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Nummer 241

Fernruf 47V

Dienstag den 15. Oktober 1935

Fernruf 479

70. Jahrgang

Der ProbesaL

Wenn Sanktionen versagen, verlädt dann England den ^ Völkerbund?

Eens hat die ersten Sanktionen gegen Italien beschlossen. Der zur Ausarbeitung von Vorschlägen eingesetzte Siebzeh-

> nerausschuh hat angeregt, dag das Ausfuhrverbot für Waf- ! sen und anderes Kriegsmaterial, soweit es bisher von ein­zelnen Staaten ausgesprochen wurde, für Abessinien aufge-

: hoben wird, währenddie Ausfuhr, die Wiederausfuhr und s die Durchfuhr" der in einer besonderen Liste aufgezählten Waffen, Munition und Kriegsgeräte nach Italien oder den ^ italienischen Besitzungen von den Mitgliedstaaten des Völ­kerbundes verboten werden soll. Diese Anregungen hat der sogenannteKoordinationsausschutz" noch am Samstag an­genommen Gleichzeitig ist beschlossen worden, die Fühlung mit den Staaten aufzunehmen, die dem Völkerbund nicht oder nicht mehr angehören, um ihre Stellungnahme zur Sanktionsfrage zu ermitteln. Die wirtschaftlichen und fi- ^ nanziellen Sanktionen werden in diesen Tagen beschlossen.

, Damit hat Eens seinenProbefall". Das Beschlutzverfah- ! ren hat unter dem Druck Englands glatt funktioniert. Ob : die Durchführung sich ebenso glatt abwickeln und vor allem,

j ob sie wirksam sein wird, ist eine zweite Frage, die heute

! noch nicht zu beantworten ist, der gegenüber aber vorläufig

l noch recht erhebliche Zweifel bestehen müssen. Der weitere f Verlauf der Dinge wird überhaupt über die Richtigkeit des im Völkerbunde ausgedrüchten kollektiven Systems der Frie- ! densstcherung entscheiden. Ohne §as Drängen Englands wäre es im vorliegenden Falle kaum in Gang gekommen,

> mindestens nicht mit der Schnelligkeit, mit der das erreicht l worden ist. In Italien ist man sich völlig klar darüber, datz

England diese Probe auf den Völkerbund unter Einsetzung seines ganzen Schwergewichts erzwungen hat,

' und Mr. Eden ist in Rom der bestgehaßte Mann.

Man wird sich fragen müssen, welche Ueberlegungen in London dazu geführt haben, den italienisch-abessinischen Streit unter allen Umständen zu einem Probefall für den Völkerbund zu machen. Es hat Jahre gegeben, in denen

> England nur mit mäßiger Begeisterung an den Arbeiten . des Völkerbundes teilnahm. Der Staat, der die Genfer Jn-

i ! stitution als den letzten Schluß der politischen Weisheit Eu­ropas behandelte, war Frankreich. Die Rollen sind heute , ' vollkommen vertauscht. Nur widerwillig hat Herr Laval

> sich zu den kollektiven Pflichten der Völkerbundsmitglied- j schüft bekannt, während Mr. Baldwin immer und immer

wieder betonte, wie stark England seine Politik auf den ' ^ Völkerbund ausrichte und wie sehr es bestrebt sei, sich nur x innerhalb des Genfer Rahmens zu bewegen.

> Man darf dahinter keine neuentdeckte Liebe zum Völker­bunde vermuten. In England ringen zwei grundsätzlich ver­schiedene Strömungen miteinander, von denen die eine zu-

l rück in diesplendid isolation" führen möchte, in der sich

i einst der Aufstieg des britischen Imperialismus vollzog. Die

> ! andere hat eine Witterung dafür, datz die Welt sich in den

. , letzten 30 Jahren geändert hat und datz die Methoden von

, damals heute vielleicht nicht mehr so erfolgreich sein wür-

den, wie sie in den Zeiten der letzten Abrundung und Siche- . , rung des Weltreichs waren. England hat zwar niemals auf

