Veite 2 - Rr. SV
Ragolder Tagblatt „Der Gesellschafter*
Dienstag. 2. März 1«rs
Die Steuerermäßigung in Amerika Washington, 1. Mörz. Präsident Coolidge hat gegen das neue Gesetz der Steuerermäßigung schwere Bedenken und befürchtet, daß sic im nächsten Steuerjahr einen Fehlbetrag von 160 Millionen Dollar herbeiführen werde, wenn das Parlament bei seinen Bewilligungen nicht sehr vorsichtig zu Werke gehe. — Coolidge hat, wie bereits berichtet, das Gesetz dennoch unterzeichnet.
George Wickersham über die Politik Europas Neuyork. 1. März. Der frühere Generalstaatsanwalt George W i S e r s h a m. der die christlichen Kirchen Amerikas bei dem Genfer Kirchenkongreß vertrat, erklärte in einer Rede, die Abrüstung müsse eine Folge, nicht eine Voraussetzung von Vereinbarungen zur Ausrechterhaltung des Friedens sein. Das beunruhigendste Moment in Europa sei die Politik Mussolinis. Der italienische Diktator sei heute die größte Bedrohung für die Welt. Diese Bedrohung müsse irgendwie beseitigt werden. Deutschlands Eintritt in den Völkerbund werde es bewirken.
Skandal in Chicago
Paris. 1. März. Der amerikanische Vizepräsident Dame s hat im amerikanischen Senat die aufsehenerregende Mitteilung gemacht, daß in Chicago Polizei- und hohe Staatsbeamte gemeinsame Sache mit Verbrechern machen. Chi- <ago werde seit längerer Zeit von einer Bande von Verbrechern heimgesucht, die in den letzten zwölf Monaten nicht weniger als zwölf Bombenanschläge verübt haben. Diese Verbrecher, die zu außerordentlichem Reichtum gelangt sind, sollen ein Festessen gegeben haben, an dem der Staatsanwalt teilgenoinmen habe. Eine ganze Reihe von hohen Beamten werden mit Namen genannt, denen geradezu skandalöse Bestechungen durch die Verbrecher vorgeworfen wird.
Lhristenseindiiche Bewegung in China Peking. 1. März. Die christenfeindliche Bewegung in China greift immer weiter um sich. Die von der radikalen Kuomingtanpartei gegründete und beei:'lußte Antichristliche Union verbreitet in ganz China ein Flugblatt gegen die Missionsschulen aller christlichen Bekenntnisse, in der ausgeführt wird, daß die Missionsschulen nur der Deckmantel stir die herrschsüchtigen Ziele der Großmächte seien. Alle national denkenden Chinesen werden aufgefordert, die Missionsschulen ihres Charakters als Hilfsmittel der Fremdmächte zu entkleiden.
Mit Ausnahme der Strecke Peking—Tientsin sollen alle Eisenbahnlinien in China unterbrochen sein. Die Lage der Negierung in Peking sei verzweifelt. Ein von General Wu- peifu veranlaßter Bauernaufstand .Rote Lanze" soll von General Kuoiningtschung unterdrückt worden sein.
Württemberg
Stuttgart, 1. März. Der Wohnungsbau. Nach der Mtteilung des Ministers des Innern Bolz in e-ner Pressebesprechung sind in Württemberg seit Kriegsende insgesamt 34 060 neue Wohnungen erstellt und seit dem 1. Januar 1924 39 Millionen Mark vom Staat zur Förderung des Wohnungsbaus verausgabt worden, wozu der Ertrag der Gebäudeentschuldungssteuer 1926 zum größten Teil schon im voraus verbraucht werden mußte. Im Jahr 1926 sollen 6—7000 Wohnungen gebaut werden. Die nötigen Mittel (38 Millionen) können unmöglich aus Steuern, sondern nur durch Anleihen beschafft werden. Darüber sei man einig, daß der Wohnungsbau wieder billiger werden müsse. Die Belastung des Hausbesitzes betrage über 80 Prozent des Kataste'rertragswerts, eine Steigerung des Mietzinses am 1. April sei unumgänglich. Die Mieten über die Friedenshöhe zu steigern sei eine schwierige Frage. Die Zwangsbewirtschaftung lasse sich weder völlig beibshalten »och völlia ausheben.
