Sette 2 Nr. 178

Ragolder TagblattDer Gesellschafter"

Dienstag, 3. August 192-

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DerFall Haas-Magdeburq

Magdeburg. 2. Augtrst- Der frühere Kraftwaqenführer des wegen des Verdachts der Anstiftung zum Mord verhaf­teten Großkaufmanns Haas, Reuter, wurde ebenfalls in Haft genommen.

Der preußische Ministerpräsident Braun hat nach der B.Z." die Forderung mehrerer Landtagsabgeordneten, den Magdeburger Fall durch einen parlamentarischen Ausschuß zu untersuchen, abgelehnt.

Der Abgeordnete für den Wahlkreis Magdeburg, Prof. Dr. Konrad Meyer hat nach demBerl. Lokalanz." beim Oberstaatsanwalt gegen Minister S e v e r i n g, den zustän­digen Ministerialdirektor und den Leiter der Landeskriminal- pölizei eine Anzeige wegen Begünstigung des Buchhalters Helling, sowie wegen Nötigung erstattet.

Einberufung der französischen Nationalversammlung

Paris, 2. August. Heute vormittag trat derMinister - r a t unter dem Vorsitz des Staatspräsidenten Dou- «nergue zusamemn, wobei der Gesetzentwurf betreffend die Destaltung der Staatsschuldentilgungskasse und eines ,,Na- Kionalamts" für das Tabakmonopol, sowie die Einberufung der Nationalversammlung (Kammer und Senat vemernfam), wie dies die Verfassung für außerordentliche Fälle vorsieht, beraten worden sein soll.

Württemberg

^ Stuttgart, 2. August. Vergütung der Natural­verpflegung bei Einquartierungen- Die Ver­gütung für die bei Einquartierungen an Angehörige der Wehrmacht zu gewährende Naturalverpflegung beträgt in den Monaten August und September 1926 127 Reichspfennig kür volle Verpflegung, 108 Reichspfennig für Verpflegung ohne Brot und 19 Reichspfennig für Brotverpflegung allein.

Verbot des Pokemkin-Films. Vom Polizeipräsidium wird mitgeteilt: Nach der erneuten Zulassung des Bildstreifens §»Das Jahr 1905 (Panzerkreuzer Potemkin)" durch die Film- wrüfstelle Berlin, sollte dieser auch in Stuttgart zur Auffüh­rung gebracht werden. Die an dem Bildstreifen vorgenom­menen Aenderungen haben seine aufreizende und den Staat Howie die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdende Wirkung nicht verringert. Das Polizeipräsidium hat des­halb die Vorführung des Bildstreifens im Polizeibereich Grotz-Stuttgart wegen Gefährdung der öffentlichen Sicher­heit und Ordnung erneut verboten.

Außer Württemberg haben noch die Regierungen von Thüringen und drei anderer Einzelstaaten gegen die Wieder- zulafsung des Films Einspruch erhoben. Die Reichsfilm- pberprüfungsstelle wird erst Ende dieser Woche die Ent­scheidung treffen.

ep Fürsorge für entlassene Strafgefangene. Bei der letz­ten bedeutungsvollen Sitzung des Landesausschusses des Württ. Vereins zur Fürsorge für entlassene Strafgefangene io Stuttgart wurde an Stelle des zurückgetretenen Prä­sidenten von Nestle, der sich in 5jähriger Vorstandschaft hervorragende Verdienste um den Verein erworben hat, Staatsrat Rau zum Vorstand gewählt. Als hauptamtlicher ^Geschäftsführer wurde der vom Staatsministerium für diesen (Zweck beurlaubte Oberrechnungsrat Stettner berufen.

