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Nummer 12S
Fernruf 478
Belgischer Chauvinismus
Wagt Belgien eine Vergewaltigung des Minderheitenrechts?
NSK. Die belgische Regierung ist durch die Handlung eines ihrer Staatsanwälte in Lüttich im Begriff, einen flagranten BruchvölkerrechtlicherDestimmun- gen von neuem zu begehen. Gegen vier Deutsche ist Anklage auf Ausbürgerung erhoben worden, weil sie als Führer, Gründer oder Mitglieder der Christlichen Volkspartei, des Landwirtschaflichen Verbandes Mal- , medy und des Heimatbundes den Verrat Eupen-Malmedys ' nicht gutgeheißen und von der Liebe zu ihrer Heimat nicht . lassen wollen. Aus dieser völkischen Haltung wird ihnen von offiziellster belgischer Seite der unverantwortliche Vorwurf illegaler Umtriebe und ein Prozeß gemacht, der sie zu heimatlosen und staatenlosen Elementen herabwürdigen soll.
Zur Erreichung dieses Zieles kommt es der belgischen Anklagebehörde auf ein paar Geschichtsfälschungeil und Rechtsbeugungen mehr oder weniger nicht an. Kühn wird behauptet, daß die Nationalität der deutschen Eupen-Malme- dyer „nominal efektiv" sei und daher keinen Anspruch auf einen besonderen Schutz des belgischen Staates haben. Eine Rede auf einem VDA.-Tag im Jahre 1931, einige Aeuße- rungen in privaten Briefen über den Wunsch einer Rückkehr zu Deutschland, eine Aeußerung des Bedauerns über die Abtrennung Eupen-Malmedys vom Reich und die poetische Schöpfung des „Eupen-Malmedy-Liedes" genügen einer hohen belgischen Staatsbehörde, um diese Deutschen vor den Kadi zu schleifen und sie als Saboteure des belgischen Staates wie Verbrecher von Haus und Hof zu'jagen.
Noch bevor in das Verfahren dieses unmöglichen Prozesses eingetreten wird, halten wir es zum Schutze von Recht und Moral für notwendig, unsere warnende Stimme zu erheben und die belgische Regierung daran zu erinnern, daß auch sie — sogar freiwillig — den Versailler Vertrag unterschrieben und damit den Artikel 36 dieses Gewaltdiktates auch als für sich verbindlich anerkannt hat, in dem mit dem eventuellen llebergang Eupen-Malmedys an Belgien die Bewohner dieses Gebietes endgültig die belgische Staatsangehörigkeit erwerben. Es ist daher eine Ungeheuerlichkeit, wenn jetzt der Staatsanwalt in Lüttich die Behauptung aufstellt, daß die Nationalität der beschuldigten Deutschen nur „nominal effektiv" gewesen sei. Juristen sollten sich schämen, ihr ureigenstes Arbeitsgebiet so zu entwürdigen. Man schafft kein Recht, wenn man an seine Stelle aus chauvinistischer Haltung geborene Gewalt setzt. Belgien erweist damit seiner selbstgepriesenen Freiheit einen schlechten Dienst.
Aber wie war es eigentlich überhaupt mit dem Uebergang Eupen-Malmedys in das belgische Hoheitsgebiet? Collie nicht auch dort eine Abstimmüng erfolgen, deren Ergebnis über das Schicksal dieses Gebietes entscheiden sollte? 35 009 Abstimmungsberechtigte sollten ihren Willen bekunden. Das Selbstbestimmungsrecht der Völker sollte ein integrierender Bestandteil der internationalen Nachkriegspoltrik sein So gewollt von Wilson und so respektiert bezw. miß- geachtet von den sogenannten europäischen Siegerstaatsn. Als im Jahre 1920 der Eintragung der Abstimmungsberechtigten stattgegeben wurde, setzten unverzüglich belgische Schikanen ein, die die deutsche Bevölkerung Eupen- Malmedys schwersten Verunglimpfungen auslieserte, obwohl die Mantelnote Clemenceaus die Zusicherung einer freien Wahl gewährleistete. Diese Freiheit der Willenskundgebung wurde aber dadurch am eindeutigsten beleuchtet, daß von 35 000 Abstimmungsberechtigten nur 282 zur Ausübung ihres Rechts zu gelangen vermochten. Ein Kommentar hierzu dürfte sich erübrigen.