Kurzarbeiterfürsorge. 3m Anschluß an die Neichsver- »rdnnng für Kurzarbeiterfürsorge hat das würkk. Arbeits- Ministerium bestimmt, daß die Errichtungsgemeinden der öffentlichen Arbeitsnachweise eine Fürsorge für Kurzarbeiter ttnzurichten haben. Kurzarbeiterunterstützung erhalten nur Arbeitnehmer gewerblicher Betriebe, aber nicht solche -er Landwirtschaft, des Handels und des Verkehrs. Mit der Wiedereinführung der Kurzarbeikerunkerstützung kommen die bisherigen Bestimmungen über die Unterstützung von Werks- beuriaubten in Weakall. Erwerbslosen-Unter-
stLtzung darf vom 1. März 1626 nur noch Erwerbslosen bewilligt werden, deren Arbeiksverhältnis völlig — auch rechtlich — gelöst ist. Insbesondere muß der Arbeitgeber ibnen die Ärbeikspapiere ausgehändigk haben. Das hindert nicht, daß der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer gegenüber die moralische oder rechtliche Verpflichtung übernimmt, ihn bei Besserung der Wirtschaftslage bevorzugt wieder einznstellen und ibm den Genuß der Vergünstigungen zu erhalten, die durch längere Zugehörigkeit zum Betrieb erworben werden (Urlaub. Pensionseinrichtungen u. ä.) Werksbeurlauble, die vor dem 1. März 1926 in die Eriverbslosenfürlorge ausgenommen worden sind, dürfen bis längstens zum 27. März 1926 unterstützt werden. Beim Uebcrgang ans der Werksbeurlaubung in die Boll- erwerbslosigkeit haben sie keine Wartezeit dnrchznmachen. Kurzarbeikerunter st Übung darf nur für ausgefallene volle Arbeitstage gewährt werden. Der Ausfall ganzer Arbeitsschichken steht dem Ausfall voller Arbeitstage gleich. Die Voraussetzung, daß volle Arbeitstage ansaefallen sein müssen, ist nichterfüllt, wenn auf einen Arbeitstag weniger als ein Sechstel der gewöhnlichen Wochenarbeikszeik entfällt. Fällt jedoch der Sonnabend aus. so gilt er auch dann als voller Arbeitstag, wenn für ihn regelmäßig eine kürzere Arbeitszeit festgesetzt ist. Die Knrzarheikernnterstützung darf in seder Kalenderwoche, wenn drei Arbeitstage ausfallen, einen TageSsatz, wenn vier Arbeitstage ausfallen, zwei TageSsätze. wenn fünf Arbeitstage ausfallen, drei Tagessätze der Erwerbslosenunker- stü-ung nicht übersteigen, die dem einzelnen Arbeitnehmer zustände, wenn er erwerbslos wäre. Kurzarbeiter mit mindestens drei zuschlagsberechtigten Angehörigen dürfen, wenn vier Arbeitstage ansfallen, bis zu 2Z4 Tagessätzen. wenn fünf Arbeitstage ausfallen. bis zu 3)4 Tagessätzen der Erwerbs- losennnterllüi-nvo erba^on
Ausstellungen. Im Juli d. I. wird in den neuen rrumr- ausstellungshallen an der Schloßgartenstraße eine Ausstellung Neuer Amerikanischer Baukunst veranstaltet, die z. Zt. in Berlin gezeigt wird. — In denselben Räumen findet von Anfang April bis Mitte Juni die Ausstellung Stuttgarter Sezession in Verbindung mit der Münchner Neuen Sezession statt. — Aus Anlaß des 75jährigen Jubiläums des Stuttgarter Wirtsvereins veranstalten die Stuttgarter Nahrungsmittelgewerbe in den Ausstellungshallen auf dem Gewerbehalleplatz im August und September eine großzügig angelegte Fachausstellung.
Cannstatt. 1. März Glücklicher Gewinner. Ein Cannstatter Einwohner hat die Prämie der Süddeutschen Klassenlotterie von 500 000 -4t gewonnen. Er ist Allein- inhaver des Loses.
Nus dem Lande
Eßlingen. 1. März. Die Volkshochschule Denkendorf. Das Volkshochschulheim Denkendorf, das der Verein zur Förderung der Volksbildung Stuttgart im ehemaligen Kloster Denkendorf seit 1921 unterhält, schließt am 31. März den neunten Winterkurs ab, an dem 29 Mädchen aller Stände teilnahmen. Das Verständnis für diese Art von Bildungsarbeit dringt in immer weitere Kreise Man lernt verstehen, daß es sich hier weder um eine Pension für höhere Töchter noch um eine Haushaltungsschule handelt, sondern um eine Stätte, die jungen Menschen die Wege zu einer ernsten eigenen Lebensgestaltung erweisen möchte.
Die Prüfung an der Höheren Moschinenbau- fchule, die am Freitag ihr Wintersemester schloß, haben tzt Kandidat»»' davon 60 der Abteilung für Ma
schinenbau und 21 der Abteilung für Elektrotechnik. Sie haben damit die Befähigung zur Ausübung des Berufs als Maschinen- bzw. Elektroingenieure erworben.