Die deutschen Sachleistungen nach Frankreich auf Grund des Dawesplanes. Vertreter der württ. Landwirtschaft Gehen gegenwärtig in Verhandlungen mit Organisationen »er französischen Landwirtschaft wegen Lieferung von süd­deutschem Großvieh und von Schafen in das Wiederaufbau- gebiet, das bisher fast nur von Norddeutschland beliefert Bourde. Es scheint nicht ganz ausgeschlossen, daß die süddeut- Hchen Wünsche Berücksichtigung erfahren werden, jedoch haben bisher die Verhandlungen zu keinem greifbaren Ergebnis «-führt-

. P-10-Lokomotiven. Di« Reichsbahndirektion Stuttgart

'hat neuerdings acht dieser Lokomotiven zur Beförderung durchgehender Schnellzüge zugewiesen erhalten, nachdem schon von Jahren zwei dieser Kolosse eingestellt waren. Diese Lokomotivgattung zählt zu den schwersten Gattungen: der Achshöchstdruck beträgt 19 Tonnen, das Gesamtdienstgewicht 102 Tonnen, während die Heizfläche 302 Quadratmeter ein­

nimmt- In der Hauptsache wurden diese Lakimoklven von der Firma Borsig-Tegel gebaut und laufen jetzt in einer An­zahl von über 200 Stück auf allen deutschen Hauptbahnen. Durch die Windschneiden fallen sie ohne weiteres auf.

Schweres Unglück beim Heidenheimer Flugtag

Heidenheim, 2. August. Zu dem vom Württ. Luftfahrt- Verband veranstalteten Schaufliegen hatte sich gestern eine große Menschenmenge, schätzungsweise 5000 Personen, aus Heidenheim und Umgebung auf dem Sportplatz des VfR. ai- Westausgang der Stadt eingefunden. An den Flügen waren sechs Flugzeuge beteiligt, und zwar vier Döblinger Schulflug­zeug, ein Daimler-Leichtflugzeug und eine Raab-Katzenstein-- Maschine. Nach einigen Vorführungen, die bereits erkennen ließen, daß der zur Verfügung stehende Platz zu klein sei, begannen kurz nach 1 Uhr die Staffel- oder Gruppenflüge von je drei Maschinen. Das zweite Flugzeug Heinkel D 722 mit dem Jungflieger Drechsler stieß beim Landen stark auf den Erdboden auf; es soll, wie der Luftfahrverband mit­teilt, durch einen Windstoß aus etwa 15 Meter Höhe ab­gedrückt worden sein. Der Führer Drechsler suchte das Flug­zeug durch Motorantrieb wieder hochzubringen, es erhob sich jedoch nicht, sondern surrte über dem Boden hin, geriet gegen die Zuschauerschranke und arbeitete sich mit voller Wucht in die Menschenmenge hinein. Ein einziger Aufschrei! Die näch­sten wurden von den mit rasender Schnelligkeit sich drehen­den Flügeln des Propellers hingemäht und brachen totzusammen- Durch die Tragflächen und den schleifen­den Rumpf des Flugzeugs wurden viele verletzt.

Sofort wurde durch die anwesenden Aerzte, die Polizei­wehr und die Sanitätskolonne den Verwundeten die erste Hilfe gebracht. Die schwerer Verletzten wurden ins Bezirks­krankenhaus übergeführt, während eine größere Zahl leichter Verletzter nach Anlegung eines leichten Verbands nach Hause gehen konnten.

Getötet wurden die Brüder Georg und Rudolf Kie - ner, 20 und 30 Jahre alt, aus Gerstetten, Söhne einer Kriegerswitwe: Hans Steng'le, Werkzeugdreher aus Hei­denheim, 26 Jahre alt. verheiratet: Georg Keck, Landwirt von Hermaringen, 18 Jahre alt. und als fünfter ein Mann, dessen Personalien noch nicht festgestellt sind.

Ins Krankenhauseingeliefert wurden Ober­postsekretär Bomm aus Eybach b. Geislingen (Oberarm­bruch): Werner Bosch, Techniker aus Heidenheim, 19 Jahre alt: Anna Kolb, Heidenheim, 20 Jahre alt (Gehirnerschütte­rung): Julie Krämer, Heidenheim, 22 Jahre alt: Eugen Renner, Lehrling, von Hohenmemmingen, 16 Jahre alt (Fleischwunde im Rücken): Theodor Kraft von Königs­bronn, 12 Jahre alt (Gehirnerschütterung): Max Goren- z i g, Schlosserlehrling, von Heidenheim, 15 Jahr« alt (Ge­hirnerschütterung).