. s dem starren konservativen Standpunkt der Erhaltung des

- status quo gestanden, der die französische Nachkriegspolitik

kennzeichnet, und englische Staatsmänner haben noch bis in die jüngste Zeit hinein wirkungsvolle Bekenntnisse zur s Dynamik des Völkerlebens und zur Elastizität der Politik als einem der Garanten des Friedens abgelegt, aber im i. Hintergründe lebt doch eine gewisse Besorgnis, datz die

f Grundlagen des britischen Weltreichs durch allzu tempera­

mentvolle Korrekturen an der Landkarte gewisser über- , seeischer Gebiete erschüttert werden könnten. England ist bis zu einem gewissen Grade in Europa dynamisch,' in den an­deren Erdteilen, in denen es Herrschaftsinteressen zu vertre­ten hat, statisch eingestellt. Es ist sicherlich wie zu allen Zei­ten auch heute noch bereit, seine imperialistischen Interessen, l wenn es notwendig wird, auf eigene Faust und mit dem Aufgebot seiner ganzen Macht zu verteidigen. Der Auf­marsch der englischen Flotte im Mittelmeer ist in dieser Be­ziehung eine deutliche Geste. Aber die Männer, die Eng­lands Politik zur Zeit führen, schätzen das Risiko wohl hö­her ein als die unbedingten Isolationisten. Deshalb versucht man es mit der Methode der kollektiven Sicherung, für die der Völkerbund in seinen Artikeln ein so bequem' zu hand­habendes Werkzeug bietet.

ist in England immer das Zeichen dafür, datz wichtige grundsätzliche Fragen der politischen Gesamthaltung zu ent­scheiden sind, für die man die volle Rückendeckung im Volke braucht. Insofern stellt der ganze mit den Genfer Sank- tionsbeschlllssen zusammenhängende politische Komplex für England einenProbefall" noch in anderem Sinne dar. Noch sind die französisch-englischen Unterhaltungen im Gange, die von Paris aus mit dem Ziele geführt werden, England zu engeren Bindungen inderFe st lands- politikzu bewegen. London zögert. Vielleicht könnte ein erfolgreicher Einsatz des Völkerbundes für eine Friedens­sicherung, wie man sie jenseits des Kanals versteht, die heute noch bestehenden Bedenken gegenüber den französi­schen Wünschen zerstreuen. Sollte man drüben ein Versagen des kollektiven Völkerbundssystems im Sinne der englischen Auffassung feststellen, dann würden nicht nur diese Beden­ken ausschlaggebende Kraft bekommen, sondern dann würde man wahrscheinlich überhaupt eine Schwenkung vom Völ­kerbunde weg und damit auch aus der Verstrickung in die politischen Festlandsprobleme heraus vollziehen. Man be­hauptet in London, es läge bereits ein Eventualbeschlutz des Kabinetts in diesem Sinne vor. England wartet ge­spannt darauf, wie der Probefall ausgeyen wird.

Zwischen Paris und LonLan

Laval fordert Verständnis für seine Politik

Paris, 14. äkt. Angesichts der Mißstimmung die sich gegen­wärtig in dem größten Teil der französischen Presse gegen Eng­land zeigt, hat es Ministerpräsident Laval für an­gebracht gehalten, beruhigend einzugreifen. In einer Erklärung, die Laval am Samstag abend einem Vertreter der Agentur Havas abgegeben hat, bringt er zum Ausdruck, daß jedesMißverständnis" in der französischen öffentlichen Meinung über die Loyalität der französisch-englischen Beziehungen der Sache des Friedens nur schaden könnte. Im einzelnen erkärte Laval:Ich möchte die französische öffentliche Meinung beruhi­gen. Die Lage ist zweifellos heikel, aber die französisch-englische Zusammenarbeit, die sich in Eens in größter Herzlichkeit be­stätigt hat, wird im Interesse des Friedens fortbestehen. Den­jenigen, die militärische Sühnemaßnahmen befürchten, kann ich sagen, daß in meinen Unterhaltungen mit den englischen Mi­nistern davon niemals die Rede gewesen ist. Für diejenigen, die versucht sein könnten, uns in Gegensatz zu England zu stellen, füge ich hinzu, daß England niemals selbständig und außerhalb des gemeinsamen Völkerbundsrahmens hat Vorgehen wollen. Unsere Erklärungen vor dem Dölkerbundsrat und vor der Völkerbunds­versammlung sind stets gemeinsam gewesen, wie auch unser Han­deln stets gemeinsam sein wird. Eden und ich sind von der gleichen Sorge und von dem gleichen Willen beseelt, auf der Grundlage des Völkerbundspaktes eine freundschaftliche Rege­lung des Streitfalles zu finden."