Veränderung bei der Schutzpolizei. Der bisherige Kommandant der Polizei-Bereitschaft Eßlingen, Major Gsitz e r. wird mit Wirkung vom 1. März nach Ulm a. D. versetzt. Gaißer hat es verstanden, sich in hohem Maß die Beliebtheit und Achtung seiner Untergebenen und weiter Kreise der Stadt zu sichern.
Neckarrems OA. Waiblingen, 1. März. Vorgeschicht- liche Funde. In der Nähe des Remsufers wurden Geweih- und Knochenteile von vorgeschichtlichen Tieren gefunden; so ein Geweihstumpf von einem Riesenhirsch, Gebiß und Knochenreste vom Wildpserd, einem Wolf, Renntier, sogar vom Höhlenlöwen und dem Nashorn. Letztere drei Tiere kamen bei uns in der Eiszeit vor. Die Funde wurden der Naturaliensammlung Stuttgart einverleibt.
Gmünd, 1. März. Amtsoersammlung. Die Amts- verjammlung setzte den Haushaltvoranschlag der Amtskörperschaft bei 1392 691 °4t Ausgaben und 764 205 Einnahmen auf 580 000 fest. — Bei der Wahl des Leiters der Oberamtssparkasse Gmünd erhielt Stadtschultheiß Widmann in Heubach 20 Stimmen, Rechnungsrat Göser - Heidenheim und Gegenrechner Deibele-Gmünd je 3 Stimmen. Widmarm ist somit gewählt.
Oeffenllichs Anerkennung. Das Ministerium des Innern hat dem Kaufmann Max Haecker in Gmünd und dem Metall- drücksr Alfred Hirsch hier die Anerkennung für ihr wackeres und opferwilliges Verhalten, das sie am Pfingstmontag des vorigen Jahrs bei der Errettung zweier Menschen vom Tod des Ertrinkens im Ebnisee gezeigt haben, ausgesprochen.
Langsnbeutingea OA. Oehringen, 1. März. Verunglückt. Bei Sprengarbeiten wurden in einem hiesige« Sieinbruch zwei Arbeiter erheblich verletzt, so daß sie ins Krankenhaus nach Oehringen verbracht werden mußten.
künzelsau» 1. März. Beinahe ertrunken. Ei« 4 I. a. Mädchen fiel beim Uebergang des Stadtbachs in den Mühikcmal und wurde etwa 200 Meter sortgetrieben. Durch einen Knecht der Aumühle wurde es aus dem Master gezogen. Wiederbelebungsversuche waren nach erst etwa einer Viertelstunde von Erfolg begleitet.
Dankolisweiler OA. Ellwangen, 1. März. Seltener Baumriese. Im Staatswald „Schotterklinge", Forstamts Dankoltsweiler, wurde eine Fichte gefällt, die eine« Stockdurchmesser von 135 Zentimeter hat, 43 Meter lang ist und über 12 Fsstmeter mißt. Das Alter der Fichte ist zirka 135 Jahre. Leider werden solche Bäume immer seltener.
Aus Stadt und Land
Nagold. S März lS§6.
Studiere nur und raste nie,
Du kommst nicht weil mit deinen Schlüssen; Das ist das Ende der Philosophie,
Zu wissen, daß wir glauben müssen.
Dom Rathaus.
Die nächste öffentliche Gemeinderatssitzung findet am Mittwoch, den 3, ds. Mts., nachm. 5 Uhr statt.
Frecher Diebstahl.
Am Samstag abend leistete sich ein Hank werksbursche ein Gaunerstückchen ersten Ranges. Er ging in ein Haus eines hiesigen Einwohners um Almosen zu erbitten, fand hierbei das Arbeitszimmer des Hausherrn unbewacht und benutzte die Gelegenheit, um hier reinen Tisch zu machen. Es fi l ihm hierbei ein größerer Geldbetrag in die Hände, mit dem er sich unbe merkt und unerkannt aus dem Staube zu machen vermochte. — Es ist dies wieder ein Zeichen, wie vorsichtig man auch in diesen Dingen sein muß, da neben vielen anständigen Menschen, die durch die wirtschaftliche Not gezwungen sind, auf der Straße zu liegen, ein großer Prozentsatz obscurer Gestalten ihr Unwesen treibt.
