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Locarno und Berliner Vertrag

Rundfunkrede Stresermmns

j Berlin, Z. Mai. Im Berliner Rundfunk sprach am Sams-

tag Reichsautzenmimstcr Dr. Stresemann über den ! Berliner Vertrag.

! Der Abschluß des Berliner Vertrags, so führte der

Minister aus, hat die Weltöffentlichkeit stark berührt. An sich lag dazu keinerlei Veranlassung vor. Es ist der Ab- j schluß eines Vertrags zwischen zwei großen benachbarten ! Mächten und Völkern, ausgebaut aus der Absicht, Frieden und Freundschaft zu bewahren und sie fernzuhalten ^ von der Unterstützung dritter Mächte, welche gegen einen von beide« ang reifend Vorgehen- Der Vertrag ist s: daher eher eine e l b st v e r st ä n d ! i ch k e i t als eine

> Ueberraschung.

Zwischen Deutchland und Rußland besteht eine Jahr­hunderte lange überlieferte Freundschaft. Durch den Ver­trag von Ra p a l I o erklärten Deutschland und Rußland, daß sie wieder aus die alle Grundlage guter Beziehungen zueinander treten wollten. Diese Ueberlieferung mar auch stark gegenüber den innerpolitischen Umwälzun­gen i n R u ß l a n d, die zu einer Staatsgewalt und Staats­ordnung führten, die den unsrigen völlig entgegen­gesetzt ist. Sollten die Ideen dieser Staats­ordnung auf unser Land übergreifen, so würden sie stärkste Bekämpfung durch die deutsche Regierungsgewalt erfahren. Das republikanisch-demokratische Frankreich hat vor dem Welt­krieg keinen Anstoß daran genommen, in guten Beziehungen zu dem zaristischen Rußland zu stehen, so wenig beide Staats­verwaltungen übereinstimmten. Ebenso wenig aber kann Las heutige Deutschland deswegen getadelt werden, weil es mit Sowsetrußland gute wirtschaftliche und politische Beziehungen schassen will.

DasVerhältniZ der Locarnomächte zu Rußland ist Gegenstand ausführlicher Erörterungen in Locarno gewesen. Die Staatsmänner der Locarnomächte haben entschieden in Abrede gestellt, irgendwie einseitig gegen Rußland eingestellt zu sein. Nach unserer deutschen Auffassung sind alle Mächte interessiert an dem Wiederauf­stieg der russischen Volkswirtschaft. Das Hanptiib-l der heu­tigen Zeit ist die Verringerung der Kaufkraft großer Völker. Die wachsende Erzeugung der Mehrbeit findet keinen Ans- csteich in dem Verbrauch der Welt. Deutschland ist nicht der Meinung, daß es gewinne, wenn andere untergehen, sondern dann gewinnt, wenn alle zugleich mit ihm wieder aufsteioen.

Um den Berliner Vertrag zu verdächtigen, munkeln einige Leute von Geheimabkommen, die mit ihm verbunden seien. Für uns war der Rapallovertraa bedeutsam, weil mit ihm Rußland aus dem Kreis der Länder ausschied, die Forderungen aus dem Weltkrieg her gegen uns aeltend machten. Rapallo war der Beginn freundschaftlichen Neben- einanderlebens beider Nationen in einer Zeit, in der Deutsch­land außenpolitisch von anderen fortgesetzt »Her­tz r ü ck t wurde.