Eine Erinnerung an diese Tatsachen ist leider notwendig, um Belgien und der Weltöffentlichkeit vor Augen zu führen, daß man ein damals unbestreitbar begangenes Unrecht nicht durch ein zweites, fast ebenso unerhörtes Unrecht gutzumachen versuchen sollte. Die Staatsangehörigkeit der Deutschen Eupen-Malmedys läßt sich durch keine juristische Verdrehung hinwegleugnen. Gründe für eine Ausbürgerung wird Belgien nicht ins Feld führen können, zumal sich die Angeschrild'gte» keiner illegalen Tätigkeit, die eine derartia schwere Strafe rechtfertigen könnte, schuldig gemacht haben. Dr. Walter Bastian
Mittwoch de» 5. Juni 1W5
Sinne dieses ausschließlich auf die Frage der Erhaltung j des Friedens gerichteten Veriragsinstrumentes entspricht, s Die entscheidende Frage im Falle von Verwicklungen, die « Frage nach dem Angreifer, will das Protokoll zum französisch-russischen Pakt praktisch in die Hand der beiden interessierten Mächte legen. Auch die sonderbare Formulierung des Protokolls, daß das Wirksamwerden des Vertrages dann eintreten kann, wenn für keinen der Beteiligten „Sanktionen drohen", muß den Eindruck unterstützen, daß die Feststellung, ob z. B. Deutschland vertragsbrüchig und zum Angreifer geworden sei. nicht als unbedingte Voraussetzung der gemeinsamen Aktion angesehen wird. Die Bedingungen des Protokolls können auch durch informatorische Rückfragen bei den übrigen Locarno-Garanten erfüllt werden, des Inhalts, ob diese Sanktionen gegenüber Frankreich oder Rußland für erforderlich halten. Es wird afto die im Locarno-Vertrag grundsätzlich vorgesehene Feststellung des Angreifers und die absolute Unterwerfung unter das Urteil der Garantiemächte in einer Weise interpretiert, die dem Wortlaut und vor allem dem Sinn des Locarno-Paktes nicht entspricht.
Diejenigen, die ihre Politik auf die eine Frage: Erhaltung des Friedens, abstellen, haben deshalb die ernste Pflichtz auch solche Einzelfragen anzuschneiden, wenn nur die geringste Möglichkeit besteht, daß ein Friedensinstrument von der europäischen Bedeutung des Locarno-Paktes eine Beeinträchtigung erfahren kann.
Eine Klärung dieser Probleme wird einen weiteren Schritt zum gegenseitigen Verständnis bedeuten.
Paris macht neue Schwierigkeiten
Paris, 4. Juni. Nach zehn Tagen innerpolitischer Krisis, die das Interesse der Oeffentlichkeit von der Außenpolitik auf Sie brennenden Fragen der Währung und der finanziellen Schwierigkeiten abgelenkt hatten, beginnt man im Quai d'Orsay wieder aktiv zu werden. Außenminister Laval hatte Besprechungen mit den Botschaftern von Deutschland und Sowjetrußland. Man wertet diese Unterhaltung als Auftakt von Bemühungen. Frankreich wieder in die diplomatischen Verhandlungen einzuschalten. Das Regierungsblatt „Petit Parisien" greift auf die große Führer-Rede zurück. Es erklärt, Hitlers Anregungen seien in Paris dahin beurteilt worden, daß sie gewisse Ausblicke eröff- neten. Sie dürften nicht in Bausch und Bogen und nicht ungeprüft abgelehnt werden. Diese Tendenz, die „Annäherungsversuche" Deutschlands nicht abzuweisen, tue sich bereits kund. In London hätten die deutsch-englischen Flottenbesprechungen begonnen, und in Paris habe sich Laval mit dem deutschen und dem sowjetrussischen Botschafter unterhalten. Man dürfe annehmen, daß diese Besprechungen sich auf die deutsche Auffassung von der Auswirkung des sranzösisch-sowjetrussi- schen Paktes auf den Locarnovertrag bezogen hätten. Die Juristen des Quai d'Orsay legten die letzte Hand an die französische Antwort. Weiter habe man sich wahrscheinlich über die Frage des Ost Paktes unterhalten.
Die Betrachtungen der sehr gut über die Vorgänge im französischen Außenministerium unterrichteten Blätter „Echo de Paris" und „Oeuvre" befassen sich eingehend mit dem Plan eines Luft-Locarno, dem sie alle möglichen Bedenken entgegensetzen. Pertinar unterstreicht, daß es sich bei dem Vorschlag eines Luftpaktes im Westen, wie er in der Erklärung vom 3. Februar enthalten sei, nur um einen Teil einer Regelung zur Festigung des europäischen Friedens handle. Die anderen Kapitel beträfen Abkommen Uber die Landstreitkräfte, den Nordost- Beistandspakt. das Donau-Abkommen und die Rückkehr Deutsch-
Fernruf 47S
70. Jahrgang
von europäischer Bedeutung
NSK. In den aktuellen außenpolitischen Erörterungen m Europa spielt die Frage der Vereinbarkeit des französisch-russischen Paktes mit dem Locarno-Vertrag eine gewisse Rolle.
Es ist nicht ein Spiel um Worte, wenn Bedenken insbesondere gegen bestimmte Abmachungen im Nahmen des Protokolls zu diesem Vertrag laut werden.
Denn es werden sehr eindeutige Bestimmungen des Locarno-Paktes in einer Weise kommentiert, die nicht dem
Kurze Tagesüberficht
Die französische Kammer hat mit 264 gegen 262 Stimmen der Negierung die Vollmachten verweigert. Das Kabinett Vouisson ist damit gestürzt.