Der tief bedauerliche Unglücksfall rief in der ganzen Stadt große Bestürzung hervor. Der Fehler wird darin erblickt, daß der Landungsplatz zu nahe bei dernZuschauerschranken gelegt und die Äbfahrtbahn überhaupt zu kurz war. Eine traurige und furchtbare Lehre für künftige Veranstaltungen dieser Art im Lande. Eine Filmaufnahme, die während der Flüge gemacht wurde und die mich den Verlauf des Unglücks- fvlls enthielt, wurde von der Polizei beschlagnahmt.

Heidenheim. 2. August. ZudemFlugunglück- Nun­mehr sind die Namen von allen bei dem Flugunglück getö­teten Personen festgestellt. Außer den bereits gemeldeten Personen wurde noch getötet der 20 Jahre alte Schlosser Hans Baß aus Heidenheim.

Allmendingen OA. Ehingen, 2. August. Stillegung derZemenfabrik. Die hiesige Zementfabrik (Firma E. Schwenk, Ulm) ist zurzeit voll beschäftigt: es wird so­gar Tag und Nacht und selbst bis zum Sonntag morgen um 6 Uhr gearbeitet. Die Firma beabsichtigt, das hiesige Werk, wo über 200 Arbeiter beschäftigt werden, wie auch ihr Werk in Mergelstetten, mit noch größerer Arbeiterzahl, trotz des guten Geschäftsganges zu schließen. ... ..

Ehlingen. 2. Aug. Ausschreitungen von Ar­beitslosen. Am Samstag nachmittag wurden ver­schiedene arbeitslose Hilfsarbeiter, meist vorbestrafte Per­sonen, nachdem sie die am Vormittag erhaltene Arbeitslosen­unterstützung verzecht hatten und mit andern Gästen Streit ansingen, aus einer Wirtschaft in der Wilhelmstraße ge­wiesen. Lärmend und ioblend zoaen sie durch die Straßen»

bewarfen Kinder mit Steinen üsw. Der Polizeibeamte nahm den Hauptbeteiligten Taver Merz fest, darauf drangen die andern auf den Beamten ein, der sich ihrer nur mit Hilfe einiger Zivilpersonen erwehren konnte. Herbeigerufene Be- amte der Hauptwache brachte die Gesellen zur Polizei, wobei die Beamten von der nachfolgenden Menschenmenge bedroht und beschimpft wurden.

Möhringen a. F.. 2. August. Todesfall. 3m Al- ker von 74 Jahren ist Apokhekenbesiher Wilhelm von Ditterich gestorben. Der Verstorbene, der sich im Bezirk großen Ansehens erfeuke, war lange Jahre Vorsitzen­der des Westgauverbands der Gewerbevereine des Hand­werkskammerbezirks Stuttgart.

Schöckingen OA. Leonberg, 2. August. GlückimStall. Eine 9jährige Simmentaler Kuh des Kirchenpflegers Biren- baum brachte kürzlich zum drittenmal Zwillinge zur Welt-> Der Besitzer hat von dem Tier bereits 10 Kälber erhalten.

Maulbronn, 2. August. Brand. In Oetisheim ist das Schamottewerk Friedrich u. Cie. vollständig abgebrannt. Zwei in dem Anwesen wohnende Familien konnten nur das nackte Leben retten.

Schorndorf, 2. August. GefaßkeEinbrecher. Die beiden Einbrecher, die seit einiger Zeit hier ihr schändliches Gewerbe trieben, konnten endlich auf frischer Tat ertappt und in sicheren Gewahrsam gebracht werden.

Oberkochen OA. Aalen, 2. August. Försters Tod. Gestern wurde Förster Wilhelm Braun im Waldteil Fal- chenhau beim Ochsenberger Feld von Beerenfammlern er­schossen aufgefunden. Er war am Samstag abend in seinen Waldbezirk gegangen und kehrte nicht mehr zurück. Die Leiche, die von dem treuen Hund bewacht wurde, wies einen schweren Rückenschuß aus, der die Lunge durchschlagen hatte. Anscheinend wurde Förster Braun von seinem Jagdstand meuchlings herabgeschossen. Es wird ein Racheakt vermutet. Braun war ein tüchtiger, pflichtbewußter Forstbeamker und' hier allseitig beliebt. Er stand im 49. Lebensjahr und wurde vor 8 Jahren von Fleinheim aus hierher versetzt.