Die deutsche Politik hat das Ziel verfolgt, aus der Gewalt des Versailler Vertrags zu einem Nebeneinanderleben mit den Mächten des Versailler Friedens zu kommen. Deshalb bat die deutsche Regierung jene Politik geführt, die vom Ruhreinbruch und der Sanktionspolitik in der Londoner Konferenz zu dem Dawesabkommen und nach Lo­carno führte. Die Anregung zu dieser Politik ist von Berlin ausgegangen und nickt von irgend einer anderen Macht eingegeben worden. Locarno und der Ber­liner Vertrag sind nicht Gegensätze, sondern gehören zusammen. Locarno war insbesondere der gegen­seitige Verzicht aus den Kampf zwischen Frankreich und Deutschland. Trotz Nichterfüllung und der Hin­ziehung mancher zugesagter Erleichterun­gen, wie beispielsweise in der Frage der Truppen- vermin'derung im besetzten Gebiet, hat sich schon bisher der Anfang mancher neuen Entwicklung in Len Verhältnissen der beteiligten Staaten gezeigt. Der voraussichtlich bald er­folgende Abschluß der Luftfahrtoerhandlungen kann eine weitere Annäherung bringen. Die Schwierig­keiten lagen in einem G e i st von Mißtrauen, der bis heute noch nicht überwunden ist- Die Erweiteruna der deut­schen Anregungen, diee Aufforderung zu Deutsch­lands Eintritt in den Völkerbund ging von der Gegenseite aus. Die deutsche Denkschrift sah diesen Eintritt nicht vor. Sein Eintritt scheiterte an der unzureichenden Vorbereitung der Genfer Konferenz, sie schei­terte weiter an Versprechungen, die Tür und Tor für völlige Umgestaltung des Völkerbundsrats öffneten, und dadurch die Regelung des Eintritts Deutschlands unabhängig von dieser Erweiterung unmöglich machten. Dafür Deutschland verantwortlich machen zu wollen, ist un­sinnig.

Der UmschwunginderStimmung liegt weniger an dem Berliner Vertrag an sich, als an dem wieder­er st artenden Mißtrauen, zu dem ein Grund nicht vorhanden ist. Er ist auch nicht im Vertrag selbst zu suchen, da der Vertrag mit den Satzungen des Völkerbunds und mit den Locarnoverträgen durchaus in Einklang zu bring m ist Man mußte in manchen Zeitungen des Auslands zu Fäl­schungen des Textes greisen, um einen anderen Ein­druck heroorzurusen. Die Kritik beanstandet, daß Deutsch­land durch diesen Vertrag selbst entscheiden will, ob ein Staat als Angreifer zu bezeichnen sei oder nicht- Man hat die Ver­öffentlichung des dritten Punktes meiner Note an Krestinski, der kick oick diese Fra« bezieht, als Schamlosigkeit.bezeichnest

Dienstag den 4. Mai 1926 z-r^pre-her m 2 s 100. Jahrgang

Generalstreik in England

Die christlichen Gewerkschaften zeigen Rückgrat und vergelte« Gleiches mit Gleichem

London, 4. Mai. Nach dev letzte» Nachrichten ist die Besprechung Baldwius mit den Arbeiterführern und den Vertretern der Gewerkschaften vollkommen ergebnislos verlaufen. Damit ist die letzte Möglich­keit, den Streik in letzter Minute zu verhindern, ge­scheitert. Der Generalstreik hat um Mitternacht be­gonnen. In der letzten halben Stunde glaubte man noch, daß die Erklärung Churchills eine gewisse Verhandlungs- basts ergeben würde. Churchill hatte erklärt, daß die Re­gierung alles tun werde, um eine Einigung zu ermöglichen, vorausgesetzt, daß der Streik abgesagt würde. Auch der Arbeiterführer Thomas hatte für ein Eingreifen des Unter­hauses plädiert, weil die Möglichkeit bestand, daß trotz aller Abneigung der Arbeiterschaft gegen die revolutionären Tendenzen ein Streik letzten Endes revolutionären Charak­ter annehmen würde. Das Unterhaus ist indefsen aus­einandergegangen, ohne daß diese letzte Einigungsmöglich­keit einen Erfolg zeitigte.

London, 3. Mai. Am Samstag Abcnd fand bci Erst- miuister Baldwin eine fünfstündige Besprechung mit den Gewerkschaftsführern statt, nachdem diese den allgemeinen Gewerkschaftsstreik für Montag Mitternacht beschlossen hat­ten, um den Ausstand der Kohlenarbeiter zu unterstützen. Die Arbeiterführer erklärten sich zwar bereit, den Streik­beschluß rückgängig zu machen, wenn vor Montag abend noch einmal eine Verhandlung der Grubenbesitzer und der Vertreter der Kohlenarbeiter zustande gebracht werden könne,, und wenn die Regierung sich bereit erkläre, die Staatsunterstützung zunächst mindestens bis 15. Mai weiter zu zahlen. Die Aussicht auf eine friedliche Regelung schien jedoch gering, was sich auch in einer folgenden Besprechung mit d5m Hanptcmsschuß der Gewerkschaften bestätigte.