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Neue HünfzigpfennigstüÄe. Wie verlautet, sollen die bisherigen Fiinfzigpsennigstücke eingezogen und durch Nickelmünzen ersetzt werden — Die bisherige Münze ist die verfehlteste, die jemals ausgebracht wurde, denn bei ihrem sehr geringen Metallwert besitzt sie einen unverhältnismäßig hohen Nenn- und Kaufwert, so daß sie größten Anreiz zur Nachahmung bot, die auch reichlich geübt wurde. Von diesen Münzen sollten für 110 Millionen Mark ausgsbracht werden, es sind aber nur für 60 bis 65 Millionen geprägt worden.
ep. Das Wachstum der evangelischen Jugendfürsorge. Vor kurzem gedachte man in Deutschland des hundertsten Todestags des Dichters von „O du fröhliche" und Gründers der ersten Kinderrettungsanstalt, Johannes Falk. Die von diesem Vorläufer der Inneren Mission begonnen« Arbeit hat sich in 100 Jahren zu einem umfassende« Fürsorgewerk ausgewachsen. Die evangelische Liebesarbeit in Deutschland zählt heute Hunderte von Rektungsanstalken. ch denen etwa 25 000 Kinder Erziehung und Pflege finden.
Der Karmckelbaron
Humoristischer Roman von Fritz Gantzer
Amtsrichter liefen einem eben nicht alle Tage über den Weg.
Dem Besuche Ebertys erfolgte die Erwiderung aus dem Feigenblattschen Hause umgehend. Und als Herr Felix sich nach einer Viertelstunde wieder verabschiedete, nahm er die Zusage des Amtsrichters mit nach Hause, daß er sich am nächsten Sonntag zu einem Löffel Suppe die Ehre geben würde.
Kurt von Gronau warnte zwar und versicherte, an di« Zeit denkend, da man bei Feigenblatt versucht hatte, ihn zu ködern, man verfolge mit dieser Einladung nur selbstsüchtige Motive. Aber der Same seiner guten Ratschläge und wohlgemeinten Warnungen fiel bei Ebertq auf steinigen Boden. Der lachte nur und, begab sich am nächsten Sonntag kühn in die höhle des Löwen. Schon deshalb hatte er angenommen, mn wenigstens für ein Feiertagsmahl den obligaten Schweinsrippchen, die Kreyenbühl nach der Nudelsuppe servierte, zu entrinnen und wieder mal halbwegs anständig zu essen.
Das Menü bei Feigenblatt war viel, viÄ mehr als „halbwegs anständig". Es war einfach tadellos. Nach einer ausgezeichneten Mockturlesupp« wurden pikante Austernpaststet- chen serviert, denen eine gedämpfte Rlndslende mit Madeira folgte. Sie bedeutete in der Art ihrer Zubereitung einen Triumph der Kochkunst und hatte mit den Rindslenden, die an der Table d'hot« Kreyenbühls gereicht wurden, nur den Namen gemein. Denn delektierte man sich an frischen Spar- geln. tat hierauf blau gekochten Forellen alle Ehre an und ließ sich schließlich die für die Jahreszeit seltenen und teuren jungen Hasen trefflich munden. Daß für den üblichen Schluß ebenfalls in bester Weise gesorgt war und auch die für jeden Gang erforderlichen Weine, vom Portwein an bis hinauf m Schaumwein, nicht fehlten, ist, bei der Qualität des son- igen Gebotenen, zu erwähnen eigentlich überflüssig.
Jedenfalls war Georg Ebertq um eine Erfahrung reicher. Er wußte jetzt, daß man auch in Bütenhagen mindestens ebensogut essen könne wie bei Dreffel oder Kempinski. Daß Herr Felix die Forellen mit dem Messer bearbeitete und Frau Melanie den Preis für die jungen Hasen genannt hatte, wäre ja nicht nötig gewesen, konnte ihm aber schließlich gleich
gültig bleiben. Jedenfalls hatte sich Fräulein Felicitas einer derartige Blöße nicht gegeben, sondern sich in den Formen auf der Höhe stehend bewiesen, abgesehen davon, daß sie! sehr viel gegessen hatte. — >
Ein wohliges, behagliches Gefühl durchströmte den Amts- j richter. Und als man nach aufgehobener Tafel in einem Nebenraum Len Mokka einnahm und Herr Felix seinem Gaste eine exquisite Importe neuester Ernte anbot, hatte dies wohlige Behagen seinen Gipfelpunkt erreicht. War's wirklich nicht ganz nett in Bütenhagen. ließ es sich hier nicht leben, wenn man nur wollte?