In der französischen Kammer hat Ministerpräsident Bouisson die Regierungserklärung verlesen und die Vertagung der Jnterpellationsanträge beantragt, die mit 3SV gegen 192 Stimme» angenommen wurde.
Der deutsche Botschafter hat in Washington ein Abkommen unterzeichnet» wonach der deutsch-amerikanische Handelsvertrag verlängert wird.
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In London haben im Auswärtigen Amt die deutsch-englische» Flottenbesprechungen begonnen.
Die neue tschechoslowakische Regierung hat am Dienstag unter Führung von Ministerpräsident Sa» Malqpetr den vorgeschriebenen Eid abgelegt.
Durch einen ungeheuren Wolkenbrnch sind drei in der Nähe von Mexikc-Stadt gelegene Dörfer vernichtet worden. Es sind mehrere Hundert Tote zu verzeichnen.
lands nach Genf. Während London und Rom bereit seien, oen Westluftpakr gesondert zu behandeln, sei Laval der Aussassung, daß nichts unterzeichnet werde und in Kraft trete, wenn nicht über alle aufgeworfenen prägen eine Einigung mit Berlin zustande komme. Dafür habe der jowjetrussijche Botschafter am Montag die Zusicherung erholten. . -
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Weltbild fM).
Der neue französische Ministerpräsident Bouiyon
WniskclUWent MWn s»r der Kammer
Wortlaut der Regierungserklärung
Paris, 4. Juni. In der Kammersitzung am Dienstag verlas Ministerpräsident Bouisson die Regierungserklärung. Die Erklärung, die gleichzeitig vom Justizminister im Senar verlesen wurde, hat folgenden Wortlaut:
Die Regierung, die sich dem Parlament voritellt, stellt die größte Einigung dar, die man seit dem Kriege verwirt- licht hat. Männer, die sich gestern gegenüberstanden, haben sich heute im Hinblick auf ein bestimmtes Ziel eng zuiammengesun- den, nämlich um die nationale Währung aufrecht zu erhalten, die Finanzen und die Wirtschaft des Landes wiederherzustellen. Angesichts einer außergewöhnlichen Lage sind außergewöhnliche Maßnahmen notwendig. Damit diese Maßnahmen wirksam sind, müssen sie unverzüglich getroffen werden, wenige Tage genügten den Spekulanten, um ihre Angriffe in die Wege zu leiten, unser Geld anzugreifeu und — übrigens vergeblich — zu versuchen, Aufregung unter Miseren Sparern zu stiften und unter den Arbeitern unseres Landes Mißstimmung hervorzurusen. Unsere Antwort die Antwort des Staates, wird brutal und entschieden sein. Ein Land, auf dem dunkle Drohungen lasten, ist schon kein freies Land mehr. Der Wink der Panik zerstört die bürgerliche Gesinnung. Wenn wir vom Parlament verlangen, daß es uns vorläufig einen Teil seiner gesetzgeberischen Befugnisse überträgt, so deshalb, um das Wesentliche zu wahren, um besser zu dienen und um jene demokratischen Einrichtungen hochzuhalten, denen wir, wie Sie alle wissen, ergeben bleiben. Die erweiterten Befugnisse, die aber zeitlich und sachlich begrenzt sind und die wir vor den Ausschüsse» des Parlaments beantragen, werden uns in den Stand setzen, sofort die Spekulation zu brechen und den Franc vor jeder Beeinträchtigung zu schützen. Sie werden uns ferner ermöglichen, unsere Finanzen und unsere durch die Wirkungen einer sich seit fünf Jahren hingehenden Krise mitgenommene und gestörte Wirtschaft wieder herzustellen und zu sanieren. Dieses positive Werk wollen wir nach einem Gesamtplan durchführen. Die Wiederherstellung unserer Finanzen wird eine neue Anstrengung zum Ausgleich des Haushalts erfordern. Sie wird alle die Anstrengungen vervollständigen, oie das Parlament während der jetzigen Legislaturperiode mutig verfolgte. Bei dieser Anstrengung wird nichts vernachlässigt werden, um die verschiedenen Zweige der wirtschaftlichen Betätigung zu beleben und den Warenaustauschstrom im Innern und mit dem Ausland wieder herzustcllen. Wir stellen in den Vordergrund eine Landwirtschaft die den größten Teil unserer Bevölkerung beschäftigt und die wegen der schlechten Verkaussmöglichkeiten ihre letzten Hilfsquellen dahinsicchen sieht.
Unsere Industriellen und Kaufleute, die so schwer mitgenommen sind, werden bei ihrem Kamps gegen die Kriie unterstützt werden. Wir werde» alle Mittel einsetzen, um der Arbeitslosigkeit und ihren Folgeerscheinungen zu begegnen, um einer Jugend, die den Horizont vor sich verschlossen sieht, Arbeit zu geben und um einem Lande, das nicht an sich zweifeln kann, die Unternehmungslust und das Vertrauen zur Zukunft zu wecken. Gleichzeitig werden wir die moralische Gesundung der Nation mit der Sorge einer raschen und entschiedenen Gerechtigkeit wahren und den republikanischen Staat verteidigen.