Baldwin erklärte, der Regicruna sei bekannt geworden, daß der Gewerkschaftsausschuß. die Gewerkschaften der wnv- tigstcn Industrien und Verkehrszweige (Eisenbahn usw.) zum Generalstreik aufaejordert habe und daß Hand­lungen begangen worden seien, dis einen schweren Ein­griff in die Freiheit der Presse darstelle. Das bedeute eine Herausforderung der verfassungsmäßi­gen Rechte und Freiheiten der Nation. Die Regierung ver­lange daher vor allem, daß der Ausschuß die Ungesetzlich­keiten verurteile und den Streikbeschluß zurückziehe.

Baldwin erließ eine Kundgebung an das eng­lische Volk:Bewahrt Ruhe! Denkt daran, daß der Friede in der Welt zu denen kommt, die guten Willens sind."

Am Sonntag Abend fand ein Minister rat statt, der bis 12.30 Uhr dauerte. Die wiederaufgenommenen Ver­handlungen mit den Koblenarbeitern wurden ergebnislos

abgebrochen. Der Innenminister gab bekannt, daß nicht alle Hoffnung aus Erhaltung des Friedens geschwunden sei. -och müsse man sich auf den Ausbruch des Streiks am Mon­tag nachts gefaßt machen. Die Regierung habe alle Vor- bereitungen für Aufrechterhaltung der Lebensmittelver­sorgung getroffen.

Die Regierung hat für die Sicherheit weitgehende Maß-» nahmen ungeordnet. In die Kohlengebiete ist Militär abgesandt worden, die Reserveoffiziere haben sich zur Ver­fügung zu halten, da die Radikalen zu Ausschreitungen aus- reisen. Dis jetzt haben sich etwa 100 000 Freiwillige ge­meldet.

Wenn der allgemeine Streik durchacführt würde, s» würden unter den 5 Millionen Gewerkschaftlern etwa GS Millionen des Transportgewerbes und der damit zusam­menhängenden Betriebe in den Ausstand kommen. Die Zahl der bereits streikenden Bergarbeiter beträgt etwa 1 Million. Der Hauptausschuß der Gewerkschaften schiebt Len Grubenbesitzern und der Regierung die Schuld an dev Arbeitsniederlegung zu.

I.m Hydepark in London kam es zu blutigen Zusammen­stößen zwischen englischen Faszisten und Kommunisten. Be­rittene Polizei mußte eingreifen.

Die Moskauer Blätter äußern ihre Freude über die cmße Lage, in die England durch den Streik kommen wird.

Der König iss von Windsor nach London zurückgekehrt-

*

Zum englischen Bergarbeiterstreik.

Keine Beteiligung der christliche« Bergarbeiter an der Unterstützung.

Berlin. 4. Mai. Die christlichen Bergarbeiter be­teiligen sich, wie dieB. Z." aus Bochum meldet, an der Anterstützungsaktion nicht. In Bergarbeiterkreisen wird darauf hingewiesen, daß auch beim Streik der deut­schen Bergarbeiter, als die Franzosen ins Ruhrgebiet einmarschierten, sich die Engländer mit einer platoni­schen Kundgebung begnügt haben.

Berlin, 3. Mai. Die englischen Kohlenarbeiter haben die deutschen Bergarbeiter um ihre Unterstützung des englischen Streiks gebeten. (Die englischen Kohlenarbeiter haben nach dem Ruhreinfall Poincares keinen Finger für die Not der deutschen Kohlenarbeiter gerührt- Freilich war die Not der Deutschen damals ihr Glück.)

Die holländischen Bergarbeiter haben den Engländern ihre Unterstützung im Rahmen der von der Internalion alen Gewerkschaftszentrale vorgeschriebencn Verpflichtung zu­gesagt.

Menu man kritisieren will, könnte man dies? DorlcauM» des Punktes 3 der Note höchstens als übertriebene deutsche Ehrlichkeit bezeichnen.