Mergentheim, 1. Aug. Der Stafettenritt nach Friedrichshafen. Am Samstag abend um 10 Uhr: nahm der Stafettenritt MergentheimFriedrichshafen beim Rathaus seinen Anfang. Die Stafette der ersten beiden Rei­ter nahm Grußbotschaften an die Stadt Friedrichshafen und: an den Protektor der Reit- und Fahrvereine Herzog Albrecht von Württemberg mit. lieber 300 Kilometer müssen im Sta­fettenritt bei Rockt und T-m zurückgelegt werden. Dies« große württembergische Stafettenritt soll ein Zeichen dafür fein, daß das Pferd auch heute noch ein wichtiges Verkehrs­mittel ist und mehr noch ein unentbehrlicher Kamerad bei der Arbeit auf dem Lande. An dem Ritt waren folgende Reiter-Vereine beteiligt: Mergentheim, Herbsthausen, Ried­bach, Kirchberg, Crailsheim, Jagstheim, Ellwangen, Roh­lingen, Wasseralfingen, Gmünd, Mögglingen, Oberbettrin­gen, Göppingen, Maitis, Süßen, Geislingen, Alb-Neiker- Verein, Reitklub Ulm, Bezirks-Reiter-Vereine Laupheim, Biberach, Waldsee, Ravensburg, Tettnang.

Aus Stadt und Land

Nagold, 3. August 1926.

8 Jeder Tag ist ein kleines Leben; jedes Erwachen und Aufstehen eine kleine Geburt, jeder frische Mor­gen eine kleine Jugend, und jedes zu Bette gehen und Einschlafen ein kleiner Tod.

Sch openhauer.

_ 7f Neberfall oder Anfall _

schreibt der Hannoveranische Anzeiger am 31. 7. 26 und mel­det folgenden Polizeibericht:

WAm Donnerstag früh gegen 6 Uhr wurde von Oberland­jäger Hansen in Misburg ein junger Mann mit einer schweren Kopfwunde in bewußtlosem Zustande aufgefunden. Der zu­nächst erreichbare Arzt Dr. Hacke bemühte sich um den Ver­letzten, der nach kurzer Zeit sein Bewußtsein wieder erlangte und auf die Frage nach seinem Namen und seiner Wohnung angab, daß er Gottlieb Maser heiße; sein Vater habe eine Landwirtschaft in Nagold bei Stuttgart. Der junge Mann

Der Lheberg

Skizze von Franz Wichmann.

Sie malten beide und liebten sich.

Aber immer konnte es so nicht fortgehen. Der Leute wegen. Man spottete über dieewige Braut". Und Hans Escher sah das ein. Man mußte sich zum letzten, einer Heirat, entschließen.

In ihrem freien Kunstlerleben hatte diese Vorstellung ihnen bisher eine mystische Scheu eingeflößt. Schiller hatte so war­nend vom Gürtel und Schleier gesprochen. Außerdem kostete jede Hochzeit Geld. Und das war nicht da. Den Weg in eine Ausstellung hatte noch keins ihrer Bilder gefunden: nur ein Händler nahm bisweilen etwas ab. Gäste konnte man also nicht laden. Eine Ziviltrauung im nahen Starnberg muhte der Frau genügen.

Helene Santen schneiderte den Sonntagsstaat ihrer seligen Großmutter zu einem Hochzeitskleide um, Hans legte sein bestes Touristenkostüm aus braunem Loden an. Das aber erweckte die Sehnsucht.

Line Hochzeitsreise sollten wir doch machen", meinte die Braut.Es braucht ja nicht gerade Italien zu sein."

Wenn es nur Weg und Richtung dahin ist", stimmte Hans bei.