Felicitas mußte sich ein Weilchen später als die allseitig gebildete junge Dame produzieren. Sie spielte eine Sonate von Beethoven und eine Rhapsodie von Raff, sang drei Lieder, deren Komponisten Schubert, Mozart und Grieg waren, und legte Ebertq eine Mappe mit Aquarellen, eine mit Oel- bildern und eine mit Skizzen vor. Schließlich fand sich „zufällig" auch noch ein in Leder gebundenes Büchlein an, dessen Blättern Felicitas' „bescheidene Versuche" auf lyrischem Gebiete anvertraut waren. Ebertq bewunderte, lobte und sagte Schmeicheleien, sich des vorzüglickM Menüs und des famosen Mokkas erinnernd und sich in diesem Erinnern mahnend: Es gehört sich, daß du dich revanchierst! Im Grunde genommen waren ja Fräulein Felicitas' Mal- und Dichtversuche herzlich unbedeutend, und auch bei Gesang und Klavierspiel hatte sie ein paarmal ganz gehörig daneben getroffen. Schließlich war die Vorführung glücklich beendet. Ebertq atmete auf. Fräulein Felicitas war ihm wie eine gut dressierte Puppe vorgekommen, der Salon Frau Melanies wie die Manege im Zirkus Busch und Herr Felix wie ein routinierter Zirkusdirektor, der Len Beginn jeder neuen Nummer mit einer artigen Verbeugung und einem verbindlichen Lächeln an- zeigte . . . Nr. 3, meine Herrschaften! Noch nie dagewesen! Unerreicht! Phänomenal! !'. . .
Es war drei Uhr geworden, als Felicitas die Produkte ihres künstlerischen Scl-affens mit Pinsel und Palette wieder in die Mappen geordnet hatte. Sie schlug dem Amtsrichter nun einen Spaziergang durch den Garten als angenehme Abwechslung vor und richtete an die Eltern die Frage, ob sie zum Mitkommen geneigt seien. Es war ganz natürlich, daß Herr Felix sich mit der Erledigung einer dringenden Korrespondenz entschuldigte und Frau Melanie über Kopfweh
klagte. Las nur durch ein kurzes Ruhen auf der Chaiselongue -lu vertreiben sei. Daß Georg Ebertq sich mit einer Ausrede ebenfalls an dem Mitgehen vorbeiwinden konnte, wäre möglich, jedenfalls aber nicht höflich gewesen. So erklärte er sich bereit, Felicitas lächelnd versichernd: „Es wird mir ein ^siEs^Vergnügen zu sein. Sie begleiten zu dürfen, gnädiges
Der Feigenblattsche Garten war nicht viel anders als alle übrigen Garten Bütenhagens. Er unterschied sich nur dadurch von ihnen, daß er eine schwindsüchtige Wasserkunst die heute zur Feier des Tages ihr Strählchen spie, und zahlreiche Tonfiguren in Gestalt von Harken und Spaten tragenden Zwergen, ruhenden Rehen und leuchtenden Fliegenpilze« ls fragwürdigen Schmuck besaß. Trotz der Menge dieser Dinge und der Banalität der durch sie erzeugten Wirkung war die im übrigen unberührt gebliebene Poesie des Gar- tens doch so wenig beeinflußt, daß man sich über die wuchernden Hecken, die alten, kurz vor dem Blühen stehen- den Obstbaume und die buchsbaumgesäumten Rabatten Herz- hast freuen konnte. Auch eine Laube war da. dicht neben dem Nachbargarten zur Rechten stehend, der dem Apotheker gehörte.
Fräulein Felicitas führte und zeigte, machte auf di« „lieblichen Wunder" des „schaffenden Lenzes" aufmerksam E redete viel von ihrer Neigung zum Gartenbau. Sie fühlte sich unter Blumen immer am glücklichsten. Ebertq lächelt« und sagte gelant: „Das glaube ich gern, gnädiges Fräulein! Sind sie doch in der Gesellschaft von Blumen unter Geaök- sinnen."
„Sie find ein arger Schmeichler. Herr Amtsrichter", hauchte sie verschämt, leise errötend. Und in ihrem Herze» tat die wartende Hoffnung einen jauchzenden Freudentnrvk. daß sie gegen seine Wandung fuhr und es wonnig «Heben ließ. Ach, wenn er doch gewollt hätte! Ex war es ja so wert, Laß man seinem Junggesellentum zu einem Ende oer- hÄs und ihm die goldenen Ehefesseln anlegte. Er, der männliche galante und elegante Georg Ebertq. der Mann in der ^präsentierenden Stellung mit der gewiß nicht unbedeutenden Aussicht auf Karriere, auf Titel und Orden. Es muhte unsagbar berückend sein, ihm angehören zu dürfen und — als leitend« Wesen feinen Weg mitbsftimm«« zu hassen.
(Fortsetzung sototq