Man muß sich daran gewöhnen, daß Deutschland die Gestaltung seiner Geschichte selb st in die Hand nimmt. Niemals war e« die deutsche Absicht, s i ck im Westen zu einer Kampfgemeinschaft gegen den Osten zusammenzuschließen. Unsere Politik war vielmehr daraus gerichtet, die Vorbedingungen für einen euroväischen Frieden zu schaffen. Darül'er hinaus ist aber Deutschland kraft seiner qeograpb'scken Lage der gegebene Mächtevermittler zwischen Ost

und We st. Wir wissen, daß wir Machtpolitik nicht treibe» können, aber wir können in der Politik der Friedenssicherung unsere eigenen Wege gehen- Wir wollen Zusammengehen mit allen in der Welt, die guten Willens sind, dasselbe Ael zu erreichen.

Der Straßburger Bischof zur elsässischen Frage

ep. Ein Beweis für Re Stimmung rm heutigen Elsaß ist eine Schrift des Straßburger Bischofs Buch überDie Pflichten der französischen Katholiken gegen ihre elsässischen Glaubensbrüder", die um so bedeutsamer ist, als der Ver- asser nach Herkunft und Gesinnung Bollsranzose ist- Er childert die religiöse Lage unter dem Einfluß der franchsi­chen Schulpolitik. Man zwinge den Kindern die französische Sprache auf, trotzdem sie für viele von ihnen nicht mehr als chinesisch" bedeute. Er beschwört die französischen Katho­liken, die elsässischen Rechte und Freiheiten vor dem Unter­gang retten zu Helsen. Es herrsche im Elsaß eine große Un­zufriedenheit. Der Ausdruck, daß man eine ganze Generation opfern wolle, treffe wirklich zu. An Stelle -er Begeisterung von 1918 sei eine tief« Verstimmung getreten, so daß die Gefahr einer Loslösung von Frankreich be­steht.Früher oder später trennen sich die Provinzen von den Staaten, deren Joch sie ertragen müssen, ohne Liebe zu finden. Der diese Zeilen schreibt, kennt seine Diözese und deshalb fühlt er sich verpflichtet, euch zuzurufen: Nehmt euch in acht! Die Katholiken sind gewiß nicht das ganze Land. Falls ibr aber ihre Liebe und ihr Zutrauen verloren

habt, dann seht zu, was euch von Elsaß-Lothringen noch Hö­rig bleibt." Wohl nicht sehr viel, da die Stimmung unter den Protestanten dieselbe ist.

Württemberg

Stuttgart, 3. Mai. BersammlungdesBerbandi landwirtschaftlicher Genossenschaften. Di« 45. ordentliche Verbandsversammlung des Verbands land­wirtschaftlicher Genossenschaften in Württemberg E. V-, so­wie die ordentliche Generalversammlung der Landwirtschaft­lichen Genossenschaftszentralkassc e. G. m. b. H. finden a» Montag, den 17. Mai, vormittags um 10 Uhr im Gustav Siegle-Haus stakt.

Eingaben beim Landtag. In der Zeit vom 3. bis zu« i März sind beim Landtag 43 Eingaben eingegangen, die l die verschiedenen Ausschüsse überwiesen wurden.

Stuttgart. 3. Mai. DerFinanzausschußgegen e Maifeier. Der Finanzausschuß des Landtags Hot voriger Woche einen sozialdemokratischen Antrag, am 1- ai die Sitzung ausfallen zu lassen mit <> gegen 6 Stimmen gelehnt. Dafür stimmten 2 Sozialdemokraten, 2 Denka­rten, 1 D. Volksparteiler und 1 Kommunist Der Vor- Mde Abg. Bock (Zentr.) erklärte, die Dringlichkeit der rsschußarbeiten lasse den Ausfall einer Sitzung nicht zu-

Die Erhöhung des Wohnungsgeldzuschusses. Das Staats- mlsterium hat dem Landtag oen Entwurf eines zweite» rchtrags zum Staatshaushaitsgesetz zrwehen lassen, vorm ; fortdauernde Mehrausgaben für die Erhöhung des Woh- mgsgeldzuschusses der württ. Beamten von 95 v. H. auf die

gefordert werden.

württ. Landesausstellung von Lehrlingsarbeiteu. Das Landesgewerbeamt beabsichtigt, voraussichtlich von Mitte Oktober bis Mitte November in Stuttgart wieder eine Lan­desausstellung von Lehrlingsarbeiten zu veranstalten. H»ch bei sollen Werkstücke ausgestellt werden, die nach ein-, zwei- und mehrjähriger Lehrzeit. sowie als Gesellenstücke anae-