Der halbamtlichePetit Parisien" veröffentlicht am Montag unter der UeberschriftAn unsere englischen Freunde" einen Ar­tikel. der wahrscheinlich von maßgebender Stelle beeinfußt wor­den ist. Der Hauptschriftleiter des Blattes protestiert einleitend gegen die Auffassung, daß die französisch-englische Freundschaft durch ernste Meinungsverschiedenheiten gefährdet sei. Die gewisse Unklarheit zwischen der öffentlichen Meinung der beiden Länder sei daraus zu erklären, daß die Öffentlichkeit ungenügend über die diplomatischen Verhandlungen unterrichtet sei und sich durch den äußeren Anschein täuschen ließe Es gebe in Paris keine dunklen Pläne. Es gebe lediglich den Willen, jede Gelegenheit zu ergreifen, um dem Drama, das England Italien und Italien dem Völkerbunde gegenllberstelle. ein Ende zu machen.

Kurze Tagesüberficht

In Genf hat der Sanktionsausschutz die Beratungen über die finanziellen Sanktionsvorschläge zum Abschlutz gebracht. Er sieht die Sperrung der Kredite und Anleihen für Italien vor.

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Das amtliche Ergebnis der Memelwahlen bestätigt, daß auf die Einheitsliste der Memeldeutschen 81 Prozent der Stimmen entfielen.

Nach noch unbestätigten Meldungen sollen die Italiener nun die heitz umstrittene heilige Stadt der Abessinier, Alsum, eingenommen haben.

Trotzdem wird man sich in London die Frage vorgeleqt haben was geschehen soll, wenn diese Methoden versagen, sei es, datz die Volkerbundsmitglieder den Genfer Veschlüs- sen nur mit unzulänglicher Lauheit folgen, sei es, datz sie sich als weniger wirksam erweisen als erwartet wirs Das englische Kabinett hat bereits beschlossen, das Parlament b^entlich erst Anfang November zusammentreten sollte' schon acht Tage früher einzuberufen, und inan neigt mehr E November bereits Neuwahlen abzuhalten. Eine solche parlamentarische Generalüberholung vor der Zeit Muwahlen wären eigentlich erst im nächsten Jahre fällig

In der Türkei sind die Freimaurerlogen aufgehoben wor­den, ihr Varvermögen wurde beschlagnahmt.

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Nach Meldungen aus Kairo werden in Aegypten weitere Vorbereitungen für den Kriegsfall getroffen.

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An der Tigre-Front bei Adigrat soll anhaltende Gefcchts- täl-zherrschen, die Italiener haben ihr Hauptquartier nach Adua verlegt.

Le Jour" erklärt in einer Meldung seines Genfer Bericht­erstatters, daß England entschlossen zu sein schein«, die Blockade zu fördern, wenn die Sllhnemaßnahmen sich innerhalb von bis IS Tagen als ungenügend Herausstellen sollten. Die fran­zösische Abordnung in Genf, so glaubt der Berichterstatter mel­den zu können, werde sich entschieden einer völligen Blockade widersetzen, wie auch jedem Vorgehen, das die wirtschaftlichen Maßnahmen solcher militärischer Art annähern könnte. Großbrirannien stütze sich in Genf auf seine sämtlichen Dominions, auf sämtliche neutralen Länder und selbst auf die Länder der Kleinen Entente und der Balkanentente. Dank dieser Unterstützung scheine die britische Abordnung entschlossen zu sein, bis zum Ende zu gehen. DerPetit Parisien" stellt fest, der Mechanismus der Sllhnemaßnahmen arbeite mit erstaunlicher Schnelligkeit. Wenn es nach Eden gegangen wäre, hätte mau die wirtschaftlichen Sühnemaßnahmen bereits am Samstag be­schlossen. Frankreich aber habe gebremst, weil es auf einem so heiklen Gebiet keine Uebereilung wünsche. DerMatin" warnt in einem Leitartikel die Genfer Staatsmänner, zu einer Blockade zu schreiten.

London, 14. Okt. Die Haltung Frankreichs in Genf wird mit besonderer Aufmerksamkeit beobachtet. Das plötzliche Aufhören des Feldzuges eines Teiles der Presse gegen England wird da­rauf zurückgeführt, daß die englandfeindlichen Ausführungen des RechtsblattesEringoire" wegen ihrer Maßlosigkeit das Ein­schreiten Lavals hervorgerufen hätte.