So fuhren sie eine Stunde weiter südlich bis zu dem 1909 Meter hohen Peißenberg. Das Hochzeitsmahl aus Nudelsuppe, Kalbsbraten und Kartoffelsalat nahmen sie -am Fuße ein, eine Flasche Rotwein mit hinauf.

Unter dem schattenspendenden Geäst der frühlingsgrimen Linde leerten sie den Inhalt auf eine glückliche Zukunft. Bor ihnen breitete sich im Abendschein die ganze Herrlichkeit der Alpenwelt aus. Umstarrt von kahlen Zinnen und Zacken schauten ihre noch schneebedeckten Kuppen in feierlicher Unke- wegiichkeit herüber.

Als junger Akademiker stand ich zum ersten Mal hier oben", sagte Han».Nie hätte ich geglaubt, daß das einmal d«c iEheberg für mich werden würde. Wie ein beängstigender Berg lag ja die Eh« immer vor uns. Nun haben wir ihn überstiegen.

Die junge Frau schmiegte sich zärtlich an ihn.Der Ehe- derg? Ein guter Name. So soll er uns immer heißen."

Es wurde anders, als man gedacht und geträumt. Zunächst kam ein unverhofftes Glück. Hans machte eine kleine Erb. schaft. Das künstlerische Zigeunerleben war mit einem Schlage zu Ende. Da» nach Norden gelegene Dachkämmerlein ward mit einem geräumigen Atelier vertauscht. Eine elegante Woh­nung schloß sich daran. Und das Leben machte seine Rechte geltend. Man holte Versäumtes nach. Gäste gingen ein und aus. Der Eheberg war vergessen. Man schämte sich seiner. Rur von der Hochzeitsreise nach dem Süden war noch die Rede.

Ein paar Jahre ging da» so fort. Aberwie gewonnen, s, geronnen". Line» Tages überzeugten sich Hans und Helene davon, daß Sprichwörter zutresfen. Man hatte nur noch nach

eigenem Gefallen gemalt und ohne jeden klingenden Erfolg. Mit wehmütigen Blicken aus die Reste seiner Habe zog das Paar wieder nach Schwabing hinaus. Und aus dem Ehebund ward allmählich eine Geschäftsverbindung. Um sich Uber Wasser zu halten, ging jedes seine eigenen Wege. Hans, der unentwegt an die Zukunft glaubte, malte als Futurist, Helene nach dem Geschmack des Publikums. So ward sie bald zur alleinigen Verdienerin. Den Mann kränkte und verdroß das. Das Be­wußtsein, nur von der Frau erhalten zu werden, lastete wie ein Alpdruck auf ihm und lahmte seine Schaffenskraft. Um wenig­stens etwas beizusteuern, begann er für illustrierte Zeitschriften zu zeichnen. Ein paar Aufträge kamen und führten ihn außer dem Hause. Beide lernten wieder, allein zu sein. Aber so oft er wieder heimkam, sah Helene, wie der Gatte sich quälte und litt.

Wäre es nicht besser, wir trennten uns ganz?", äußerte sie eines Tages entschlossen.

Nun schien er doch erschrocken.Scheiden lassen?" fragte er verblüfft.Auch das kostet ja wieder Geld."

Und ist überflüssig", fiel sie ein.Aber wenn jedes für sich ist, könnte es freier schassen."

Nur eine Reise wollen wir wenigstens zusammen noch machen", gab er nach einigem Zögern nach.

Jetzt war das Erstaunen an ihr.Bei unseren Verhält­nissen eine Reise? Was denkst du!"

Nur über den Ammersee, nach Messen. Ich habe den Auftrag:, dort einige Skizzen zu machen, und war, wie du weißt, vorige Woche schon dort. Dabei entdeckte ich einen prachtvollen Aussichtspunkt, auf den ich dich noch führen möchte."

Sie fügte sich seiner Laune.

Der Herbst hüllte die reizvolle Vorberglandschast in die matt- aoldenen Schleier seiner Wehmut, als sie jenseits der Kloster. Kirche am waldigen Berghang emporstiegen.

Wohin führst du mich?" fragte Helene, erschöpft stehen bleibend. Ihre Haare waren schon leicht ergraut, ihre Füße müde geworden, doch Bergiuft und Steigen hatten ihre Wangen jugendlich gerötet.

