeres «nd dem der alten Armee dis innigste« kameradschaftliche« Verbindungen bestehen.

Er werde daher für die nächsten Herbstmanöver auch eine Anzahl Offiziere der alten Armee sowie Abgeordnete und Pressevertreter einladen, um eine wettere Entgiftung dev Atmosphäre herbeizufllhren. Um eine einseitige politische Pressebeeinflussung der Offiziere und Mannschaften zu ver­hindern, würden die Presseberichte aller Parteirichtungeu in den Kameradschaftsheimen ausgelegt werden.

Der Haushaltsausschuß führte die allgemeine Anssprache über den ReichswehrhauShalt zu Ende. Die Weiterberatung wurde auf Mittwoch vertagt