Der Genfer Berichterstatter derTimes" faßt seine Eindrücke folgendermaßen zusammen: Bisher seien die Arbeiten zur Vor­bereitung der finanziellen Maßnahmen schnell vorwärts gegangen und hätten sich viel einfacher gestaltet, als die Vorarbeiten für die allgemeinen wirtschaftlichen Maßnahmen, bei denen zahl­reiche Fallgruben vorhanden seien. Ueber die Tätigkeit der französischen Völkerbundsvertreter sagt der Be­richterstatter, sie hätten den Auftrag erhalten, das von dem energischsten Verteidiger der Völkerbundssatzung vorgeschlagsne Vorgehen zu schwächen und zu verzögern, aber wenn eine Ab­stimmung unvermeidlich sei, mit den Engländern zu stimmen.

Der PariserTimes"-Vertreter begrüßt die von Havas ver­öffentlichte Erklärung Lavals, die nach einer Besprechung des französischen Ministerpräsidenten mit dem britischen Botschafter abgegeben worden sei und die angesichts derungewöhnlich scharfen Fäll« von Englandhaß" in der Rechtspresse und bei weiten bürgerlichen Kreisen zur rechten Zeit erfolgt sei. Der Berichterstatter hofft, daß Lavals Erklärung die französischen Be­sorgnisse von der Möglichkeit einer Blockade Italiens und einer Schließung des Suezkanals erleichtern werde, auf die england- feindlichen Ausfälle zurllckzuführen seien. Ungeachtet des ge­waltigen Lärmes der italienfreundlichen Presse in Paris werde ein großer Teil der französischen öffentlichen Meinung ent­schlossen hinter dem Völkerbund stehen.

Finanzsanktionen angenommen

Genf, 14. Okt. Der Arbeitsausschuß der Sanktionskonferenz hat am Montag vormittag den Entschließungsentwurf über Fi­nanz-Sanktionen, der die Sperrung der Kredite und Anleihen für die italienische Regierung sowie für italienische Gesellschaften und Private Vorsicht, angenom­men. Hierauf wurde die Beratung über die wirtschaft­lichen Sanktionen fortgesetzt. Es wurde grundsätzlich be­schlossen, zur Feststellung von Lücken bei der Durchführung der wirtschaftlichen Sanktionen einen Sachverständigen-Ausschuß ein­zusetzen. Wie verlautet, hat Litwinow, der an der Sitzung tsil- nahm die am Samstag von dem sowjetrussischen Delegierten gemachten Anregungen wegen der an den Sanktionen nicht teil­nehmenden Länder weiter entwickelt.

Der Entschließungsentwurf über die finanziellen Sanktions­maßnahmen sieht vor, daß die Regierungen der Mitgliedstaaten sofort Maßnahmen ergreifen, um die folgenden Finanzoperatio­nen unmöglich zu machen: Jedes mittelbare oder unmittelbare Herleihen von Geld, das Zeichnen einer Anleihe, alle bank­mäßigen oder anderen Kredite, alle Aktien-Emiisioneu oder son­stige Kreoitaufnabmen, und zwar cine^-i ob es sich um die italienische Regierung, um öffentliche Körperschaften ooer um juristische oder natürliche Personen auf italienischem Gebiet handelt.

Die Regierungen sollen der Konferenz die Maßnahmen Mit­teilen, die sie auf Grund dieser Bestimmungen getroffen haben.

In der Aussprache wurde die genaue Tragweite verschiedener Vorschläge, insbesondere hinsichtlich der Auslandsfilialen italie­nischer Unternehmungen, oder der italienischen Filialen auslän­discher Unternehmungen erörtert, ferner die Geschäfte italienischer Versicherungsgesellschaften. Die Zahlungen für das italienische Rote Kreuz sollen wegen ihres Humanitären Zweckes nicht unter die Kreditsperre fallen.

Aegypten für alle Fälle gerüstet

Kairo, 14. Okt. Die Spannung in Aegypten ist nach Eröff­nung der Feindseligkeiten in Abessinien weiter gewachsen. Der ägyptische Ausschuß zur Hilfeleistung für Abessinien ist mit einem Aufruf bervoraetreten. der von der Pflicht spricht, dein