Auf den Schatzberg", lächelte er geheimnisvoll.Vergessene Schätze sollen dort zu finden sein. Aber man muh den Mut haben, sie zu heben."

Als sie endlich oben standen, lag die ganze gewaltige Alpen- kette vor ihnen. Doch der Blick der überraschten Frau ruhte nur auf einem Punkte.

Dort, in greisbarer Nähe", stieß sie mit unsicherer Stimme hervor,das das ist ja unser Eheberg!"

Mit gekreuzten Armen weidete er sich an ihrem Erstaunen. Du bist die erste, die den Namen nach zwanzig Jahren wieder ausspricht!"

Ach, Han», es war doch ein schöner Tag damals!" Die Er­innerung überwältigte sie. Rasch und leuchtend, wie sie es in der Jugend getan, schlug sie die dunklen Augen zu ihm auf. Es schimmerte feucht darin. Und unwillkürlich suchte ihre Hand die seine.

Er beugte sich nieder, brach blühende Heide und steckte sie ihr an Brust und Hut. Ueber ihnen, im Gezweig der Tanne, suchte ein kleiner Vogel ein Lied anzustimmen. Aber nur ein­zelne Laute gelangen.

Ist es nicht, als ob er alter, lieber Frühlingsweisen ge­denkt?" flüsterte Hans.

Sie antwortete nicht, denn ihre Lippen lagen plötzlich aus den seinen, und er stand wie ftn Traume. Daß das noch möa-, lich war! Wie lange mochte es her sein, daß sie einander nicht mehr geküßt? Endlich fand er Worte.Helene, jetzt weiß ich es. Man kann doch noch Schätze finden, wenn man nur Mut und Willen hat. Wollen wir uns setzt noch trennen, im An­blick dieses Berges?"

Sie schüttelte das immer noch stattliche Haupt.

Wer weiß, wo ohne ihn jedes von uns wäre! Jetzt sind wir zu alt geworden, Hans. Ich sehe es ein, der Vorschlag war eine Torheit von mir. Was so lange ging, wird auch weiter gehen bis zum Ende. Der Eheberg ist stärker als wir. Er hält uns zusammen."

Rache

Von Oskar Hallendach.

Bitte, lassen Sie sich ja nicht aufhalten!" sagte ein oor- überfliegender Spatz boshaft zu einer Mücke, die eben von einer Spinne in ihr Netz gezogen wurde.

Die Mücke preßte ein Träne der Wut aus dem Auge und stemmte sich mit allen Füßen gegen die borstigen Zangenarme, die sie von rückwärts umschlungen hielten.

Da kam ihr das Schicksal zu Hilfe.

Ein junger Mann, der mit Interesse den Kampf verfolgte, ließ zufällig von seiner Zigarette ein glühendes Aschenstück aus den Rücken der Spinne fallen, daß diese vor Schmerz die Mücke freigab und an der Baumwand hinauflief.

Sie, junger Mann," sagte die Mücke,der Spatz dort hat mich in meinem Elend auch noch verhöhnt."

Das werden wir gleich haben!" entgegnete der junge Mann, zündete an der ersten Zigarette eine zweite an denn er war Kettenraucher und betrachtete den Spatzen mit einem ver­nichtenden Blick. Dann schrieb er die ganze Angelegenheit in einem Gedicht von 1479 Zeilen nieder und die Sache wurde dadurch in ganz Spatzenhausen so bekannt, daß der an den Pranger Gestellte auswandern mußte.

Wie der Spatz jenseits des Waldes sich erschöpft niederlietz, fand er ein Käsepapier, über das er sich mit gierigem Hunger hermachte. Plötzlich sah er mit Entsetzen, daß es wieder nichts anderes war als derSpinnen-Spatz" in 1479 Zeilen.

Da stürzte er sich kopfüber in einen Ameisenhaufen und ließ sich langsam totbeißen. Denn es war immer noch weniger qualvoll, als vor der ganzen Weit zuschanden gedichtet zu sein in 1479 Zeilen.